Auch Demut gehört zum Beruf des Winzers. Selbst wer sein eigenes Handwerk aus dem Effeff beherrscht, bleibt auf höhere Mächte angewiesen. Denn das Wetter muss vor der Weinlese mitspielen. Die Wochen davor sind immer eine Zitterpartie. Die Angst vor einem Unwetter, vor allem vor Hagelschlag, kann einem niemand nehmen. So geht denn auch immer wieder mal der Blick zum Himmel. Sonnige Tage und kühle Nächte gelten kurz vor der Lese als ideal – wie beim Jahrhundertjahrgang 2008.
Ob es einen goldenen Herbst gibt, wird sich zeigen. Auch wenn Petrus mitspielt, wird dem Winzer kein exzellenter Tropfen geschenkt. Weinanbau ist eine Kunst. Um dauerhaft Spitzenprodukte anbieten zu können, sind neben Phantasie und Geschick auch Investitionen, Betriebsmanagement und Marketing vonnöten. Es werden andere Rebsorten gepflanzt, nachhaltige Anbaumethoden gewählt, diverse Vertriebskanäle getestet und verführerische Geschichten erzählt. Wir besuchten mit Verena Schöttle vom Weingut Chat Sauvage im Rheingau und Dirk Würtz von St. Antony in Rheinhessen zwei Protagonisten des neuen Trends. Von Thomas Zorn
Der Wein hat für die Menschen in der Region am Rhein seit jeher eine fast mythische Bedeutung. „Denn aller Wohlstand des Landes, alle Behaglichkeit des bürgerlichen Lebens und Verkehrs erwächst aus den Erfolgen und Erträgnissen des Herbstes“, schrieb der Schauspieler, Autor und spätere Wiesbadener Kurdirektor Ferdinand Heyl im 19. Jahrhundert.
Damals hatten sechs ausgezeichnete Jahrgänge hintereinander „so köstlichen Rebensaft“ ergeben, „dass den Kennern der edlen Bacchusgabe die Wahl wahrhaft schwer wurde.“ Die fröhliche Stimmung „während des Geschäfts der Lese“ schildert Heyl wortreich in einer Reportage. Beim Schneiden der Reben neckten sich Männer und Frauen und sangen dazu „wohlklingende, dreistimmige Volkslieder.“
Ganz so idyllisch geht es heute bei der Weinlese nicht mehr zu. Entweder bahnt sich der Vollernter einen Weg durch den Wingert oder angeheuerte Erntehelfer kappen in Trupps die reifen Trauben per Hand. Partylaune herrscht nicht bei der Arbeit, sondern bei den vielen Weinfesten drumherum.
Klimawandel und frühe Reife
Durch den Klimawandel geht es bereits in der zweiten Septemberhälfte richtig los. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. „Schlechte Jahrgänge gibt es praktisch nicht mehr“, konstatiert Dirk Würtz, geschäftsführender Mitgesellschafter des 60 Hektar großen Weinguts St. Antony aus Nierstein in Rheinhessen. „Wir Winzer sind die Profiteure des Klimawandels “, bemerkt er trocken. Sogar Rotwein schmecke wieder nach Rotwein. „Alles wird jetzt reif.“
Würtz will dem deutschen Wein wieder zur internationalen Größe verhelfen – wie schon vor 150 Jahren, als reiche Engländer ins Rheintal pilgerten, um sich von den hiesigen Weinen bezaubern zu lassen. St. Antony setzt vor allem auf seinen Riesling und die phantastischen Lagen am Roten Hang wie Pettenthal, Ölberg, Brudersberg, Hipping und Ortel.
Das schieferartige „Riff“ hält der gebürtige Pfälzer Würtz für ein weltweit „einmaliges“ Riesling-Terroir. Vor 280 Millionen Jahren herrschten im Raum Nierstein subtropische Verhältnisse. Die Kupferfarbe zeugt noch davon und ist auf Eisenverbindungen zurückzuführen. Als Rheinhessen vor 35 Millionen Jahren von einem Urmeer bedeckt wurde, stieg der Rote Hang wie eine Insel auf. Kalk lagerte sich ab. Später bildeten sich Steilhänge mit Böden, die für Weinanbau wie geschaffen sind. „Hier hast Du allerdings auch dreimal so hohe Kosten wie bei einem flachen Hang“, erzählt der Quereinsteiger.
Lese-Tipp
Riesling am Roten Hang
Bereits als Junge aus der Chemiestadt Ludwigshafen hatte Dirk Würtz die für seine Eltern absonderlich klingende Idee, Winzer werden zu wollen. Zunächst studierte er aber Betriebswirtschaft und Politik und näherte sich dem Wein nur über das Trinken. Danach ging er beharrlich seinen eigenen Weg. Bald schon arbeitete er bei Robert Weil als Kellermeister, machte sich dann kurze Zeit selbstständig und wechselte anschließend als Betriebsleiter zu Balthasar Ress nach Hattenheim.
Mit seiner starken Meinung, ob als Blogger oder Filmemacher, verschaffte er sich in der Weinbranche früh Gehör. Seit 2018 ist er bei St. Antony als geschäftsführender Gesellschafter tätig. Das Weingut hatte die Unternehmerfamilie Meyer 2005 vom Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN erworben.
Die Eigenheiten der einzelnen Weinberge mit unterschiedlichen Böden und Klimata wollen verstanden sein, um die bestmögliche Qualität in die Flasche zu bringen. Würtz möchte in diesem Jahr „sechs Grand Crus“ produzieren. Sogar acht große Gewächse seien für St. Antony am Roten Hang möglich, meint er. „Doch soviel nimmt der Ultra-Premium-Markt derzeit noch nicht auf.“
Lese-Tipp
- Priewe, Jens (Author)
Powertyp mit Hipsterbart
Deshalb arbeitet der Powertyp mit dem Hipsterbart an St. Antonys Profil. Man möchte bald ganz selbstverständlich zu den führenden deutschen Weingütern gezählt werden. Die ökologische Ausrichtung ist für den Veganer Würtz selbstverständlich. Auf Hefe und Enzyme wird komplett verzichtet. Seit dem vorigen Jahr ist der Betrieb auch Demeter-Zertifiziert.
Würtz, ein ausgebuffter PR-Mann, hat den Flaschen ein cooles Design verpasst. „Wir wählten ein dreigeteiltes Etikett, wie es früher die großen Weine hatten“, erzählt er. Der Schriftzug „Weinbau seit 1920“ soll die Tradition unterstreichen und Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden. Außerdem hebt der kupferfarbene Ton der Kappe das Alleinstellungsmerkmal des Roten Hangs hervor. Mit der Post versandte Newsletter und ein Hochglanz-Magazin motivieren eine Klientel, die Besonderes liebt, zum Kauf. „Das Analoge hat voll eingeschlagen“, freut sich der 50-Jährige über die altmodisch wirkende Marketing-Offensive.
Pinot im Rheingau
Auf der anderen Rheinseite vertraut Verena Schöttle vom Start-up-Weingut Chat Sauvage in Geisenheim gleichfalls auf die Mischung aus überliefertem Qualitätsbewusstsein und dem Mut, Gewohnheiten zu durchbrechen. Der Hamburger Kaufmann Günter Schulz hatte zu Beginn des Jahrtausends den Plan entwickelt, ausgerechnet in der Riesling-Hochburg Rheingau edle Burgunderweine auszubauen – Chardonnay, vor allem aber Pinot Noir. Hier soll der beste Spätburgunder Deutschlands wachsen. Als der Investor Dutzende Parzellen in Lorch, Assmannshausen und Rüdesheim kaufte, war die Skepsis der Nachbarn noch groß. „Inzwischen erkennen sie an, was wir geschafft haben“, sagt die Schwäbin aus der Ecke von Tübingen.
Verena Schöttle hat in der nahen Weinhochschule Geisenheim studiert und ist vor vier Jahren zurückgekehrt, um Chat Sauvage neuen Schwung zu geben. Seit März ist sie nun Mitgesellschafterin und kann sich über Auszeichnungen und erste schwarze Zahlen freuen. Die acht Hektar bewirtschaftet sie mit Unterstützung eines kleinen engagierten Teams.
Lese-Tipp
- Rindchen, Gerd (Author)
Aufsteiger des Jahres
Experten schwärmen von den trockenen Pinots. In Rüdesheim zeigen sie sich kompakt-herzhaft, in Lorch charmant und weich, in Assmannshausen mineralisch. Der Gault-Millau prämierte das Weingut zum „Aufsteiger des Jahres“. Und die FAZ kürte den Rüdesheimer Drachenstein Pinot Noir von 2015 zum Rotwein des Jahres. „Klimatisch sind sich das Burgund und der Rheingau ähnlich“, erläutert Verena Schöttle. „Aber wir haben mit unseren Böden und der Lagenvielfalt noch einmal eine ganz eigene Note.“
Leicht ist die Arbeit in den Steillagen allerdings nicht. „Wir investieren dort bis zu 1.000 Arbeitsstunden auf einem Hektar.“ Doch die durchtrainierte Winzerin ist glücklich, bei Chat Sauvage in aller Freiheit wirken zu können. „Es ist wie ein Sechser im Lotto.“
Event-Tipp
NATURPUR 2019
3. Oktober von 10.30 – 18.00 Uhr
Früher als Geheimtipp unter den „wandernden Gourmets“ gehandelt, lockt die Veranstaltung mittlerweile Jahr für Jahr tausende Gäste auf den Wein- und Schlemmerpfad. Ein toller Ausblick, viele Kinder, nette Menschen und eine riesige Auswahl an herrlichen Weinen lassen keine Wünsche offen. Auf markierten Wegen erwandern sich die Weinliebhaber in Etappen die Hattenheimer Flur und können an Wein- und Essensständen rasten.
Infos unter: www.weinprobierstand.de
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