Franz Keller hat längst der Sterne-Gastronomie entsagt und züchtet auf seinem Falkenhof im Wispertal glückliche Rinder und Schweine. Täglich steht er am Herd und sagt, das sollten alle tun. Junkfood hasst er. Ein Porträt. Von Peter Lückemeier und Helmut Fricke (Fotos)
Kaum erscheint Franz Keller am Zaun der riesigen Wiese, traben und hoppeln sie heran: Kühe, Rinder und Kälber wissen aus Erfahrung, dass es etwas Gutes zu fressen gibt, wenn der Chef des Falkenhofs bei ihnen auftaucht. Sie dürfen dann vom Biertreber kosten, einem besonders leckeren Futtermittel. Keller nutzt diesen Lockstoff, um mindestens einmal am Tag alle Tiere aus der Nähe in Augenschein zu nehmen. Er will wissen, dass es ihnen gut geht.
Die ungefähr sechzig Rinder machen einen gesunden und, falls man das als Laie so sagen darf, glücklichen Eindruck. Vielleicht ahnen sie ja, dass sie es besser haben als ihre Artgenossen in den engen Massenställen, dass sie viel mehr Auslauf haben, nicht mit Hormonen gefüttert werden und länger leben. „Rinder“, schreibt Keller in einem seiner Bücher, „die ohne Stress und in Bewegungsfreiheit aufwachsen, liefern eine deutlich bessere Fleischqualität.“ Immer wieder wundert er sich, wie aus diesem simplen Gras, das seine Tiere vom Frühjahr bis zum Herbst auf der Weide fressen, so prächtiges Fleisch entsteht.
Auch bei den Bunten Bentheimer Schweinen geht es einige Meter weiter munter zu. Fröhlich quieken Sauen und Ferkel, wuseln durch den Schlamm ihres Außenquartiers und scheinen sich ihres Lebens zu freuen, das auch hier länger währt als in der Massentierhaltung. Normalerweise werden Schweine nach fünf, sechs Monaten geschlachtet. Bei Franz Keller bleiben ihnen vierzehn, fünfzehn Monate. Sie müssen auch nicht in engen Ställen in ihren eigenen Exkrementen stehen. Zum Dank revanchieren sie sich mit bestem Fleisch, das manchmal so dunkelrot ausfällt, dass es auch für Rindfleisch durchgehen könnte.
Franz Keller betreibt nachhaltige Landwirtschaft im Wispertal
Rinder und Schweine lässt Franz Keller in einer Schlachterei verarbeiten, nur elf Kilometer entfernt vom Sitz des Falkenhofs in Dickschied, einem Ortsteil von Heidenrod im Wispertal, am Rand des Rheingau-Taunus-Kreises, genauer: in the middle of nowhere. Aber deutsches Mittelgebirge und insofern sehr schön, grün und ruhig. Das Fleisch verkauft er an Gastronomen und Gourmets, natürlich auch an die „Adler Wirtschaft“ in Hattenheim, die längst sein Sohn Franz führt. Der Patron des 14 Hektar großen Falkenhofs kocht damit für seine Gäste oder lässt daraus Corned Beef vom Rind, 200 Gramm für 5,70 Euro, im Glas machen oder in gleicher Menge Leberwurst vom Bunten Bentheimer Falkenhofschwein für 5,20 Euro, sehr schmackhaft. Natürlich ist das Fleisch der glücklichen Rinder und Schweine teurer als die Supermarktware von traurigen Tieren.
„Essen wir nur die Hälfte an Fleisch zum doppelten Preis, erzielen wir fürs gleiche Geld die bessere Qualität und tun noch etwas Gutes für die Gesundheit.“ – Franz Keller
Doch den Einwand, Menschen mit schmalem Geldbeutel könnten sich den Luxus des Bestfleisches nicht leisten, lässt Keller nicht gelten. Er macht eine einfache Rechnung auf: Wir essen doppelt so viel Fleisch, als uns guttut. Essen wir nur die Hälfte zum doppelten Preis, „erzielen wir fürs gleiche Geld die bessere Qualität und tun noch etwas Gutes für die Gesundheit.“ Der Mann, ganz klar, hat eine Mission. Er verabscheut Fast Food, Fertiggerichte und Massenqualität bei Obst, Fleisch und Gemüse; er möchte die Menschen ermuntern, nur gute Lebensmittel zu kaufen. Er will sie zum Selberkochen animieren, eine Stunde pro Tag sollte drin sein. Und nach Möglichkeit sollen die Menschen in der Küche dabei seiner Devise folgen: „Vom Einfachen das Beste.“
Buch-Tipps
- Keller, Franz (Author)
Dieser Spruch hängt auch auf dem Falkenhof in der Küche gut sichtbar über dem Herd. Ehe der Gast die Küche betritt, durchquert er den großen Wohnraum mit Fernsehecke und einem Schreibtisch, auf dem kreatives Chaos herrscht. Der Hausherr ist sein eigener Manager. Hier organisiert er seinen Tag, plant die Einkäufe und Veranstaltungen. Hier hat er auch seine beiden Bücher geschrieben: „Ab in die Küche!“ und „Vom Einfachen das Beste“ – beide plädieren leidenschaftlich dafür, sich selber an den Herd zu stellen und dabei nur gute Zutaten zu verwenden.
Kochen bedeutet für Franz Keller vor allem die Lust am Ausprobieren. Von starren Rezepten hält der Enkel einer Großmutter, die weder ein Kochbuch noch eine Waage benutzte und nur nach Gefühl würzte, sehr wenig. Wird er von ambitionierten Hobbyköchen nach Lehrbuch-Weisheiten gefragt, zuckt er oft nur die Schultern. Auch auf einen Maschinenpark in seiner Küche verzichtet er, lediglich den Pürierstab lässt er gelten.
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Genusswerkstatt Falkenhof bei Franz Keller
Der Küche im Falkenhof merkt man an, dass sie täglich genutzt wird. Ein langer Tisch bietet Platz für etwa zwölf Personen. Hier sitzen die Gäste, die bei Keller unterschiedliche Veranstaltungsformen buchen können. Zum Beispiel die Führung durch den Falkenhof, verbunden mit einem Drei-Gang-Menü und einer Lesung aus „Ab in die Küche!“ für 148 Euro pro Person, inklusive Aperitif. Oder die Küchenparty mit dem Besten aus dem Falkenhof „in vielen kleinen Portionen über die Vorspeisen bis zu den kleinen Hauptgerichten und den Desserts“, für 158 Euro. Das Glas Wein dazu gibt es ab 12 Euro. Wer kommt zu diesen Veranstaltungen, die „wie verrückt“ gebucht werden? „Genießer“, sagt Keller. Folgerichtig bezeichnet er seine Küche als „Genusswerkstatt“.
Das war in seinem Leben nicht immer so. Die Küche war für den 1950 geborenen Schwarzwälder oft auch eine Kampfzone. Das begann daheim im „Schwarzen Adler“ in Oberbergen im Kaiserstuhl, wo der Vater, der ebenfalls Franz hieß, ein hartes Regime führte. Sein alter Herr, sagt der Junior heute, sei gegenüber Dritten sehr charmant und gewinnend aufgetreten, daheim aber ein Despot gewesen. „Du wirst Koch“, habe er Franz befohlen und seinem jüngeren Sohn Fritz: „Du wirst Winzer!“
Beide folgten, das war damals so. Beide wurden erfolgreich, Franz als Sternekoch, Fritz als Chef eines namhaften Weinguts, Betreiber des von den Eltern übernommenen Sterne-Restaurants „Schwarzer Adler“ und vorübergehend als DFB-Präsident von 2019 bis 2021. Die Auseinandersetzungen zwischen Franz junior und Franz senior müssen heftig gewesen sein. Jedenfalls erhob einst der Sohn im Zorn einen Stuhl gegen den Vater. Im letzten Moment besann er sich und traf nur den Tisch.
„Ich komme vom Land und bin eher fürs Direkte. Schweine sind nicht dafür geschaffen, in der Mastfabrik auf einem Spaltenboden in der eigenen Scheiße zu stehen.“ – Franz Keller
Aufbrausend wirkt der Mann, der einem heute auf seinem Falkenhof (den er etwa im Jahr 2010 zunächst pachtete und dann kaufte) lässig in T-Shirt und Mütze gegenübersitzt, nicht unbedingt. Wohl aber gehört er dem Verein für deutliche Aussprache an. Die Lebensmittelindustrie „verarscht“ ihre Kunden. Die Popcorn-Mast in den USA ist „pervers“. Und Schweine sind nicht dafür geschaffen, „in der Mastfabrik auf einem Spaltenboden in der eigenen Scheiße zu stehen“. Angesprochen auf die Drastik seiner Ausdrucksweise, hat der Koch, Landwirt und Buchautor eine einfache Antwort: „Ich komme vom Land und bin eher fürs Direkte.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ hat ihm einmal eine „an Schroffheit grenzende Geradlinigkeit“ unterstellt – er hat gegen diese Formulierung nichts einzuwenden.
Franz Keller hat nicht immer nur das Einfache propagiert. Im Gegenteil: Er war Sternekoch, hat bei Bocuse als einer von 22 Köchen in Frankreich gelernt, Bocuse verlangte täglich zwölf, dreizehn Stunden Arbeit zum Niedrigstlohn. Im Laufe der Jahre hat Keller sich durch harte Arbeit die Michelin-Himmelskörper verdient, sein guter Ruf rief Max Grundig auf den Plan, der ihn für eine halbe Million D-Mark Jahresgehalt verpflichtete, als er aus der Bühlerhöhe bei Baden-Baden ein erstklassiges Luxushotel machen wollte. Grundig und sein Küchenchef schieden im Streit. Bis 1990 erkochte sich Franz Keller dann in der Adler Wirtschaft in Hattenheim ein Sterne-Restaurant.
Doch allmählich wurde ihm leid, was er „den Sterne-Zirkus“ nennt, die ewige Angst, die Auszeichnung wieder zu verlieren, die Öffentlichkeitsarbeit, das Blendwerk, der Kampf um die Preise, die man für beste Zutaten in Rechnung stellen muss, die extreme Arbeitsteilung in der Küche, wo lauter Spezialisten alles über einen sehr kleinen Ausschnitt der Kochkunst wissen, aber dabei das große Ganze aus dem Auge verlieren. Kurzum: Franz Keller übergab seinem Sohn die Gastronomie, wurde Landwirt, Viehzüchter, Hofbesitzer, Entertainer.
Ein üblicher Tag bei ihm sieht heute so aus: Er kommt mit relativ wenig Schlaf aus, steht zwischen 6 und 7 Uhr auf und ist dann, ehe er auf Touren kommt, erst einmal nicht ansprechbar. Auch nicht für seine Lebensgefährtin Astrid Löwenberg, die er seine Frau nennt, „weil in meinem Alter von Freundin zu sprechen etwas seltsam klingt“. Astrid Löwenberg ist vom Fach, sie hält sich nicht immer auf dem Falkenhof auf, weil sie bei der IHK in München Sommeliers ausbildet.
Den Morgen nutzt Keller, um Telefonate zu führen, Veranstaltungen vorzubereiten, gern auch maßgeschneiderte Formate auf Wunsch, Einkäufe und Vorratshaltung zu planen, Bücher zu schreiben. Zwei Helfer gehen ihm zur Hand, der eine eher technisch orientiert, der andere mehr auf die Tiere ausgerichtet. Täglich steht der Hausherr etwa eine Stunde am Herd, die Küche ist ihm „der liebste und wichtigste Raum“, das Kochen häufig ein Abfolgeprozess: „Aus einer Brühe mache ich fünf, sechs Gerichte.“
Die Mission des Franz Keller
Es lohnt sich übrigens, ihm genau zuzuhören, weil auch in Nebensätzen Weisheiten oder Kniffe verraten werden. So erwähnt er beispielsweise, dass er grundsätzlich nur mehlig kochende Kartoffeln einsetzt, weil sie geschmacksintensiver sind als die festkochenden; und dass die übrig gebliebenen matschigen Mehligen im Kühlschrank eine erfreuliche Konsistenz zurückgewinnen. Oder er erwähnt nebenbei, dass wir verlernt haben, Gemüse dann zu essen, wenn es in der Natur reift, dass Feldsalat und Endivien Wintersalate sind und man die Tüten mit vorgeputzten Salaten aus dem Supermarkt lieber meiden sollte. Er selbst bezieht sein Grünzeug von einer jungen Familie, deren toller, frischer Salat „so richtig quietscht“.
„Ernährung muss Hauptfach in den Schulen werden.“ – Franz Keller
Längst ist Franz Keller im Rentenalter, aber ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Vielleicht ist bald wieder ein Buch fällig, mit Sicherheit wird er neue Veranstaltungen rund um den Herd entwickeln, etwa Kochen für Vorstände zum Zwecke des Teambuildings. Am liebsten aber würde er – „Ernährung muss Hauptfach in den Schulen werden“ – mit einem Küchen-Bus vor die Schulen fahren und dort den Jungen und Mädchen spielerisch nahebringen, dass Kochen Spaß machen kann und gute Zutaten besser sind als Junk Food. Keller richtet sich auf und rückt seine Mütze zurecht. Darüber reden könnte er jetzt noch stundenlang. Der Mann hat schließlich eine Mission.
Weitere Informationen unter: www.falkenhof-franzkeller.de
Buch-Tipps
- Keller, Franz (Author)
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