In der Gastro-Branche hat Jürgen Dollase einen Ruf wie Donnerhall. Deutschlands einflussreichster Restaurantkritiker zeichnet sich durch seinen eigenwilligen Schreibstil und die nahezu wissenschaftliche Akribie aus, mit der er die unterschiedlichsten Gerichte genussvoll zerpflückt. Für Top Magazin Frankfurt schreibt der äußerst unterhaltsame und polarisierende Kritiker-Papst regelmäßig als Gast-Autor. In Kooperation mit „FINE Das Weinmagazin“, Deutschlands bedeutendster Weinzeitschrift, entführt Sie Jürgen Dollase heute zu seinen fünf Top-Empfehlungen zum Thema Regionalität & Nachhaltigkeit in Frankfurt/Rhein-Main.
Rund um Begriffe wie „Regionalität“ und „Nachhaltigkeit“ hat sich in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung ergeben. Sie findet sich vor allem auch in der Gastronomie, wo es eine Vielzahl von neuen Überlegungen und Restaurant-„Formaten“ gibt und bei Weitem nicht mehr nur Brauhäuser, Dorfwirtschaften oder Weinstuben.
Das Spektrum reicht heute bei diesen Themen von traditionellen Restaurants mit regionalen Spezialitäten in verschiedenen Stufen bis zu Avantgarde-Küchen, die sich zwar mehr denn je bei den Produkten der Region bedienen, daraus aber eine völlig neue Küche mit Einflüssen aus aller Welt machen. Gerade die moderneren Küchen finden mittlerweile mit einer Art neuer gastronomischer Ästhetik auch ein deutlich jüngeres Publikum. Das ist spannend und bringt viel kulinarisches Adrenalin. Der Großraum Frankfurt hat da von allem eine Menge zu bieten.
„Gerade die moderneren Küchen finden mittlerweile mit einer Art neuer gastronomischer Ästhetik auch ein deutlich jüngeres Publikum. Das ist spannend und bringt viel kulinarisches Adrenalin. Der Großraum Frankfurt hat da von allem eine Menge zu bieten.“ – Jürgen Dollase
Das Emma Metzler etwa findet sich mitten in Frankfurt und – irgendwie sehr passend – im „Museum Angewandte Kunst“. Hier gibt es eine moderne Fassung von Regionalküche, die auf zwei Aspekten aufbaut. Einmal arbeitet man eng mit Erzeugern aus der Region zusammen, die man auch regelmäßig beim Namen nennt. In dieser engen Beziehung zwischen Küche und Produzenten entwickeln sich stabile Qualitäten jenseits der konfektionierten internationalen Warenströme. Der zweite Aspekt ist eine moderne, neue Regionalküche mit vielen zeitgenössischen Ideen. Da gibt es etwa das „Rindertatar mit Meerrettich, Liebstöckelcrème, Brösel und gehobeltem Bio-Ei“ oder ein „Freilandhuhn mit Wachsbohnenchutney, Knusperkartoffeln und Bohnenkraut.“
Im Zwei und Zwanzig in Geisenheim zeigt Koch Dirk Schritt, dass eine lupenrein vegane und nachhaltige Küche keinerlei kulinarische Einschränkung bedeuten muss. In dem ganz besonders entspannt wirkenden Restaurant in der Altstadt dieses berühmten Rheingau-Weinortes kann man in großer Freiheit von kleinen Gerichten über verschiedene vegane Burger bis zu komplexeren Kompositionen alles bekommen – und das natürlich auch noch mit guten Rheingau-Weinen.
Schritt nutzt virtuos auch Inspirationen aus mediterranen oder asiatischen Regionen, wie etwa bei der „Balance-Bowl mit Gemüse, Wildkräuter-Lupinen-Tempeh, Sonnenblumenkernen, Leinsamen und Hanf-öl“. Und wenn es scheinbar weitgehend bodenständig klingt, wie beim „Reibekuchenburger mit Röstzwiebeln, Rotkrautsalat und Trüffelcrème“, kann man an dem originellen und differenzierten Geschmacksbild sofort erkennen, warum das „22“ mittlerweile zu den besten und wichtigsten Restaurants dieser Art in Deutschland gehört.
„Bio“ und Nachhaltigkeit als komplexes Erlebnis für die ganze Familie bietet die Domäne Mechtildshausen, eines der größten Landgüter Hessens, das schon seit 1992 ein Bioland-Betrieb ist. Auf dem weitläufigen Gelände bei Wiesbaden-Erbenheim gibt es neben vielen Tieren zum Beispiel eine große Markthalle mit den Produkten des Betriebs, eine Metzgerei, eine Bäckerei, ein Café und die „Hofküche Mechtild“.
Da wundert es nicht, dass auch König Charles III hier schon einmal vorbeigekommen ist. Im – nur tagsüber geöffneten – Restaurant gibt es eine Art neue gutbürgerliche Bio-Küche, wie etwa bei der „Kräuterschaumsuppe mit grünem Kräuteröl“ oder dem „Schnitzel vom Domänen-Schwein mit Zitrone, Kapern, Preiselbeeren und Kartoffelsalat“.
Im Kraftfeld zwischen Regionalität, regionalen Produkten, Nachhaltigkeit, vegetarischer und veganer Küche hat sich auch eine extrem kreative und schon fast radikale Küche entwickelt, die kaum auf Vorhandenes setzt, sondern versucht, die ganze Palette des Essbaren neu auszuloten. Im Seven Swans in Frankfurt arbeitet mit Ricky Saward (33) einer der wenigen veganen Köche weltweit, die schon einmal mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurden.
In seltener Konsequenz geht es ihm um eine neue Art der Sensibilisierung für seine ausgeweitete Palette von Gemüse, Pflanzen, Samen, Sprossen und Co. Saward hat sogar die Gewürze radikal reduziert und verwendet nur noch Salz, um den Produktgeschmack so weit wie möglich zu erhalten. Es versteht sich von selber, dass diese Küche nie standardisiert sein kann, sondern der Saison und dem, was man vor allem aus eigenen Gärten bezieht, folgt. Vergleiche mit konventionelleren Küchen sind hier fehl am Platz, und was es im Menü gibt, erfährt man erst in dem kleinen, sehr individuell geführten Restaurant. Es heißt also sich einzulassen, zu schmecken und zu staunen, wie hoch entwickelt Gemüseküche mittlerweile sein kann.
Last not least führt natürlich kein Weg an einer Institution der traditionellen Frankfurter Küche vorbei, dem Restaurant Daheim im Lorsbacher Thal. Hier ist alles so, wie es Einheimische und Touristen erwarten, wenn sie an Frankfurter Grüne Soße oder Äppelwoi in einer immer bestens gefüllten Großgastronomie im Kneipenviertel von Sachsenhausen denken. Da gibt es dann die „Frankfurter Grüne Soße wie Daheim“, den „Salat von Rote Bete mit Forellenfilet“ oder die „Frankfurter Rippchen“.
Eine Besonderheit sind die Apfelwein-Empfehlungen zu jedem Gericht und eine sehr zu empfehlende „Häppchen-Reise“ (z. B.8 Kleinigkeiten 49,50 Euro), also quasi ein Tapas-Menü mit Frankfurter Spezialitäten.
Buch-Tipps
- Wohlfahrt, Harald (Author)
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