Die Opernwelt liegt der Sopranistin Asmik Grigorian zu Füßen. Quasi über Nacht gelangte die 38-jährige Litauerin als Salome bei den Salzburger Festspielen 2018 zu Weltruhm, gilt seitdem als eine der besten und gefragtesten Opernstimmen überhaupt. Dass ihre betörende und ergreifend schöne Stimme das Frankfurter Publikum verzaubert, haben wir Bernd Loebes exzellentem Riecher für grandiose Sänger und Sängerinnen zu verdanken. Der Frankfurter Opern-Intendant verpflichtete den neuen Weltstar bereits vor vier Jahren für die Titelpartie in Giacomo Puccinis Manon Lescaut. Wir haben die Ausnahme-Sopranistin während der Spielzeit im Wolkenfoyer der Oper Frankfurt getroffen.
Asmik Grigorian im Interview
Frau Grigorian, Ihre Mutter und Ihr Vater sind beide als Sänger sehr bekannt geworden. Wann haben Sie beschlossen, in die Fußstapfen Ihrer Eltern zu treten?
Ich weiß nicht genau, ich glaube, dass ich gar nicht so viele Alternativen hatte. Seit meinem fünften Lebensjahr besuchte ich eine Kunstschule und hatte dort Klavierunterricht. Musik war schon immer ein Teil von mir. Ich dachte nie daran, einen anderen Beruf zu ergreifen, außer Ballerina vielleicht oder Kosmonaut. Davon träumen aber auch viele andere Kinder. Ich denke, es war von Anfang an klar, dass aus mir eine Musikerin wird.
In Interviews thematisieren Sie häufig die innige und liebevolle Beziehung zu Ihrem Vater. Wie ist die Beziehung zu Ihrer Mutter?
Eine Mutter ist immer eine Mutter, ich liebe sie sehr. Sie hat mich immer begleitet und war in den härtesten Momenten meines Lebens für mich da. Natürlich sind wir sehr unterschiedliche Künstler und Persönlichkeiten, aber es gibt so viele Dinge, für die ich meiner Mutter sehr dankbar bin. Zum Beispiel hat sie mich gelehrt, großzügig und empathisch zu sein und meiner Intuition zu vertrauen. Sie brachte mir außerdem bei, auf mein Herz zu hören. Sie ist ein sehr warmherziger Mensch.
Seit Ihrem Auftritt letztes Jahr bei den Salzburger Festspielen als Salome sind Sie weltberühmt. Wie gehen Sie mit dem Leistungsdruck um?
Den größten Stress, den ich habe, üben nicht andere Menschen auf mich aus, sondern ich habe sehr hohe Erwartungen an mich selbst. Vor Salome habe ich extrem viel gearbeitet, dabei häufig meine Grenzen überschritten. Nun stehe ich vor der Herausforderung, dass ich dafür sorgen muss, dass Salome den Anfang und nicht das Ende meines internationalen Erfolges markiert. Dazu muss ich mit jedem neuen Projekt meine Grenzen erneut überschreiten. Manchmal denke ich, dass mein Tag einfach viel zu wenige Stunden hat. Ich nutze zwar 24 Stunden voll aus, würde aber 27 oder 28 Stunden benötigen.
Nach der Premiere von Manon Lescaut am vergangenen Sonntag haben Sie sich einen starken Drink bestellt. War der für Ihre Stimmbänder oder für Ihre Nerven?
(lacht) Zu meinem Vergnügen!

Was war die größte Herausforderung, der Sie sich als Sängerin bislang stellen mussten?
Mein Gleichgewicht zu finden und zu lernen, mit einem Gefühl der Schuld zu leben: Wenn man Mutter und Sängerin ist, fühlt man sich immer schuldig.
Sie sind weltweit unterwegs, haben überall Auftritte. Wo gefällt es Ihnen am besten?
Nach meinem großen Erfolg als Salome wurde natürlich Salzburg zu einer sehr wichtigen Stadt in meinem Leben. Ich habe Salzburg ins Herz geschlossen, weil es mir sehr viel gegeben hat. Persönlich beurteile ich die Attraktivität einer Ortschaft allerdings immer mehr nach den Menschen, die ich dort treffe. Manchmal komme ich irgendwohin, wo es mir zuerst überhaupt nicht gefällt, aber dann kommt es vor, dass ich am nächsten Tag dort sehr nette Menschen kennenlerne und meine Sichtweise ändert sich. Ich würde es so ausdrücken: Die Orte auf der Welt, die ich am meisten liebe, sind in den Herzen der Menschen.
Und Ihre kleine Tochter begleitet Sie immer?
Ja, sie ist immer mit dabei, auch hier in Frankfurt.
Wie gefällt Ihnen Frankfurt? Und wie verbringen Sie hier ihre Freizeit?
Wenn ich Zeit habe, gehe ich auf den Spielplatz, um mit meiner Tochter zu spielen. Ich wünschte, ich könnte mehr von der Stadt sehen, aber eigentlich habe ich kaum Gelegenheit dazu, denn ich habe sehr viel zu tun. Ich muss in diesem Jahr noch insgesamt drei neue Rollen und ein Konzert spielen.
Sie lesen gerne. Welches Genre oder welche Autoren bevorzugen Sie?
Ich habe ein gutes Händchen für Literatur, denn ich finde immer genau die Bücher, die ich gerade brauche. Einen Lieblingsautor habe ich nicht, ebenso wenig wie einen Lieblingssänger oder Komponisten. Ich würde eigentlich sehr viel mehr lesen, wenn ich Zeit dazu hätte.
Welche privaten Interessen haben Sie sonst noch? Mögen Sie Sport?
Ich bewege mich sehr gerne und ich brauche Sport, weil ich etwas für meinen Körper tun muss. Meine Vorlieben ändern sich allerdings häufig. Ich würde gerne tanzen lernen, und Tai Chi, bin auf der Suche nach einem Lehrer. Im Moment mache ich Yoga, habe aber das Gefühl, dass ich mich viel mehr bewegen müsste.
Giacomo Puccinis klassische Oper als Flüchtlingsdrama ist eine radikale Neuinterpretation des katalanischen Regisseurs Alex Ollé: In Manon Lescaut schlüpfen Sie in die Rolle einer jungen, illegalen Einwanderin, die nach Europa geflüchtet ist. Sie verlieben sich in einen Studenten, Ihre Sehnsucht nach Wohlstand treibt Sie jedoch in die Arme eines Nachtclubbesitzers. Manche sehen die zeitgemäße Interpretation kritisch.
Als Sängerin bin ich ein Teil der Produktion und darum fehlt mir die nötige Distanz, um das kritisch beurteilen zu können. Diese Produktion ist im Moment mein Zuhause, die Menschen, die daran mitwirken, sind meine Familie, ich fühle wie in einer Familie und liebe dort aus diesem Grund ganz einfach alles.
Wie haben Sie sich in der Rolle Manon Lescaut gefühlt?
Verliebt, geliebt, lebendig, traurig und so vieles mehr.
Der zweite Akt spielt in einem Table Dance Club, in dem Manon Lescaut arbeitet. Sie tragen einen roten BH und Hotpants. War das eine Überwindung für Sie, in diesem knappen Outfit aufzutreten?
Ja, das ist natürlich so ein Outfit, das ich privat als Asmik Grigorian nie tragen würde. Es war allerdings für die Produktion sehr wichtig, dass ich diesen vulgären Look habe. Ich würde zwar nie mehr als das von meinem Körper auf einer Bühne zeigen, allerdings habe ich auch kein Problem damit, in diesem Kostüm vor das Publikum zu treten, denn ich fühle mich darin eigentlich nicht nackt.
Es kommt häufiger vor, dass ich als Sängerin das Gefühl habe, nackt auf der Bühne zu stehen. Das passiert mit aber auch in einem hochgeschlossenen Kostüm. Diese roten Hotpants sind nicht der Grund dafür.

Was werden Sie in zehn Jahren einmal machen?
Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, dann werde ich in zehn Jahren maximal an zwei Opernproduktionen pro Jahr mitwirken, im besten Fall sogar nur noch an einer. Den Rest möchte ich mit Konzerten füllen. Ich wünsche mir, dass ich viel mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen kann. Was ich in zwanzig Jahren einmal machen will, weiß ich allerdings jetzt schon ganz sicher: Unter einer Palme sitzen, mit einem leckeren Getränk und allen Menschen um mich herum, die ich liebe.
Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Ich bin ein Mensch, der sich ständig verbessern will, sowohl im Beruf als auch im Privatleben. Ich versuche, mein Leben so gut wie möglich zu leben, Dinge zu verstehen und alles zu tun, was mich besser macht.
Die Fragen stellte Simone Scherer
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