Seit ihrer frühesten Kindheit bestimmt Schach das Leben von Elisabeth Pähtz, Deutschlands bester Schachspielerin. Sie war vier, als ihr Vater Thomas Pähtz, Großmeister und letzter Einzelmeister in der DDR, sie an das königliche Spiel heranführte. Mit 14 wurde sie als jüngste Schachspielerin erstmals Deutsche Frauen-Meisterin und ist es bis heute. Begegnung mit Deutschlands einzigem weiblichen Schach-Profi.
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Zuallererst will Elisabeth Pähtz mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufräumen: nämlich, dass Schachspieler super intelligent, gar nerdig seien. Sie schüttelt energisch den Kopf: „Um ein guter Schachspieler zu sein, musst du keinen besonders hohen IQ haben. Was du brauchst, ist ein gutes Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit, Ideenreichtum, Ehrgeiz, eine schnelle Auffassungsgabe und mentale Stärke. Und: Du darfst keine Angst vor Entscheidungen haben.“ Denn in Bezug auf Fehler sei Schach unglaublich brutal, schreibt sie in ihrem soeben erschienenen Buch „Wer den vorletzten Fehler macht, gewinnt“.
Buch-Tipps
- Pähtz, Elisabeth(Autor)
Elisabeth Pähtz kritisiert Fehler-Kultur
Der Umgang mit Fehlern, so Elisabeth, sei die wichtigste Erfahrung, die das Schachspiel sie von klein auf fürs Leben gelehrt hat. „Beim Schach gibt es keine Ausreden. Du musst mit deinen Fehlern leben. Da kann dir keine Mami, kein Papi helfen“, schildert sie ihre oft schmerzvollen Erfahrungen. In unserer Kultur hätten wir einen völlig falschen Umgang mit Fehlern: Bereits in der Schule würden Fehler mit schlechten Noten bestraft. Das führe dazu, dass viele Menschen auch im späteren Leben oft versuchten, ihre Fehler kleinzureden, Ausreden zu finden oder gar auf andere zu schieben: „Auf einem Schachbrett lässt sich kein Fehler verstecken. Du musst mit deiner Entscheidung leben. Und du bist dabei ganz auf dich gestellt.“
„Das kleinste Zucken der Gesichtsmuskeln, ein etwas zu lautes Ausatmen oder minimales Kopfschütteln können dich verraten.“ – Elisabeth Pähtz
Unberechenbares Spiel
Bereits nach zwei Zügen können 72.084 verschiedene Stellungen entstehen. Es heißt, auf den 64 Schachfeldern gäbe es mehr Zugvarianten als Atome im Universum. „Jede Partie ist unberechenbar, jedes Spiel stellt dich vor neue Herausforderungen. Das macht für mich die Faszination des Schachspiels aus. Du sitzt deinem Gegner direkt gegenüber und darfst dir auch nicht die kleinste Unsicherheit anmerken lassen. Das kleinste Zucken der Gesichtsmuskeln, ein etwas zu lautes Ausatmen oder minimales Kopfschütteln können dich verraten. Ohne Pokerface hat man schon verloren.“ Wie anstrengend ist es, seine Mimik stundenlang einzufrieren? Elisabeth emotionslos: „Nach all den Jahren, mit der ganzen Routine, muss ich mein Pokerface nicht mehr extra aufsetzen.“ Pause. „Es ist immer da.“
Elisabeth Pähtz kommt direkt auf den Punkt
Elisabeth Pähtz ist heute aus Düsseldorf nach Frankfurt gereist, wo sie am frühen Abend ein kleines Simultan-Turnier im Buchladen „Genusskomplizen“ an der Kleinmarkthalle bestreiten wird. Ihre Gegner: sieben erfahrene, ambitionierte Schachspieler – alles Männer. Vorher treffen wir uns zum Interview. Das Sprechen strengt sie hörbar an, mehr als ein heiseres Krächzen bringt sie nicht heraus. „Ich habe den ganzen Vormittag ein Schachturnier kommentiert. Meine Stimme ist komplett im Eimer“, erklärt sie flüsternd.
Zum Glück sind viele Worte sowieso nicht ihr Ding. Deutschlands einzige Schachgroßmeisterin spricht schnörkellos, Fragen beantwortet sie ruhig und unaufgeregt, geradeaus, auf den Punkt. Sich in einem Gedankengang verlieren, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, weit ausholen – das ist so gar nicht ihr Naturell.

Elisabth Pähtz erlebt Neid statt Wertschätzung
Seit ihrem fünften Lebensjahr hat Elisabeth Pähtz am Schachbrett Zigtausende Partien gespielt. Harte Arbeit, Disziplin, tägliches Training und immer wieder Lernstoff nachholen, wenn sie für ein Turnier von der Schule freigestellt war, prägten ihre Kindheit. In der Schule war sie isoliert, wurde gemobbt. „Neid begleitet mich schon mein ganzes Leben“, sagt sie, und ein wenig Traurigkeit schwingt in ihrer Stimme mit. „Das ist so ein typisch deutsches Ding. Von Spielerinnen aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien oder auch Norwegen, denen ich seit vielen Jahren auf Turnieren begegne, weiß ich, dass sie viel mehr Wertschätzung zu Hause erfahren, ja sogar wie Nationalheldinnen gefeiert werden.“
Leben als Wunderkind für Elisabeth Pähtz
Gefeiert wurde Elisabeth auch – von den Medien. Mit sechs Jahren schlug sie eine elfjährige Gegnerin und gewann ab dann Partie um Partie, Turnier um Turnier. Noch nie gab es ein erfolgreicheres Mädchen im deutschen Schachsport. Harald Schmidt lud sie in seine Late-Night-Show ein, mit Hape Kerkeling setzte sie via Ohrhörer fünf Bundesliga-Spieler des FC Bayern matt – ein lustiger Sketch, den man heute noch auf Youtube findet.
Die kleine Erfurterin avancierte zum „Wunderkind“, sie selbst hat für ihre Erfolge eher rationale Erklärungen: Talent, klar. Das Aufwachsen in einer Schachfamilie – auch die Mutter spielt. Der Vater, der sie maximal förderte und trainierte. Elisabeth und Thomas Pähtz sind das einzige Vater-Tochter-Großmeisterduo weltweit. Sie ist überzeugt: „Jedes durchschnittlich intelligente Kind kann ein super starker Schachspieler werden, wenn es gut trainiert wird und das richtige Umfeld hat.“

Elisabeth Pähtz war das einzige Mädchen
Ob sie in ihrer Kindheit etwas vermisst hat? „Gar nicht. In der Trainingsgruppe meines Vaters waren wir fünf, ich war die kleinste und das einzige Mädchen. Wir haben nicht nur Schach, sondern auch Fußball und Karten gespielt, sind zu Turnieren in andere Länder gereist. Das war immer wie Urlaub. Es gab viel Freizeit, in der wir jeden erdenklichen Blödsinn gemacht haben. Mit Wasser gefüllte Kondome vom Balkon runtergeschmissen, solche Sachen. Da haben wir auch viel gelacht“, sagt sie, und es klingt erstaunlicherweise merkwürdig ernst. Ziemlich chaotisch sei sie gewesen, eine Eigenschaft, die sie sich bis heute bewahrt hat: „Im Hotelzimmer fliegt bei mir alles durcheinander. Zu Hause kann ich Ordnung halten – aber im Hotel, da bin ich wieder Kind.“
Elisabeth Pähtz ist ungeschminkt, mustert ihr Gegenüber intensiv und fordernd aus großen, blauen Augen. Eine Fünf-Euro-Mascara aus dem Drogeriemarkt ist das einzige Schminkutensil in ihrer Handtasche, verrät sie. Eine Tatsache, die neulich beim Plausch mit zwei Schach-Kolleginnen aus Russland und Kasachstan ungläubiges Staunen hervorrief: „Diese Frauen investieren Unsummen in teure Kosmetik. Ich gebe mein Geld lieber für Klamotten, Handtaschen und Schuhe aus.“
Elisabeths beste Freundinnen und größte Rivalinnen stammen aus Schachnationen wie Russland, der Ukraine, Georgien und Armenien. Länder, in denen Elisabeth unzählige Turniere spielte und zu deren Menschen und Kultur sie sich hingezogen fühlt. „Ich mag die osteuropäische Mentalität und Küche“, lässt sie verlauten. „Ich sag mal so: Pasta kann ja jeder. Aber so typische georgische Gerichte wie Saziwi Bazhe, Hähnchen in Nusssauce, sind was Besonderes und total lecker. Wenn ich Gäste habe, koche ich gerne georgisch oder russisch. Ich möchte sie mit etwas überraschen, was sie noch nicht kennen“.
„Intensive Denkprozesse brauchen jede Menge Kraft. Der Körper verbrennt während einer Partie bis zu 2.000 Kalorien.“ – Elisabeth Pähtz
Hochleistungsdenksport
Während der Coronazeit habe sie ordentlich zugelegt, „auch weil mein Freund Fabio so unglaublich gut kocht“, gibt sie ganz offen zu. „Das Gewicht wird bei mir immer mehr zum Thema. So unfit wie im Moment war ich noch nie.“ Da Schach auf professioneller Ebene Hochleistungsdenksport und körperliche Fitness Grundvoraussetzung ist, sind die sechs zusätzlichen Kilos nicht gerade dienlich. „Intensive Denkprozesse brauchen jede Menge Kraft. Der Körper verbrennt während einer Partie bis zu 2.000 Kalorien“, weiß Elisabeth. „Bei einem Spiel kann man drei, vier Kilo abnehmen. Mittlerweile ist mein Stoffwechsel leider nicht mehr ganz so gut. Aber es ist immer noch ein unglaublich gutes Gefühl, sich nach einem Turnier auf die Waage zu stellen.“
Mit Elisabeth Pähtz nur 40 Großmeisterinnen weltweit
Elisabeth Pähtz ist oft gefragt worden, warum die Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen im Schach so differieren. Etwa 1.800 Männer weltweit tragen den Großmeistertitel im Schach, aber, sie selbst eingerechnet, nur 40 Frauen. Etliche Studien und Thesen gibt es dazu, aber keine endgültige Antwort. „Eine Theorie besagt etwa, dass es am Testosteron liegt, was für eine höhere Risikobereitschaft sorgt, die in bestimmten Phasen der Schachpartie wichtig ist“, erklärt sie.
„Zudem treten bei Frauen nach vier, fünf Stunden mehr Fehler auf, was damit zu tun hat, dass Männer mehr Energie und Kraft haben. In athletischen Sportarten wird ohne Weiteres akzeptiert, dass wir evolutionär bedingt verschiedene Wesen sind, da die Muskelkraft dabei eine entscheidende Rolle spielt“, erklärt sie. „Schach hingegen wird als Denksport betrachtet, bei dem es nur auf einen schlauen Kopf ankommt. Das ist falsch. Auf Top-Niveau Schach kann man nur spielen, wenn man auch körperlich topfit ist. Und je mehr Kraft du hast, umso länger kannst du durchhalten.“
Die männlichen Hobby-Spieler, gegen die sie wenig später beim Simultanschach antreten wird, haben allerdings nicht den Hauch einer Chance gegen die Großmeisterin. Ruhig und konzentriert, mit klarem Blick, geht Elisabeth Pähtz von Brett zu Brett. Guckt. Zieht. Und hat einen nach dem anderen mattgesetzt, bevor eine Stunde rum ist. Ihre längste Partie, sagt sie, dauerte acht Stunden.

Märchen Damengambit
In der Netflix-Serie „The Queen’s Gambit“ fegt die junge Spielerin Elizabeth reihenweise die russischen Großmeister vom Brett und setzt am Ende den Weltmeister schachmatt. Klar hat Elisabeth die Serie gesehen und sagt: „Ein schönes Märchen, was nichts mit der Realität zu tun hat. Für den Schachsport war die Serie gut, weil sich plötzlich mehr Mädchen dafür interessiert haben.“
Mit ihren 38 Jahren fühlt sich Elisabeth Pähtz „schachlich nicht mehr jung. Die stärksten Spielerinnen und Spieler sind heute, anders als früher, in ihren Zwanzigern.“ Erstmals seit 21 Jahren rückt die Konkurrenz langsam näher: „Ich bin immer noch Deutschlands erfolgreichste Schachspielerin, mit Abstand. Eine junge Russin, die einen deutschen Großmeister geheiratet hat, ist mir aber auf den Fersen“, sagt sie, und klingt dabei ganz gelassen.
Kinderwunsch von Elisabeth Pähtz
Will sie den Kampf aufnehmen, ihren Titel verteidigen? „Da bin ich zwiegespalten. Einerseits möchte ich es mir gerne nochmal beweisen. Andererseits habe ich auch ein gewisses Schach-Alter und frage mich ernsthaft, ob ich die ganze Energie nochmal aufbringen möchte. Schach ist mir heute nicht mehr ganz so wichtig wie früher, da hab ich das Spiel viel verbissener gesehen. Erfolge waren alles für mich. Heute bin ich viel gelassener geworden und sag mir: Okay, im Leben gibt’s noch andere Sachen.“ Welche das sind? Elisabeth Pähtz wie aus der Pistole geschossen: „Mein Freund, meine Familie – und mein Kinderwunsch. Mein großer Traum ist es, Mutter zu werden. Das Projekt ist in Arbeit, leider hat es bisher noch nicht geklappt.“
Weitere Informationen unter: www.elisabeth-paehtz.de
Buch-Tipps
- Pähtz, Elisabeth(Autor)
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