Ein Kulturerbe erobert Europa – Ceviche (gesprochen: Sewíhtsche). Streng genommen handelt es sich um eine Zubereitungsart, die peruanische Angler bereits vor rund 500 Jahren praktiziert haben. Um ihren frisch gefangenen Fisch gleich essen zu können, behandelten sie ihn mit Limettensaft und Salz. Von Jutta Lamy
Heute ist Ceviche nicht nur das Nationalgericht Perus, sondern hat sich über Lateinamerika, den USA, London und Madrid bis nach Deutschland zu einem kulinarischen Trend entwickelt. Was ist das Besondere an dieser marinierten Fischspezialität, die zunehmend auch das Rhein-Main-Gebiet erobert? Ceviche ist eine Philosophie! Und hinter allem steckt die äußerst kreative Armeleuteküche Perus mit ihrem vielfältigen Mix aus multikulturellen Einflüssen.
„Als Fisch verwende ich nur Filet vom Schwarzen Heilbutt.“ – Miguel Angel Valdivia, Papa Peru
Als wir das erste Mal von Ceviche gehört haben, dachten wir, es handele sich „nur“ um ein Fisch-Carpaccio. Weit gefehlt! Denn unsere Spurensuche ergab: Die richtige Zubereitungsart ist eine wahre Kunst. Das fängt schon bei den Basiszutaten an. Nur beste Qualität ist gefragt. Der Fisch muss natürlich frisch sein. „Als Fisch verwende ich nur Filet vom Schwarzen Heilbutt. Er eignet sich am besten für Ceviche, da er relativ fettarm ist und sich daher gut marinieren lässt“, verrät uns Miguel Angel Valdivia, Chefkoch der Frankfurter Ceviche-Bar „Papa Peru“.
Dann die Limetten! Der peruanische Koch demonstriert, was eine geeignete Limette ausmacht. „Klein müssen sie sein und beim Drücken relativ fest – dann sind sie zum Kochen sauer genug“, so sein Fazit. Sie geben den Saft, in dem die rohen Fischstücke gemeinsam mit Salz rund zehn Minuten kalt „garen“.
Das wahre Geheimnis einer authentischen Ceviche aber liegt in der so genannten Tigermilch, erfahren wir. Eine Soße aus Fisch, Meeresfrüchten, Gemüse und Gewürzen – dabei ist frischer Koriander ein unbedingtes Muss –, die eineinhalb Stunden vor sich hin köchelt, dann püriert und durchpassiert wird. „So richtig Feuer bekommt das Zauber-Elixier durch die Habanero-Chilis aus Peru“, erklärt Miguel.
Dann essen wir die erste Ceviche unseres Lebens: Wow! Welche Gaumenfreude! Die Mischung der marinierten, mundgerechten Fischhappen mit der Tigermilch erzeugt eine wahre Geschmacksexplosion! Selbstverständlich hat jeder Koch seine eigene Variation des Rezeptes. Und so wird Ceviche auch mit anderen weißfleischigen Edelfischen wie Wolfsbarsch, Dorade, Steinbutt und Steinbeißer oder mit Meeresfrüchten wie Gambas oder Jakobsmuscheln und für Veganer sogar mit Gemüse zubereitet.
Auch die Tigermilch variiert in den peruanischen Küchen. Wir bekommen die Fischspezialität traditionell mit gekochten Süßkartoffeln und geröstetem Mais serviert. An dieses erdnussähnliche Popkorn müssen sich unsere Zähne erst noch gewöhnen. Was unseren Enthusiasmus für das peruanische Nationalgericht jedoch zum Gipfel getrieben hat, ist seine Nährstoffbilanz: viel Eiweiß, viele Vitamine, kaum Kohlenhydrate und sage und schreibe nur rund 300 Kalorien. Eine wahre Nährstoffbombe und dazu noch ein Low-Carb-Schnäppchen! Das ideale Gericht für die leichte, sommerliche Küche.
Und nicht nur das. Ceviche ist den Peruanern sogar einen Feiertag wert: Am 28. Juni begehen die Peruaner den offiziellen Tag des Ceviche. Das Gericht wurde 2004 vom nationalen Kulturinstitut zum Nationalerbe ernannt. Dabei geht es darum, die Fischspezialität über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Und das ist inzwischen ja auch hinreichend gelungen! Das Nationalgericht boomt nicht nur in Lateinamerika, sondern hat sich über die Metropolen der USA bis in die europäischen Hauptstädte durchgesetzt.
Kein Wunder also, dass auch in Frankfurt peruanische Lokale wie Pilze aus der Erde sprießen. Zwei haben in den vergangenen Monaten eröffnet. Insgesamt gibt es bereits mehr als eine Handvoll Lokale in der Mainmetropole, die sich der peruanischen Küche verschrieben haben. Dabei unterscheiden sich die Restaurants erheblich voneinander und haben doch eins gemein: Überall wird à la minute zubereitet. Wer sein Ceviche authentisch liebt, sollte das „Papa Peru“ besuchen – eine kleine, typisch peruanische Bar im Frankfurter Nordend.
Hier kann man zusehen, wie die Köche die Gerichte der kleinen Speisekarte frisch zubereiten. Unbedingt auch probieren: „Juane“, eine Hähnchenspezialität aus dem peruanischen Dschungel. Eher rustikal, aber genauso authentisch, ist das „Miraflores“, gleich um die Ecke. Klassiker wie Ceviche, Alfajores (Gebäck mit karamelisierter Milch) oder Aji de Gallina (Hähnchenbruststreifen mit Chili-Walnuss-Käsesoße) bestimmen hier die Speisekarte und werden durch täglich wechselnde peruanische Gerichte ergänzt.
Gehobener geht es in der neu eröffneten „La Cevi“ am Merianplatz zu. Hier hat man sich voll und ganz der Cocina Novoandina verschrieben und kocht neue Gerichte auf traditioneller Basis. Dabei kennt die Kreativität der südamerikanischen Köche keine Grenzen. Neben sieben verschiedenen Ceviche-Kreationen kommt hier auch der kleine Bruder, der Tiradito – der Fisch wird in dünne Streifen geschnitten – in unterschiedlichen Varianten auf den Tisch. Mit ihrer besondere Interpretation der peruanischen Küche auf modernem Niveau haben Inhaber Daniel Nawenstein und seine peruanische Frau Heidi sogar jüngst den Gastro-Start-up-Wettbewerb gewonnen!
Die ersten, die Ceviche in Frankfurt angeboten haben, sind die Betreiber des Szenelokals „Walon & Rosetti“, deren Speise- einer Weltkarte gleicht: Neben der peruanischen Spezialität finden sich darauf Salzburger Nockerln ebenso wie eine fast unüberschaubar große Anzahl exotischer Cocktails. Traditioneller geht’s da im „mi peru“ zu. In dem kleinen Restaurant in Bockenheim kocht Maribel Bueno de Palmino peruanische Gerichte wie zuhause. Die kleine Essenauswahl begeistert auch viele Spanier und Peruliebhaber.
Ganz gleich, wie umfangreich die Speisekarte der peruanischen Restaurants in Frankfurt ist, „die Beschaffung authentischer Lebensmittel von gleichbleibender Qualität erweist sich als große Herausforderung“, wie uns Daniel Nawenstein bestätigt: „In dieser Hinsicht muss sich in Deutschland noch einiges tun“. Deshalb importiert der Gastronom wie die meisten seiner Kollegen viele Original-Zutaten direkt aus Peru oder lässt sich die lange haltbaren Lebensmittel von Freunden und Verwandten mitbringen.
„Die Beschaffung authentischer Lebensmittel erweist sich als große Herausforderung.“ Daniel Nawenstein, La Cevi
Für Hobbyköche wie uns, die die peruanische Küche zuhause ausprobieren wollen, bietet sich ein relativ großes Lebensmittelangebot über Onlineshops im Internet. Südamerikanische Spezialitäten findet man aber auch in der Frankfurter Kleinmarkthalle an einem der hinteren Stände und direkt um die Ecke in der Töngesgasse im „Ponto Brasil & Latino“. Und im „Mi Tierra“ in Eschborn bekommt man südamerikanische Getreidesorten, Gewürze und Soßen. So langsam stellt sich der Handel auf die steigende Nachfrage ein.
Ob Ceviche oder Aji de Gallina – die peruanische Küche mausert sich gerade zu einem Megatrend in Europa. Gründe dafür sind einmal die tausendjährige Tradition der Inkas und die Mischung zahlreicher Einwanderer-Kulturen wie Spanier, Afrikaner, Chinesen, Japaner, Engländer und Franzosen, die im Laufe der Jahrhunderte ihren Einfluss auf die Küche Perus genommen haben. Dann das Land selbst mit seinen unterschiedlichen Klimazonen und der großartigen Flora und Fauna.
So herrschen in den Tälern der Anden ideale Bedingungen für den Anbau von Quinoa, Mais und unzähligen Kartoffelarten. In Peru wachsen über 5.000 verschiedene Kartoffelsorten, von denen rund 3.000 täglich verfügbar sind – braune, gelbe, rot gesprenkelte, blaue. Eine Fülle von exotischen Früchten und Pflanzen gedeiht in den tropischen Gebieten des Amazonas. Hier stammt auch eine der wichtigsten Zutaten der peruanischen Küche her: Aji. Die gelbe Chillischote gibt es in 50 verschiedenen Sorten.
Ganz zu schweigen von den Küstenregionen des Pazifiks, die mit frischen Fischen und Meeresfrüchten reich gesegnet sind. Und nicht zu vergessen die Süßwasserfische in den Flüssen des Amazonas-Tieflands. Allein diese Beispiele lassen den Reichtum an Nahrungsmitteln in Peru erahnen, der weltweit einzigartig ist. Kein Wunder, dass Peru 2015 zum vierten Mal in Folge als beste gastronomische Destination der Welt mit dem „World Travel Award“ ausgezeichnet wurde.
„Diese Auszeichnung geht an alle Peruaner, welche die Geschmäcker und Traditionen unseres Landes lieben, erhalten und mit Stolz von Generation zu Generation weitergeben. Dadurch ist das Beste entstanden, was wir der Welt zu bieten haben: unsere Küche“, so Magali Silva Verlarde-Álvarez, Ministerin für Tourismus und Außenhandel von Peru bei der Preisverleihung.
ZITAT: „So ist das Beste entstanden, was Peru der Welt zu bieten hat: unsere Küche.“ Magali Silva Verlarde-Alvarez
Der weltweite Siegeszug der peruanischen Küche war also mehr als fällig. Hat die lateinamerikanische Bevölkerung schon immer mit großer Begeisterung gekocht, so trägt die Gastronomie Perus heute erheblich zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Ein regelrechter Boom zur Koch-Ausbildung hat in den vergangenen Jahren in Südamerika eingesetzt. Unterstützt werden die jungen Leute dabei von ihrer Regierung. Unter der Marke „Peru mucho Gusto“ fördert Peru seine Gastronomie. Und das seit 2006.
Einheimische Köche haben inzwischen den Schritt über die Grenzen hinaus gewagt und die peruanische Küche in die übrige Welt gebracht. Einer der Vorreiter war der peruanische Starkoch Gastón Acurio Jaramillo. Der Preisträger des „White Guide’s 2013 Global Gastronomy Award“ führte die Nouveau Cusine der Anden in Europa ein. Dabei integrierte er die vor den spanischen Einflüssen verwendeten authentischen Zutaten seiner Vorfahren gekonnt in die internationale Gastronomie.
Heute besitzt Gastón Acurio insgesamt 40 Restaurants weltweit, darunter eine peruanische Restaurantkette, die ihren Ursprung in Miraflores hat und sich inzwischen auch in Madrid und London ausgebreitet hat. Ein weiterer Promikoch, der zum internationalen Erfolg der peruanischen Küche beigetragen hat, ist Nobuyuki Matsuhisa. Nobu, wie er meist genannt wird, führte den gelungenen Mix aus japanischer und peruanischer Küche ein. Sein kulinarischer Stilmix erobert die Gaumen der Feinschmecker auch hierzulande. Erst jüngst hat der japanische Starkoch ein Restaurant in München eröffnet. Klar gehört zu den Klassikern auf seiner Karte auch Ceviche – mit Nobus einzigartiger Interpretation. So wird das Nationalgericht auf besondere Weise auch hier in Deutschland geadelt.