In der Gastro-Branche hat Jürgen Dollase einen Ruf wie Donnerhall. Deutschlands einflussreichster Restaurantkritiker zeichnet sich durch seinen eigenwilligen Schreibstil und die nahezu wissenschaftliche Akribie aus, mit der er die unterschiedlichsten Gerichte genussvoll zerpflückt. Für Top Magazin Frankfurt schreibt der äußerst unterhaltsame und polarisierende Kritiker-Papst regelmäßig als Gast-Autor. In Kooperation mit FINE Das Weinmagazin, Deutschlands bedeutendster Weinzeitschrift, entführt Jürgen Dollase Sie heute in die veganen Geschmackswelten des Restaurants „Zwei und Zwanzig“ in Geisenheim.
Vielleicht arbeiten Sie ja irgendwo im Finanzwesen und freuen sich nach der Arbeit auf ein entspanntes Essen in lockerer Umgebung. Sie wechseln das Hemd von uni nach kariert, die Schuhe von schwarz nach braun und handgenäht, oder Bluse und Kostüm nach Jeans und Sneakers. Dann fahren Sie ins kleinformatige, gemütliche Geisenheim im Rheingau, in ein veganes Restaurant namens „Zwei und Zwanzig“ und treffen auf Ihresgleichen, und das auch noch als Koch.
Dirk Schritt hat BWL studiert und bei der Deutschen Börse, Abteilung Cloud Exchange im Bereich Finance, Accounting and Controlling gearbeitet. Er hat für Freunde gekocht, und dann hat das Kochen sozusagen Überhand genommen. Vor fünf Jahren hat er sich einen großen Traum erfüllt und zusammen mit Marina Ginkel ein veganes Café eröffnet. Und weil sich das geplante Restaurant in der Wiesbadener Innenstadt nicht finanzieren ließ, ging man nach Geisenheim. Mittlerweile ist aus dem kleinen Café ein Restaurant geworden und die Beiden wurden schon für den Deutschen Gastronomie-Gründerpreis nominiert.
Mit veganer Küche haben sie natürlich auf ein sehr gutes Thema gesetzt, das im Gesamtkonsum der Gesellschaft bisher nur eine begrenzte Rolle spielt, in der Gastronomie – und dort speziell in der entspannten „Casual-Abteilung“ eine ganz große Nummer ist. Die Vorspeisenvariation (20 Euro für 2 Personen) deutet die Richtung an. Es geht weitgehend zu dem im Moment vielleicht aktuellsten Hotspot der Küche, in den östlichen Mittelmeerraum. Falafel mit Minz-Soja-Joghurt, Hummus, Aioli, Pittabrot, dazu Kimchi und warme Tofu-Albondigas mit fruchtiger Tomatensauce: Alles kommt hier präzise und klar und preiswert auf den Tisch.
Eine echte Nagelprobe ist natürlich der vegane Burger. Viele Freunde guter Küche empfinden vegetarische und vegane Gerichte als Bereicherung – schütteln aber über nachgeahmte Fleischgerichte nur den Kopf. Im „Zwei und Zwanzig“ gibt es keine verkrampften Fleischkopien, sondern einen Grünkern-Burger mit „Joppy-Sauce“ (kommt aus Holland: Mayonnaise, Zwiebel, Curry), Gurke, Zwiebel-Senfkörner-Confit und Ketchup der guten Art.
Es ist bei diesem wirklich „anderen“ Burgergeschmack, der nur ein klein wenig die fleischlichen Erinnerungszellen aktiviert, dann auch überhaupt nicht deplatziert, dass man dazu anregt, die Weinkarte des Hauses zu frequentieren. Veganer sind eben nicht zwingend Abstinenzler. Und da findet sich zum Beispiel ein beachtliches Riesling-Angebot aus Rheingau und Rheinhessen (teilweise auch glasweise angeboten) beispielsweise bis hin zu einem 2017er Riesling Kirchenstück Großes Gewächs vom Weingut Battenfeld-Spanier in Hohen-Sülzen für zivile 65 Euro/Flasche.
Große Gewächse gibt es aber auch beim Rotwein, und ganz allgemein kann man sich wundern, wie gut diese Küche vor allem mit guten Weißweinen harmoniert. Ein wichtiger Grund liegt in einer ausgewogenen Würze, die am Gaumen keine nachhaltige Schärfe hinterlässt, sondern auch für den Wein und seine Reaktionen Platz lässt.
Inzwischen serviert der freundliche und immer erfrischend informelle Service einen Kräuterpfannkuchen der unkonventionellen, deutlich individuellen und von keinen Klischees gefärbten Art mit Rucola, einer Muhammara-Paprikacreme, Radieschen, Wildkräutern und Lupinen-Tempeh. Das ist dann „Zwei und Zwanzig“ pur. Wer möchte, kann sich natürlich auch über ein Curry in gutem Thai-Stil freuen, über diverse Smoothies, Wraps oder Salate, notfalls nur kleine Gerichte, aber auch selbst zusammengestellte Menüs. Und nach dem Essen sollte immer noch eine Runde durch die Geisenheimer Gassen folgen.
Fazit
Das „Zwei und Zwanzig“ ist ein veganes Restaurant der sehr entspannten, informellen Art ohne auch nur einen Hauch von dogmatischem Anstrich. Man bekommt Essen in vielen Zusammenstellungen, mal im Stil veganer Weltküche, mal individuell, immer gut zu essen wegen einer dienlichen Würze, die den Produkten ihren Raum lässt. Die überraschend gute Weinkarte macht das Restaurant auch für Gourmets interessant, die bisher vielleicht andere Küchen bevorzugt haben.
Buch-Tipp
Für alle, die die Rezepte aus dem „Zwei und Zwanzig“ zu Hause nachkochen möchten, gibt es ab 16. Dezember das neue Kochbuch aus dem
Tre Torri Verlag:
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Print-Ausgabe. Sie wollen schneller informiert sein? Hier können Sie ein Abonnement abschließen.