Der Frankfurter Architekt Jürgen Engel macht aus Gedankengebäuden wirkliche Gebäude. In Frankfurt und aller Welt. Vom Hochhaus bis zur Moschee. Besuch bei einem Vielbeschäftigten. Von Peter Lückemeier und Helmut Fricke (Fotos)
Konzentriert – dieses Adjektiv beschreibt den Mann vielleicht am besten. Und die gelungenste Übersetzung von „konzentriert“ lautet wahrscheinlich „gesammelt“. Jürgen Engel also sitzt seinem Gesprächspartner gesammelt gegenüber: Jetzt ist jetzt, danach kommt etwas anderes. Jemand wie er muss gesammelt sein bei jedem seiner Gespräche, jedem seiner Projekte. Einer wie er hat so Vieles im Kopf zu behalten. In einem Kopf, der Hochhäuser erfindet, Sakralbauten, Gedenkstätten, Bibliotheken, Kliniken, Unternehmenszentralen.
Einer wie er aber hat nicht nur Kreatives im Sinn. Er muss immer auch den Erfolg seines Unternehmens im Blick haben, denn KSP Engel mit Sitz in der Hanauer Landstraße 287 ist ein ausgewachsenes mittelständisches Unternehmen, die Zahl der Mitarbeiter schwankt – je nach Auftragslage – zwischen 220 und 300. Beschäftigt werden Architekten für die Planung, für Entwürfe und Wettbewerbe, für das Baumanagement und die Bauüberwachung. Der Chef weiß – „wie jeder gute Unternehmer“ – , wie die Geschäfte gehen. Innovationsdruck ist Jürgen Engel herzlich willkommen. Sich als Architekt ständig weiterzuentwickeln macht für ihn, der seit 2009 Alleininhaber von KSP Engel ist und das Büro heute gemeinsam mit Partnern führt, den Reiz seines Berufs aus.
„Ohne diese innere Freiheit kann ich nicht kreativ sein“ – Architekt Jürgen Engel
Jürgen Engel hat früh begonnen. Sein Vater war Ingenieur, baute die Energiewirtschaft in Nordrhein-Westfalen auf, der kleine Jürgen wuchs mit Plänen auf, begleitete den Vater, einen Maschinenbauingenieur, der zum Manager wurde, auf Baustellen. Ein Architekt schenkte ihm eines Tages ein Reißblatt, der Knabe machte seine ersten Zeichnungen, ließ sich faszinieren von Technik und Mathematik. „Technische Innovationen können für uns ein Ansatz sein, um bei einem Entwurf zu einer interessanten Lösung zu kommen“, sagt er, „ich lasse mich auch durch technische Vorgaben architektonisch inspirieren.“
Architekt Jürgen Engel: klassischer Arbeitstag in Frankfurt
Zum Beispiel das Hochhaus Westend Duo an der Bockenheimer Landstraße. Die Bauhöhe des Turms war beschränkt, weswegen die Architekten für die Decken eine gefaltete Konstruktion wählten, in die auch die Haustechnik integriert werden konnte. Auf diese Weise konnten sie bei gleicher Höhe eine Etage mehr unterbringen.
Dabei kennt der Vielbeschäftigte drei Arten von typischen Tagen: den Bürotag mit ständig wechselnden Themen und Personen, der zwischen 9 und 9:30 Uhr beginnt, den geschenkten Tag, an dem Termine ausfielen und der nun Freiraum für Kreativität lässt und den Tag, an dem Jürgen Engel die Niederlassungen besucht, von morgens um 7 bis oft spät in die Nacht ausgefüllt mit internen und externen Begegnungen. Beim klassischen Arbeitstag in Frankfurt versucht sein Büro, die Telefonate und Mails zu bündeln, sodass der Chef nicht dauernd seine kreative Arbeit unterbrechen muss: „Die Zahl der Störungen versuche ich gering zu halten.“
Architekt Jürgen Engel: Deutschland ist nicht der Nabel der Welt
Der Drang zum Entwurf und dann zur steinernen Verwirklichung des Gedankengebäudes begann bei Jürgen Engel früh. Und er fand Mentoren, an denen er sich messen konnte: Professor Gottfried Böhm etwa an der Aachener RWTH, dem Betonliebhaber, der wenig sprach und stets im Team die Antworten fand. Bei Böhm erwarb er sein Diplom und ließ sich dann als Stipendiat zwei Jahre lang am MIT in Massachusetts amerikanischen Wind um die Nase wehen.
Wie so viele Deutsche merkte auch er in den Vereinigten Staaten, dass Deutschland nicht der Nabel der Welt ist. Wichtig für seine Entwicklung waren auch die Jahre beim Kölner Architekten Erich Schneider-Wessling, einem Schüler von Richard Neutra, dem Wiener Vertreter der klassischen Moderne in Amerika. Schneider-Wessling vertrat übrigens die Ansicht, ein Architekt müsse eine Woche lange mit einer Familie zusammengelebt haben, ehe er ihr Haus entwerfen könne.
Buch-Tipp Jürgen Engel
Als junger Büroleiter von Oswald Mathias Ungers, dem Architekten der Galleria und des Torhauses auf dem Frankfurter Messegelände, bekam er mit, wie der Liebhaber geometrischer Formen wie Kreis, Quadrat und Kubus praktische Architektur aus theoretischer Überlegung ableitete. Engel hatte das Glück, schon im Studium auch mit der kaufmännischen Seite des Architektenberufs vertraut zu werden, inklusive 12 Wochenstunden beim Wirtschaftswissenschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman.
Wichtiges Rüstzeug, denn von Anfang an war ihm klar, dass er sich eines Tages selbstständig machen würde. Die Stationen vorher dienten der Vorbereitung – nicht nur unter architektonischen, sondern auch praktischen Gesichtspunkten: Wie kann man ein Projekt vom Entwurf bis zur Vollendung umsetzen, wo lauern vor allem bei den komplexen Großvorhaben die Engstellen und kritischen Phasen? Als Büroleiter wird man mit allen Fragen technischer, künstlerischer und kaufmännischer Art konfrontiert, mit täglichen Katastrophen und Erster Hilfe in angewandter Psychologie. Denn es lag Engel ebenfalls von Anfang an daran, Gebäude nicht nur zu entwerfen, sondern sie auch zu bauen.
Bei seiner Präsenz achtet das Architekturbüro darauf, nicht allein als Frankfurter Büro wahrgenommen zu werden. Deutsche Niederlassungen gibt es in Berlin, Braunschweig, Frankfurt, Hamburg und München. „Wir arbeiten immer als lokale Architekten. Es ist uns wichtig, in der jeweiligen Stadt als heimische Architekten wahrgenommen zu werden. Neben den deutschen Büros sind wir auch in China und Luxemburg vor Ort.“
Architekt Jürgen Engel: Von Algier bis China
Die deutsche Botschaft in Algerien, die KSP Engel derzeit baut, wird von Frankfurt aus betreut. Das dortige Großprojekt, die Moschee in Algier, wurde aber vor Ort gemanagt, mit phasenweise vierzig Mitarbeitern. Dieser gewaltige Sakralraum in der Bucht von Algier ist nach Mekka und Medina die drittgrößte Moschee der Welt. In dem großen Gebetssaal finden 35.000 Gläubige Platz.
Das 265 Meter große Minarett ist das höchste Gebäude Nordafrikas. Und die Moschee ist eingebettet in einen größeren Gebäudezusammenhang: Geschäfte, Restaurants, Museen, Kino, Park, Kongresszentrum, Bibliothek und Imamschule.
Jürgen Engel rechnet die Moschee zu den Projekten, bei denen er besonders viel gelernt hat: Man verfällt nicht auf den Typus der Säulenhalle, wenn man sich nicht zuvor intensiv mit den architektonischen Traditionen des Maghreb beschäftigte.
Jürgen Engel gestaltet Frankfurt
Die Zahl der Objekte aus dem Hause Engel ist schwer zu überschauen. Allein in Frankfurt entwarf das Büro das Palais Quartier an der Zeil, das Maintor Quartier auf dem ehemaligen Degussa-Gelände, das Turm Carrée am Eschenheimer Tor, die Kornmarkt Arkaden auf dem Areal des früheren Bundesrechnungshofes; bis 2028 soll das neue Hochhaus der Hessischen Landesbank an der Neuen Mainzer Straße mit stolzen 205 Metern Höhe entstehen – nach Engels städtebaulichen Vorstellungen könnte sich die Neue Mainzer zu einem Boulevard entwickeln, würde der Verkehr reduziert, aber das ist noch Zukunftsmusik.
Weil er so früh begann, hat Jürgen Engel auf der Welt auch hochinteressante Entwicklungen begleitet. In China, wo er bereits 1993 begann, ein Büro aufzubauen, lernte er noch die Männer in den Mao-Uniformen kennen, die 40, 50 Jahre älter waren als er selber und die alles entschieden. Richtig etablierte sich das Büro, als KSP Engel den Wettbewerb für die chinesische Nationalbibliothek gewann. Die drittgrößte der Welt.
Ein Modell dieses markanten Gebäudes findet sich in den Büroräumen in der Hanauer Landstraße und zeigt auf den ersten Blick, was hier gelang: ein zugleich traditionsreiches wie innovatives Haus der Bücher, das seine Existenzberechtigung aus der eigenen ästhetischen Kraft bezieht, um sich zugleich dem höheren Zweck unterzuordnen. Das dritte Bauwerk von internationaler Ausstrahlung steht in Norddeutschland. Es handelt sich um die Gedenkstätte für das Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Jürgen Engel ist keiner, der sein Herz auf der Zunge trägt. Mit Anekdoten aus seinen ereignisreichen Kontakten mit den unterschiedlichsten Bauherren, die er zweifellos erzählen könnte, hält er sich zurück. Er wohnt im Nordend, hat vier Kinder (33, 31 und ein siebzehnjähriges Zwillingspärchen). Er ist zum zweiten Mal verheiratet. „Glücklich verheiratet“, fügt er hinzu. Hat einer wie er ein Hobby? Die Frage hätte man sich auch schenken können. Natürlich ist sein Beruf sein Hobby.
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