Die Zeitenwende hat begonnen. Die Europäische Zentralbank in Frankfurt prüft derzeit, welche Vorteile die Einführung eines digitalen Euro haben könnte. Die EZB will den Anschluss nicht verpassen. Denn aktuell werden weltweit die Weichen für neue Bezahlsysteme gestellt. 80 bis 100 Länder und Währungsräume planen bereits einen Probebetrieb mit digitalem Zentralbankgeld (DZBG). Die Bargeldgeschäfte gehen rapide zurück. Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen hat begonnen. Noch lässt sich die Notenbank alle Möglichkeiten offen.
Der Rat der Europäischen Zentralbank hat sich zunächst einmal auf ein paar Eckpunkte geeinigt. Ein Zeitraum von zwei Jahren wurde gesetzt, um Eigenschaften festzulegen, die der elektronische Euro besitzen soll. Wenn Mitte 2023 die Umsetzung beschlossen würde, dauerte es wohl noch ein paar Jahre, bis das Produkt marktreif wäre.
Einigen Fachleuten ist das entschieden zu lang. Peter Bofinger, Ökonomieprofessor an der Universität Würzburg und viele Jahre Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, spricht von einer „halben Ewigkeit“. Angesichts des Tempos, mit dem sich die digitalen Zahlungssysteme wandelten, sei allein schon eine Zeitspanne von fünf Jahren merkwürdig unambitioniert.
Das Ganze erscheint dem renommierten Volkswirt eine „Fehlkonstruktion“. Die EZB-Idee, digitales Bargeld für jedermann zu schaffen, hält er für ähnlich attraktiv wie alkoholfreien Wein. Innovative Zahlungssysteme wie das erfolgreiche Twint aus der Schweiz, mit denen man per Smartphone einkaufen und Zahlungen an Freunde ganz einfach vornehmen kann, seien peppiger als ein solch bürokratisches Projekt. Für Twint benötige man kein gesondertes Guthaben und keinen E-Euro.
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China setzt auf Kontrolle
Tatsächlich drängt für den digitalen Euro die Zeit. Besonders weit ist mal wieder China beim digitalen Zentralbankgeld vorgeprescht. Der E-Yuan ist dort bereits in Pilotversuchen in Großstädten wie Shenzen, Suzhou oder Chengdu im Einsatz. Der offizielle Start ist zu den Olympischen Winterspielen 2022 terminiert. Für die Regierung in Peking liegt offenbar ein großer Reiz darin, künftig die Bewegung jedes Yuan minutiös und elektronisch nachverfolgen zu können.
Bei solchen Aussichten gruseln sich freiheitsliebende Finanzfachleute in Europa und am Main. Aber ist deshalb auch ein digitaler Euro verwerflich? Es hat durchaus einige Vorteile, in digitaler Form Zugang zu Zentralbankgeld zu erhalten. Auf dem Papier wäre es ein hundertprozentig ausfallsicheres Zahlungsmittel. Denn die EZB kann nicht pleitegehen, anders als Unternehmen oder Staaten.
BigTechs als Banker
Das eigentliche Gespenst, vor dem die EZB sich fürchtet, sind die Internetwährungen. Der Diem, bis Ende November 2020 unter Libra bekannt, wird von Facebook zusammen mit anderen Tech-Giganten aus den USA promotet. Die digitale Komplementärwährung soll durch eine Association angeschlossener Großunternehmen betrieben werden. Die Initiatoren beteuern, die von den Kunden in der jeweiligen Landeswährung gekauften Guthaben würden sicher angelegt und in US-Dollar umgewandelt. Internationale Transaktionen könnten dann schneller und billiger abgewickelt werden als durch den herkömmlichen bargeldlosen Zahlungsverkehr. Natürlich fehlt die freundliche Begleitmusik von Mark Zuckerberg & Co. nicht. Menschen in Schwellenländern würde damit vor allem geholfen. Denn sie könnten Zuhause auf kein zuverlässiges Bankensystem zurückgreifen.
Die Kritiker schlagen dagegen Alarm. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire warnte eindringlich vor einer Währung, die von der Gnade der großen Internetkonzerne abhänge. Es bestehe die Gefahr, dass auf diese Weise Terrorismus finanziert und Geld gewaschen werde. Der deutsche Europaabgeordnete Stefan Berger traut dem Diem zu, die wirtschaftliche Stabilität der EU und die Demokratien zu zerstören. Facebook dürfe keine Zentralbank werden.
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- Hosp, Julian (Author)
EZB ohne Interesse an Daten
Der digitale Euro soll verhindern, dass die kapitalkräftigen amerikanischen Tech-Firmen den globalen Zahlungsverkehr zu ihren Gunsten dominieren. Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der seinen Rücktritt zum Jahresende angekündigt hat, betrachtet die expansiven Bestrebungen der BigTechs mit Sorge. „Wird der Wettbewerb eingeschränkt, so muss dem mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts und der Wettbewerbspolitik auf verlässliche Weise entgegengewirkt werden“, fordert er.
Weidmann lobt die Transparenz, die der E-Euro verspreche. „Die Verbraucher können mit nur wenigen Klicks einen Überblick über den Markt gewinnen.“ Das Eurosystem habe keinerlei kommerzielle Interessen an Nutzerdaten oder -verhalten, argumentiert er: „Ein digitaler Euro kann somit dazu beitragen, das zu bewahren, was schon immer das Wesen des Geldes ausmacht: Vertrauen.“
Befürchtungen, dass Bargeld überflüssig wird, zerstreut die EZB. „Das soll kein Ersatz werden, sondern eine Ergänzung“, betont Fabio Panetta, Mitglied im EZB-Direktorium. Es geht letztlich um Macht. Die EZB will die Kontrolle über ihr Währungssystem und die Geldreserven behalten. Und sie weigert sich, das Spielfeld privaten Playern zu überlassen.
Einen Übergriff der EZB auf das Geschäftsmodell der Finanzinstitute erwarten Insider nicht. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass die Zentralbank plötzlich klassische Bankdienstleistungen wie zum Beispiel Girokonten, Privatkredite oder Beratung anbieten wolle, meint Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank.
Chance für Geschäftsbanken
Bundesbankchef Weidmann bestätigt solche Erwartungen. „Wir haben ein zweistufiges Geld- und Bankensystem mit einer klaren Zuständigkeitsverteilung zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken“, stellt er klar. Das womöglich prägnanteste Beispiel öffentlich-privater Partnerschaft im Finanzsektor werde niemand leichtfertig aufs Spiel setzen.
Glaubt man dem streitbaren Mitglied des EZB-Rats, der das Gremium bald verlässt, wird das elektronische Geld nicht direkt an die Bürger, sondern an Geschäftsbanken und andere Finanzdienstleister ausgegeben. Diese wiederum verteilen es an ihre Kunden, wie sie es bisher schon mit Bar- und Giralgeld tun.
Der Bundesverband deutscher Banken zeigt sich überzeugt, dass mittelfristig kein Weg am digitalen Euro vorbeigehe. Die Effizienz und Effektivität im Zahlungsverkehr werde verbessert. Nur so könne man sich gegen die drohende Konkurrenz globaler Stablecoins von Unternehmen wie Facebook oder Google wappnen.
E-Euro kein Alleskönner
„Wie genau ein digitaler Euro aussehen würde, steht noch nicht fest“, räumt Weidmann im IT-Finanzmagazin ein. „Ein Alleskönner wäre er wohl nicht.“ Angesichts der Risiken erscheine ein stufenweiser Ansatz sinnvoll. „Also ein digitaler Euro mit bestimmten Merkmalen und der Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt weitere Funktionalitäten hinzuzufügen.“
Der E-Euro müsse einen „klaren Mehrwert“ bieten. Das ist für Weidmann ein Balanceakt. „DZBG muss hinreichend attraktiv sein, damit die Nutzer es akzeptieren. Gleichzeitig darf die Attraktivität nicht zu hoch sein, da ansonsten Störungen im Finanzsystem entstehen könnten.“ Gefährliche Nebenwirkungen gelte es einzudämmen.
Dazu gehört ein Bank Run. Ein Ansturm, bei dem massenhaft normales Geld in den krisenfesten E-Euro umgetauscht würde, wäre der Worst Case. Jürgen Schaaf, Berater für Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr bei der EZB, schlägt vor, einem Ungleichgewicht durch eine weniger attraktive Verzinsung des Zentralbankgelds und durch ein Ausgabelimit für den E-Euro vorzubeugen.
Schnell und unkompliziert
Viele Europäer träumen schon davon, mit der neuen E-Währung global zahlen zu können. Bisher erweisen sich grenzüberschreitende Transaktionen immer noch als teuer und mühsam. „All dies spricht für eine internationale und multilaterale Zusammenarbeit“, findet Weidmann. Als Ziel gibt er aus, „dass das digitale Zentralbankgeld untereinander kompatibel ist und sich nicht gegenseitig behindert“.
Bis dahin könnte es noch ein ziemlich weiter Weg werden. Manche Fachleute halten Kryptowährungen deshalb für zielführender, um komplizierte staatliche Abstimmungen zu vermeiden. Allerdings schrecken die rabiaten Kursschwankungen die meisten ab.
Der digitale Euro ist noch ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Man darf gespannt sein, welche Erkenntnisse die zweijährige Erprobungsphase bringt. Privatpersonen wollen damit in erster Linie schnell, unkompliziert, anonym und möglichst gebührenfrei bezahlen. Ohne zwischengeschaltetes Zahlungssystem, auch offline (durch eine Plastikkarte) und peer-to-peer. Die Zentralbankwährung soll zudem den höchsten Datenschutz- und Sicherheitsstandards gerecht werden. Gleichzeitig will die EZB aber auch die Geldwäsche bekämpfen – ein Zielkonflikt.
Internet der Dinge
Wallets, die ihre eigene Bank-Chain-Adresse generieren und mit denen man shoppen kann, erlaubten einen wirksamen Schutz der Persönlichkeitssphäre, so heißt es. So könnte den privaten Zahlungsdiensten wie Paypal und Apple Pay eine staatliche Alternative entgegengesetzt werden. Ab einem gewissen Schwellenwert – wie heute beim Bargeld – würde man dann einen digitalen europäischen Identitätsnachweis zur Kennung verlangen.
Die Banken haben ihre eigenen Interessen. Sie wünschen sich eine eigene Form des digitalen Euros für den Zahlungsverkehr untereinander und mit der Notenbank. Gewerbliche Kunden könnten Token erhalten, also elektronisch verschlüsselte Wertspeicher, wie sie durch die Kryptowährung Ethereum bekannt wurden.
Dies ermöglicht Blockchain-Zahlungen, die ausgelöst werden, wenn eine Ware ankommt oder wenn man eine Maschine nutzt. Das Internet der Dinge im Rahmen einer Industrie 4.0 würde damit Wirklichkeit. Davon könnte der Standort Deutschland mit seinen hochspezialisierten Produktionsunternehmen besonders profitieren.
Epocheneinschnitt
Niels Beyer, beim Unternehmensberater Accenture Leiter des Bereichs Strategie für Banken und den öffentlichen Sektor, glaubt nicht, dass die Zeit noch einmal zurückgedreht werden kann. Er vermutet, dass allmählich für Geldstücke und Scheine die letzte Stunde schlägt. Vor 2600 Jahren wurden im kleinasiatischen Lydien die ersten Münzen geprägt. Das Ende des Bargelds wäre ein fundamentaler Epocheneinschnitt.
Bundesbanker Weidmann macht sich unterdessen Gedanken über die technische Ausgestaltung des Großprojekts. Die Zentralbanken müssten auf dem neuesten Stand der Technik sein, mahnt er. „Ansonsten können sie nicht das Grundgerüst für die Zahlungssysteme liefern und kein sicheres Geld bereitstellen.“ Die Zentralbanken hätten die Rolle von Katalysatoren. „Sie stellen die kritische Infrastruktur bereit. Auf dieser Grundlage können andere ihre Dienstleistungen entwickeln und anbieten.“ Der 53 Jahre alte Banker verweist auf den Privatsektor. „Es ist dessen Aufgabe, der Bevölkerung innovative Zahlungslösungen anzubieten und den Kundenkontakt zu pflegen.“
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- Hosp, Julian (Author)
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