Seit gut einem Jahr lebt Ioannis Mandafounis wieder in Frankfurt. Er ist der neue Künstlerische Direktor der Dresden Frankfurt Dance Company, die 2005 aus der The Forsythe Company hervorging. Einst war Mandafounis selbst Tänzer bei dem Choreografen William Forsythe. Dieses Jahr ist er nun bei ihm zu Gast. Von Sabine Börchers
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Der erste Durchlauf in der Probe wirkt noch etwas bemüht, nach zu viel Kopfarbeit. Doch beim zweiten Mal springt die atmosphärische Spannung auf den Zuschauer über. Die Tänzerinnen und Tänzer gehen spontan aufeinander zu, mal im Duett, mal als Gruppe. Einer reagiert auf die Bewegung des anderen. Sie lassen sich hineinziehen in die Körperdrehung des Gegenübers, in eine Hebung oder sie stoßen sich ab in großen Sprüngen. Sie erzählen Geschichten mit ihrem Körper, immer wieder neu, immer wieder anders.
„Ich fordere meine Tänzer auf, gleichzeitig Darsteller und Choreographen zu sein. Sie müssen sich quasi von innen und von außen sehen, um beispielsweise zu merken, wann sie wieder von der Bühne gehen sollten.“ – Ioannis Mandafounis
Die Entscheidung für jeden Schritt, jede Bewegung trifft der Tänzer dabei im Moment des Zusammentreffens. Ioannis Mandafounis, der neue Künstlerische Direktor der Dresden Frankfurt Dance Company, hat seinem Ensemble lediglich Möglichkeiten vorgegeben, wie sie aufeinander reagieren können. Er entwickelt Leitplanken und ein Thema. Nicht mehr. „Ich fordere meine Tänzer auf, gleichzeitig Darsteller und Choreographen zu sein. Sie müssen sich quasi von innen und von außen sehen, um beispielsweise zu merken, wann sie wieder von der Bühne gehen sollten. Daran arbeiten wir viele Stunden“, stellt er fest.
Seine Methodik, die er Live-Choreografie nennt, ermöglicht es, auf der Bühne aus dem Moment heraus eine Choreografie zu kreieren. Sie knüpft an viele Techniken an, die einst William Forsythe entwickelte, treibt aber die Improvisation noch einen Schritt weiter. Sie fordert, dass die Tänzer in jeder Sekunde konzentriert und Aufnahmebereit sind, dass sie die Bewegung des anderen vorausahnen. Diese Anspannung, sich auf Unvorhergesehenes blitzartig einstellen zu müssen, ist für den Zuschauer spürbar.
Er brauche dafür spezielle Tänzer, die sich darauf einlassen können, betont Ioannis Mandafounis und macht deutlich, dass seine Company derzeit die einzige dieser Größe sei, die so arbeite. Seine Methodik ermöglicht es aber auch, jedes Ensemblemitglied in seiner individuellen Qualität und Persönlichkeit zu zeigen. Die aktuelle Company besteht aus 17 Tänzern, die zum Teil vom klassischen Ballett kommen, manche vom Modern Dance, andere vom Streetdance und sogar aus dem Kampfsport. Und sie bringen sich mit all ihrem Talent ein. So hat Emanuele Piras die Musik für das aktuelle Stück „Join“ komponiert. Thomas Bradley ist, wie schon bei der ersten Premiere, für die Kostüme verantwortlich.
Ioannis Mandafounis: Inspiriert von den Eltern
Auch Mandafounis selbst hat Kampfsporterfahrung aus seiner Zeit bei der Forsythe-Company und sieht darin viele Parallelen zum Tanz. Doch zunächst kommt der gebürtige Athener vom klassischen Ballett. Er studierte Tanz am Pariser Konservatorium, wo er bereits mit 14 Jahren aufgenommen wurde. Schon als Neunjähriger hatte er zu tanzen begonnen, inspiriert von seinen Eltern: „Mein Vater war Schauspieler und hat zeitgenössischen Tanz gemacht. Er hat in den 1960er- und 70er-Jahren auch in Deutschland getanzt, an der Oper in Bonn, dann in Paris und New York. Meine Mutter war klassische Tänzerin an der Oper in Genf, etwa bei George Balanchine.“
Es sei nicht sehr originell, in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten, gibt er zu. Auch deshalb habe er anfangs gleich drei Mal für mehrere Monate wieder aufgehört zu tanzen. In der Zeit arbeitete er in einem Café, als Koch in der Küche und begann sogar zu singen. „Doch ich habe das Tanzen jedes Mal so vermisst, dass mir klar wurde, dass ich es wirklich machen will.“
Perfektes Timing
Seine internationale Karriere begann Mandafounis bei der Göteborgs Operans Danskompani, dann beim Nederlands Dans Theater II, der Nachwuchskompanie von Jiří Kylián in Den Haag. 2005 konnte er schließlich von William Forsythe, einem der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen Tanzes im ausgehenden 20. Jahrhundert, lernen. Er wurde für fünf Jahre Mitglied der Forsythe Company in Frankfurt. Sieben Jahre als freier Tänzer und Choreograf, mit eigenen Ensembles, aber auch für internationale Theater und Gruppen, folgten. Bereits 2009, während er noch bei Forsythe tanzte, hatte er mit zwei weiteren Tänzern, Fabrice Mazliah und May Zarhy, die Gruppe „Mamaza“ gegründet. Ihre international koproduzierten Werke wie „Z.E.R.O.“ und „Cover Up“ waren damals im Künstlerhaus Mousonturm und europaweit zu sehen.
Die Freunde choreografierten und tanzten nicht nur gemeinsam. Mit ihnen konnte er auch seine zweite Leidenschaft fürs Kochen ausleben. „Fabrice und ich haben zum Beispiel bei einer Galerieeröffnung an der Konstablerwache gemeinsam für alle Gäste gekocht“, erinnert er sich. Es gebe viele Ähnlichkeiten zwischen dem Kochen und dem Choreografieren. Es gehe um das richtige Timing, die richtigen Zutaten, eine gute Organisation, sodass alles zum richtigen Zeitpunkt perfekt kombiniert und serviert werden kann. „Und die Balance ist wichtig, genug Salz, genug Pfeffer, aber nicht zu viel. Deshalb habe ich – nicht ganz ernst gemeint – mein erstes Programm für die Dresden Frankfurt Dance Company „A la carte“ genannt.“
„Absorption ist das Schlüsselwort. Die Tänzer sollen die Energie der Zuschauer absorbieren und in Bewegung umsetzen.“ – Ioannis Mandafounis
Kommunikation mit dem Publikum
Tänzerisch ging es dem Trio Mamaza bereits damals um den Live-Austausch mit dem Publikum. Bis heute hat sich das nicht geändert. Der Choreograf sucht immer neue Wege, um das Publikum in seine Aufführungen einzubeziehen. „Absorption ist das Schlüsselwort. Die Tänzer sollen die Energie der Zuschauer absorbieren und in Bewegung umsetzen“, erläutert er und will damit Kommunikation schaffen. „Es geht darum, richtig zuzuhören, einen Moment nachzudenken und dann eine Antwort zu geben.“
Auf die Spitze treibt er das bei seinem Projekt „OneOneOne“, bei dem er einen einzelnen Zuschauer auf einen Stuhl bittet und als Solotänzer auf diesen reagiert. Dem Publikum die Kunstform Tanz näher zu bringen, ist sein Motor. Dass jeder Mensch tanzen kann, ist seine Überzeugung.
Für das aktuelle Programm „Join“ ließ Mandafounis zum Beispiel sein Ensemble gemeinsam mit 25 Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt auftreten. Es habe ihn gereizt, Menschen zusammenzubringen, die an völlig unterschiedlichen Punkten ihrer Entwicklung stehen, erläutert er. Zunächst erklärte er dem Tanznachwuchs seine Methodik, geprobt wurde getrennt. Erst am Ende setzte er das Bild zusammen, das besonders im ersten Teil der Aufführung sehr dynamisch und bewegt daherkommt – weniger Kommunikation, mehr schnelle und oberflächliche Konversation mit dem Publikum, wie er es nennt. „Der Gedanke ist, in vielen einzelnen Bildern ein Porträt der Gesellschaft zu zeigen.“
Forsythe kehrt zurück
Mit der Dresden Frankfurt Dance Company gastierte Mandafounis bereits in Essen, Turin, Freiburg, Paris, Kyoto, London, Antwerpen und Amsterdam. Die Tänzerinnen und Tänzer wachsen dabei immer stärker zusammen. „Ich weiß, wo wir heute stehen und ich weiß, wo ich mit ihnen in fünf Jahren sein will. Ich sehe die Entwicklung und bin sehr zufrieden damit.“ Sein nächstes Werk plant der Choreograf bereits für das kommende Frühjahr.
Im Sommer dann steht ein für ihn, aber auch für Frankfurt besonderes Vorhaben an. Es schließt sich sozusagen ein Kreis. Genau zehn Jahre ist es her, dass William Forsythe, der von 1984 bis 2004 das Ballett Frankfurt und, nachdem die Städtischen Bühnen die Sparte geschlossen hatten, von 2005 bis 2015 die The Forsythe Company leitete, zum letzten Mal für das Frankfurter Ensemble choreografierte. Nun kehrt er auf Einladung von Ioannis Mandafounis zurück, um mit der aktuellen Company ein neues Stück in Frankfurt zu gestalten. Es wird im kommenden Juni im Schauspiel zu sehen sein, gemeinsam mit einem neuen Werk des für seine Company „ZOO“ bekannten Schweizer Gastchoreografen Thomas Hauert.
„William Forsythe ist natürlich völlig frei darin, zu choreografieren, was immer er will. Ich habe keine Ahnung, was er machen wird“, sagt Mandafounis. Es werde in jedem Fall spannend zu sehen sein, wie der Altmeister mit der neuen Company arbeitet, die durch seinen früheren Schüler viele seiner Techniken bereits beherrscht. „Sie kennen diese vielleicht unter anderen Begriffen oder in anderen Zusammenhängen. Aber er wird seine Arbeit durch fremde Tänzer wiederentdecken. Ich hoffe, das wird auch für ihn interessant sein.“
Den ganzen Menschen sehen
Bisher fühlt sich Ioannis Mandafounis vom Frankfurter Publikum sehr gut unterstützt. „Es ist sehr neugierig und offen, das hat sich nicht geändert seit der Forsythe-Zeit.“ Auch die Medien verwöhnen ihn bisher mit meist sehr guten Kritiken. „Das ist völlig neu für mich. Als Tänzer und freier Choreograf hatte ich nie Presse“, stellt er lachend fest.
Bei den vielen Management-Aufgaben, die der Künstlerische Leiter neben dem Choreografieren ebenfalls leisten muss, bleibt ihm heute wenig Zeit, selbst zu tanzen, auch wenn er nach wie vor regelmäßig trainiert. Doch ab und zu steht auch Ioannis Mandafounis noch im Rampenlicht, etwa bei der vergangenen Ruhr-Triennale, bei der er selbst in seinem Projekt „OneOneOne“ mitgetanzt hat.
Auch in Frankfurt und Dresden war er mit seinen Tänzern kürzlich damit an unterschiedlichen Orten, wie etwa in der B-Ebene der Hauptwache und im Einkaufszentrum My Zeil, zu sehen. Die Bühne vermisst er dagegen gar nicht, wie er betont. Normalerweise habe er zwei Stunden Training benötigt, um für eine Show fit zu sein. Am Ende seien es aber gut vier gewesen. „Ich werde älter. Heute tanze ich lieber, um klar zu machen, was ich von meinen Tänzern will und natürlich aus gesundheitlichen Gründen.“
Seine Tänzer fordert er mit seiner Methode der Live-Choreografie besonders stark, er sorgt sich aber auch sehr um sie. Dafür hat er sich seine Frau als Probenleiterin an die Seite geholt. Pauline Huguet war acht Jahre lang am Nationaltheater Griechenlands tätig, arbeitet sonst eher bei großen Theaterproduktionen in London. „Sie versteht sich besonders darauf, Emotion und Bewegung zusammenzubringen. Das ist heikel, da muss man eine Person haben, der man absolut vertraut.“
„Man kann heute nicht mehr nur den Tänzer sehen, man muss den Menschen sehen.“ – Ioannis Mandafounis
Um noch stärker mit den Tänzern an ihren Emotionen arbeiten zu können – was im Tanz lange Zeit nicht üblich war –, will er sogar einen Coach verpflichten, der eine psychotherapeutische Vorbildung hat. „Er kann mit den Tänzern anders arbeiten, damit sie sich sicher fühlen. Man kann heute nicht mehr nur den Tänzer sehen, man muss den Menschen sehen“, lautet seine Maxime. Denn das erste, was ein Tänzer lernen müsse, sei es, mit Angst umzugehen.
„Man darf keine Angst davor haben, jeden Tag seinen Körper und seine Gefühle dazu zu bringen, an sein Limit zu gehen.“ – Ioannis Mandafounis
„Ich meine nicht nur mit Lampenfieber. Man darf keine Angst davor haben, jeden Tag seinen Körper und seine Gefühle dazu zu bringen, an sein Limit zu gehen“, stellt Ioannis Mandafounis fest. Jeder Tänzer müsse in gewisser Weise getrieben sein. „Wenn man dieses Level erreicht hat, dann kann man sehr weit gehen.“
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