New York will haushoch überlegen sein. Das drückt sich nicht nur in der Architektur aus, auch in der Gastronomie baut man gerne stattliche Türme. Das Pastrami-Sandwich ist essbares Gigantentum. Nichts ist kulinarisch betrachtet typischer für diese Stadt, nirgendwo schmeckt diese Kult-Delikatesse so gut, saftig und würzig wie dort.
Inhalt
Das wissen auch die US-Bürger aus Washington, Minnesota und Pennsylvania, die sich brav in die langen Schlangen vor den Türen jener Delis einreihen, die berühmt für ihre Pastrami-Sandwiches sind. Während in der nahen Carnegie Hall niemand für Konzertkarten anstehen muss, setzt der Appetit auf New Yorks schönsten Fleischberg etwas Geduld voraus.
Lotsa Pastrami
„Home of the best Pastrami in Town” verkündet vollmundig die Speisekarte im Carnegie Deli. Dort wird besonders das nach Woody Allen benannte Sandwich gepriesen, das seinen Film Broadway Danny Rose berühmt gemacht haben will und sich nur für den aktiven „Fresser“ eignet – ein vom großportionssüchtigen Deutschland geborgtes Wort. Für 14,95 bis 17,95 Dollar gibt’s „lotsa Pastrami“. Ein Pfund in krosses Roggen-Toast gedeckeltes, dünn geschnittenes, rosarotes und warmes Mastochsenfleisch.
„Ein Sandwich für Singles“
Unvergleichlich gewürzt, heiß geräuchert, saftig-zart. Harmlos wie Carpaccio aussehend, aber weit ausdrucksvoller im Geschmack. Ein Sandwich für Singles, weil man sich damit stundenlang alleine beschäftigen kann und nicht reden, sondern nur kauen muss. Die, die es geschafft haben, lächeln von den Wänden: Box-Mogul Don King und selbst der eher wie ein Vegetarier aussehende Woody Allen.
An den Tischen ist die halbe Welt versammelt, neben Amerikanern Touristen aus Tokio, London und Zürich. Für traute Zweisamkeit ist dies nicht der richtige Platz, 176 Mäuler wollen gleichzeitig gestopft sein und warten an großen blanken Tischen auf Sättigung.
Die Bedienungen wirken, als hätten sie seit Tagen keine warme Mahlzeit mehr bekommen – ein wenig brummelig und doch so flink beim Gast, um nur ja das verlockende Essen loszuwerden. Fast rund um die Uhr geht es im Carnegie Deli turbulent zu, von der „Morgendämmerung“ (6:30 Uhr) bis zum „Wahnsinn“ (4 Uhr), wie es in der Eigenwerbung heißt.
Harry & Sally
Nur einen Häuserblock weiter auf der 7th Avenue trifft man beim schärfsten Konkurrenten Stage Deli auf eine ähnlich lebhafte Atmosphäre, wobei die Pastrami noch dünner geschnitten und der obligatorisch damit bestrichene Senf einen Hauch feiner ausfällt.
Das dritte im Triumvirat der New Yorker Pastrami-Lokale heißt Katz‘s und befindet sich in der Lower East Side, wo einst das Zentrum der jüdischen Gemeinde Manhattans lag. Hier, in schweinefleischloser Gesellschaft, begann im Jahre 1888 die Erfolgsgeschichte der delikaten Ochsenbulette. Es war allerdings kein Rinderwahnsinn, der bei der Schauspielerin Meg Ryan im Film Harry & Sally die legendäre Stöhnszene auslöste, die just im Katz‘s gedreht wurde.
Wer einmal in New York Pastrami verputzt hat, wird auf immer ein unbezähmbares Verlangen danach verspüren. So einfach Pastrami aussehen mag, es steckt ein längerer Entstehungsprozess dahinter: Die Rinderbrust wird in einer gut gewürzten Lake aus Muskat, Nelkenpfeffer, Knoblauch und anderen variierenden Zutaten viele Stunden gepökelt, danach geräuchert und mit einer leichten Pfefferkörnerkruste ummantelt. Gerade der volles Aroma gebende nahezu schwarze Rand gibt eine zusätzliche Pointe.
Made in Germany
Auch in Deutschland ist der Fleischberg jetzt unübersehbar angekommen und in Handel und Gastronomie vertreten. Feinkost Käfer, Karstadt und Scheck-In bieten Pastrami an, der Wurst- und Fleischwarenspezialist Hein in Hasbergen bei Osnabrück bezieht und vertreibt US-Beef und liefert das marmorierte Mastochsenfleisch von maisgefütterten Tieren aus kontrollierter Aufzucht vor allem in den gehobenen Lebensmittelhandel und Feinkostläden
Bei „Fleischlust“ kann man Pastrami aufgeschnitten oder am Stück online bestellen. Dahinter steht die Metzgerei Seefried in Abenberg bei Nürnberg. „Bei meinem letzten New York Trip habe ich Pastrami im legendären Katz‘s-Deli kennen und lieben gelernt. Zuhause habe ich dann sofort an der Umsetzung getüftelt“, begeistert sich Martin Seefried: „Pastrami wird bei uns aus einem schönen, parierten Stück Rindfleisch aus der Keule hergestellt, gepökelt und mit Heißluft gegart.“
Lag noch vor kurzem in Delikatessenläden und Sandwichstores das Schinkenbrötchen gemütlich neben der Käsestulle, kommt heute niemand mehr ohne Pastrami als Belag aus. Nicht selten wird das Fleisch aber von zu vielen Beilagen oder gar Mayonnaise überdeckt, was sich negativ auf den Geschmack auswirkt.
Beim neuen Sandwich-Imbiss Frankfurter Pause am Frankfurter Roßmarkt wird das Pastrami-Sandwich variiert und mit süßen Zwiebeln serviert – schmeckt nicht schlecht, doch dafür braucht man kein Pastrami. Auch in der Hotellerie wird Pastrami gerne eingesetzt, zumal bei Hotels mit stark arabischer Klientel, wie dem Jumeirah Frankfurt und dem Breidenbacher Hof in Düsseldorf. Dort sind beim Roomservice schon längst nicht mehr nur das klassische Club-Sandwich zu haben, sondern Pastrami Bagels oder Pastrami-Sandwiches.
Den Hype in Deutschland mit ausgelöst hat aber vor allem eine Food Connection, die zwei Lokale betreibt: Mogg & Melzer in Berlin und Maxie Eisen in Frankfurt, die beide sogar der New York Times positiv auffielen. Die Betreiber, James und David Ardinast und Oskar Melzer, kennen jüdische Küche seit ihrer Kindheit und wollten neben anderen typischen Gerichten vor allem Pastrami zum Aushängeschild ihrer Lokale machen. Dass Frankfurt und Berlin zu den Hauptstädten des neuen Pastrami-Trends geworden sind, ist kein Zufall: Beide Städte haben eine große jüdische Gemeinde, beide sind sehr weltoffen und international aufgestellt.
Das Mogg & Melzer in Berlin entstand in einer ehemaligen jüdischen Mädchenschule und sieht trotz Designermöbeln immer noch ein wenig so aus. Alles ist von puristischer Schlichtheit, das üppige Pastrami-Sandwich ist der einzige barocke Blickpunkt. Ähnlich präsentiert sich Ruben & Carla, eine Pastrami-Bar mit forschem Berliner Service. Gastronom Ehud Cohen betreibt außerdem noch das Deli Luigi Zuckerman nach New Yorker Vorbild, in dem es neben „Israeli Style Schnitzel“ auch Pastrami-Sandwiches gibt. Auch in München haben er und seine jüdische Küche mit Pastrami Fuß gefasst: mit dem Cohen‘s, das trotz seiner abseitigen Lage in einem Hinterhof schnell Liebhaber gefunden hat.
Im Frankfurter Bahnhofsviertel, das sich nach Jahren gesellschaftlicher Ächtung immer mehr zum bunten Ausgehrevier mausert, haben James und David Ardinast und Oskar Melzer nun zwischen Puffs, türkischen Friseuren und indischen Obsthändlern ihr Lokal Maxie Eisen eröffnet. Es gleicht optisch durchaus den New Yorker Delis, die jeden Schick weglassen und sich gerade dadurch bei allen beliebt machen.
Der besonders sympathische und sehr persönliche Service verbreitet gute Laune und lässt eher amerikanische Offensive als deutsche Brummigkeit erkennen. Obwohl das Pastrami nicht mit dem New Yorker Original mithalten kann, ist der Andrang groß. Merkwürdig, dass im Maxie Eisen fast alles gut schmeckt, von den hausgemachten Pommes Frites bis zum Pulled Pork von der Schweineschulter, nur nicht so richtig das Pastrami-Sandwich. Zumindest nicht für den, der das Original in New York liebt.
Frankfurt hat eine starke jüdische Gemeinde und viele andere Konsumenten, die kein Schweinefleisch essen und sich über besondere Angebote aus Rind freuen. Einen besseren Namen als Maxie Eisen für ein Lokal dieser Location und Art hätte man nicht finden können. Maxie Eisen war im Chicago der 20er Jahre Mafioso, führender Kopf der jüdischen Fleischergewerkschaft und außerdem ein Gegenspieler von Al Capone.
Der jetzige Pastrami-Boom ist im Grunde längst überfällig. Als vor über 20 Jahren ein junger Caterer in seinem mobilen Imbisswagen auf dem Gelände der Gerbermühle in Frankfurt Pastrami-Sandwiches anbot, musste er nach nicht einmal einem halben Jahr mangels Kundschaft wieder aufgeben. Dabei kam seine aus den USA bezogene Pastrami dem Original weit näher als die vieler Epigonen heute.
Der Erfolg der Pastrami zieht immer größere Kreise. Selbst in der Frankfurter Kleinmarkthalle, in der das Schwein und seine Würstchen tonangebend sind, hat sogar Traditionsmetzger Hoos den neuen Trend entdeckt und bietet „wegen der großen Nachfrage“ inzwischen Pastrami an. Inzwischen zog die benachbarte Metzgerei Ullmann nach. Dass beide den Trend erkannt haben, ist ja ganz tüchtig, doch hätten sie sich vielleicht zuvor einmal in New York umsehen können. Jedenfalls ist das, was diese Frankfurter Metzger als Pastrami anbieten, eher so etwas wie eine Art Schinken.
Dem Ochsenfleisch mit dem famosen Raucharoma verfallen ist schon Jahren Spitzenkoch Mario Lohninger, der vor vielen Jahren das schöne Danube in New York zum Society- Treffpunkt machte und dessen futuristisches Sterne-Restaurant Silk im Frankfurter Cocoon Club zur Avantgarde in Deutschland gehörte.
In seinem Restaurant Lohninger, wo er einen wunderbaren Mix aus allerbesten Österreich-Schmankerln und Weltklasse- Gerichten bietet, gibt es jetzt sehr gute hausgemachte Pastrami-Sandwiches. „Ein Maul voll New York“, wie Mario Lohninger meint. Er benutzt dazu nicht wie meist üblich die Rinderbrust, sondern das Schulterscherzel, mithin das Gustostück von der Rinderschulter. Die saftige, hausgemachte Pastrami steckt gemeinsam mit etwas Senf in zwei Roggenbrotscheiben, Krautsalat und Gürkchen werden separat gereicht. Man kann das Pastrami-Sandwich mit Messer und Gabel essen, doch gehört es von der Hand in den Mund.
Die beste hausgemachte Pastrami gibt es in Frankfurt derzeit wohl im Bidlabu – gut gewürzt, zart, fettfrei, auf Krautsalat mit guter selbstgemachter Mayonnaise. Die Pastrami-Idee wird auch auf Fischgerichte übersetzt, die auch ziemlich gut sind. Das Bidlabu ist davon abgesehen grundsätzlich eine gute Adresse, weil dort junge engagierte Köche arbeiten, die zuvor im Tigerpalast, bei Lohninger und in der Heimat gearbeitet haben.