Nichts erscheint mehr so, wie es war. Die Tech-Wellen schwappen bis nach Deutschland und krempeln auch den Kunstmarkt um. Zum Fanal wurde die Versteigerung einer JPEG-Datei mit 21.069 mal 21.069 Pixeln. Beeples „Everydays: The first 5000 Days“ versteigerte Christie’s in New York für sagenhafte 69,3 Millionen Dollar. Viele möchten nun auf den Zug aufspringen. Es winken Milliarden. Dank NFT.
Das Spekulationsfieber grassiert. Althergebrachte Maßstäbe verschieben sich. Überall auf der Welt elektrisieren die drei magischen Buchstaben. NFT steht für Non-Fungible Token. Das ist ein nicht austauschbares elektronisches Siegel auf Blockchain-Basis und ermöglicht den Erwerb und Handel mit beliebig kopierbaren Produkten.
Smart Contracts
Die digitale Signatur schreibt man über Smart Contracts ein, mit der sich die Besitzrechte von Einzelnen transparent belegen lassen. Zwar kann jeder weiterhin fantastische Kreationen nach Lust und Laune auf Notebook, Handy oder Monitor herunterladen. Eine oder mehrere Personen sagen aber nun stolz: „Das gehört mir.“ Dies ist weit mehr als ein Spleen. Denn bei der derzeitigen Nachfrage sind sehr hohe Gewinne möglich.
Buch-Tipp
- Hager, Mike (Author)
In einer Zeit, in der Regierungen weltweit an Vertrauen einbüßen, betrachten die NFT-Fans die Schöpfungen als Befreiung. Sie schwärmen von einer demokratischen Kunstrevolution, die sich durch die neue Technologie dem Zugriff der Eliten entzieht. Online-Plattformen vertreiben die NFTs. Doch auch Auktionen und Galerien. Momentan ist es leicht, viel Geld zu mobilisieren.
Als Verheißung gelten plötzlich selbst simple digitale Abbildungen wie Mangas, Kätzchen oder anderer Schnickschnack. Wenn nur die Vermarktung über NFT erfolgt. Das Angebot ist vielfältig. Deshalb kann lange gestritten werden, was noch als Kunst und was als purer Kommerz zu gelten hat. Hinter alldem steckt Kalkül. Manche sprechen schon vom neuen Kryptokapitalismus.
Käufer aus der Kryptowelt
Die jüngeren Bieter und Käufer kommen oft aus dieser Szene. Ein Gutteil will damit auch ihr dezentrales ökonomisches Modell pushen. Wer agieren will, braucht eine Wallet. Dazu müssen sich die Interessenten bei einer Kryptobörse anmelden und ein Guthaben anlegen. Die Deals werden überwiegend auf der Blockchain Ethereum abgewickelt. Das Geschäft floriert. Das Verkaufsvolumen stieg von 41 Millionen im Jahr 2018 auf etwa 2,5 Milliarden Dollar im Jahr 2021.
Mit NFT wird derzeit alles unter die Leute gebracht, was lukrativ erscheint. Zum Beispiel der Quellcode für das World Wide Web. Die Originaldateien von Sir Tim Berners-Lee von 1989 samt Zeitstempel und Unterschrift brachten 5,4 Millionen Dollar. Und den ersten Tweet „just setting up my twttr“ von 2006 versteigerte Twitter-Mitbegründer und Firmenchef Jack Dorsey für drei Millionen Bucks.
Läppisch oder genial?
Etliche Kritiker halten für läppisch, was gegenwärtig als NFT-Kunst kursiert. Andere sind offen und verweisen auf die klassische Moderne. Hat nicht Marcel Duchamps Anfang des vorigen Jahrhunderts ein Pissoir als Ready-made („Fountain“) zum Artefakt erhoben? Und waren es nicht Künstler wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein, die in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Alltagsprodukte wie Suppendosen und Comics in Gemälde verwandelten und als Pop Art adelten?
Dem ehemaligen Informatiker und Webdesigner Mike Winkelmann, der sich Beeple nennt, gelang jedenfalls der große Coup. Tag für Tag hatte er seit 2007 auf der Online-Plattform Tumblr – lange nahezu unbemerkt – düstere Darstellungen gepostet. Aus den Dystopien machte er ein Puzzle mit 5.000 winzigen digitalen Bildern. Damit strich er im Februar 2021 die dritthöchste Summe ein, die jemals ein lebender Künstler mit dem Verkauf eines Werks erzielte. Nur Jeff Koons und David Hockney waren noch erfolgreicher.
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- Hager, Mike (Author)
Kalkulierte Strategien
Die Collage schlug auch deshalb ein, weil Beeple sich allmählich einen Namen gemacht hat. „NFTs brauchen eine Story“, meint Udo Müller, Leiter der Rechtsabteilung eines in Frankfurt ansässigen großen internationalen Wirtschaftsberatungsunternehmens. „Erfolge lassen sich strategisch planen.“ Er verweist auf das Buch „How To Become A Successful Artist“ des Ökonomen und Autors Magnus Resch. Künstler sollten für ihr Schaffen einen Markenkern mit Wiedererkennbarkeit entwickeln. „Gerade NFTs eignen sich dafür.“
Der 52 Jahre alte Jurist engagiert sich seit mehr als zwei Jahren für die neue Richtung. Dabei arbeitet er mit dem gebürtigen Moskauer Alexey Tolstov zusammen. Der im Frankfurter Stadtteil Sossenheim lebende Entrepreneur hat es geschafft, durch Aktivitäten rund um die Kryptowirtschaft mit 37 Jahren finanziell unabhängig zu sein.
Coaching für Künstler
Die Freunde möchten im Rhein-Main-Gebiet tätigen Künstlern helfen, in dem boomenden Segment zu reüssieren. „Wir besitzen eine Reihe guter Kontakte, die Kreative weiterbringen können“, sagt Müller. Tolstov verweist auf seine Erfahrung mit Start-ups und Kryptowährungen.
Die Frankfurter Künstlerin Diana Catherine Eger lässt sich von den beiden coachen. „Ich komme von der physischen Kunst“, teilt die 41 Jahre alte Frankfurterin mit. Die ehemalige Investmentbankerin hat sich bereits vor zwölf Jahren als Artist selbstständig gemacht hat. „Ich will bei der NFT-Kunst auf jeden Fall dabei sein. Denn das wird ein Thema bleiben.“ Sie wolle damit natürlich auch Geld verdienen, bekennt sie. Eigentlich kommt sie von der Pop Art und sprayt Porträts bekannter Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben. Sie möchte sich neu aufstellen. „Ich könnte ja meine Bilder einfach nur digitalisieren. Aber das wäre einfallslos“, sagt sie.
Kein Selbstläufer
Vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen auch andere. Es ist durchaus nicht so, dass NFTs Selbstläufer wären. Wer den Durchbruch schafft, hat in der Regel zuvor viel Arbeit investiert. Der Markt ist volatil. Und die Konkurrenz wird mit jedem Tag größer.
Die meisten NFT-Schaffenden haben nach Monaten noch kein einziges Werk verkauft.
Wer sich aber irgendwann einen Namen gemacht hat, dem eröffnet sich eine Perspektive: Gefragte Produkte lassen sich ohne großen Aufwand weiterverkaufen. Und ein Künstler verdient mit – an jedem Verkauf üblicherweise 10 bis 25 Prozent.
Kinderkrankheiten sind jedoch nicht zu leugnen. Das rosa gezeichnete Bild ist nur die halbe Wahrheit. Das gilt auch für die Sammler. Trotz der vorherrschenden Goldgräberstimmung wird eine Menge für ein paar Euro verramscht, was anschließend nicht an Wert gewinnt. Die Gebühren („gas fees“) auf den Plattformen empfinden die Nutzer überdies als zu hoch.
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- Hager, Mike (Author)
Achtung Hacker
Mitunter setzt dann aber doch jemand auf das richtige Pferd. Dann gilt es aufzupassen. Diebstähle durch Hacker wurden schon gemeldet. In jedem Fall muss man sein Password schützen, sonst ist der digitale Schatz womöglich bald gekapert.
Udo Müller und Alexey Tolstov sind darüber nicht beunruhigt. Sie fasziniert der „first mover effect“. Denn noch steht Kryptokunst am Anfang. Die Geschäftsleute erinnern an die frühen Philatelisten, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Briefmarken stürzten. Eine 1847 herausgegebene blaue Mauritius für zwei Pence dürfte heute rund eine Million Euro bringen.
NFT-Sammler erhoffen sich Ähnliches. Dass in Deutschland eine renommierte Galerie wie König auch NFT-Kunst offeriert, beweist für Müller und Tolstov deren Zukunftsfähigkeit auch unter Qualitätsgesichtspunkten. „NFT-Künstler sollten sich in den sozialen Netzwerken zeigen und eine Community um sich scharen“, raten die Geschäftspartner. Das „Metaverse“ mit seinem Spieleuniversum gebe der Sache einen zusätzlichen Schub. Die reale und virtuelle Realität mischten sich immer stärker und würden weiter kräftig Nachfrage erzeugen.
Äffisches Vergnügen
Was aktuell Kasse macht, wirkt allerdings nicht gerade futuristisch. Harmlose Serials sind der Renner. Die Truppe des Bored Ape Yacht Clubs (BAYC) holt die Kunst auf den Teppich. Die maritimen Affen tummeln sich auf der führenden NFT-Plattform Open Sea. Der Name ist Programm. Ein offenes Meer mit Chancen und Risiken hat sich aufgetan.
10.000 unterschiedliche Apes gingen im vorigen Frühjahr an den Start. Mittlerweile lieben Abermillionen die Computergestalten. Von ihren 170 Eigenschaften tauchen manche häufig, andere nur bei ganz wenigen auf. Das macht den feinen Unterschied. Wie einst bei den Fußballsammelkarten. Mit dem abendländischen Kunstbegriff haben die Typen nichts gemein. Doch das ist ihren Liebhabern egal.
Hype am Potomac
Natürlich erfreut der Affen-Hype die vier lässigen Promotoren, die kürzlich das Magazin „Rolling Stone“ porträtiert hat. Sie sind mit der BAYC-Idee schon jetzt steinreich geworden. Ihr Yuga Lab residiert in Alexandria am Potomac River nahe Washington. Inzwischen hat das clevere Quartett für weitere Avatare gesorgt.
Eine Serie mit 10.000 Mutanten ging für 10.000 Dollar oder 3 ETH pro Stück über die virtuelle Ladentheke. Schließlich folgte noch – for free – eine Zugabe an die Clubmitglieder. Sie bekamen einen NFT-Haushund für jeden ihrer Bored Apes geschenkt.
Alter Ego von Eminem
Prominente Musiker, NBA-Idole und Talkshow-Moderatoren fahren auf das BAYC-Ensemble made in USA ab. Skandalrapper Eminem verdoppelte sich beispielsweise mit einem „EminApe“ und überwies dafür satte 148 ETH. Das waren Anfang des Jahres 460.000 US-Dollar. Sein äffisches Alter Ego trägt ein olivgrünes Militärkäppi, eine goldene Trainingsjacke und eine fette Goldkette. Der Gesichtsausdruck ist ziemlich müde.
Der Provokateur aus Detroit soll insgesamt schon 300 NFTs besitzen. Nicht alle Größen des Showbiz teilen Eminems Leidenschaft. Beispielsweise hat sich Schauspieler Keanu Reeves über dessen sündhaft teure Digitalkunst lustig gemacht.
Die Spötter werden aber vielleicht noch ihr digitales Wunder erleben. Auch etablierte Meister, die immer schon den Markt im Auge hatten, wenden sich entschlossen NFTs zu. Damien Hirst legte eine Kollektion mit 10.000 Kunstwerken auf, bei der die Käufer selbst entscheiden können, ob sie ein Werk analog oder auf der Blockchain besitzen möchten. Bevorzugen sie die NFT-Version, verspricht der britische Inszenierungskünstler, das Original zu vernichten.
What hot sh!it!
Auch der Frankfurter Kunstbetrieb wird allmählich aufmerksam. Während sich Bärbel Grässlin, die große Dame unter den Galeristen, mit dem Thema NFT überhaupt noch nicht beschäftigt hat, greift Andreas Greulich in der Fahrgasse den Impuls aus dem Kryptokosmos auf. Die Sparte ist für ihn allerdings „nur ein Mosaikstein im Gesamtbild der Kunst“.
Im Januar veranstaltete seine Galerie bereits die zweite NFT-Ausstellung. Diesmal lautete der Titel „Pixposure“ nach „What hot sh!it!“ vom vergangenen Sommer. „Wir richten den Kunden auch eine elektronische Geldbörse ein, wenn sie noch keine haben“, erzählt der studierte Kunsthistoriker. Es gebe auf dem Gebiet vielversprechende Protagonisten.
NFT kann Kunst
Der 54-Jährige erwähnt Ivona Tau, die für „Pixposure“ eine spannende generative Sequenz zur Verfügung gestellt hat. Auf dem Monitor versucht Künstliche Intelligenz aus 1.000 eingespeisten Fotos ein Bild zu formen. Innen- und Außenräume verschwimmen und dunkle Flecken scheinen Unheil anzukündigen. Das Ganze ging gleich für einen höheren vierstelligen Eurobetrag weg.
Kürzlich hat die in Warschau lebende Litauerin sogar etwas für 20.000 Dollar bei Sotheby’s in New York veräußern können. Andreas Greulich freut sich, dass die Galerien, ob in Manhattan oder Mainhattan, von der neuen NFT-Klientel als „Gatekeeper“ wahrgenommen werden. „Es ist ein bisschen so wie im Schuhgeschäft. Eine interessante Auswahl vorzufinden und kompetent beraten zu werden, ist einfach angenehm.“
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- Hager, Mike (Author)
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