Stardesigner Paolo Pininfarina gilt als draufgängerisch und sehr kreativ. Der Turiner ist Spross der legendären Designerfamilie Pininfarina, die seit mehr als 85 Jahren Luxus-Sportwagen entwirft. Ein Mann mit großem Selbstbewusstsein, woran er bei unserem Interview keinen Zweifel ließ.
Von Dr. Jutta Failing
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Applaus für Leistung
Er hätte auch Schauspieler vom Schlag eines Oliver Reed oder Gary Grant werden können, so attraktiv und sophisticated tritt er auf. Allein, wie Paolo Pininfarina an seiner Espressotasse nippt. Das zeigt verdammt viel Stil. Gerade hat er auf Einladung der italienischen Handelskammer in Deutschland einen Vortrag darüber gehalten, welche strategische Bedeutung Design für jegliche Art von Unternehmen besitzt.
Das Publikum applaudiert, auf dem Balkon der Rotunde, von der aus 1909 Kaiser Wilhelm II. die Festhalle eröffnete, baut sich der Abendhimmel auf. Wer dort mit dem Präsidenten von Pininfarina sprechen möchte, muss Geduld haben. Viele umringen den Mann, unter dessen Leitung mehr als 500 Produkte in den Bereichen Industriedesign, Ausstattung, Architektur, Nautik und Aeronautik entwickelt wurden.
Dessen Vater und Großvater die Autoszene mit visionärem Design revolutionierten. Um hier nur einige Meisterwerke zu nennen: der Ferrari F40, der Ferrari Enzo, der Maserati Quattroporte und der Bentley Azure – für Kenner klingt das wie Musik.
Auf dem ehrwürdigen Balkon steht der Mann, der die Luxus-Küche „Ola“ erfand. Die schickste Welle überhaupt, seit es Küchen gibt. Die aerodynamischen Formen erinnern an den Flugzeug- und Schiffsbau, unlängst hat Paolo Pininfarina seinen alten Entwurf überarbeitet. „Ich habe die Küchenmöbel 1991 entworfen und zweifelte am Erfolg“, gab er einmal zu. „Heute sind sie zum Klassiker geworden, das bestätigt mich in meiner Karriere.“ Apropos, an Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Erfolge über Generationen scheinen wie altes Geld zu wirken. Diese besondere, lässige Aura, die dann einer verströmt.
Visionärer Teamplayer
Er hat Zeit für uns. Seine Augen fordern Schnelligkeit. Im Unternehmen, so heißt es, lege er viel Wert auf Teamarbeit. „Wirklich innovatives Design gelingt nur, wenn man auf Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen hört“, sagt er. Das gelte auch für Unternehmen, die, obwohl aus unterschiedlichen Branchen, gemeinsam etwas Großes kreieren können.
Die „Ola“- Küchenmöbel sind sicher ein Paradebeispiel, denn sein berühmter Entwurf entstand in Zusammenarbeit mit Snaidero, jener Ikone des italienischen Küchendesigns. Dessen Gründer, Cavaliere Rino Snaidero, war aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Pininfarina-Männer. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute er ein Industrieunternehmen auf, das sich auf die Produktion von Einbauküchen im amerikanischen Stil spezialisierte. Kompromisslos ging es ihm um funktionales Edeldesign.
Eine rundum erfolgreiche, da zukunftsweisende Idee: die rational gestalteten Küchen richteten sich an die moderne, berufstätige Frau. Etwas, was die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky mit ihrer „Frankfurter Küche“ bereits in den 1920er Jahren angestoßen hatte. Und Snaidero-Küchen sind bis heute so etwas wie der Rolls Royce im Haus. Beneidet, wer eine hat. Neben Snaidero sind viele weitere Luxusmarken unterschiedlichster Branchen Partner des Designstudios Pininfarina Extra.
Das vielleicht schönste Fahrzeug der Welt
Extra? Das muss erklärt werden. Pininfarina Extra ist ein Unternehmen der Pininfarina Group – die Gründerfamilie gab 2009 die Mehrheit an der Gruppe ab, vorausgegangen war der tödliche Unfall von Paolo Pininfarinas Bruder, Firmenchef Andrea Pininfarina. Extra ist extra, also eigenständig. Seit der Gründung 1986 wird Extra von Paolo Pininfarina geleitet.
„Wir verbinden Produktästhetik mit den innovativsten ergebnissen aus Wissenschaft, Technik und Maschinenbau.“
„Extra ist auf die Bedürfnisse der Endkunden bedacht, und wir verbinden Produktästhetik mit den innovativsten Forschungsergebnissen aus Wissenschaft, Technik und Maschinenbau.“ Bei seinem Vortrag macht der 58-Jährige deutlich, wie Design über Firmen und Produkte hinweg zum zentralen Wettbewerbsvorteil werden kann. Neben dem Businessziel ist das spürbar eine Herzensangelegenheit, in ganz Europa wirbt er dafür.
Dass sein Herz auch für schnelle Autos schlägt, liegt in der Familie. Im Turiner Pininfarina-Museum kann man sich die rollenden Kunstwerke ansehen, die von seinen Vorfahren und den Designern des Studios entworfen wurden. Der Zweisitzer- Sportwagen Cisitalia 202, vorgestellt 1947, ist vielleicht das schönste Fahrzeug der Welt. Der Ferrari 250 GT wiederum, 1959 der Öffentlichkeit präsentiert, kommt als edles Kraftpaket daher, das Design gilt bis heute als Vorlage für Ferraris von Pininfarina.
Junger Löwe – alter Löwe
Wäre es nicht natürlich, wenn ein junger Mann aus einer designbesessenen und wohlhabenden Familie, kaum den Führerschein in der Tasche und das Maschinenbau-Studium im Blick, mit einer sensationellen Karre Eindruck schindet, oder Signore Pininfarina? „Ganz schrecklich, wenn ich an meinen ersten Wagen zurückdenke. Er war das Geschenk meines Vaters, ein Peugeot 104 Coupé. Klein, braun und mit orangefarbenen Sitzen, wie es in den 1970er Jahren modern war. Einer der ersten Wagen, die mit Vorderradantrieb gebaut wurden, und bisweilen heikel zu manövrieren.
„Ganz schrecklich, wenn ich an meinen ersten Wagen zurückdenke.“
Ich fand ihn absolut hässlich.“ Früh übte sich der Ästhet. Und heute? Was für eine Frage! „Einen Ferrari FF. Der erste Fahrzeugtyp, bei dessen Design ich mitwirkte. Darauf bin ich stolz.“ Ein geschmeidiger Pfeil, der 2011 als Nachfolger des Ferrari 612 Scaglietti vorgestellt wurde. Kein Protz, bedenkt man, dass der FF von der Polizei in Dubai als Streifenwagen genutzt wird. Wir stellen uns vor, wie er mit dem noblen Geschoss am nächsten Tag nach Hause ins Piemont fährt. Cary Grant hätte jetzt kurz an seinen Hut getippt. Wir bekommen zum Abschied das Lächeln eines alten Löwen. Mit ihm ist nicht zu spaßen, da sind wir sicher.
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