Die Banken stehen unter Druck. Die Gewinne schwinden nicht nur wegen niedriger Zinsen. Die digitale Revolution stellt alte Geschäftsmodelle in Frage. Online-Banking, Direktbanken und Mobile Payment fordern die klassischen Finanzinstitute heraus. Viele Filialen müssen schließen. Vor allem Jüngere wenden sich ab. Es ist Zeit umzudenken.
Ein „Weiter so“ würde die Krise nur verschärfen. Jede zweite Filiale wird es bald nicht mehr geben, prognostizieren Branchenkenner. Noch gehört Deutschland zu den Ländern Europas mit einer hohen Bankendichte. Das wird sich ändern. Am Anfang traf es vor allem kleine Geschäftsstellen. Inzwischen sind selbst moderne Angebote in attraktiven Lagen bedroht.
Laut einer Analyse des Unternehmens Oliver Wyman mussten zwischen 2008 und 2018 rund 12.000 Niederlassungen aufgegeben werden. Jetzt scheint sich die Entwicklung zu beschleunigen. Knapp 27.000 Filialen verzeichnete die Statistik Ende 2019. Im Jahr 2030 würden nur noch 15.800 übrig bleiben, prognostizierten die Strategieberater von Oliver Wyman vor einem Jahr.
Das war schon optimistisch. Im ersten Lockdown stellten etliche Filialen landesweit den direkten Kontakt mit ihrer Klientel vorübergehend ein. Viele Kunden haben es nicht einmal gemerkt. Insider vermuten, dass sich die Banken nun zu noch drastischeren Schritten ermutigt fühlen könnten.
Filialsterben geht weiter
Denn mit Filialschließungen kann man die Kosten erheblich senken und genau das scheint das Gebot der Stunde. In den nächsten Monaten sind Geschäftsaufgaben und Insolvenzen zu erwarten. Banken und Sparkassen rechnen mit erheblichen Zahlungsausfällen aufgrund der Pandemie. „Da kommt noch einiges auf uns zu“, vermutet ein leitender Mitarbeiter einer Frankfurter Bank.
„Dennoch ist die Filiale keineswegs ein Auslaufmodell“, haben die Autoren der Oliver-Wyman-Studie kurz vor Ausbruch von Covid-19 festgestellt. 1.500 Personen wurden befragt. 60 Prozent bekundeten, dass sie auch noch in fünf Jahren ihre Filiale regelmäßig aufsuchen wollten. 42 Prozent kündigten sogar an, bei Schließung ihrer Zweigstelle die Bank zu wechseln. „Damit stehen bis 2025 kumuliert rund sechs Milliarden Euro an Kundenerträgen auf dem Spiel – bis 2030 sogar acht Milliarden“, geben die Verfasser der Studie den Managern zu bedenken, die einen radikalen Kurs fahren wollen. Nach wie vor sei die Filiale ein wichtiger Bestandteil der Finanzbeziehungen eines Bankkunden.
Auf die Strategie kommt es an
Die Banken stünden vor der Aufgabe, ihre Kosten in den Griff zu bekommen und gleichzeitig die Kunden zu halten, lautet das Fazit der Untersuchung. Die eingesessenen Geldhäuser seien „mehr denn je gefordert, ihre Filialstrategie neu auszurichten“. Die Beratungsfirma schlägt vor, Serviceaktivitäten konsequent zu digitalisieren. Die Institute sollten mindestens einmal wöchentlich mit ihren Kunden im Netz „interagieren“. Erst dann sei es sinnvoll, Filialen zu reduzieren. So könne die Abwanderung von Kunden – anders als im „Hauruckverfahren“ – verhindert werden
Ob Banken und Sparkassen eine solch vorsichtige Herangehensweise tatsächlich wählen, müssen sie selbst entscheiden. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich gerade überkommene Gewohnheiten wandeln, ist die Neuausrichtung in jedem Fall eine Herkulesaufgabe. Ein Gutteil der Filialen wirkt wie ausgestorben. Selbst bei Senioren ist es mittlerweile angesagt, die eigenen Finanzgeschäfte über das Smartphone oder den PC zu erledigen.
Die Deutsche Bank, die führende Bank des Landes, will die Ausdünnung in der Fläche forciert fortsetzen. Philipp Gossow, Leiter des Privatkundengeschäfts, nannte den Verbleib von 400 Filialen bei einer Handelsblatt-Tagung im September als Zielgröße. Derzeit unterhält Deutschlands einzige systemrelevante Bank noch etwas mehr als 500 Zweigstellen zwischen Kiel und Passau, Aachen und Dresden.
Kostendruck erhöht sich
Ralph Hientzsch, geschäftsführender Gesellschafter von Consileon Frankfurt, sagte auf der Tagung, dass der Trend „ganz klar in Richtung weniger Filialen geht“. Er hätte sich noch mehr Entschiedenheit von der Deutschen Bank gewünscht. Auch 300 Standorte könnten eine flächendeckende Versorgung sicherstellen, vermutet Hientzsch. Selbst die Gewerkschaft Verdi zweifelt nicht grundsätzlich an der Notwendigkeit von Einsparungen. Sie mahnt jedoch, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit der Maßnahmen zu beachten.
„Ich gehe davon aus, dass der Trend in Richtung weniger Filialen geht.“ – Ralph Hientzsch, CEO Consileon Frankfurt auf der Handelsblatt-Tagung „Zukunft Retail Banking“
Die Personalkosten würden bei den klassischen Banken noch immer fast 50 Prozent der Verwaltungsaufwendungen ausmachen, hat kürzlich die Bundesbank festgestellt. Bei den Sparkassen seien es sogar 62 Prozent. „Das spiegelt das personalintensive Geschäftsmodell wider“, räumt sogar Jan Duscheck, der Verdi-Fachgruppenleiter Banken, ein.
Smarte Start-ups
Andere kommen mit einem Bruchteil des Personals zurecht. Der Erfolg von Direktbanken wie N26 oder Revolut macht die Etablierten neidisch. N26 hat sich in wenigen Jahren nach oben katapultiert. Das Unternehmen wurde 2013 von den Wienern Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal in Berlin gegründet. „Number26“, wie man anfangs hieß, war erst gar keine richtige Bank. Zunächst stellte man nur der Wirecard Bank eine Bedienoberfläche zur Verfügung. Glücklicherweise erfolgte bald die Trennung von der heute skandalumtosten Unternehmensgruppe.
Nach dem Einstieg neuer Investoren, erheblichen Produkterweiterungen und dem Erhalt einer Vollbanklizenz im Jahr 2017 verfügt N26 über 3,5 Millionen Kunden (Stand 2019). Die Bank aus der Hauptstadt wird gehypt und wurde zuletzt (2019) mit 3,5 Milliarden Euro bewertet. Damit stieg die Direktbank zum wertvollsten deutschen Start-up auf.
Auch der englische Konkurrent Revolut – mit dem gebürtigen Russen Nikolay Storonsky als CEO an der Spitze – überraschte alle. Schon beim Start 2015 zeigte man sich ambitioniert. Man wolle „eine faire und reibungslose Plattform für die weltweite Verwendung und Verwaltung von Geld“ schaffen, verkündeten die Gründer. Versteckte Gebühren gebe es nicht.
Revolution mit Revolut?
Außerdem offerierte Revolut sehr günstige Großbanken-Währungskurse. 2017 installierten die Aufsteiger von der Insel auch Girokonten. Damit verfügten die Nutzer endlich über eine persönliche IBAN. Ende 2018 erhielt das Unternehmen von der litauischen Bankenaufsicht eine spezialisierte Bankenlizenz, mit der Revolut Einlagen annehmen und Kredite vergeben kann. Inzwischen hat die Onlinebank von der Insel angeblich mehr als acht Millionen Kunden und wird mit 5,5 Milliarden Dollar taxiert. Man sei die wertvollste Fin-Tech-Firma Europas, behauptet man.
Es gibt mittlerweile Dutzende von hippen Smartphone-Banken, nur sind sie noch nicht so im Fokus wie N26 und Revolut. Es gehört durchweg zur DNA, auf Filialen zu verzichten. Der Austausch mit den Kunden erfolgt elektronisch. Die Anmeldung geht fix. Eine App wird kostenlos heruntergeladen, das Formular ausgefüllt und zurückgemailt. Das dauert kaum 15 Minuten. Geld kann man in Sekunden an andere überweisen. Auslandüberweisungen sind oft problemlos. Die abrufbaren Ausgaben werden dazu hübsch und übersichtlich kategorisiert. Und das Beste: Kontoführung und Kreditkarten sind günstig, wenn nicht kostenlos.
Kinderkrankheiten
Revolut-Antreiber Nikolay Storonsky sieht sein Unternehmen an der Spitze der Bewegung. Die Konkurrenz der Smartphone-Banken untereinander sei unerbittlich, konstatiert der CEO. In zehn Jahren werde es nur noch fünf große Player geben. Dass Revolut dazu gehört, ist für den ehemaligen Leistungsschwimmer mit Uni-Abschlüssen in Physik und Volkswirtschaft selbstverständlich. Lustvoll inszeniert sich der 36-Jährige als Schreck des Establishment: „Ich will eine wahrhaft globale Bank schaffen“, visioniert er. „Jeder Mensch auf der Welt soll die App aufmachen und ein Konto eröffnen.“ Es sei aggressiver als andere und deshalb wachse Revolut auch schneller, tönt der Durchstarter.
„Ich will eine wahrhaft globale Bank schaffen.“ – Nikolay Storonsky, CEO Revolut
Solche Anpreisungen schaffen nicht unbedingt Vertrauen. Zumal manches nicht rund läuft bei Revolut. Das Arbeitsklima, behaupten ehemalige Mitarbeiter, sei wegen langer Arbeitstage und ausbleibender Honorierungen miserabel. Auch sollen schon diverse Konten unbegründet und automatisch gesperrt worden sein. N26 leidet gleichfalls unter Kinderkrankheiten. Der telefonische Kundendienst reagiere oft nicht, heißt es. Zudem wurden ernste Sicherheitsmängel moniert.
Arno Lederer, mehr als 35 Jahre Vorstandsvorsitzender eines großen IT-Dienstleisters für Finanzinstitute, hält eine gesunde Skepsis gegenüber Onlinebanken für angebracht. Er fragt: „Was passiert da? Wer steht dahinter? Welche Zielsetzung wird mittel- und langfristig verfolgt? Wie steht es mit der Banklizenz, der Einlagensicherung, welche ausländischen Einflüsse müssen betrachtet werden? Wer sind die Zielgruppen?“
Next Generation will mehr
Mit seiner klassischen Bankverbindung sei er eigentlich sehr zufrieden, teilte Lederer dem IT-Finanzmagazin mit. Doch die neuen Akteure auf dem Markt könnten etwas bewegen. „Ich möchte bestimmte Angebote wie zum Beispiel ApplePay schneller nutzen können, als es mir klassische Banken zur Verfügung stellen“, bekennt der erfahrene IT-Experte. „Und ich will neue und innovative Technologien kennenlernen, so wie ich es auch beruflich immer wieder getan habe.“ Die traditionellen Banken müssten aufpassen, dass sie die junge Generation nicht verlören, warnt Lederer. Er wünscht sich von den Banken mehr innovative Produkte, andere Formen des Dialogs und vor allem eine Time-to-Market-Strategie. Attraktive Produktkomponenten müssten zügiger als bisher angeboten werden.
Solche Mahnungen verhallen nicht ungehört. Seit Jahren arbeiten in den eingeführten Banken viele Teams an der Modernisierung. Insider stöhnen zwar bisweilen über Blockaden, doch es geht langsam voran. Wer sich über Privat Banking und Asset Management definiert, hat dagegen Innovationen häufig schon umgesetzt. Das bringt die gewünschten Ergebnisse. So verbuchte gerade die Schweizer Großbank UBS – trotz der weltweiten Virus-Epidemie – den höchsten Gewinn in einem dritten Quartal seit fünf Jahren.
Private Banking innovativ
Der langjährige UBS-Chef Sergio Ermotti, der im November als CEO ausgeschieden ist, hat die Bank gefestigt hinterlassen. In seiner Zeit als Konzernchef – seit 2011 – wurden riskante Handelsgeschäfte zurückgeschraubt. Er setzte auf das solidere Geschäft mit Reichen und Superreichen und fuhr gut damit. Einer baldigen Fusion mit der Deutschen Bank, über die spekuliert wird, hat UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber erst einmal eine Absage erteilt. „Wir sind nicht auf Brautschau“, verkündete er stolz vor einigen Wochen.
Es geht bei den Eidgenossen längst nicht mehr nur um Profitabilität. Die Nachfrage nach einem ethisch einwandfreien Portfolio, das den ESG-Kriterien entspricht, ist bei der UBS extrem gestiegen. Natürlich setzt man bei der Gestaltung des Vermögens auch das modernste Instrumentarium ein. „Doch ohne persönliche Beratung funktioniert es nicht“, sagt Claus-Peter Schrack, Unternehmenssprecher der im OpernTurm sitzenden UBS Europe SE. „Dazu sind gerade die steuerlichen und gesetzlichen Aspekte im Wealth Management zu komplex.“ Auch junge Digital-Unternehmer legten größten Wert auf das fundierte Urteil von Fachleuten.
Geschicktes und verantwortliches Wealth Management betreibt auch die innovative französische Universalbank BNP Paribas. Marcel Becker ist 2014 in Frankfurt angetreten, das Private Banking in Deutschland auszubauen. „Unser Ziel ist es, die neue Generation Privatbank zu bauen“, sagt der Head of Private Banking Germany dem Top Magazin.
Vermögende Anleger hätten heute andere Werte. Sie wollten bei der Strukturierung und Entwicklung der Anlagen beteiligt sein und jederzeit Einblick haben. Zudem hinterfragten sie häufiger den Sinn ihrer Investitionen, auch im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit. „Unsere App erlaubt überall auf der Welt einen Zugriff auf Konten und Depots und gibt Einblick in die aktuellen Einschätzungen unserer Analysten“, berichtet der Spitzenbanker. „Wir verzichten trotzdem nicht auf eine individuelle Betreuung.“ Zu jedem Kunden gehört ein Relationship Manager, der ihn oder sie begleitet und mit Informationen versorgt – auch zu nachhaltigen Anlagemöglichkeiten.
Hybride Modelle
Das Vertrauen, das nach den ersten persönlichen Begegnungen entstanden ist, ermöglicht effiziente Beratung. „Wir arbeiten auf der einen Seite über den direkten Kontakt und ausgewiesene Expertise“, erklärt Becker. „Dazu brauchen wir aber nicht mehr die gediegene Atmosphäre aus Zigarrenrauch und Holzvertäfelung.“ Das 21. Jahrhundert ticke anders und setze auf digitale Kanäle. „Wir bieten beste Tools und IT, um optimale Ergebnisse zu erzielen.“ Ein Robo-Advisor könne die Einschätzung von Fachleuten ergänzen, aber eben nicht komplett ersetzen.
In einer geschickten Kombination aus Algorithmen und abrufbarem menschlichen Know – How liegt vielleicht der Schlüssel für die Banken von morgen. Noch genießen die traditionellen Häuser ein großes Renommee. Die Branche müsse sich aber „offensiver aufstellen“, fordert die Beratungsgesellschaft ti&m in ihrer aktuellen Studie „Banking-Trends 2020“.
Deutschlands Bank- und Sparkassenkunden erwarteten ein breit gefächertes Dienstleistungsangebot, das weit mehr als den klassischen Service umfasse, lautet das Fazit der eigenen Umfrage aus dem Sommer. Vor allem die Einsteiger wünschten sich mehr Leistungen, als sie im Augenblick erhielten. 51 Prozent aus der Altersgruppe von 18 bis 34 Jahren würden zum Beispiel eine Übersicht zu Verträgen und laufenden Kosten nutzen, wenn sie mit einer Banking-App kombiniert wäre.
„Unser Ziel ist es, die neue Generation Privatbank zu bauen“ – Marcel Becker, Head of Private Banking Germany, BNP Paribas, Wealth Management
Mehr Service gewünscht
„Der Kunde sieht in der Bank nicht nur einen Konto- oder Zahlungsdienstleister“, sagt Christoph Roßbroich, Senior Sales Executive bei ti&m in Frankfurt, in der gebotenen Klarheit. Inzwischen hätten auch die älteren Semester höhere Ansprüche an einen guten Service. Dazu gehöre auch das Integrieren von Haushaltsrechnungen und Budgetplanern oder die Zusammenfassung aller Konten an einem Ort. Mehr als jeder vierte Bankkunde wünsche dies.
Viele Finanzinstitute zögern noch, sich breiter aufzustellen. Die Bank ist zwar der erste Ansprechpartner bei der Finanzierung von Häusern, Wohnungen und Grundstücken. Gleichwohl traut man sich nicht recht, die Immobilien auch zu vermitteln. Als Dienstleistung der Bank wünscht sich das laut ti&m-Studie immerhin schon jeder Fünfte. Auch könnte die klassische Immobilien-Finanzierung der Banken viel schneller laufen, wenn die gesamte Prozesskette von der ersten Terminvereinbarung bis zum Darlehensabruf schlank und digital gestaltet wäre, glauben die ti&m-Forscher.
In den Traditionshäusern basiert eben vieles auf Papier. „Das ist geduldig,“ sagt der Volksmund. Die Kunden wären es nicht mehr, wenn bei den Banken nichts passieren würde. Aber es entwickelt sich eine Menge, auch wenn die Umsetzung etwas Zeit braucht. Eines ist sicher: Auch die klassischen Banken werden smart. Ihr Vorteil gegenüber den aufmüpfigen Mitbewerbern aus der Fin-Tech-Branche ist der Vertrauensvorschuss, der ihnen entgegengebracht wird. Sie müssen ihn nur nutzen.
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