Axel Hellmann führt die Eintracht. Der Jurist setzt dabei auf Ehrgeiz, aber auch auf bürgerliche Tugenden wie Fleiß und Verlässlichkeit. Anregungen holt er sich samstags in der Kleinmarkthalle. Porträt eines Leistungsträgers.
Ein ganz normaler Bundesliga-Samstag beginnt für Axel Hellmann gegen 10 Uhr in der Kleinmarkthalle. Während er dort vom Kaffee bis zum Käse durch die Stände wandert, trifft er Menschen und lässt sich ansprechen. Das Thema? Immer die Eintracht. In allen Facetten, von der sportlichen Leistung bis zum Kartenverkauf. Der Sprecher des Vorstands der Eintracht Frankfurt Fußball Aktiengesellschaft empfindet diese Stunde zwischen 10 und 11 wie einen Seismographen: Seine Gesprächspartner spiegeln wider, wie es um den Verein steht, ob das Image gerade schwächelt oder das Ansehen steigt.
Es ist eine Art Sprechstunde, und wie es sich auch für einen guten Arzt gehören würde, besteht Hellmanns Aufgabe vor allem darin, den Menschen zuzuhören. Dass er in der Menge übersehen werden könnte, steht nicht zu befürchten – Axel Hellmann ist mit 1,90 Meter und 120 Kilo raumgreifend erkennbar.
Geboren in Würzburg am 15. August 1971, fällt er unter das Sternzeichen „Löwe“, von dem die Astrologie zu wissen glaubt, dass dieser Menschenschlag vor Selbstbewusstsein strotzt und gern im Mittelpunkt steht. Nichts davon ist zurückzunehmen, aber es darf auch ergänzt werden, dass „der Löwe“ führungsstark und großzügig sein soll. Die Führungskraft zeichnete sich schon zu Abiturzeiten ab, als Hellmann Bundeskanzler werden wollte. Die Großzügigkeit zeigt sich bei ihm auch darin, dass er gern sein Lächeln und Lachen verschenkt und offen auf seine Mitmenschen zugeht.
Axel Hellmann: Für alle Mitglieder
Solche Eigenschaften sind wichtig in einem Metier wie dem Profifußball, der vom Müllfahrer bis zum Professor, von der Friseuse bis zur Managerin die Menschen packen, ja infizieren kann: Unter dem Emblem des Eintracht-Adlers sammeln sich Personen mit den unterschiedlichsten Einkommen, Bildungsvoraussetzungen und Lebensstil-Präferenzen. Der Fußball im Allgemeinen und die Eintracht im Besonderen bilden ein Erlebnis- und Interessenreservoir, sorgen für immerwährenden Gesprächsstoff, nähren selbst unter Fremden ein rasches Gefühl der Vertrautheit.
Dabei kommt es eigentlich nur darauf an, einen Ball mit dem Umfang von 68 bis 70 Zentimetern in ein 7,32 Meter breites und 2,44 Meter hohes Tor zu befördern. Eigentlich. Doch in Wirklichkeit geht es um einen Berg hochkomplexer Emotionen, die etwas mit Identität, Heimat und Zusammengehörigkeit zu tun haben. Und mittendrin steht Axel Hellmann in der Kleinmarkthalle und hört auf alles, was diese Eintracht-Begeisterten gerade bewegt. 125.000 Mitglieder zählt der Verein. Das sind so viele Menschen, wie Heilbronn Einwohner hat.
Mit dieser „Sprechstunde“ zwischen Gemüse, Obst, Fleisch und Blumen ist es an den Bundesliga-Samstagen allerdings nicht getan. Im Stadion geht die Arbeit weiter, meist bis 20 Uhr, gelegentlich wird es auch später. Bei Heimspielen haben ihm seine Leute vorher aufgeschrieben, wem er die Hand schütteln sollte. Dann wandert Hellmann durch die Logen und sucht den Austausch mit Politikern, selbstständigen Unternehmern, CEOs, Sponsoren, Geschäftsfreunden, Managern anderer Vereine, Prominenten aller Art; die Eintracht ist eingebunden in ein enorm weites Netz aus Sympathisanten, Zulieferern, Unterstützern, Lokalpatrioten.
Seit Kindestagen der Eintracht verbunden
Übrigens tragen Hellmann und seine Kollegen im Stadion den Clubanzug. Mit dem schwarzen Adler-Emblem auf der Brusttasche für die Bundesligaspiele und dem goldenen in den europäischen Wettbewerben. Neulich nach der Niederlage im Hinspiel gegen Neapel wurde es besonders spät. Dem Vorstandssprecher ist aber nach einer solchen Blamage nicht die ganze Woche verdorben. Verliert die Eintracht an einem Samstag, dann hat er die Enttäuschung in der Regel bereits am Montag verarbeitet.
Zeit zum Einüben solcher Frustrationsbewältigung hatte er genug. Im zarten Alter von drei Jahren meldete ihn die Mutter zum Turnen bei der Eintracht an. Sieben war er, als der Vater ihn zum ersten Mal ins Stadion mitnahm – „von da an war dieser Virus da“. Als Schüler und Jurastudent war das Geld knapp, reichte aber immer noch für den Stehplatz im G-Block. Ob er dort nach der Melodie von „Guantanamera“ auch „Scheiß FC Bayern“ anstimmte, ist nicht überliefert, wohl aber, dass er aus jenen Jahren noch immer viele andere Fans kennt und von ihnen gekannt wird. Er selber war auch Mitglied eines Fan-Clubs.
„Mit sieben, als mein Vater mich zum ersten Mal mit ins Waldstadion nahm, wurde ich mit dem Eintracht-Virus infiziert.“ – Axel Hellmann
In dieser Zeit begann auch jenes Engagement, das ihn per Funktion zunächst für zehn Jahre an den Verein band und seither für eine weitere Dekade an die AG. Von 2001 bis 2012 wurde Axel Hellmann nämlich ins Präsidium des Vereins gewählt, war ab 2003 Geschäftsführer von Eintracht Frankfurt e.V. und zugleich bis 2012 Aufsichtsratsmitglied der Eintracht Frankfurt Fußball AG, ehe er im Juni 2012 auf die operative Seite wechselte, in den Vorstand der AG. Zum Sprecher machten ihn seine Kollegen Oliver Frankenbach, Markus Krösche und Philipp Reschke am 13. April 2021.
Axel Hellmann: Kein Mittelmaß
Hellmann ist also mit den Strukturen und Personen in Verein und Aktiengesellschaft aufs Intimste vertraut. Er hat die Irrungen und Wirrungen der „Diva vom Main“ aus der Nähe erlebt, den moralischen und finanziellen Vertrauensverlust, aber auch die Triumphe wie den DFB-Pokalsieg am 19. Mai 2018 mit dem 3:1 gegen Bayern München und den Gewinn der UEFA Europa League am 18. Mai 2022 im 5:4-Elfmeterschießen gegen Glasgow Rangers.
Mit der gedanklichen Sezierschärfe des Juristen analysiert er rückblickend die schwachen Phasen des Vereins, die lange Zeit dominanter Abhängigkeit von potenten Geldgebern, die fehlende personelle Kontinuität, den Vertrauensverlust in der Stadtgesellschaft, mangelnde Seriosität im Auftreten wichtiger Vereinsrepräsentanten und dann eine längere Phase, in der man sich mit Mittelmaß und Klassenerhalt zufrieden gab. Dies alles liegt lange zurück, doch auffallend oft fallen im Gespräch mit dem Vorstandssprecher Begriffe wie „Verlässlichkeit“, „Berechenbarkeit“, „Anspruch an die Qualität unserer Arbeit“. Und dann sagt er: „Ich habe eine Fähigkeit – ich spüre immer etwas früher, wenn der Betrieb nachlässt!“
„Ich habe eine Fähigkeit – ich spüre immer etwas früher, wenn der Betrieb nachlässt!“ – Axel Hellmann
Solche Aussagen rühren tief an ein Arbeitsethos, das sich Axel Hellmann vielleicht bei seinem Vater abgeschaut hat. Der hatte als vertriebener Schlesier denkbar schlechte Bildungsvoraussetzungen, machte sich aber in den sechziger Jahren als einer der Ersten autodidaktisch mit dem Computer vertraut, wurde von der damaligen Flughafen AG bei den Würzburger Raiffeisen-Kraftfutterwerken abgeworben und arbeitete hier an den ersten computergestützten Anzeigentafeln für die landenden und startenden Flugzeuge.
Axel Hellmann: In Frankfurt verwurzelt
Der kleine Axel wuchs mit den Eltern und der sechs Jahre älteren Schwester im Westend auf, das Abi machte er am Goethe-Gymnasium. Geprägt haben ihn nicht zuletzt die Werte, die bei den Pfadfindern im Evangelischen Jugendwerk vermittelt wurden. Deren Leitspruch heißt „Der Starke stützt den Schwachen.“ Auch für eine Fußballmannschaft kein schlechtes Motto.
Axel Hellmann macht nicht den Eindruck, die schönen Seiten des Lebens zu ignorieren; er ist eher der Typus, der Spaß an tiefergelegten Autos hat. Aber ebenso gut weiß er, dass sich der Gesamterfolg des mittelständischen Unternehmens Eintracht Frankfurt nur erzielen lässt, wenn „die Wachsamkeit tief verankert ist“ und die „Spannungskurve nicht einknickt“. Gegen 11 zur Arbeit zu kommen, um 16:30 auf dem Golfplatz zu stehen und dazwischen gut gegessen zu haben hält er nicht für einen Ausweis von gelassener Führungsstärke.
Auch für einen Trainer – es soll schon vorgekommen sein –, der für eine weitere Flasche Wein das Training um eine Stunde verschiebt, hat er eher wenig Verständnis. Beiläufig lässt er Sätze fallen wie diesen: „Wenn ich was mache, mache ich’s richtig.“
Doch mit bürgerlichen Tugenden wie Fleiß und Verlässlichkeit ist es nicht getan, wenn man in der Bundesliga reüssieren will. Grundsätzlich sieht Hellmann seine Eintracht auf einem guten Weg. Die Pandemie wurde „mit anderthalb blauen Augen“ überwunden, längst betreibt der Verein das Stadion, das der Stadt gehört, in Eigenregie, die Verwaltung wurde in einen architektonisch anspruchsvollen Neubau als Wurmfortsatz der Otto-Fleck-Schneise im Stadtwald mit der schönen Anschrift „Im Herzen von Europa 1“ zusammengefasst.
Doch Axel Hellmann weiß, dass die Verankerung der Eintracht in der Stadtgesellschaft und die Herstellung vertrauensvoller Beziehungen zu allen Akteuren, mit denen es ein solcher Multi-Tasking-Betrieb zu tun hat, eine Daueraufgabe bleiben. Ganz zu schweigen von der sportlichen Exzellenz. Sie ist Woche für Woche nachprüfbar, kann in Punkten und Torverhältnissen exakt bemessen werden, da gibt es nichts zu kaschieren, der Tabellenstand lügt nie.
Axel Hellmann: „Ich habe eigentlich nie frei“
Er tat es vor allem nicht in jener Phase, in der der Traditionsverein aus der fünftgrößten deutschen Stadt es sich im Mittelmaß bequem machte. Sich zufrieden gab mit Klassenerhalt und auch medial Ehrgeizmangel signalisierte. In dieser Zeit gab es ein Schlüsselereignis: Heribert Bruchhagen, Hellmann und Mainova-Chef Constantin Alsheimer trafen sich im März 2016 zum Frühstück im Airport-Club.
Alsheimer, sonst eigentlich ein ausgeglichener, eher zurückhaltender Manager, der besonnene Typ des Vereinsfans, setzte an zu einer zwanzigminütigen heftigen Kritik: „Ihr seid mir zu ambitionslos. Und glaubt mir, ich rede nicht nur für mich selbst.“ Hellmann hat sich diese Philippika ins Stammbuch geschrieben: „Das war für mich der Urknall.“
Wenn Hellmann sagt, „ich habe eigentlich nie frei“, klingt er aber nicht nach jemandem, der sich gehetzt fühlt. Sondern eher als einer, dem seine Arbeit deshalb Spaß macht, weil er sie nicht als solche empfindet.
Zusätzliche Aufgabe für Axel Hellmann
Zur Aufgabe bei der Eintracht kam im Dezember des vergangenen Jahres noch die Interimsgeschäftsführung bei der Deutschen Fußball Liga DFL hinzu. Gemeinsam mit Oliver Leki vom Sport Club Freiburg leitet er kommissarisch die Geschäfte. Die beiden sprangen für die geschasste Donata Hopfen ein, die Aufgabe ist befristet bis zum 30. Juni dieses Jahres.
Hellmann lässt keinen Zweifel daran, dass er dann tatsächlich bei der GmbH der 36 Bundesliga- und Zweitliga-Clubs ausscheiden wird. Hauptaufgaben der DFL sind der Spielplan und die Vermarktung der medialen Verwertungsrechte der Spiele von Erster und Zweiter Bundesliga, eine insgesamt eher dienende Funktion im Auftrag der Vereine.
Zwar sind es von der Guiolettstraße im Westend, wo die DFL ihren Sitz hat, bis zur Otto-Fleck-Schneise nur wenige Kilometer Luftlinie, aber die Aufgaben unterscheiden sich doch wesentlich. Die bei der Eintracht ist ungleich unternehmerischer. Dennoch war Hellmanns Ernennung zum Co-Geschäftsführer der DFL vor den Augen des Profifußballs in Deutschland eine Art Ritterschlag, ein Seal of Approval.
Oberbürgermeister-Ambitionen?
Gibt es für den 51 Jahre alten Anwalt und Vereinsmanager, dessen Vertrag bei der Eintracht bis 2027 reicht, ein Leben nach dem Fußball? Im Rentenalter, sagt Axel Hellmann in seinem schönen, aber nicht protzigen Büro im Proficamp, werde er hier sicherlich nicht mehr sitzen. Pläne? Durchaus, sogar konkrete. Einen Roman will er irgendwann schreiben. Und gemeinsam mit dem Leiter des Eintracht-Museums Matze Thoma ein Buch verfassen über den Römerberg, denn es gebe zwar zahlreiche Buchtitel über den Römer, nicht aber über dessen unmittelbares räumliches Umfeld. Obwohl doch auf dem Römerberg so viel passiert sei.
Nicht nur die massenumtobten Empfänge für Nationalmannschaft und Eintracht, sondern auch die Volksfeste zur Kaiserkrönung, die Messen und Weihnachtsmärkte des Mittelalters, die Theateraufführungen unter freiem Himmel bei den Römerberg-Festspielen in den dreißiger Jahren, die Naziaufmärsche, die Bücherverbrennung, die DGB-Kundgebungen zum 1. Mai, der Ziellauf des Ironman.
Für Geschichte interessiert sich Hellmann schon seit Schülertagen, als er in der 10. Klasse intensiv der Frage nachging, wer am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Schuld trug. Für Politik und für Frankfurt („ich liebe diese Stadt“) schlägt sein Herz so heftig, dass er mehrfach bekundete, gern Oberbürgermeister zu werden.
Dieses Ziel hat er auch noch nicht aus dem Auge verloren. Wenn er seine Sache bei der Eintracht weiterhin gut macht, dürften ihm etliche Stimmen der 125.000 Vereinsmitglieder sicher sein, sofern sie in Frankfurt wahlberechtigt sind. Und sollte er antreten, darf man gewiss sein, dass er sich mit ganzer Kraft einbringt. Was er macht, will er schließlich richtig machen.
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