Frederik Bouffier und Dirk Koch haben eine Gemeinsamkeit: den prominenten Vater in der Politik. Das hat viele Vorteile – manchmal aber auch nicht. Beide mögen ihre Väter. Der eine strebt ebenfalls in die Politik, der andere beschäftigt sich lieber mit Cyber-Kriminalität und Brandbekämpfung. Ein Doppelporträt.
Frederick Bouffier: Manchmal ein Plausch kurz vor Mitternacht
Eine typische Geste des Ministerpräsidenten Volker Bouffier geht so: Die Handrücken dem Gesprächspartner entgegenhalten, die Spitzen von Daumen und Zeigefinger locker aneinander, dann die Finger fächerförmig ausbreiten und die offenen Hände dem anderen entgegenstrecken.
Wer diese Geste studieren will, muss gar nicht den Ministerpräsidenten beobachten – sein Sohn Frederik macht es genauso. Wie der Vater ist der Junior auch Jurist geworden, er arbeitet in der Gießener Kanzlei Bouffier-Wolf. Für diese Kanzlei war Rechtsanwalt und Notar Volker Bouffier (70) seit seiner Zulassung 1978 tätig. Gemeinsam mit Notar Thomas Wolf ist er Inhaber, übt jedoch seine Anwaltstätigkeit wegen des politischen Amtes nicht aus. Frederik Bouffier (31) hat sich auf Arbeits- und Verwaltungsrecht spezialisiert. Er sagt, er sei gerne Anwalt.
Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Generationen Bouffier gibt es viele. Zum einen vereint sie das aktive Interesse am Sport. Der Senior hat einst für den MTV 1846 Gießen Basketball gespielt, der Junior Fußball bei der TSG Wieseck. Beide sind praktizierende Gießener Lokalpatrioten, Frederik Bouffier sagt sogar, er lebe „leidenschaftlich gern“ in der mittelhessischen Universitätsstadt, die im Krieg so stark zerstört wurde, dass die Wunden bis heute erkennbar sind. Aber das ist eine Wahrnehmung der Nicht-Gießener. Für den jungen Anwalt bedeutet die Stadt, in der seine Großfamilie und viele Freunde leben, Heimat und Geborgenheit. Er preist die schönen Ecken wie Schiffenberg, die Lahnwiesen und die Wieseckaue, Gießens größte Grünanlage. Dank der vielen Studierenden aus Universität und TH sei die 90.000-Einwohner-Stadt vor allem eine junge Kommune.
Studiert hat Frederik Bouffier hauptsächlich in seiner Vaterstadt, aber zwei Semester führten ihn mit dem Erasmus-Programm auch nach Nottingham. Diese Zeit diente nicht nur der Sprachverfeinerung und der Erweiterung des Horizonts, der Student lernte im Land des einstigen Manchesterkapitalismus auch die Vorzüge des deutschen Gesundheitswesens und Sozialrechts kennen. Und der Aufenthalt in Mittelengland war kurz genug, um in der Heimat weiter an der politischen Karriere arbeiten zu können. Die steht in einer langen Familientradition.
Frederik Bouffiers Urgroßvater hatte im November 1945 die CDU in Gießen mitgegründet. Sein Großvater, den er noch kennenlernte, wurde dort 1956 Stadtverordneter, bald Fraktionsvorsitzender, später ehrenamtlicher Stadtrat. Frederiks Mutter Ursula gehörte für die CDU der Gießener Stadtverordnetenversammlung und dem Kreistag an. Sein Vater war von 1987 bis 1991 Staatssekretär im Wiesbadener Justizministerium, er bekleidete seit 1999 das Amt des hessischen Innenministers und ist seit 2 Ministerpräsident. Und Frederik setzt heute das politische Engagement in der vierten Generation fort. Ohne dass die Eltern ihn aufforderten, trat er mit 17 in die Junge Union ein, bald danach in die CDU. Heute ist er Vorsitzender des JU-Bezirks Mittelhessen. Und er wollte am . September 2021, dem Tag der Bundestagswahl, Gießener Oberbürgermeister werden – ein Ziel, das er knapp verfehlte. Hätten 343 Wähler mehr für ihn gestimmt, wäre er in die Stichwahl gekommen. Bouffier schaffte 29,5 Prozent, der sozialdemokratische Kandidat 30,3, der Grünen-Vertreter 30,6 Prozent.
Hatte er vor der Kandidatur seinen Vater gefragt? Klar, sagt Frederik Bouffier, aber nicht nur den: „Ich bin ein großer Freund davon, Rat einzuholen.“ Den Kontakt zu seinen Eltern pflegt der Einunddreißigjährige bis heute intensiv. Über beide spricht er mit Zuneigung und Respekt. „Die Eltern haben meinen Geschwistern und mir Werte vorgelebt. Und sie waren und sind immer für uns da.“ Die meiste Zeit verbrachten die Kinder natürlich mit Mutter Ursula, die auch mal die Vokabeln abfragte.
„Die Eltern haben meinen Geschwistern und mir Werte vorgelebt. Und sie waren und sind immer für uns da“ – Frederik Bouffier
Aber auch der vielbeschäftigte Staatssekretär, Innenminister und Ministerpräsident habe sich immer Zeit genommen, wenn es darauf ankam: „Er war bei allen für mich wichtigen Anlässen dabei, zum Beispiel bei meiner Einschulung, besonderen Fußballspielen oder auch der Abiturfeier.“ Da Vater und Sohn Nachtmenschen sind, sehen sie sich gelegentlich auch mal auf einen Plausch kurz vor Mitternacht um halb zwölf. Die beiden verbindet auch das Interesse an Geschichte, Politik und Sport. Sieht er Gemeinsamkeiten mit seinem Vater? „Ja“, sagt der Sohn, „wir beide mögen Menschen.“
Wer bei einer Wahl so knapp den Erfolg verpasste wie Frederik Bouffier, könnte ja auch verzweifeln und sich nächtelang den Kopf darüber zerbrechen, was er hätte anders machen können, um jene 343 Menschen auf seine Seite zu ziehen. Ob vielleicht sein Slogan „Für unser Gießen von morgen“ zu abgegriffen klang oder ob ihm ein attraktiverer Kanzlerkandidat als Armin Laschet geholfen hätte. Doch der junge Mann schaut stattdessen lieber nach vorne. Über konkrete politische Pläne will er sich nicht äußern. Aber eine Karriere als Berufspolitiker schließt er auch nicht aus. An einem verlässlichen Ratgeber wird es ihm dabei nicht fehlen, notfalls nachts um halb zwölf.
Dirk Koch: Am Wochenende mit dem Vater unterwegs
Dirk Koch teilt sich mit seinem Vater Roland das Büro in einem Hochhaus auf der Bockenheimer Landstraße in Frankfurt. Als sich der Junior als Anwalt selbstständig machte, hatte das natürlich einen ökonomischen Vorteil. Doch inzwischen, da die auf Cyberthemen spezialisierte Kanzlei des Sechsunddreißigjährigen gut läuft, ist der Vater vor allem zum intellektuellen Sparringspartner geworden: „Man muss eine Idee auch mal laut aussprechen, um zu überprüfen, ob sie wirklich gut ist. Das geht im familiären Umfeld natürlich einfacher.“ Dirk Koch hat Ähnlichkeit mit seinem Vater. Vor allem in der Art des Sprechens hat Koch junior von Koch senior viel übernommen. Wie der frühere Ministerpräsident spricht Dirk Koch gern in langen Sätzen. Häufig fallen die Floskeln „am Ende des Tages“ oder „an der Stelle“.
War die Prominenz des Vaters früher eher Last oder Vorteil? „Das hielt sich in der Waage, als eine wirkliche Last habe ich es nie empfunden“, sagt der älteste der beiden Söhne Roland Kochs – der zwei Jahre jüngere Bruder Peter lebt mit seiner Familie als Flugzeugingenieur in Bremen. Sein Vater gab das Amt des Ministerpräsidenten nach zehn Jahren im August 2 ab. Zu dieser Zeit studierte Koch junior (wie der Vater) Jura in Frankfurt. Das bedeutet, dass er in Mehrzahl der politisch aktiven Jahre Roland Kochs die Schule besuchte, in seinem Fall die Eschborner Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Wenn der Vater eines Dreizehnjährigen erster Mann in einem Bundesland wird, geht das an dessen Kindern nicht spurlos vorüber. „Mein Vater äußerte ja sehr dezidierte Meinungen. Natürlich gab es deshalb Lehrer, die einen vielleicht schon deshalb gut fanden und andere, die einen sicher deshalb entweder ignorierten oder alles taten, dass man nicht vorankam.“ Darauf hat er sich dann aber schnell eingestellt: „Ich kann nicht sagen, dass ich in der Schulzeit gelitten hätte.“
Und im Gegenteil profitieren die Kinder prominenter Eltern naturgemäß vom Umfeld und von Informationen aus erster Hand. Dirk Koch drückt das so aus: „Wir hatten natürlich auch viele Vorteile – nicht materieller Art, aber ich würde das mal Erfahrungsvorteile nennen. Wir haben am Frühstückstisch immer über Aktuelles geredet und haben über meinen Vater natürlich auch viel mitbekommen.“ Hat ihn denn als Jugendlichen die Politik überhaupt interessiert? „Ja“, sagt Dirk Koch, Politik interessiere ihn bis heute, „ich würde mich sogar ein bisschen als Nachrichten-Junkie bezeichnen – ich will einfach wissen, was los ist.“ Dabei ist die tägliche Lektüre der Frankfurter Allgemeinen auf dem i-Pad zwar die stetige, aber nicht die einzige Informationsquelle.
Als Kind einer alleinerziehenden Mutter hat sich Dirk Koch trotz des enormen Arbeitseinsatzes seines Vaters nie gefühlt. „An vielen Wochenenden konnten wir ihn begleiten. Wir fanden es höchst spannend, in seinem Umfeld dabei zu sein.“ Parteitage, Hessentage, Veranstaltungen mit dem Ministerpräsidenten in „seinem“ Bundesland – Dirk und sein Bruder Peter waren häufig mit von der Partie – „das haben wir lange und gern gemacht, bestimmt, bis wir 15, 16 waren“.
Zu dieser Zeit hatte Dirk Koch aber neben der Schule und der Teilhabe an der Sphäre des Vaters längst sein ganz eigenes Hobby. Über eine Projektwoche hatte er als Zehnjähriger die Arbeit der Feuerwehr kennengelernt und war sofort begeistert. Heute fungiert er ehrenamtlich als stellvertretender Stadtbrandinspektor in seiner Heimatstadt Eschborn. Das ist eine herausfordernde Aufgabe; nicht nur wegen der zahlreichen freiwilligen Mitarbeiter und deren Schulung, sondern auch wegen praktischer Einsätze: Wenn Eschborns Tanklöschzüge im Jahr durchschnittlich 250 Brände ansteuern, ist Anwalt Koch mindestens 60 Mal an Ort und Stelle, den Piepser hat er stets dabei.
Zwischen seiner Arbeit für die Feuerwehr und seinem Brotberuf sieht Koch Parallelen. Denn meist wird der Anwalt gerufen, wenn mittelständische Unternehmen, die damit nicht rechneten, erpresst werden, weil ihre Computer nicht mehr funktionieren. Wie bei der Brandbekämpfung geht es nun darum, zugleich Besonnenheit und Schnelligkeit an den Tag zu legen. Als jemand, der schon als Knabe mit dem Computer auf Du und Du war, versteht Koch die Technik. Als Jurist weiß er Rat auf unterschiedliche Fragen. Etwa, ob man das „Lösegeld“ zahlt oder nicht, ob die Gefahr der Veröffentlichung sensibler Daten besteht oder wann der Kontakt zu Behörden wie dem LKA oder der Staatsanwaltschaft hergestellt werden muss.
Obwohl Sohn und Vater mit sehr unterschiedlichen Themen zu tun haben, scheint Dirk Koch den Austausch mit dem Senior zu schätzen. Das kann ein allgemeiner Rat sein oder das Öffnen einer Tür. Und dann kommt ein Satz von Dirk Koch, der in seiner verschachtelten Form auch von Roland Koch stammen könnte: „Wenn man einen Vater hat mit einem recht hohen diplomatischen Verständnis, der im Zweifel auch weiß, wie man zwei widerstreitende Parteien ein bisschen zusammenführt, damit sie sich am Ende des Tages wieder vertragen, dann kann man als Kinder viel davon lernen.“
„Wäre ich in die Politik gegangen, wäre das wahrscheinlich mit einer Art Klischee verbunden gewesen“ – Dirk Koch
In die Politik hat es den Sohn bei aller Wertschätzung allem Interesse nie gezogen, er ist auch kein Mitglied einer Partei. Was nicht ausschloss, dass er im Online-Wahlkampf für Angela Merkelt und seinen Vater mitmachte. „Wäre ich in die Politik gegangen, wäre das wahrscheinlich mit einer Art Klischee verbunden gewesen. Da steht der Stempelabdruck, egal ob positiv oder negativ, schon zur Hälfte auf dem Blatt, ehe man überhaupt ein Wort gesagt hat. In meiner Feuerwehrlaufbahn gab es dagegen keinen Stempel.“
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