Nur drei Prozent aller Piloten sind Helikopterpiloten, davon gerade mal ein Prozent Frauen. Andrea Pooch ist eine von ihnen. Die Frankfurterin hat vor drei Jahren ihre Berufspilotenausbildung in den USA abgeschlossen. Ob über Mallorca oder Miami, Berlin oder Beverly Hills: Wenn Andrea an die Kontrollen greift und den Rotorkopf in Bewegung setzt, um einen Hubschrauber zu starten, ist die studierte Betriebswirtin in ihrem Element. Über Frankfurts Skyline, unter knatternden Rotorblättern, erfuhr TOP Magazin, wie die Lufträume über den schönsten Städten und Gegenden dieser Welt zu Andrea Poochs natürlichem Lebensraum geworden sind.
Andrea Pooch trägt Pilotenbrille, dunkelblaue Hose, eine strahlend weiße Bluse mit Schulterklappen und weiße Sneakers von Ralph Lauren. Sneakers sind ihre große Leidenschaft – etliche besitzt sie: „Ich liebe Sneakers, auch zum Kleid. Hohe Schuhe trage ich nur zu besonderen Anlässen.“ Vier goldene Schulter-Streifen weisen sie hier, auf dem Flugplatz Egelsbach, als PIC, Pilot in Command, aus. Heißt: Die sportliche Blondine ist bei unserem Flug der verantwortliche Luftfahrzeugführer. Wenn Andrea keine Pilotenuniform trägt, wird sie auf dem Flugplatz auch schon mal für einen Fluggast gehalten: „Mir ist schon passiert, dass der Tankwart am Heli auf den Piloten wartet, obwohl ich bereits neben ihm stehe“, lacht sie. „Hubschrauber fliegen ist immer noch eine Männerdomäne, weil es so wenige Pilotinnen gibt.“ Sie lacht: „Einmal, bei einem Filmdreh, hat mein Fluggast bis zur letzten Minute gedacht, die Situation sei ein Prank. Dabei hatte ich sogar eine Pilotenuniform an!“
Das pure Vergnügen
Mit einer leuchtend blauen Robinson R44, einem einmotorigen Viersitzer, wollen wir zur Skyline fliegen. „Wenn ich die Erlaubnis bekomme, fliegen wir über Frankfurt den Main entlang, zum Greifen nah an den Türmen vorbei und genießen den Blick auf die Skyline. Zwischendrin bringe ich den Hubschrauber in der Luft zum Stehen und mache einen 360-Grad-Turn auf dem Punkt, um zurück nach Egelsbach zu fliegen“, erklärt Andrea. Ein Piloten-Kunststück? Ach was, lacht Pooch – ganz normal. Das pure Vergnügen.
Ein riesiger Mixer
Sommerflirren und strahlend blauer Himmel – ein idealer Flug-Tag, oder? „Jeder Tag, den man fliegen kann, ist ein idealer Tag“, sagt die Pilotin ganz unaufgeregt. „Es kann auch bei schönstem Wetter was schief gehen. Aber wenn man gut im Training ist und weiß, was man macht, ist das überhaupt kein Problem.“ Und damit das auch die Passagiere wissen, gibt Andrea erstmal eine Einweisung, was im unwahrscheinlichen Falle eines Notfalles zu tun ist. Grundsätzlich vor jedem Flug – auch wenn die Gäste alte Heli-Hasen sind. „Wenn was wegfliegt, Handy, Brille oder so, bitte nicht hinterherhechten und einfangen. Über uns ist ein riesiger Mixer, da möchte man keinen Kopf und keine Hand drin haben,“ erfahren wir und steigen gebückt und ehrfürchtig ein.
Frankfurt, L.A., Grand Canyon
Die Skyline Frankfurt ist eine ihrer Lieblingsrouten, neben Downtown L. A. und dem Grand Canyon in Arizona. „Wir sind heute auf 1.500 Fuß unterwegs, das sind 450 Meter, was relativ niedrig ist. So können wir viel sehen und erkennen“, erklärt sie, während sie den Helikopter von außen inspiziert. Metallnähte, Verankerungen und Verstrebungen müssen anhand der Pre-Flight-Checklist sorgfältig geprüft werden. Sind Kabel und Schrauben fest an ihrem Platz, sitzt der Rotorkopf stabil? Als Andrea auf dem Pilotensitz vorne rechts Platz nimmt, fliegt ihre Hand mit den rot lackierten Fingernägeln routiniert über die Armatur – der obligatorische Master Battery Switch vorm Start. Gecheckt werden Tankfüllung, Öldruck, Öltemperatur, Zylinderkopftemperatur, Hydraulikstände, Warnlampen, Warntöne und, und, und. „Man muss jede Leitung, jede Sicherung, jede Schraube kennen. Und alle Verfahren auswendig wissen: Im Falle eines technischen oder mechanischen Fehlers hat man keine Zeit, die Checkliste zu studieren. Wenn ein Problem auftaucht, muss ein Heli-Pilot aus dem Kopf wissen, was zu tun ist. Im Gegensatz zu einer Flugzeugbesatzung sind Hubschrauberpiloten Singlecrew, nicht Multicrew.“ Wir sind beeindruckt.
Schwebefreigabe vom Tower
Während sie die langen blonden Haare mit den Händen zurückstreift und mit einem schlichten Gummi zum Zopf bindet, dreht Andrea Pooch sich zu den Fluggästen um und lacht: „Die R44 ist unser Rundflugsofa. Sie hat ein schönes, weiches Rotorsystem, das ist wie Limousine fliegen, sehr angenehm für den Fluggast.“ Und: „Ich freu mich riesig auf jeden einzelnen Flug. Dieses Glücksgefühl nutzt sich einfach nicht ab. Aber sobald ich den Hubschrauber starte, bin ich hoch konzentriert und überwache alle Werte bis zur Schwebefreigabe vom Tower.“
Delta Hotel Hotel Mike Bravo
Wir steigen hoch, Gebäude, Autos, Menschen und Bäume werden sekündlich kleiner. Die Welt wird weiter. Der Blick über Felder, Wiesen und Wälder im Süden Frankfurts – grandios. Als der Main in Sichtweite kommt, meldet sich Andrea über Kopfhörer am Rhein-Main-Airport. „Frankfurt Tower for Delta Hotel Hotel Mike Bravo, Position Offenbach request City Routing.“ Es rauscht, eine Männerstimme antwortet: „Mike Bravo, your traffic is a seven four seven on short final for twentyfive right…“ Internationale Luftrecht-Sprache, die für ungeübte Ohren wie aus einem Agententhriller klingt. „Roger Mike Bravo. QNH one zero one niner, Squawk tripple four seven, cleared for city routing…“ Das Go – Andrea darf den Hubschrauber in den Frankfurter Luftraum steuern. Und neigt ihn mit dem Stick und dem Collective, der aussieht wie eine Handbremse, lässig-elegant nach links – als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Einige tausend Fragen und Antworten – auf Englisch – hat sie für ihre Fluglizenz gebüffelt. Aerodynamik, Mechanik, Meteorologie, Luftrecht, Medizin – die theoretische Heli-Ausbildung ist dieselbe wie als Flugzeugführer und dauert zwischen zwei und drei Jahren. Andrea schaffte ihre Privat- und Berufspilotenlizenz in Los Angeles in Kalifornien. Kein leichtes Terrain für den Anfang: L.A. ist der meistbeflogene Luftraum der Welt.
Hausboot mit Heli-Landeplatz
„Für mich war immer klar, dass ich meine Ausbildung auch in Amerika mache. Dort hast du als Hubschrauberpilot viel mehr Freiheiten“, sagt Andrea: „Mit der amerikanischen Pilotenlizenz kann man überall landen. Zum Beispiel am Golfplatz, Restaurant oder Strand. Viele Häuser und sogar Hausboote haben einen Heli-Landeplatz“, erklärt Andrea mit leuchtenden Augen. „In Deutschland darf man mit wenigen Ausnahmen nur von Flugplatz zu Flugplatz fliegen. Hier würdest du schnell Besuch von der Polizei bekommen, wenn du irgendwo an einem Fluss oder einer Wiese landest. In den USA hingegen sind Helikopter alltägliche Verkehrsmittel, es gibt sogar Uber Heli. Von Orange County nach Beverly Hills fährt man im Auto drei Stunden. Ein Heli-Flug mit Start und Landung dauert 30 Minuten, eine fantastische Aussicht inklusive.“
Hollywood-Sign zum Greifen nah
Heli fliegen von A nach B ist für Leute mit viel Geld und wenig Zeit auf der ganzen Welt selbstverständlich. Andrea hat schon etliche geflogen. Auch VIPs, aber zu Namen schweigt sie diskret. Mit Piloten des Los Angeles Police Department (LAPD) war sie im Rahmen der Oscar-Verleihung über dem Walk Of Fame im Einsatz. Observierte flüchtige Straftäter aus der Luft, half den Cops am Boden bei Verfolgungsjagden auf dem Highway. Über der Stadt schweben, den Kollegen am Boden Air Support geben, mit dem Fernglas Verdächtige aufspüren, über Downtown L.A. in der Luft stehen, das berühmte Hollywood Sign zum Greifen nah – Erlebnisse, die Andrea Pooch für nichts in der Welt eintauschen würde.
Überlegt unsereins, ob er lieber Ferien in den Bergen oder am Meer macht, ob er Golf spielen oder Skilaufen will, sucht sich Andrea ihre Urlaubsorte danach aus, ob sie dort Hubschrauber chartern kann. Trotzdem will die Inhaberin eines Unternehmens für Versandhandel und Marketing nicht im Hauptberuf Pilotin sein: „Es gibt viele Piloten, die sitzen den ganzen Tag und warten, dass jemand vorbeikommt und einen Rundflug bucht. Oder sie üben als Fluglehrer stundenlang Starts und Landungen. 08/15-Routine ist nichts für mich. Fliegen ist meine Passion, mein bezahltes Hobby. Ich will mich auf jeden Flug freuen können und entscheiden, welchen Job ich annehme.“
Million-Dollar-Shots für GoPro
Beim World Club Dome übernahm Andrea an der WM-Arena als verantwortlicher Flughelfer die Aufgabe des Towers und sorgte dafür, dass die Piloten mit den DJs und VIPs an Bord sicher starten und landen konnten. Einer ihrer Traumjobs war ein Auftrag von GoPro: Über die Rocky Mountains von Utah, Nevada, Idaho, Montana und Wyoming fliegen, der Heli bestückt mit Kameras, auf der Jagd nach spektakulären Aufnahmen von Bären, Wölfen und Bergziegen in freier Natur. Oder wagemutigen Skifahrern, die sie zuvor auf gigantischen unberührten Schneehängen abgesetzt hat. Ein harter Job, der Konzentration, Präzision und Können erfordert, denn für den Million-Dollar-Shot aus ungewöhnlichen Kameraperspektiven müssen aufwendige Flug-Aktionen bewältigt werden. „Ich war jeden Abend total platt. Die Arbeit mit den GoPro Ambassadors war das schönste Erlebnis – für diesen Moment. Aber ich will nicht gezwungen sein, es jeden Tag zu machen“, sagt Andrea.
In der Luft stehen
Schon als kleines Mädchen träumte Andrea vom Fliegen – Pilotin oder Astronautin wollte sie werden: „Als Dreijährige war ich mit meinen Eltern in Berlin und wir standen vor einem Schaufenster, in dem lauter kleine Flugzeuge standen. Ich weiß diesen Tag noch wie heute. Ich war total fasziniert und wollte alles über Flugzeuge wissen. Mein erster Flug in den Urlaub, mit zehn, der erste Start, der Schub, das Abheben – da wusste ich zu 1.000 Prozent, dass ich Pilotin werden möchte. Fliegen ist für mich kein Arbeiten. Ich habe Spaß daran und werde für meinen Spaß bezahlt!“ So wie Hunderttausende Frauen von der Vielseitigkeit der Birkin Bag schwärmen, schwärmt Andrea von der Wendigkeit, den Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten eines Hubschraubers: „Du kannst vorwärts und rückwärts fliegen, in der Luft stehenbleiben. Dir alles anschauen von oben. Du bist viel näher über der Erde als mit einem Flugzeug und siehst Wale und Delfine im Pazifik vor L.A, die Geysire im Yellowstone Park. Und die G-Kräfte spürst du viel intensiver als im Flugzeug, was ich unglaublich faszinierend finde.“ Ihre Eindrücke und Erlebnisse teilt sie auf Instagram unter @andreapuccinelli.
Punktgenaue Landung
Die gebürtige Nordhessin arbeitet momentan an Ihrer Ausbildung zur Verkehrshubschrauber-Pilotin, womit sie unter anderem als Rettungshubschrauber-Pilotin arbeiten kann: „Jeder sollte mit seinen Fähigkeiten auch Gutes bewirken. Ich weiß, dass ich einen Heli an verwinkelten Orten und in unwegsamem Gelände sicher und präzise landen kann.“ Dass sie sich auf tricky landings versteht, hat Andrea eindrucksvoll an der weltberühmten Flussschleife Horseshoe Bend im Grand Canyon in Arizona bewiesen, als sie punktgenau auf einem Plateau am Green River aufsetzte. Unbedingt will sie mal einen Helikopter über New York steuern, über Island, Grönland, Alaska und Hawaii. Und, als Krönung – in die leuchtende Polarnacht fliegen. Kein Zweifel, dass Andrea Pooch ihre Heli-Träume wahr machen wird.
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