Die Menschen hierzulande mögen es gern deftig. Wurstspezialitäten aus Hessen sind berühmt. Und nach wie vor beliebt – trotz des vegan-vegetarischen Zeitgeistes. Ein Blick in die Frankfurter Kleinmarkthalle genügt. Von Thomas Zorn
Hier bietet Ilse Schreiber ihre Würste an. Vor dem kleinen Verkaufsstand stehen Tag für Tag lange Schlangen. Geschäftsleute, Arbeiter und Handwerker, Alte und Junge, Männer und Frauen. „Alle sind da“, sagt die 78-Jährige. Ihr Angebot ist schlicht, aber ergreifend. Es gibt Fleisch- und Gelbwurst, Rindswurst sowie Krakauer. „Meine Wurst ist unverfälscht“, hebt das Frankfurter Original hervor. Die jeweilige Gewürzmischung sei das Besondere und bleibe ein Geheimnis. „Alles darf man nicht verraten.“
Den Kunden schmeckt jedenfalls ihre Wurstware. Geduldig stehen sie in der Reihe. Selbst der oft hungrige Kanzler Helmut Kohl, der in Frankfurt studierte hatte, schwärmte von den Schreiberschen Würsten. Dabei pries der Pfälzer sonst eher seine heimischen Fleischspezialitäten wie den Saumagen. Ilse Schreiber sieht in der „sauberen Qualität“ das Erfolgsrezept. Hinzu kommt ihre Zugewandheit und der faire Preis. 1,75 Euro pro 100 Gramm, das kann sich fast jeder leisten.
Ein bekannter Frankfurter Treffpunkt für Leute, die Wurst lieben, ist natürlich auch die Metzgerei Gref-Völsing. 1894 gegründet, gehört der immer rege besuchte Laden an der Hanauer Landstraße 132 zur Populärkultur der Stadt. Die Rindswürste sind hier das Markenzeichen. 7.000 Stück werden täglich hergestellt, tausend gehen davon über den Ladentresen. Der Rest wird über die Gastronomie und andere Vertriebswege abgesetzt.
Zunächst saß der Betrieb in der Altstadt im „Haus zum Goldenen Kalb“. Die aus reinem Rindfleisch gefertigten Brühwürste waren vor allem auch ein Angebot an die jüdische Bevölkerung, für die wegen der jüdischen Speisegesetze keine Wurst mit Schweinefleisch infrage kam.
Wurst ist Hessischer Exportschlager
Wurst war und ist kein überholtes Genussmittel. Wer es noch immer nicht glaubt, sollte eine der Filialen von „Best Worscht in Town“ besuchen. Mehr als zwanzig gibt es davon im Rhein-Main-Gebiet und darüberhinaus. Meist sind sie voll mit jungen Leuten. Verkaufstalent Lars Obendorfer machte 2017 mit seiner Kult-Kette immerhin schon elf Millionen Euro Umsatz. Nie war Curry-Wurst so hip.
Erst fing es in den neunziger Jahren ganz langsam an – mit einem Imbiss am Frankfurter Grüneburgweg. Aber dann: „Best Worscht“ ist zum hessischen Exportartikel geworden. Von ihrer Klasse sind auch die Gäste am Leipziger Platz in Berlin und in der chinesischen Metropole Shanghai überzeugt. Kenner schätzen es, dass sie den Schärfegrad der Sauce selbst bestimmen können. Die Ultra-Stufe „10 plus“ nennt sich „Vicious Vampire“ (Brutaler Vampir) und ist etwas für ganz Harte. Selbst Stufe 5 (Jambalaya) kann an heißeren Tagen schon mal den Schweiß auf die Stirn treiben. Das leckere Brot aus saftigem Sauerteig mit dunkel gebackener Kruste passt zum sehr taffen Gesamtauftritt.
Einen ausgezeichneten Ruf besitzen Wurstwaren vom Main schon lange. Vor allem das Frankfurter Würstchen hat es zu viel Ruhm gebracht, auch im Ausland. Der Name ist seit rund 160 Jahren geschützt. Nur knackig-dünne Würste aus reinem Schweinefleisch, die im Frankfurter Raum produziert wurden, dürfen in Deutschland so heißen.
Zur Herstellung zerkleinert man Schweinefleisch und Schweinespeck zusammen mit Crusheis. Mit Salz, Pfeffer, gemahlener Paprika, Muskatblüte, Koriander und Ingwer werden sie im Kutter zu einem feinen Brät verarbeitet. Das Ganze füllt man in Schafsaitlinge, dreht die Würste paarweise ab und räuchert sie, bis sie goldbraun sind. Danach werden sie erst gebrüht und dann abgekühlt, damit sie nicht schrumpelig werden. Ein Frankfurter Würstchen misst 15 bis 20 Zentimeter in der Länge und besitzt einen Durchmesser von zwei bis drei Zentimetern. Wer hineinbeißt, erkennt innen die typische rosa Färbung. Einfach lecker!
Kompliziert ist nur der Name. Denn „Frankfurter“ heißen nicht überall „Frankfurter“. Sie sind eng verwandt mit den aus Schweine- und Rindfleisch hergestellten „Wienern“, die etwas weniger weich und saftig sind. Diese werden zur allgemeinen Verwirrung in Österreich und anderen Teilen der Welt als „Frankfurter“ bezeichnet. Das ist nicht ganz falsch. Denn ein ausgewanderter Metzgermeister aus Frankfurt hat die österreichische Hauptstadt 1805 erstmals mit dieser Würstchen-Kreation beglückt. Es kommt noch toller: Sogar der Hotdog hat einen Bezug zu Frankfurt. Er soll hier 1847 erstmals serviert worden sein. Karriere hat er aber dann erst in den USA gemacht.
Wurst hat in Hessen Tradition
Würste haben in Frankfurt schon immer eine große Rolle gespielt. Seit dem Mittelalter werden sie als Spezialität gelobt. Die Stadt wollte den Menschen etwas bieten, ob während der jährlichen Messen oder bei den nur gelegentlichen Kaiserkrönungen. Die Inthronisierung des Reichsoberhaupts war ein Riesenevent. Das Volk auf dem Römerberg wurde üppig verköstigt. Wein floss in Strömen aus den Brunnen und die Ochsen am Spieß waren prall mit Bratwürstchen gefüllt. Die Menge, die sich damals Fleisch nur selten leisten konnte, konnte sich noch Jahre später an den köstlichen Geschmack erinnern.
Nicht nur Frankfurt, ganz Hessen besitzt reichlich Erfahrung in der Wurstfabrikation. Die älteste Metzgerei liegt in Fulda am Abtstor. Christoph Schneider führt den Familienbetrieb, der 1320 erstmals urkundlich erwähnt wurde. „Sie finden bei uns täglich Fleisch- und Wurstspezialitäten aus eigener Herstellung wie frische Hausmacherwurst, Schwartenmagen oder Knobelinchen“, sagt der 55 Jahre alte Chef. „Bis heute werden sie noch nach traditionellen Rezepten hergestellt, die über Generationen weitergegeben und entwickelt wurden.“ 90 Prozent des Fleisches stamme aus der Region, berichtet er. Eine lange Geschichte und moderne Vermarktungsmethoden verbinden sich bei Schneider in Fulda. Der Partyservice ist stark nachgefragt.
Auch die Feinkost-Fleischerei Rohde aus Kassel ist stolz auf Überliefertes. Die in Nordhessen verwurzelte „Ahle Worscht“ wird noch auf althergebrachte Weise gemacht. „Wir arbeiten authentisch handwerklich“, sagt Inhaber Benjamin Rohde.
„Ahle“ bedeutet im Dialekt alte und deutet daraufhin, dass diese exzellente Dauerwurst sehr lange gelagert werden kann. Die „Ahle Worscht“ gehört fest zur Kultur Nordhessens. 2004 wurde sie von der Initiative Slow Food in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen.
Die „Ahle Worscht“ passt in die Landschaft. Früher hielten viele nordhessische Familien ein oder zwei Schweine, um sich zu versorgen. Sie wurden mit Küchenabfällen ernährt oder in die Wälder getrieben, wo sie Eicheln und Bucheckern verspeisten. Im Spätherbst oder Winter wurden sie dann geschlachtet. Das grob gewolfte Fleisch würzte man mit Salz, Pfeffer und Salpeter, gelegentlich auch noch mit Muskat, Nelkenpfeffer, Zucker, Knoblauch, Rum, Weinbrand und Kümmel. Das Brät stopfte man anschließend in Därme verschiedener Größe. Je nach Dicke der Wurst dauerte die Reifezeit zwischen zwei und neun Monaten.
Es gibt nicht mehr viele, die eine richtige „Ahle Worscht“ produzieren können. Rohde in Kassel beherrscht es. Dort gibt es das klassische Sortiment: Die kleine und die große „Stracke“, „die Runde“ und die „Herkuleskeule“.
Natürlich locken noch viele andere Wurstsorten aus Hessen wie die vor allem im Werra-Meißner-Kreis populäre grobe Bratwurst. Oder die 1907 in Frankfurt kreierte Zeppelin-Leberwurst, die nach dem Luftschiff-Entwickler benannt wurde. Ein Geheimtipp ist Weckewerk. Es besteht im Wesentlichen aus Schlachtabfällen, Brötchen, Zwiebeln, Knoblauch und ein paar anderen Gewürzen.
Auch wer dem Fleisch abgeschworen hat, muss nicht auf seine Extra-Wurst verzichten. In der Metzgerei von Michael Spahn in Frankfurt-Bornheim beispielsweise haben Veganer eine reiche Auswahl. Natürlich finden sich dort auch „Frankfurter“ und „Bernemer“ auf pflanzlicher Basis. Wenn es um die Wurst geht, findet der Hesse eben immer einen Weg.
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