Leben 3.0
Sind Zoos heute noch zeitgemäß? Welche Aufgaben erfüllen sie? Tiere erleben – Natur bewahren, lautet der Leitsatz des Frankfurter Zoos. Top Magazin machte einen Rundgang mit Zoodirektor Professor Dr. Manfred Niekisch und stieß auf spannende Motive und Tierbiografien.Text: Dr. Jutta Failing, Fotos: Michael Hohmann.
Inhalt
Elvis lebt!
Das Tier hat einen Rüssel, ist aber kein Elefant. Sein speckiger Körper ist mit Borsten bedeckt, aber ein Schwein ist es auch nicht. Seine mächtigen, grabschaufelähnlichen Füße wünscht man sich nicht im Blumenbeet. Gestatten? Elvis. Zuhause im Zoo Frankfurt, wo sich das Erdferkel seit 20 Jahren, pardon, sauwohl fühlt. Stoisch in sich ruhend und dabei mit zärtlichem Augenaufschlag löffelt Elvis mit seiner langen Zunge eine Avocado aus der Schale. Überhaupt, diese Augen. Ein bisschen Schwein, ein wenig Reh. Der Mensch meint, darin Charakter und Laune zu erkennen. Wer über das Zoogelände spaziert, wird an jeder Ecke von neugierigen Tieraugen beobachtet. Da sind die Kamele mit ihren extrem langen Wimpern, dann die dunkel gerahmten Augen der Erdmännchen und die der hochintelligenten Kraken, welche dem Sehorgan des Menschen verblüffend ähneln. Die Vogelspinne hat zwar gleich acht an der Zahl, charmanter wird jedoch das blaue Augenpaar des neugeborenen Tigers empfunden. Am Tag unseres Besuchs hat die zwölfjährige Sumatra-Tigerin Malea ihr Junges zum ersten Mal aus der Wurfbox in das Schaugehege im Katzendschungel getragen. Das Publikum ist begeistert, wie immer, wenn die Frankfurter Tigerfamilie Nachwuchs bekommt. Zur rechten Zeit wird der jüngste Spross, ein Mädchen, vielleicht in einen anderen Zoo weiterreisen, um das Erbgut der Sumatra-Tiger in Europa zu bereichern.
Grzimeks Erbe
„Im Freiland sind Sumatra-Tiger durch die Abholzung der Regenwälder für Palmöl-Plantagen bedroht. Nur noch etwa 400 Tiere leben in ihrer Heimat auf der indonesischen Insel Sumatra, und diese sind zusätzlich durch Wilderei gefährdet. Jede Nachzucht im Zoo ist ein wichtiger Beitrag zur Arterhaltung, vor allem angesichts des dramatischen Rückgangs der Populationszahlen im Freiland“, sagt Manfred Niekisch. Seit fünf Jahren leitet der gebürtige Nürnberger den Zoo, welcher 1858 eröffnete wurde und der nach den verheerenden Verlusten im Zweiten Weltkrieg – keine 20 Tiere waren nach den Bombenangriffen noch am Leben – unter dem legendären Tierarzt, Dokumentarfilmer und Oscargewinner Bernhard Grzimek gerettet werden konnte. Grzimeks alter Gesprächstisch steht nach wie vor in Niekischs Büro, „an diesem Tisch sind schon viele wichtige Entscheidungen getroffen worden, Grzimeks Geist lebt im Zoo Frankfurt weiter. An Grzimek, den ich durch die gemeinsame Arbeit im Artenschutz gut gekannt habe, beeindruckte mich sein Mut zur Innovation.“ Als es 1970 darum gegangen sei, die Außenanlage der Gorillas zu verglasen, habe es „tausend Bedenkenträger“ gegeben, denn so etwas kannte man nicht. „Grzimek sagte, prima, dann sind wir in Frankfurt die ersten. Die Zucht von in Zoos gehaltenen Tieren wird über Erhaltungszuchtprogramme koordiniert, in Europa durch das EEP (Europäisches Erhaltungszuchtprogramm). Zu Grzimeks Zeiten waren Zuchtbücher noch nicht üblich, denn diese werden erst seit 1985 geführt. Grzimek hat zum Teil noch Tiere im Freiland gefangen und nach Frankfurt gebracht, zum Beispiel Menschenaffen.“ Der um 1957 auf Sumatra geborene Orang-Utan Charly und die betagte Bonobo-Dame Margret sind noch solche Wildfänge, ebenso wie der inzwischen verstorbene Silberrücken Matze. Eine Bronzeskulptur im Zoo erinnert an diesen Publikumsliebling und Vater vieler Nachkommen, der mit seinen über fünfzig Lebensjahren so etwas wie einen Methusalem seiner Art darstellte.
Noch kein Paradies für Flusspferde
Die tonnenschweren Tiere leben im Wasser, doch richtige Schwimmer sind sie nicht. Wenn sie ein „großes Geschäft“ machen, drehen sie dabei ihren Schwanz wie einen Propeller und verteilen alles wild im Wasser – als klare territoriale Ansage. Beim Rundgang füttert Zoodirektor Niekisch ein Flusspferd mit frischen Äpfeln, einem Leckerbissen, für den der behäbige Pflanzenfresser gern sein gigantisches Maul aufreißt. Besser, man respektiert den Abstand. In den TOP 10 der gefährlichsten Tiere nimmt diese Art Platz 8 ein, ihr Revier und ihren Nachwuchs verteidigen die Tiere sprichwörtlich bis aufs Blut. „Für die Flusspferd-Anlage erhalten wir bei Zoobewertungen immer Minuspunkte, zu Recht, denn das Tierhaus ist schon mehr als 60 Jahre alt und wurde ursprünglich für Elefanten gebaut. Allerdings können wir nur eine Anlage nach der anderen verändern, denn wir brauchen Platz und die nötigen finanziellen Mittel. Der Umbau ist aber definitiv in Planung.“
Investitionen in die Zukunft
Seinen Plan beim Amtsantritt, dass der Zoo Frankfurt wieder an das Naturschutzimage anknüpft, das Bernhard Grzimek vorgegeben hat, sieht Direktor Niekisch weiter auf einem guten Weg. „Wir zeigen die Tiere möglichst genau, wie sie in der Natur leben. Wir wollen unseren Besuchern etwas über die Gründe der Lebensraumzerstörung der Tiere erzählen und darüber, was jeder einzelne von uns zum Natur- und Umweltschutz beitragen kann. Tiere nur ‚ausstellen‘, wie das Zoos früher gemacht haben, reicht heute längst nicht mehr. Grundlage für dieses Naturschutzanliegen ist aber, dass die Tiere artgerecht gehalten werden. Eisbären sind heute in Frankfurt nicht mehr denkbar, dafür fehlt uns der notwendige Platz, wie ihn etwa München zur Verfügung hat. Auch für Elefanten haben wir keinen Platz, diese kann man sich aber sehr gut im Opel-Zoo ansehen, mit dem wir im Übrigen kooperieren. Wir bilden beispielsweise deren Tierpfleger aus und haben eine gemeinsame Jahreskarte. Ich bin mit dem dortigen Kollegen einer Meinung – wenn zwei Zoos ihr gemeinsames Anliegen in die Öffentlichkeit tragen, nehmen wir uns gegenseitig keine Besucher weg.“ Der Zoo Frankfurt will auch künftig über die Gefährdung der Tiere und ihres Lebensraums informieren. Und dabei seinen Besuchern konkrete Möglichkeiten aufzeigen, auch einfache Dinge, die jeder tun kann, um Natur zu schonen und zu schützen. Etwa auf Palmöl zu verzichten, um so die Lebensraumzerstörung der Tiger durch Palmölplantagen zu verhindern. „Oder Sie geben unserem Zoo Ihr altes Handy, statt es wegzuwerfen. Für jedes Gerät bekommen wir vom Recyclingunternehmen einen Betrag, bislang sind so über 20.000 Euro eingenommen worden. Diese Einnahmen fließen direkt in den Schutz der Gorillas, deren Lebensraum in Mitleidenschaft gezogen wird durch den Abbau von Rohstoffen für die Mikroelektronik.“
Populationen aufbauen und sichern
„Das Züchten von Tieren, um diese wieder in ihrem ursprünglichen Lebensraum anzusiedeln, ist nur ein kleiner Aspekt der Naturschutz- Zoos. Dass wir sagen können, 50 bis 60 Tierarten haben in Zoos überlebt und wurden in ihren angestammten Lebensräumen wieder ausgewildert, ist ein schöner Erfolg. Jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn aktuell wissen wir von 16.000 Tierarten, dass sie bedroht sind. Die Kosten dafür sind aber enorm hoch, hier nur ein Beispiel: Bis ein im Zoo geborener Bartgeier erfolgreich ausgewildert ist, kostet das rund 60.000 Euro. In Frankfurt züchten wir, um demografisch und genetisch ausbalancierte Zoo- Populationen vor allem von bedrohten Arten aufzubauen und zu erhalten.“ Jeder Tiger, der in seinem Zoo geboren wird, erläutert Niekisch, wird dem Zuchtbuchführer gemeldet, dem Koordinator für die jeweilige Art. Dieser hat die Möglichkeit zu bestimmen, mit welchem anderen Sumatra-Tiger das Neugeborene am wenigsten verwandt ist. So kann das Tier später zum idealen Partner in einen anderen Zoo vermittelt werden. „Als Gorilla Matze starb, hat uns der Zuchtbuchführer drei Optionen gegeben, drei Männchen, die nicht mit unseren Weibchen verwandt sind. Wir haben uns dann für ein gut sozialisiertes Tier aus dem Zoo Basel entschieden.“ Für insgesamt sieben Tierarten koordinieren Wissenschaftler des Frankfurter Zoos die Zuchtprogramme, für Rostkatze, Mähnenwolf und Gorilla führen sie das internationale Zuchtbuch. Eines ist dem engagierten Zoodirektor besonders wichtig: „Bei der Abgabe der Tiere fließt grundsätzlich kein Geld zwischen den Zoos, lediglich für Transportkosten, und wir geben keine Tiere in den Tierhandel, nur an Zoos, denen wir vertrauen. Wir nehmen auch keine Tiere aus dem Handel an.“ Und fügt hinzu: „Leider gibt es auch Zoos, die nicht wissenschaftlich geführt sind und die ein kommerzielles Interesse haben. Zoo ist kein geschützter Begriff, laut EU-Zoo-Richtlinie handelt es sich schlicht um eine Einrichtung, die an mindestens sieben Tagen im Jahr lebende Exemplare von Wildtierarten zur Schau stellt.“
Tierpatenschaften
Blaue Bambusphesume, Rotohrbülbül, gefleckter Walzenskink und Darwin-Nandu. Nie gehört? Noch nicht gesehen? Auch diese Tiere leben im Zoo Frankfurt, seltene und weniger bekannte Arten. Wie die Frankfurter Nashörner Tsororo und Kalusho oder Bartgeier Fausto sind sie Botschafter für ihre freilebenden Artgenossen. Schon ab 25 Euro kann man Pate eines Zootieres werden oder eine solche Patenschaft verschenken und damit die vielfältigen Aufgaben des Zoos sowie weitere artgerechte Neubauten unterstützen. „Besonders beliebt sind hier die Erdmännchen, die bekanntermaßen ein ausgeprägtes Sozialverhalten haben“, weiß der Direktor. Einige Arten im Zoo, darunter der in Afrika stark gefährdete Hyänenhund, fallen unter ein Naturschutzprojekt der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und deren Patenschaftsspenden helfen, dringend notwendige Schutzprojekte im Freiland zu fördern.
Eröffnung Ukumari-Land
Das Tier ist ein guter Kletterer, von Winterschlaf hält es nichts und seine weiße Fellmaske hat ihm den Namen gegeben. In seiner Heimat Südamerika ist der seltene Brillenbär hoch bedroht, Kupferund Goldvorkommen, Brandrodungen und extensive Hochland- Viehwirtschaft beschleunigen den Rückgang der Art. Im Sommer ziehen Brillenbären aus verschiedenen europäischen Zoos nach Frankfurt und bekommen in der neuen, rund 1.600 Quadratmeter großen Außenanlage namens Ukumari-Land ein artgerechtes Zuhause. Noch vor den hessischen Sommerferien will der Zoo diesen naturnah gestalteten Bereich eröffnen. 30 Millionen Euro investiert die Stadt in die notwendige Um- und Neugestaltung des Zoos. Neu gestalteter Eingangsbereich, neuer Zoo-Shop und ebendas Bärengehege, in das auch Brüllaffen einziehen werden. Ein Neubau für die Pinguine soll noch kommen. Ebenso eine spezielle App, die durch den Zoo führt. Ganz vom Tisch sind die alten Pläne von einer Dependance im Außenbezirk, zu teuer und die Flächen inzwischen bebaut. „Ich habe ein klares Bekenntnis zum Innenstadt- Zoo abgegeben. Ein großer Landschaftszoo ist an dieser Stelle nicht möglich, aber wir verwirklichen hier einen Ort der Erholung, Bildung und Forschung. Die Frankfurter identifizieren sich stark mit ihrem Zoo. Im Vergleich zu anderen Zoos liegen wir mit den Eintrittspreisen sehr niedrig – jeder muss sich den Zoo leisten können. Wer mehr zahlen will, kann das gern über Spenden tun.“
Herzförmige Pupille
Mit Brötchen lockt man Kamele. Kaum bietet ihnen der Zoodirektor das Backwerk an, traben die Wüstenschiffe heran und recken ihre Hälse nach dem Futter. Die Tiere erkennen Niekisch und natürlich auch ihre Pfleger. Was wie ein kitschiges Klischee klingt, aber doch wahr ist. Die meisten Tiere in den Gehegen haben Namen, werden so gerufen, und Manfred Niekisch und sein Team kennen ihre Geschichte(n). „Ich komme auch gern mal sonntags und schaue nach den Tieren. Dann achte ich auf Stellen, wo sich das Publikum staut und überlege, was man dort noch verbessern kann. Ein Zoo ist nie statisch.“ Abschließend eine Frage, die sich eigentlich verbietet, an welchem Tier, welcher Art, sein Herz besonders hänge. „Ein Zoodirektor muss alle Tiere lieben, aber die heimische Gelbbauchunke, ein kleiner Froschlurch, schätze ich sehr, denn sie hat eine herzförmige Pupille. Außerdem habe ich ihr meinen Doktortitel zu verdanken.“ So wäre das Fröschlein wohl ein schönes Patenschaftstier für Liebespaare, dürfte man meinen. Aber auch die grüne Mamba, die Stabheuschrecke und die vielen anderen kleinen und großen Tiere im Zoo Frankfurt haben ihre Fans.
Sumatra-Tiger-Mädchen Berani
(* 3. April 2013)
Über einen Monat blieb dieses entzückende Geschöpf namenlos. Denn nach der Geburt am 3. April 2013 konnte zwar festgestellt werden, dass es Tigermama Malea und ihrem Baby gut geht, das Geschlecht des Nachwuchses blieb jedoch noch bis 15. Mai unklar. Dann erst ließ die Raubkatzenmutter einen kurzen Blick auf ihr Junges werfen, um festzustellen: Es ist ein Mädchen! Ihr Name wurde bei einem Online-Wettbewerb ermittelt, bei dem über 600 Vorschläge eingegangen waren. Nun heißt die Samtpfote mit den (noch!) blauen Augen Berani. Da sie ein Sumatra-Tigerchen ist, wurde dieser indonesische Name ausgewählt. Er bedeutet so viel wie „kühn, mutig“. Und wenn sie ihre geduldige Mutter mal wieder ins Ohr beißt, passt das auch.