Ein Arbeitstag reicht oft nicht aus, um alles abzuarbeiten. Ein besseres Zeitmanagement kann dabei hilfreich sein. Doch Terminpläne und To-do-Listen können schnell zum Korsett werden. Heute empfehlen Experten daher mehr.
Ist die Zeit gefühlt oder real einfach zu knapp, um alle anstehenden Aufgaben zu erledigen, steigt der Stresspegel. Man fühlt sich ausgeliefert und überlastet. Man wünscht sich, der Tag hätte statt der 24 besser 30 Stunden.
Aber würde das etwas an der Situation ändern? Nein, sagen viele Experten und Trainer und raten zu einem besseren Zeitmanagement. Schließlich schadet die chronische Überlastung nicht nur der Gesundheit, sondern auch den Unternehmen, die auf leistungsstarke Mitarbeiter setzen.
Die Angebote, Zeitmanagement zu lernen, werden daher immer zahlreicher. Gibt man den Begriff in eine übliche Suchmaschine ein, so wirft diese allein mehr als 300.000 Ergebnisse zu Zeitmanagement-Seminaren aus, mit Anbietern vom privaten Coach bis zum TÜV Nord oder der IHK Frankfurt.
Und wer sich selbst weiterbilden will, kann in Online-Buchhandlungen unter mehreren tausend Büchern zum Thema wählen, vom Zeitmanagement speziell für Seelsorger, für Existenzgründer, für Mütter, im Studium oder im Kindergarten.
„Zum Teil ist es grenzwertig, was die Autoren den erwachsenen Lesern da zumuten, wenn sie ihnen von Hamster-, Bären- oder Eichhörnchen-Strategien oder dem Käfer-Prinzip erzählen“, stellt Dr. Armin H. Kutscher dazu fest, der selbst Seminare zum Thema „Zeitkompetenz“ für Unternehmen anbietet und dabei statt auf die Tierwelt lieber auf die großen Philosophen setzt, die viele Anhaltspunkte böten.
Ist-Analyse
Die klassischen Seminare zum Zeitmanagement beginnen in der Regel mit einer persönlichen Ist-Analyse, bei der der Mitarbeiter typische Organisationsfehler und Zeitfresser erkennen soll. Im zweiten Schritt geben die Experten den Seminarteilnehmern dann Techniken an die Hand, mit denen sie ihre Zeit effektiv einteilen können.
Meist beginnt es mit einem Tages- und Terminplan. Um diesen zu erstellen, empfehlen die einen die ABC-Methode, andere die ALPEN-Methode (siehe Kasten). Das Pareto-Prinzip oder die Getting-Things-Done-Methode sind ebenfalls verbreitete Ansätze. Der Begriff Zeitmanagement ist an dieser Stelle allerdings irreführend.
Denn es geht nicht nur darum, einen Plan aufzustellen und alles nacheinander abzuarbeiten. Bevor man die eigene Zeit sinnvoll einteilen kann, braucht es zunächst Ziele. Was will ich erreichen? Ist das überhaupt zu schaffen, und wenn ja, in welchem Zeitraum?
Zwei-Listen-Technik
Die Zwei-Listen-Technik hilft, diese Fragen zu beantworten. Entwickelt hat sie angeblich der Investment-Milliardär Warren Buffett. Man erstellt zunächst eine Liste mit 25 Zielen. Im zweiten Schritt wählt man daraus die fünf wichtigsten Ziele aus und überträgt sie in eine weitere Liste.
Dann gilt es, zunächst diese fünf Ziele zu erreichen, bevor man sich den anderen Dingen widmet. Der Gedanke dahinter: Wer seine Aufmerksamkeit auf zu viele Projekte gleichzeitig verteilt, macht alles nur halbherzig.
Die Ziele und Aufgaben erhalten durch diese Methode eine Priorität. Was muss sofort erledigt werden, was kann problemlos noch verschoben werden? Wer sich bei der Gewichtung unsicher ist, kann auf eine weitere Technik zurückgreifen: das Eisenhower-Prinzip, das nach dem ehemaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower benannt ist und Aufgaben nach Dringlichkeit und Wichtigkeit ordnet (siehe Kasten). Wer sich an die Methoden hält, den erwartet ein exakt durchgeplanter Alltag.
Zeitkompetenz statt Zeitmanagement
„Diese Methodik hat allerdings ihre Grenzen. Zeitmanagement ist durch die Ökonomie getrieben zum technischen Modell geworden“, kritisiert Dr. Armin H. Kutscher, von Hause aus Diplom-Theologe und Orchestermusiker, der seit 1998 das Forum für Kommunikation und Unternehmensethik leitet und an mehreren süddeutschen Hochschulen lehrt.
„Die Gefahr ist, dass man denkt, man müsse nur Prioritäten setzen, und dann funktioniert schon alles.“ Dieses Denken sei längst überholt. Das beginne schon allein damit, dass jeder Mensch ein anderes Zeitgefühl habe. Wenn man Zeit managen wolle, komme es immer auf die Wahrnehmungsperspektive des Einzelnen an.
„Wir leben außerdem in einer komplexen, dynamischen Welt mit ständigen Veränderungen. Da kann die Priorität von heute morgen längst über den Haufen geworfen sein“, weiß er aus den Seminaren zum Thema, die er regelmäßig auch in Frankfurt bei Unternehmen der Transportwirtschaft, der Autobranche, der Baubranche, bei Behörden, kleinen und mittelständischen Unternehmen hält.
Mehr Kompetenz als Management?
Es gebe Studien, die besagten, dass Zeitmanagement-Seminare keine große Nachhaltigkeit haben. Die Teilnehmer hielten entweder nur wenige Wochen durch oder sie seien mit dem Listenaufstellen so beschäftigt, dass sie nicht zum Arbeiten kämen.
„Die Seminare sind bei Unternehmen heute sehr verbreitet. Wenn in den vergangenen zehn Jahren ein großer Prozentsatz teilgenommen hat und der Ansatz dauerhaft wirken würde, dürfte es heute doch kaum noch Zeitprobleme geben“, betont Kutscher.
In seinen Seminaren spricht er daher nicht von Zeitmanagement, sondern von Zeitkompetenz und berücksichtigt nach eigenen Angaben mehr die subjektiven Realitäten und Abhängigkeiten der Mitarbeiter am Arbeitsplatz.
„Es kommt darauf an, vernünftig mit der Zeit umzugehen, wie sie sich dem Einzelnen in der Situation und in seinem Kontext darstellt.“ Besonders wichtig ist ihm dabei der Punkt der Selbstreflektion. „Es gibt bei den Menschen verschiedene Interaktionsmuster.
Eines davon besteht darin, dass jemand so handelt, dass er sich den Sympathien der anderen sicher sein kann und damit akzeptiert und gewollt ist. Dadurch wird klar, dass er nicht Nein sagen kann.“ Er erfülle stets die Erwartungen anderer und werde zum Getriebenen.
Kapitän sein
Kutscher, der gerade an einem Buch über das Thema „Zeitkompetenz“ schreibt, das im nächsten Herbst erscheinen soll, geht es darum, dass der Mitarbeiter wieder Kapitän auf seinem Schiff der Zeit wird. „Ihm nur zu sagen, er müsse lernen, Nein zu sagen, reicht nicht. Er muss sich und seine Verhaltensmuster erkennen, um sie ändern zu können.“
Ein weiterer wichtiger Punkt sei schon bei dem griechischen Philosophen Aristoteles nachzulesen, der propagierte, man solle in seiner Mitte leben, also nichts im Übermaß tun. „Man sollte sich fragen, was tut mir gut, aber auch ganz ökonomisch, was hat die Tätigkeit für mich für einen Vorteil oder was verlangt sie mir ab.“
Auf Unternehmensebene, auf der der Mitarbeiter unter Druck und Beobachtung stehe, habe er meist nicht diese Freiheit, räumt Kutscher auch ein. „Im schlimmsten Falle muss man dann überlegen, etwas anderes zu machen. Ich weiß, dass Menschen oft in ökonomischen Abhängigkeiten stecken, die das dann verhindern. Deshalb geht es darum, früh genug darauf zu achten, nicht in solche Situationen zu geraten.“
Und noch einen dringlichen Rat hat er für Mitarbeiter der Unternehmen: „Finger weg von jeder pharmazeutischen Aufrüstung!“ Psychopharmaka oder Stimulanzien zu nehmen, um die Leistung zu steigern, gehöre in den USA mittlerweile zum täglichen Brot vieler Berufstätigen. „Man handelt sich gesundheitliche Probleme ein, um einer Sache dienstbar zu sein. Das ist Körperverletzung.“
Kreatives Zeitmanagement
Als echtes Sorgenkind des Zeitmanagements galten lange die kreativen Chaoten, im Fachjargon „polychronisch“ veranlagten Mitarbeiter. Sie erledigen viele Aufgaben gleichzeitig, lassen sich leicht ablenken, halten selten Termine ein.
So jedenfalls charakterisierte sie der Anthropologe Edward T. Hall Ende der 1950er Jahre. „Ihnen stehen jedoch bessere Zeiten bevor. Denn Flexibilität, Innovationskraft, Kooperation und Agilität werden für Unternehmen immer wichtiger“, stellt die langjährige Wirtschaftsjournalistin Cordula Nussbaum fest.
Sie hat bereits vor 15 Jahren das „Zeitmanagement für kreative Chaoten“ entwickelt. Die Botschaft ihres Buches „Organisieren Sie noch oder leben Sie schon?“, das in dritter überarbeiteter Auflage gerade erschienen ist: Scheinbar unorganisierte Menschen können genauso erfolgreich ihren Alltag gestalten wie notorische Organisationspedanten und Schreibtischaufräumer.
Auch Nussbaum konstatiert, dass sich Teamstrukturen und Führungsstile massiv verändert hätten und dass so viele der herkömmlichen Methoden heutzutage bei den meisten Menschen überhaupt nicht mehr funktionierten. „Das alte Zeitmanagement hat ausgedient“, lautet ihre These.
Es sei Zeit für ein neues, kreatives Zeitmanagement. Schließlich müsse man heutzutage schnell auf sich verändernde Prioritäten reagieren können. Die Arbeitswelt selber würde zunehmend „kreativ-chaotisch“.
Dass diese kreativen Köpfe, die Querdenker im Unternehmen, die sich selten an Terminpläne und Auftragslisten halten, eher für Innovationen sorgen, haben Studien längst gezeigt. Und knapp die Hälfte aller Unternehmen haben laut einer anderen Studie bereits heute erkannt, dass sie innovativ sein müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
In Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel könnten Seminare zum Thema „Talentmanagement“ daher künftig wichtiger werden als das Zeitmanagement.
Zeitmanagement-Methoden
Alpen-Methode
Bei dieser Methode erstellt man in wenigen Minuten seinen Tagesplan. Zunächst werden Aufgaben, Termine und geplante Aktivitäten notiert. Dann wird die Länge, also der Zeitaufwand jeder Aufgabe geschätzt.
Es werden Pufferzeiten eingeplant, die in der Regel bei 40 Prozent der Zeit liegen sollten. Anschließend muss eine Entscheidung zur Priorisierung etwa nach der Eisenhower- oder der ABC-Methode getroffen werden. Am Ende steht die Nachkontrolle.
ABC-Methode
Die ABC-Methode unterteilt Aufgaben in drei Klassen. Sie ist eine einfache Vorgehensweise zur Gewichtung von Aufgaben oder Prozessen.
Pareto-Prinzip
Das nach Vilfredo Pareto benannte Prinzip besagt, dass in der Regel 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden. So sind schnelle Fortschritte bei relativ guten Ergebnissen möglich. Wendet man die ABC-Methode und dieses Prinzip zusammen an, landen die unwichtigsten Aufgaben im besten Fall im Papierkorb.
Getting-Things-Done-Methode
David Allen versucht mit seinem Ansatz, den gesamten Alltag einer Person mit Aufgabenlisten zu erfassen. Alle anstehenden Tätigkeiten sollen in einem Verwaltungssystem notiert und nach Wichtigkeit sortiert werden, damit man den Kopf frei hat für die Erledigung der aktuellen Aufgabe. Getrennt werden Termine und Aufgaben, die in einen Kalender und auf einer Kontextliste festgehalten werden.
Alle Aufgaben, deren Bewältigung aus mehr als einer Tätigkeit bestehen, werden als Projekte bezeichnet. Für jedes Projekt muss immer der jeweils nächste machbare Schritt formuliert werden und auf der Liste verzeichnet sein. Bei der Bewältigung der Tätigkeiten sollte die „2-Minuten-Regel“ berücksichtigt werden: „Dauert eine Tätigkeit weniger als zwei Minuten, sollte sie umgehend erledigt werden.“ Das System wird wöchentlich durchgesehen und gepflegt.
Eisenhower-Prinzip
Aufgaben werden in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Dadurch sollen die wichtigsten Aufgaben zuerst erledigt und unwichtige Dinge aussortiert werden. Anhand der Kriterien „Wichtigkeit“ und „Dringlichkeit“ gibt es vier Kombinationsmöglichkeiten:
A1 ist wichtig und dringend – es sollte sofort erledigt werden.
B2 ist wichtig, aber nicht dringend – es sollte terminiert und dann erledigt werden. C3 ist nicht wichtig, dafür dringend – die Aufgabe kann an kompetente Mitarbeiter delegiert werden. D4 ist nicht wichtig und nicht dringend – die Aufgabe darf im Papierkorb landen.
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