Baiersbronn, Deutschlands berühmtestes Feinschmeckerziel, ist die zweite Etappe unserer Kulinarischen Kurzreisen. Mehr Spitzenrestaurants auf so kleinem Terrain gibt es nicht. Von Ludwig Fienhold
Die Franzosen und Belgier fallen geradezu wie ausgehungert über Baiersbronn im Schwarzwald her, weil dort selbst große Küche noch preiswerter ist als im eigenen Land. Tophotels wie das Bareiss und die Traube Tonbach müssten eigentlich zum Weltkulturerbe gehören, denn auch sie sind auf ihre eigene Weise Kulturdenkmäler und haben Vorbildfunktion für eine ganze Branche.
Das Hotel Bareiss ist ein Schlaraffenland. Der Wahlspruch des Hausherren Hermann Bareiss „Lieber mehr essen als zu wenig trinken“ wird gelebt. Das ausladende Frühstücksbuffet würde bereits manchen für viele Stunden glücklich machen, doch gibt es noch drei Restaurants mit ungewöhnlich guter Küche. Die Dorfstuben sind so etwas wie eine Visitenkarte des Schwarzwalds: erstklassige regionale Küche, strahlende Gastfreundschaft, gemütvolle Atmosphäre. Und das alles zu menschenfreundlichen Preisen. In den Bauernstuben aus dem 19. Jahrhundert breitet sich großmütterliche Seligkeit aus. Kachelofen, historische Schmuckstücke, alte Bilder und eine Uhrensammlung, die darauf hinweist, dass hier die Zeit an einer ihrer schönsten Stellen stehen geblieben ist. Der freundliche Service im Dirndl verbreitet gute Laune, ebenso der Hauswein, ein Riesling vom Weingut Jochen Beurer aus dem württembergischen Stetten. Die knusprige Bauernente aus dem Rohr auf Burgundersauce und geschmälzten Serviettenknödeln ist ein Klassiker, gleichauf mit der in Spätburgunder geschmorten Roulade vom Mitteltaler Weiderind mit Sahnepüree. Von superber Schlotzigkeit ist das Rinder-Rahmragout auf gebratenem Gemüse mit Perlzwiebeln und hausgemachten Nudeln, während das Filet vom Landschwein im Speckmantel mit Schnittlauchrahm eine Sauerei erster Klasse darstellt. Saftiges badisches Mastochsenfleisch, Tafelspitzsülze vom Milchkalb, gebratene Lachsforelle in Rieslingsauce, Murgtaler Wurstsalat mit großartigem Dorfstubenbrot nebst Ballenbutter sind allesamt Lustbarkeiten, wie man sie in der Stadt kaum noch kennt. Bratkartoffeln, handgeschabte Spätzle und Serviettenknödel werden mit Hingabe zubereitet. Die Gerichte klingen schwerer als sie sind, wobei es alle auch in kleinen Portionen gibt. Deshalb darf es auch noch ein sehr leckeres Schwäbisches Apfelküchle mit Vanillesauce und Rahm-Eis sein.
Die Entscheidung zwischen Dorfstuben, Kaminstuben und dem Bareiss Gourmet-Restaurant ist nicht nur eine des Budgets, sondern auch des Geschmacks. Ihren Preis wert sind sie alle. Während die Dorfstuben den Schwarzwald kulinarisch auf Hochniveau interpretieren, setzen die in heiteren Farben gestalteten Kaminstuben ebenso leistungsstark auf eher mediterrane Aromen. Lammrücken in Lavendel und Rosmarin mit Bohnenpüree, geschmorten Schalotten und Kartoffel-Ziegenkäsenocken sowie Seeteufelmedaillons in Olivensauce bewegen sich lässig auf Sterne-Level, was bislang aber als Bewertung verwehrt blieb. Im Gegensatz zum Gourmet-Restaurant von Claus-Peter Lumpp, der mit gleich drei Sternen im Michelin und 19 Punkten im Gault Millau ganz oben auf der Siegertreppe steht. Das Restaurant wird gerne mit üppigem Blumenschmuck dekoriert, feine Tischkultur und schönes Mobiliar stimmen festlich ein. Restaurantleiter Thomas Brandt und Sommelier Jürgen Fendt sorgen mit ihrer beschwingten und gastfreundlichen Art dafür, dass die Atmosphäre nicht staatstragend gerät. Die Weinkarte ist so gigantisch, dass man sich damit Tage beschäftigen könnte, weshalb es gut ist, mit Jürgen Fendt einen profunden Kenner an seiner Seite zu wissen, der zum Menü stets die passenden Weine glasweise auswählt und den Probeschluck nicht automatisch dem Mann, sondern gleichzeitig der Frau anbietet.
Wer mit Steinbutt, Seeteufel und Wolfsbarsch erstklassigen Wildfang aus der Bretagne bestellt, muss mit 75 € rechnen, weshalb sich viele gleich für ein Menü entscheiden – mittags vier Gänge für 128 €, abends sechs Gänge für 168 € (oder acht Gänge für 210 €). Aber aufgepasst, auch die Einzelgerichte bestehen aus drei Teilen und sind ein kleines Menü für sich. Der Wolfsbarsch beispielsweise kommt kross gebraten in Cidre-Sauce mit Nuss-Risotto und Apfelchutney und als mariniertes Filet mit Nuss-Pesto sowie confiert mit Linsen und Apfel. In der Trüffel-Saison muss man im Bareiss Gerichte mit den kostbaren Knollen aus Alba haben, die bei Claus-Peter Lumpp nicht sparsam eingesetzt werden. Ein Paradegericht ist der poélierte Steinbutt mit Brandade und weißem Trüffel aus Alba nebst Trüffelrisotto mit weißem Trüffelschaum und Steinbuttfilet in Olivenöl pochiert mit glaciertem Wurzelgemüse und Trüffelcrème. Ein famoses Wintergericht: Rücken und geschmorte Schulter vom Lamm von der Älbler Wacholderheide in weihnachtlich-würziger und mit Rotwein abgeschmeckter Cinq-épices-Sauce. Claus-Peter Lumpp, der bei den Zunftgrößen Alain Ducasse, Harald Wohlfahrt und Heinz Winkler lernte, kleckert nicht und steht für eine vollmundige Haute Cuisine mit intensiven Aromen und vitalen Saucen.
Ein Gelage vermag der Gast auch beim Frühstück zu erleben, das so großzügig und exquisit ausfällt, wie in nur wenigen Hotels auf der Welt. Gibt es anderswo eine kleine Brot-Ecke, wird hier gleich eine ganze Bäckerei mit allerbesten Waren offeriert. Toll auch die Charcuterie mit Salami, Mettwurst, Lyoner, Tiroler Bauernspeck, hausgemachte Leberwurst, gekochtem Schinken, Schwarzwälder Schinken und Parmaschinken. Frisch aufgeschnitten mit dem Rolls-Royce der Edelschneidemaschinen, einer roten Berkel. Weiter geht die schöne Völlerei mit rosa Roastbeef, Pasteten, Rostbratwürstchen, sehr guten Weißwürsten, ausgezeichneten geschmälzten schwäbischen Fleischküchle, Wild-Sülze, knackigen Krabben, Lachs und frisch zubereiteten Eierspeisen mit Speck, Schinken, Shrimps oder Lachs, wozu vielen Gästen der Bareiss Riesling-Sekt Brut schmeckt. Der wie überall im Haus flinke und fröhliche Service sorgt in der hochsensiblen und mitunter von brummelnder Müdigkeit begleiteten Frühstückszeit für eine belebende Stimmung. Der stets feingezwirnte Hermann Bareiss gehört zur aussterbenden Spezies der Bonvivants, seine genussvolle und schöngeistige Lebensart ist im ganzen Hotel spürbar.
Das Bareiss ist ein Dorf für sich, mit herrlicher Liegewiese, Innen- und Außen-Pool und Beauty-Farm. Sogar für die Kinder hat man ein eigenes allerliebstes Häuschen gebaut, in dem sie den ganzen Tag betreut werden. Daneben gibt es noch eine Ranch, Zirkuswagen, Piratenschiff und ein Baumhaus. Das Hotel bietet schicke Zimmer im Landhausstil oder traditionellem Schwarzwaldlook.
Bei so viel Schlemmerei, wie sie im Bareiss geboten wird, ist Auslauf angeraten. Die Wanderwege liegen vor der Tür. Manche führen unmittelbar zur Sattelei, einer Waldhütte mit schönen Schmankerln und Vesperplatten aus der Bareiss-Küche.
Traube Tonbach oder Bareiss? Beatles oder Stones?
In Baiersbronn ticken die Kuckucksuhren anders. In diesem wunderbar verfressenen Dorf geht es immer wieder ums Essen, jeder will seinen Gästen etwas Gutes auftischen. Der Ort besteht aus gleich zehn kleinen Gemeinden, was ihn etwas in die Länge zieht. Dennoch leben dort nur insgesamt knapp 15.000 Einwohner, wobei 10.000 Gästebetten bereitstehen. Die beiden Hotellegenden Traube Tonbach und Bareiss haben schon Küchengeschichte geschrieben, als andere noch dem Jägerschnitzel hinterherjagten. Die Patrons Heiner Finkbeiner und Hermann Bareiss haben aber nicht nur den Ort berühmt gemacht, sondern auch den Ehrgeiz vieler kleiner Hotelbetreiber entfacht. Inzwischen schmücken sich selbst Pensionen mit Schwimmbädern und Beautysalons.
Normalerweise gibt es in einem Ort dieser bescheidenen Größe einen Platzhirsch, dass es gleich zwei gibt, ist ein Ereignis seltener Art und brachte ganz Baiersbronn größte Beachtung. Die Traube Tonbach und das Bareiss mögen sich ebenbürtig sein, und doch kann man Unterschiede ausmachen. Vielleicht ist es ein wenig so, wie mit den Beatles und den Stones, die beide ganz speziell ihre Fans haben. Und vielleicht steht die Traube Tonbach für die Beatles und das Bareiss für die Stones. Das Bareiss rockt ein wenig mehr, während die Traube Tonbach ein klein wenig braver wirkt. Wie im Bareiss hat man auch in der Traube Tonbach verstanden, dass ein Hotel nicht Betten, sondern vor allem Emotionen verkauft. Da Baiersbronn ein Methusalem-Image hat, versucht man stärker als in den Vorjahren jüngere Gäste zu gewinnen, wobei diese bereits unter der 50-Jahresgrenze ausfindig zu machen wären. Der Schwarzwald-Barock der Traube Tonbach ist zwar längst Kult und gilt auch bei jüngeren Gästen als kunstvoller Kitsch, doch hat man sich nun mit dem neuen Kohlwaldhaus im stylishen Country-Look deutlich jugendlicher aufgestellt. Die 23 luftigen modernen Zimmer ziehen auch ein anderes Publikum an als die zwar sehr schönen und doch viel Schwarzwald-Folklore ausstrahlenden im Haupthaus gegenüber. Insgesamt stehen 310 Betten 310 Mitarbeitern gegenüber, entsprechend fürsorglich fällt auch an allen Stellen der Service aus. Die Traube Tonbach wird von einer geölten Maschinerie betrieben, aber einer mit bestem Olivenöl. Das merkt man bereits beim Frühstück, das von einem aufmerksamen Service begleitet wird und Köchen am Buffet, die viele Delikatessen frisch aufschneiden: bestes Roastbeef, saftigen Schweinebraten, fantastische Fenchelsalami, Serrano-Schinken und Schwarzwälder Schinken. Daneben zu haben sind noch leckere Sülze, Weißwürste mit Laugengebäck, tolle Leberwurst, Scampi, Crevetten, Lachs, Räucherfisch und Hering in Rotwein sowie hervorragende französische Rohmilchkäse nebst Birnen- und Mandarinen-Senf. Honigkresse und Basilikumkresse stehen als ganze Pflänzchen zum frisch Abschneiden bereit. Gleich ein Dutzend verschiedener Marmeladen von der Schwarzwälder Manufaktur Faller, acht Honigsorten, Himbeer- und Erdbeermousse sowie eine vorbildliche Obstauswahl mit Mango, Ananas, Melone und Pfirsich sind zu haben. Und das alles bis 12 Uhr, was schon einem Brunch gleicht. Sebastian Finkbeiner macht jetzt wie sein Vater Heiner gästegrüßend die Runde und verschafft mit sonnigen Worten auch an trüben Tagen Aufheiterung.
Die Traube Tonbach hat drei Restaurants, wobei die übermächtige und weltbekannte Schwarzwaldstube alle überstrahlt. Dabei ist die Bauernstube so etwas wie die Seele des Hotels, denn dort begann die Geschichte des Hauses 1789 als Schänke für durstige Holzfäller, Köhler, Harzbrenner und Fuhrleute. Bei einem Viertele und geschmälzten Maultaschen lässt sich in behaglicher Atmosphäre „verhocke“, was für den Schwarzwälder chillen bedeutet und ein längeres sitzen als man wollte meint. Das Traditionshotel feiert in diesem Jahr sein 225-jähriges Bestehen. Küchenchef Harald Wohlfahrt begann vor 38 Jahren seine eigene Karriere als 20-jähriger Saucier in der Traube Tonbach. Die inzwischen berühmte Schwarzwaldstube befand sich damals noch in der Planung, doch Traube-Inhaber Heiner Finkbeiner glaubte an das große Talent seines Neuzugangs und ließ Wohlfahrt 1977 ins neue Gourmetrestaurant des Hotels vorrücken. Die Bilanz nach 38 Dienstjahren zeugt vom richtigen Gespür. Als Küchenchef erreicht Wohlfahrt mit seinem Team alle Höchstbewertungen in den relevanten Gastronomie-Guides und hält diese Auszeichnungen seit über zwei Jahrzehnten – 3 Sterne im Michelin, 19,5 Punkte im Gault Millau. Harald Wohlfahrt ist ein sehr geerdeter Mensch und lässt sich nicht feiern. „Ich habe kritische Gäste“, sagt er, „und bin jeden Tag auf dem Prüfstand.“ Die 35 Plätze seiner Schwarzwaldstube sind über Wochen ausreserviert, 40 Prozent des gesamten Umsatzes werden mittags gemacht. Es wird ein unglaublicher Personalaufwand betrieben, man hat das Gefühl, mehr Servicemitarbeiter als Gäste zu sehen. Sommelier Stéphane Gass verwaltet seit über zwanzig Jahren den reich bestückten Weinkeller und weiß zu jedem Gang präzise den bestmöglich passenden Tropfen einzusetzen, was die Freude beim Essen deutlich steigert. Es gibt Gäste, die auch ein Menü mit zehn Gängen schaffen, was angesichts der zusätzlichen vorausgegangenen Appetithappen eine sportliche Leistung ist (5 Gänge 175 €, 7 Gänge 205 €). Die Amuse-Bouches sind bereits sehr delikate und aufwändig zubereitete Vorboten, allein die Variationen vom Aal zeigen Klasse, wobei die Aalschnitte mit BBQ-Lack und nussiger Sesamhippe herausragt. Harald Wohlfahrt steht zwar fest auf dem Boden der Hochküche französischer Prägung, setzt aber beim Menü aus dramaturgischen spannungsladenden Gründen hin und wieder asiatische oder orientalische Aromen ein. Bei thailändisch inspirierter Langustine und Jakobsmuschel auf Hummerrogen-Emulsion und feiner Duftreiscreme, leichter Kokosnage mit Peperoni und Koriander zeigt sich, wie mit perfekt aufeinander abgestimmten Komponenten und Gewürzen ein Gericht von großer Harmonie entstehen kann. Großartige Klassik dann wieder mit schottischer Lachsschnitte und einem separaten Stück krosser Haut, glasierten Schwarzwurzeln und Herbsttrompeten in Rotweinsauce. Der Bauch gilt beim Thunfisch als bester Teil, stellt aber auch eine größere Herausforderung für die Küche dar, da er zwar vorzüglich schmeckt, aber auch sehr gehaltvoll ausfällt. Deshalb frischen Harald Wohlfahrt und sein langjähriger Souschef Thorsten Michel die Scheiben vom marinierten Thunfischbauch und eine Gelbschwanzmakrele mit Gurken-Austern-Relish, jungen Algenspitzen und Koriandervinaigrette auf.
Chef-Pâtissier Pierre Lingelser ist eine Zunftgröße und tüftelt immer wieder Überraschendes aus, weshalb die Nachspeisen in der Schwarzwaldstube auch spürbar stark eingesetzt werden. Das süßsalzige Sauerrahm-Sorbet mit Kastanienhonig, Hagebuttenmarmelade und in süßem Jurancon-Wein affiniertem Ziegenkäse bringt ein großes Geschmackserlebnis auf kleinem Raum, wobei das Zwetschgen-Sorbet mit Glühwein-Aromen auf Gelee von Zimt-Joghurtmolke gerade gut in die Wintersaison passt. In der Schwarzwaldstube werden zwar viele Käse angeboten, doch lohnt es sich, ein warmes Käsegericht zu wählen, etwa Mozzarellaschaum auf Gewürztomatenkompott, Olivencrumble, Kirschtomaten und Pistou. Das Menü ändert sich alle zwei Wochen, sonst aber bleibt die Schwarzwaldstube stoisch souverän wie das britische Königshaus.
Faunische Küche von Jörg Sackmann
Jörg Sackmann ist der unkonventionellste Koch in Baiersbronn, dessen phantasievolle Gerichte man niemals im Schwarzwald, sondern in jeder Weltstadt erwarten würde. Inzwischen wird er von seinem Sohn Nico in der Küche begleitet, der nach Stationen bei Joachim Wissler, Harald Wohlfahrt und Thomas Bühner in den Familienbetrieb heimkehrte und dem Spitzenrestaurant Schlossberg spürbar gut tut. Vor zwanzig Jahren war Sackmann ein Restaurant (inzwischen 2 Sterne, 17 Punkte) mit Betten, jetzt ist daraus ein richtig schönes Hotel mit einladender Dachterrasse und einem asiatisch stilvollen Spa inklusive Pool geworden, das jedes Luxushotel auszeichnen würde. Gut, dass die Köche nicht nur bei den exklusiven bekannten Hoflieferanten bestellen, sondern auch bei den Bauern und Züchtern ihres Vertrauens einkaufen. Jeden Donnerstag fährt Bäuerin Schroth aus der Pfalz mit ihrem Lastwagen nach Baiersbronn und verkauft aus der gut gefüllten Ladung frisches Obst und Gemüse auf der Straße direkt beim Hotel Sackmann. Jörg Sackmann schwärmt von der Qualität, den tollen Sauerkirschen, aromatischen Erdbeeren, Gurken, Tomaten und Spargel. Und der Urkarotte, die nicht orange ist, sondern weiß oder gelb. Jörg Sackmann, der bei den Großmeistern Eckart Witzigmann und Harald Wohlfahrt gelernt hat, steht für eine ideenreiche, kombinationsstarke und heiter-sinnliche Küche (Menü 108-132 €). Bereits der große Reigen an Appetithappen stimuliert und begeistert mit jedem Bissen: Schwertmuschel mit Nori-Algen-Crostini, Anisschaum, Safran und Zitronengelee; dehydrierte Kartoffelschalen als hauchdünne Edelpommes mit Bergsauerampfer; Schweinsfußconfit mit Mango und Teriyaki-Gelee; Kalbsbries mit Artischocke und Lakritze in Limettensauce.
Extrem gut schmeckt ein würziger Galgantwurzel-Sud mit Teufelskrabbe, Finger-Ingwer und Daikon-Rettich. Brillant im Zusammenspiel sind Kabeljau, Kutteln, Alba-Trüffel, Pastinaken, Nussbutter-Schwamm und eine Sauce aus Petersilie und Birne. Ziemlich sexy fällt das Schweinekinn mit Jakobsmuschel und Steinpilzen in Zwetschgenessiggelee aus. Der saftig-zarte Rehrücken wird in Bourbon-Vanille gebeizt, von Sanddornbeeren und Spitzkohlcreme eskortiert und mit einer expressiven Rotweinreduktion veredelt. Dass Desserts nicht süß sein müssen, um gut zu sein, belegt die Küche durch Quitten-Maronenbrot mit in Salz und roten Shiso-Blättern eingelegten Umeboshi-Aprikosen, Joghurtemulsion und Quitten-Granité. Der reizende Damenservice ist erfrischend, Sommelier Teoman Mezda hat ein gutes Händchen für die passende Weinbegleitung zum Essen. Nicht nur der Baiersbronner Speiseplan ist opulent, Sport- und Freizeitangebote sind auch in Fülle vorhanden. Auf 1.100 Kilometer Wanderwegen, dem größten Streckennetz Europas, darf man sich Auslauf verschaffen, Skilangläufer können unter einem Dutzend Loipen wählen. Die Gemeinde besteht zu mehr als 80 Prozent aus Wald, den Rest teilen sich Hotels, Restaurants, Cafés und Biergärten.
Wald-Idyll mit tollen Weinen
Die schönste Terrasse von Baiersbronn hat der Ailwaldhof. Sie wurde geschmackvoll im mediterranen Look gestaltet, die Toskana und der Schwarzwald verbrüdern sich. Auch von den Balkonen fast aller Zimmer kann man den prächtigen unverbauten Panoramablick genießen. Die große Liegewiese wird durch keinen Verkehr gestört, ruhiger kann man nirgendwo in Baiersbronn relaxen. Man sieht nicht nur Fichten und Tannen, auch große alte Olivenbäume, die vor dem Haus platziert wurden. Man kann sogar Lavendel, Thymian und Rosmarin riechen. Während sonst der Schwarzwaldbarock dominiert, wird der Ailwaldhof eher von südländischer Leichtigkeit getragen. Aus einem alten Gasthof wurde ein richtig schmuckes großes Urlaubsresort – das aber immer noch ein Familienbetrieb ist. Geführt von Bernhard und Dorothea Haist, wobei sich die 77 Jahre alte Mutter Hilde beim Frühstück rührend um die Gäste kümmert, während Vater Hans-Walter weiterhin seinen Schnaps brennt, auch zur Freude der Gäste. Die herzliche, entspannte Atmosphäre verschafft eine gute Grundstimmung. Jedenfalls genau der richtige Ort, um die Sinne wieder zu beleben. Es wurden nicht nur frische frohe Farben eingesetzt, auch die sonst im Schwarzwald oft niedrigen Decken hat man im Ailwaldhof in die Höhe getrieben. Bernhard Haist kann so seine fast zwei Meter Größe besser ausfahren, aber auch die Gäste fühlen sich nicht so bedrückt. Die Zimmer sind hell und lichtdurchflutet, die Suiten mit großem Bad, integrierter Bauernstube, Erker und Balkon erscheinen besonders reizvoll.
Es geht recht gemütlich auf dem Ailwaldhof zu, genau wie man sich das vom Schwarzwald erhofft. Der Patron ist meist so entschleunigt wie er seine Gäste bei einem Aufenthalt auch gerne sehen würde. Draußen hört man höchstens den Ailbach vor sich hinplätschern. Doch an manchen Tagen landen auf dem großen Wiesengrundstück Helikopter, mit prominenten Gästen oder solchen, die so besonders schnell ans Ziel kommen wollen. Der Ailwaldhof ist zwar allein durch seine Natur ringsum ein Wellness-Refugium, bietet aber auch eine propere Spa-Landschaft mit Schwimmbad, Sauna, Kosmetik und Massageräumen. Das Wasser der Dusche kommt aus der eigenen glasklaren Quelle. Wohlsein vermittelt außerdem der wunderschöne Naturfelsen-Weinkeller, der viele Raritäten birgt, die bei optimaler Temperatur und Luftfeuchtigkeit lagern. Die Weinkarte ist animierend, es gibt viele Entdeckungen und Großes zu relativ angenehmen Preisen. Petrus, Mouton Rothschild, Lafite Rothschild, Château Latour oder Romanée Conti aus sehr vielen Jahrgängen, aber auch Spannendes aus Italien, Spanien, Australien und Kalifornien. Wer sich auskennt, wird manchen Schatz heben können. Ein preiswerter Hinschmecker mit delikater Power ist der Hauswein, eine trockene Lemberger-Spätlese von Fried Baumgärtner, dem Bruder von Dorothea Haist, die auf dem Weingut im württembergischen Hohenhaslach aufwuchs. Im Ailwaldhof gibt es nicht allein das beste Frühstücksei weit und breit, auch sonst ist die Küche bemerkenswert. Bernhard Haist hat im Bareiss gelernt, beim großen Paul Mertschuweit. Seine Gerichte schmecken nach Töpfen und Pfannen und nicht nach Kombidämpfer. „Bei uns wird tatsächlich gekocht, nicht in Niedrig-Temperatur-Garschränken Lebensmittel temperiert. Temperiert wird nur unser Wein oder Schnaps“, meint Haist. „Unser Steak hat eine Kruste und ist saftig, die Wildschweinfiletspitzen sind angebraten, trotzdem in der Mitte noch rosa.“ Natürlich hat die Küche das klassische schwäbische Programm drauf, mit geschmälzten Maultaschen, Kuttelauflauf oder Zwiebelrostbraten. Doch oft wird die Tradition kreativ bereichert. Der zarte Hirschkalbsbraten in Weißtannen-Honigsauce mit Rosmarin, frischen sautierten Pilzen, Wildpreiselbeeren und hausgemachten Spätzle ist einfach spitze. Bei den deftigen Gerichten wird mit Old School Saucen gearbeitet, sie verraten durch ihre kraftvolle Dichte den Einsatz von Knochen und Karkassen beim Zubereiten. Die Tranchen vom Wildlachs oder das Steinbeißerfilet werden dagegen nur in Olivenöl gebraten und sind mediterran luftig. Bernhard Haist setzt gerne die Kräuter seiner Umgebung ein, etwa Wiesenthymian, Mädesüß oder Adlerfarn, dessen Triebe süßlich-bitter nach Nuss und Marzipan schmecken. Nach dem Essen muss es im Ailwaldhof ein Schnaps vom 82 Jahre alten Seniorchef sein – am besten das Heidelbeerwasser, ein rares Destillat aus heimischen Beeren. Baiersbronn ist kein gewöhnliches Dorf, es ist ein eigenes kulinarisches Universum mit einigen gastronomischen Kometen.
Baiersbronn – Informationen & Adressen
Hotel Bareiss
Hermine-Bareiss-Weg, Baiersbronn-Mitteltal
Tel. 07442 – 470
www.bareiss.com
Traube Tonbach
Tonbachstraße 237, Baiersbronn-Tonbach
Tel. 07442 – 49 20
www.traube-tonbach.de
Hotel Sackmann
Murgtalstraße 602, Baiersbronn-Schwarzenberg
Tel. 07447 – 28 90
www.hotel-sackmann.de
Parkhotel & Spa Ailwaldhof
Ailwald 3, Baiersbronn-Klosterreichenbach
Tel. 07442 – 83 60
www.ailwaldhof.de
Café Erle
Murgtalstraße 195, Baiersbronn-Klosterreichenbach
Tel. 07442 – 12 23 74
www.erle-cafe.de
(Adelheid und Stephanie Barth haben aus einer alten Sägemühle ein superschönes Café mit kreativer Blumen-Boutique gemacht.)
Hotel-Gasthof Löwen
Murgtalstraße 604, Baiersbronn-Schwarzenberg
Tel. 07447 – 93 20
www.loewen-schwarzenberg.de
(Hermann Müller sorgt in seinem gemütlichen Gasthof für allerbeste traditionelle und verfeinerte schwäbische und badische Küche.)