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„For Kitty, Love, Howard Carpendale“ prangt auf meinem XXL-T-Shirt, das ich seit 1996 hüte wie den Heiligen Gral der Schlagerszene. Und das, obwohl der Schlagerstar damals, nach unserem ersten Interview backstage in der Jahrhunderthalle, meinen Namen mit y statt korrekterweise mit i am Ende geschrieben hatte. Aber hey, wer bin ich schon, den Meister der sanften Töne zu korrigieren?
Inhalt
Fast auf den Tag genau 28 Jahre später stehe ich wieder vor Howard Carpendale. Diesmal im schicken Steigenberger Icon Frankfurter Hof. Howard Carpendale trägt, ganz leger, einen schwarzen Hoodie, schwarze Jeans und Sneakers. Wenige Stunden später wird er in Anzug und T-Shirt die Bühne beim Sportpresseball in der Alten Oper rocken – ganz in Schwarz, bis auf den blauweißen Seidenschal, der lässig um seinen Nacken gelegt ist. Ein Fan in der Lobby fragt schüchtern nach einem Selfie, ein Wunsch, der ihm prompt und routiniert erfüllt wird. Carpendales Frisur sitzt wie ein frisch geföhntes Kunstwerk und ich bin ehrlich fasziniert, dass der Mann es mit seinen 78 Jahren hinkriegt, immer noch auszusehen wie in den 90ern.
In der Bibliothek nehmen wir gegenüber auf bequemen Polstersesseln Platz.Mit leicht zitternden Händen und klopfendem Herzen krame ich das leicht angegraute Stück Stoff aus meiner Handtasche hervor. Howards staubtrockene Reaktion: „Das muss ich jetzt aber nicht anziehen, oder?“
Nein, natürlich nicht. Aber ob er überhaupt noch T-Shirts signiert, in Zeiten, in denen Fans heißer auf ein Selfie mit ihrem Star als auf das neueste iPhone sind, das interessiert mich schon. „Ich mache fast alles, was ein Fan gerne hätte“, lächelt Howard Carpendale. „Wenn es passt, ist das kein Problem.“ Kurze Kunstpause. „Wissen Sie, ich habe schon ganz andere Dinge signiert. Körperteile zum Beispiel. Links Howard, rechts Carpendale.“ Ich bin ein wenig baff über so viel sympathische Direktheit, dann zwinkert er mir zu und wir müssen beide lachen.
Fällt ihm sonst noch was ein, angesichts dieses fast prähistorischen Erinnerungsstückes aus der Ära der Föhnfrisuren? „Ich muss ehrlich sagen: Schon der gestrige Tag liegt zu lange zurück für mich. Ich bin kein Vergangenheitsmensch, überhaupt nicht. Man kann sicher aus der Vergangenheit lernen. Mein Lebensmotto ist aber: Nach der Show ist vor der Show.“
Howard Carpendale über die Liebe und schwierige Zeiten
Als wir über die Bedeutung des Wortes „Love“ sprechen, welches er mir damals mit schwarzem Filzstift aufs Shirt gekritzelt hatte, bekommt das Interview eine überraschend tiefgründige Note: Mit Love meine er nicht die Liebe an sich, sondern das Gefühl Liebe. „Liebe gegenüber den Menschen und Liebe für unsere Erde“, sagt er in ernsthaftem Ton, und irgendwie klingt es aus seinem Mund gar nicht mal so kitschig und abgedroschen.
„Wir leben in einer Welt, wo mir diese Liebe unglaublich fehlt. Und ich glaube, die schwierigsten Zeiten kommen noch auf uns zu. Allerdings sage ich das schon seit 10 Jahren“, sinniert er nachdenklich: „Ich glaube, die Menschheit hat immer noch nicht begriffen, in welcher Situation sie sich befindet.“ Ist das etwas, was ihm Angst macht? „Ja. Aber bitte schreiben Sie jetzt nicht: ‚Howie hat Angst!‘“
Ich versichere, dies nicht zu tun, und er klagt über die Yellow Press, der er schon seit Jahren keine Interviews mehr gibt: „Es gibt da diese alte Geschichte. Ich war bei Markus Lanz zu Gast und wir haben eine Stunde lang ein tolles Gespräch geführt. Irgendwann hat er mich gefragt: Färbst du dir die Haare? Und das war das Einzige, was anderntags in den Schlagzeilen übrigblieb.“
Howard Carpendale: 58 Jahre auf der Bühne und (k)ein Ende in Sicht
Carpendales Augen leuchten auf, als wir auf seine Musik zu sprechen kommen. Im Januar 2026, wenn er 80 wird, möchte er mit Tourneen aufhören, nicht aber mit Konzerten. Was treibt diesen Star an, nach 58 Jahren immer noch auftreten zu wollen? „Das Gefühl, dass ich in meinen Konzerten den Menschen etwas gebe“, sagt er, ohne zu zögern. „Ich sehe und spüre das, wenn ich auf der Bühne stehe. Das sind ganz, ganz wichtige Stunden für die Menschen. Ich glaube, wir haben es geschafft, dass über die Jahre ein Publikum zu mir kommt, das mich auch und vor allem wegen meiner Authentizität liebt.“
Viel Anerkennung bekomme er für seine Songtexte, die er zwar nicht selber schreibe, aber immer mit den Textern bespricht: „Texte sind in der heutigen Zeit in der Musik wahnsinnig vernachlässigt. Alle wollen nur Party. Und das ist genau das, was ich nicht will.“
Tatsächlich schafft es Howard Carpendale, seine Konzerte in eine intime Begegnung zwischen Künstler und Publikum zu verwandeln, den Menschen hinter dem Star zu zeigen: Zwischen den Songs teilt er persönliche Gedanken, Anekdoten und Botschaften, die ihm am Herzen liegen „Mein wichtigster Bühnensatz ist: In einem halben Jahr werden Sie nicht mehr wissen, was ich gesungen habe. Sie werden auch nicht wissen, was ich gesagt habe. Aber Sie werden wissen, was Sie gefühlt haben.“
„Die Leute wollen wissen, wer der Chef ist. Bei einem Konzert ist das eh klar. Bei Galas muss man mit einem anderen Charisma auftreten.“ – Howard Carpendale
Bei Galas wie dem Sportpresseball, bei dem er bereits zum fünften Mal im Großen Saal der Alten Oper auftritt, sei das komplett anders: „Mindestens der Hälfte der Leute ist mein Auftritt egal. Die Menschen kennen mich zwar, aber ich bin nicht unbedingt ihr Fall. Da muss ich dann gegenarbeiten. Eine Gala ist kein Konzert, wo 10.000 Menschen nur auf dich warten. Die Tanzfläche vor der Bühne, diese Distanz bis zu den Tischen, an denen die Leute sitzen, ist für mich der absolute Horror.“
Als Vollprofi weiß Carpendale natürlich, wie er die Gäste nach vorne holen und für sich gewinnen kann. „Die Leute wollen wissen, wer der Chef ist“, erklärt er selbstbewusst. „Bei einem Konzert ist das eh klar. Bei Galas muss man mit einem anderen Charisma auftreten.“
„Ich bewundere grundsätzlich nicht. Noch nicht einmal mich selbst.“ – Howard Carpendale
Gibt es Showgrößen, die der große Howard Carpendale bewundert? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ich bewundere grundsätzlich nicht. Noch nicht mal mich selbst.“ Pause. Dann sagt er unmissverständlich: „Ich sehe das Showbusiness als Beruf. Nach einem Konzert ist für mich die Sache gelaufen. Ich weiß, ob ich ein Spiel gewonnen habe oder nicht. Und das reicht mir.“ Mit klaren Worten wendet er sich gegen Playback-Auftritte: „Ein Konzert ist bei mir immer live. Eine Verantwortung, die ich meinem Publikum und meinen Musikern gegenüber erfülle. Es gibt viele Kollegen, die tun nur so, als wären sie live. Das ist schrecklich, das ärgert mich sehr.“
Dann erfahren wir noch, was den Star, der seit sechs Jahrzehnten sein Publikum begeistert, wirklich verwundert: „Es ist mir ein absolutes Rätsel, warum man überall denkt, ich hätte zwanzig Mal meine Karriere beendet und ebenso oft Comeback gefeiert. Ich habe ein einziges Mal aufgehört, 2003, und bin 2007 zurückgekommen. Aber das will keiner hören.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf: „Ich könnte eine Million Euro Preisgeld aufrufen für denjenigen, der mir den Gegenbeweis liefert“, sagt er ohne jegliche Ironie, und mir dämmert, dass ich selbst schon zigmal das Gefühl hatte, Howard Carpendale singt nach Jahren der Bühnenabstinenz plötzlich wieder „Hello Again!“
Howard Carpendale: „Fotosessions sind für mich schlimmer als Zahnarzt!“
Unsere 30 Gesprächsminuten sind um. „Wenn wir zum Abschluss noch ein Foto machen könnten, wäre das toll“, springe ich aus meinem Sessel auf und schnappe mir mein geliebtes T-Shirt, das die ganze Zeit zwischen uns auf dem Tisch gelegen hat. „Das ist es, was ich hasse“, entfährt es Howard Carpendale derart scharf, dass ich erschrocken zusammenzucke. „Damit meine ich nicht Sie persönlich. Aber Fotosessions sind für mich schlimmer als Zahnarzt!“ Zwei, drei schnelle Fotos seien aber okay. Uff, da bin ich ja beruhigt. Jetzt müsse er aber aufhören zu reden: „Meine Stimme ist etwas rau, ich muss sie für später schonen.“ „Ich drücke Ihnen die Daumen für Ihren Auftritt nachher“, sage ich spontan und wenig originell.
Howard Carpendale bleibt noch einmal stehen, reicht mir die Hand und sagt dann doch noch etwas: „Kennen Sie das Buch ‚Sorge dich nicht, lebe!‘ von Dale Carnegie? Die Kernaussage: Bei allem, was du tust, frage dich, was das Schlimmste ist, was passieren kann. Und was kann heute Abend schon passieren? Dass ich ausgebuht werde?“ Mit einer lässigen Handbewegung winkt er ab: „Ach, davon stirbt man doch nicht.“
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