Die Mischung aus Benzin und verbranntem Gummi. Das Herzklopfen während der verheißungsvollen Stille zwischen den Runden. Die wummernden Motoren, wenn die Boliden röhrend vorbeiziehen. Oldtimer – für die einen sind es alte Autos, für die anderen Schätze aus Rost und Chrom. Wir haben die Leidenschaft zwischen Überschall und Unvernunft unter die Lupe genommen, mit Rennsportprofis gesprochen und der „grünen Hölle“ zum 45. AvD Oldtimer-Grand-Prix einen Besuch abgestattet.
Inhalt
Juan Manuel Fangio. Der Name stand am Anfang der Laufbahn von Rennsport-Fotograf Werner Eisele, der sich als Teenager dazu entschloss, über 300 Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren, um seinem großen Idol zu begegnen.
Drei Tage dauerte die kräftezehrende Tour von Stuttgart nach Nürburg, wo im Jahre 1955 das legendäre Eifelrennen stattfand. Die Nächte verbrachte er in einer beengten Cola-Hütte, schmunzelnd tolerierte das Personal den jungen Rennsportfan.
Als Fangio von der Begebenheit hörte, machte er Eisele ausfindig, um zu bekennen: „Diese Geschichte werde ich nie vergessen!“ Ein anderes Mal schlich sich der junge Stuttgarter unter dem Vorwand, seinem Onkel das vergessene Vesper zu bringen, in das Zuffenhausener Porschewerk. „Dort habe ich zum ersten Mal einen echten Porsche-Werksrennwagen gesehen“, erinnert sich der heute 79-Jährige zurück.
„Porsche war mein Wohnzimmer“
Der 24. Juni 1960 sollte schließlich zum Startschuss seiner Karriere werden. Mit einer einfachen Kamera, einem Erbstück seines Vaters, pilgerte er zum Stuttgarter Solitude-Rennen. Am frühen Morgen harrte der junge Eisele im grünen Fahrerlager, einer Kuh- und Pferdewiese, aus. In der Hoffnung, eines seiner großen Vorbilder vor die Linse zu bekommen.
Und tatsächlich rollte kurze Zeit später die Ikone Wolfgang Graf Berghe von Trips in einem Ferrari 250GT auf ihn zu. Er drückte ab und fing einen historischen Moment ein. Mit einem Durchschnittstempo von 164 km/h schoss der Graf kurze Zeit später als Sieger durch das Ziel auf der Solitude.
Fasziniert von dem jungen Fotografen wurde Huschke von Hanstein, damaliger Motorsportchef bei Porsche, auf Eisele aufmerksam und beauftragte ihn mit einer Fotostrecke. Kurze Zeit später wurde er zum Werksfotograf des Stuttgarter Sportwagen-Herstellers. „Porsche war mein Wohnzimmer“, sagt der Rennsportfan, der bis heute eng mit dem VW-Patriarchen Ferdinand Piëch verbunden ist.
Triumphe und Tragödien
In den nachfolgenden Jahrzehnten prägten seine Porträts die Welt des Rennsports. Jim Clark, Jacky Ickx, Sir Jackie Stewart, Jim Hall, James Hunt, Niki Lauda, Michael Schumacher. Die Liste der Rennsport-Ikonen, die Werner Eisele porträtiere, ist endlos und beeindruckend.
„Racing is life. The rest is waiting.“ – Jim Clark †, Formel 1-Pilot
Vor seiner Linse spielten sich Triumphe und Tragödien ab. Glorreiche Siege und bittere Niederlagen waren untrennbar mit einer Zeit verbunden, in der die Formel 1 noch als schmutzig, gefährlich und wenig kommerzialisiert galt.
So war er einer der Ersten am Unfallort, einem kleinen Waldstück am Hockenheimring, an dem der britische Rennfahrer Jim Clark am 7. April 1968 sein Leben verlor.
Bis heute erinnert er sich genau an den metallischen Schlag, den zerschellten Lotus und den Körper von Clark inmitten der zerfetzten Karosserieteile. „Beim Anblick des Wracks lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich schämte mich meiner Tränen nicht.“
Graf von Dönhoff: Urvater des Oldtimer-Grand-Prix
Einem Leben für die Geschwindigkeit hat sich auch Hubertus Graf von Dönhoff, Gründervater des AvD Oldtimer-Grand-Prix, verschrieben. Aus einem kleinen privaten Treffen, das Dönhoff Anfang der 70er-Jahre auf dem Nürburgring organisierte, wurde eine der bedeutendsten historischen Rennveranstaltungen in Europa, das alljährlich um die 50.000 Zuschauer in die „grüne Hölle“ zieht.
„Damals existierte in Deutschland gar keine richtige historische Rennszene. Deshalb habe ich mit ein paar Gleichgesinnten beschlossen, den Nürburgring für einige Tage zu mieten, damit wir unsere Autos einmal richtig bewegen können“, erinnert sich der Graf. „Das sprach sich schnell herum und der Oldtimer-Grand-Prix wurde zum Selbstläufer.“
45 Jahre ist es her, dass der Nürburgring unter Graf von Dönhoff zum Schauplatz historischer Rennwagen wurde. Auch heute noch organisiert er das legendäre Oldtimertreffen, das wir vor Ort erkundeten. Aus 20 Fahrzeugen sind mittlerweile knapp 500 geworden, die in 20 rasanten Rennen, Fahrzeugparaden, Ausfahrten und Demonstrationsrunden präsentiert werden.
Von den ältesten Rennwagen des Oldtimer-Grand-Prix aus den Jahren 1908 und 1909 über einen Kompressor-Mercedes-Benz, mit dem Rudolf Caracciola vor 90 Jahren das Eröffnungsrennen des Nürburgrings gewann, bis hin zum BMW-Sportwagen „Großer Werkmeister“ aus der frühen Nachkriegszeit – die Palette der ausgestellten Fahrzeuge beeindruckte.
Als besonderer Höhepunkt des Oldtimer-Grand-Prix gilt das Rennen am Samstagabend, in dem sich zweisitzige Rennwagen und GTs bis 1960/61 duellieren. Nach dem traditionellen Le-Mans-Start, bei dem die Teilnehmer im Moment der Startfreigabe nicht in ihren Fahrzeugen sitzen, sondern hinter einer Startlinie stehen, schossen dann seltene Modelle wie ein Maserati
450S, ein Porsche 550 oder Alfa Romeo T2 in der Abenddämmerung über die Rennstrecke – die Nase vorn hatte schließlich ein Maserati Tipo 63, der den nachfolgenden Lotus 15 mit einer Gesamtzeit von 1:06:55 hinter sich ließ.
A man’s world?
This is a man’s world – der Gedanke drängte sich während unseres Besuchs des Grand-Prix schnell auf. Ob auf den Zuschauerrängen oder in den Cockpits – die männliche Fraktion dominierte klar.
Dass Frauen auf der Rennstrecke aber keineswegs nur als Grid-Girls, sondern auch hinter dem Steuer eine gute Figur machen, davon überzeugte uns Nicola Charlotte Gräfin von Dönhoff, die wir kurz vor dem Start des Rennens „AvD-Tourenwagen- und GT-Trophäe in der Box trafen.
„Die Begeisterung für den Rennsport wurde mir in die Wiege gelegt“, erzählte die Tochter von Graf Hubertus von Dönhoff, die den Oldtimer-Grand-Prix mit einem knallroten Alfa Romeo Giulia S bestritt.
„Trotzdem fühlt man sich als Frau im Motorsport oft alleine. Entweder du wirst als Boxenluder wahrgenommen, oder die Männer sorgen sich darum, dass du die Autos kaputtfährst“, kritisiert die Rennfahrerin, die seit 30 Jahren im Motorsport mitmischt.
Ihre Erfolge und Dienste für die Szene beweisen das Gegenteil. Sie war maßgeblich an der Etablierung des in diesem Jahr erstmals ausgeschriebenen „Generations-Cup“ für Fahrzeuge von 1947 bis 1975 beteiligt, bei dem Eltern mit ihren Kindern an den Start gehen.
„Einerseits zeichnet sich der Cup durch eine besondere familiäre Atmosphäre aus, andererseits werden so auch jüngere Menschen an den Sport herangeführt“, erklärt Nicola Charlotte Gräfin von Dönhoff ihr Engagement.
Alter Adel, historisches Blech
Ebenfalls zum hohen deutschen Rennfahreradel gehören Franz Graf zu Ortenburg, Christian Graf von Wedel und Marcus Graf von Oeynhausen-Sierstorpff. Sie haben sich zum „Gotcha Historic Racing Team“ formiert und präsentieren auf dem Oldtimer-Grand-Prix regelmäßig ihr Können.
Besser unter dem Namen „Drei Grafen-Team“ bekannt, heizen die drei Frankfurter bereits seit 20 Jahren über die Rennstrecken. Ihr Markenzeichen: mintgrün lackierte Oldtimer. Darunter Schmuckstücke wie ein Jaguar E-Type Lightweight, ein Austin Healey oder Ford GT 40.
Mittlerweile sind die Rennfahrer alte Nordschleifen-Hasen. Im großen Gotcha-Zelt tummeln sich längst nicht mehr nur langjährige Wegbegleiter und Mitstreiter, sondern auch viele Fans mit Poloshirts in den Farben des Racing Teams.
Ebenfalls immer an der Seite des Teams: Graf Hermann Stoltenberg, der die organisatorischen Geschicke der Rennfahrer seit vielen Jahren mit Herzblut delegiert und uns zu Christian Graf von Wedel führt, der gerade von einem Rennen zurückgekehrt ist.
„Hier geht es um Geschwindigkeit, um das richtige Handling der Rennwagen und natürlich um den Wettbewerb“, erklärte Graf von Wedel, der sich mit seinem Kompagnon Franz Graf zu Ortenburg im Rahmen des Rennes „Gentlemen Drivers – GT bis 1965“ den 12. Platz sicherte. Auch abseits der „grünen Hölle“ lässt von Wedel gerne mal den Asphalt glühen. Am liebsten mit seinem Sohn auf der Wächtersbacher Kartbahn.
Der Hightech-Pionier
Nicht weit von Wächtersbach entfernt begann in Frankfurt am Main vor fast 50 Jahren der Aufstieg von Auto-Veredler Rainer Buchmann. Als BMW eine kleine Werkstatt im Sandweg Nr. 82 aus Platzgründen räumte, ergriff der Autoliebhaber und Sohn eines Frankfurter Maßschneiders die Chance und zog mit seinem Tuning-Betrieb „bb Auto Exclusiv Service GmbH“ in die Räumlichkeiten.
Schnell füllte der junge Unternehmer die leeren Hallen mit Leben. Er stellte fähige Mitarbeiter ein, die der Marke bb zu rasantem Auftrieb verhalfen. Buchmann beherrschte die Kunst des An- und Abwerbens. Es lag wohl an seinem selbstbewussten Auftreten, dass viele der Angesprochenen den Absprung ins Ungewisse wagten.
Der damalige Porsche-Chef Prof. Ernst Fuhrmann, der dem jungen Tuner auf dem Genfer Automobilsalon einmal über den Weg lief, raunzte nur in kernigem österreichisch: „Na, wen wollens mir denn heit wieder obwerben?“ Buchmanns Mitarbeiter und zahlreiche Porsche-Kunden, die ihm von Beginn an vertrauten, bildeten eine solide Basis für das schnell prosperierende Geschäft.
Over the rainbow
bb schloss Lücken, die bei Serienherstellern wie Porsche offengelassen wurden. So existierten 1976 bereits Targa-Modelle, gekennzeichnet durch ein herausnehmbares Dachmittelteil — was es aber nicht gab. Den Targa der 911-Reihe als Turbo-Version.
„Werbung hat bb nie gemacht. nie nötig gehabt.“ – Rainer Buchmann
So baute Buchmann den ersten Porsche Turbo Targa, der durch die Kooperation mit dem Sofortbildkamera-Pionier „Polaroid“ Weltruhm erlangen sollte. Im Zuge der Kölner Schau der Fotoindustrie „photokina“ wurde die auf den Namen Porsche Turbo Targa Rainbow getaufte Spitzenversion, die in den bunten Kennfarben von Polaroid leuchtete, einem breiten Publikum präsentiert.
Als sich dann Bundespräsident Walter Scheel bei einem Standbesuch in den Wagen setzte und die dpa die Bilder über die Kontinente schickte, war die Karriere des Regenbogen-Porsche gesichert.
Das kleine Frankfurter Unternehmen bb eroberte die Titelseiten von „Auto Motor und Sport“ sowie „Road Track“. Schließlich wurde der bunte Flitzer auch noch zum Filmstar. Im Kult-Streifen „Car-Napping – bestellt – geklaut – geliefert“, der die Geschichte des real existierenden Autodiebs Harry König erzählt, feierte der legendäre PS-Bolide seinen vorläufigen Höhepunkt.
Unvergessen bleibt für Rainer Buchmann, der für die Dreharbeiten über 40 Porsches und den Flügeltürer bb CW 311 bereitstellte, besonders eine Filmszene, die in Frankreich gedreht wurde.
„Das hatte Paris ja auch noch nicht gesehen. Vierzig röhrende Boxermotoren am ganz frühen Morgen im Konvoi vor den Kameras die Champs-Elysées rauf und runter. Vom Triumphbogen bis zur Place de la Concorde“, erinnert sich die Tuning-Koryphäe an die Szene, bei der auch viele seiner Kunden als Amateur-Schauspieler mitwirkten.
Erfinder des digitalen Displays
„bb“ bedeutete Innovation. Technische Neuerungen, die heute selbstverständlich sind, wurden bei dem Frankfurter Tuning-Unternehmen schon ausgetüftelt und eingesetzt, bevor sie von den großen Automobilherstellern angeboten wurden.
Ob die erste Infrarot-Fernbedienung, der erste „Pieper“ alias Einparkhilfe, das digitale Display oder das Multifunktionslenkrad. Rainer Buchmann bewies stets einen vorausdenkenden Erfindergeist. Und dennoch zogen Mitte der 80er-Jahre dunkle Wolken über dem Unternehmen auf.
„Ich geriet bei Volkswagen zwischen die Fronten.“ – Rainer Buchmann
Der Kursverfall des US-Dollars führte dazu, dass die amerikanischen bb-Anhänger die Gürtel enger schnallen mussten; außerdem entwickelte sich die Zusammenarbeit mit Volkswagen, die mit einem Polo-Projekt begonnen hatte, weniger erfolgreich als angenommen. VW ließ die Geschäftsbeziehungen der Zulieferer zu bb nach und nach kappen. „Ich geriet bei Volkswagen zwischen die Fronten.“, bekennt Rainer Buchmann, der 1986 Konkurs anmelden musste, heute.
Der Mond
 folgt der Sonne
Knapp 30 Jahre später, 2014, belebte der Auto-Veredler die Tuning-Marke schließlich neu, indem er mit dem „Moonracer“ eine farblich dezentere Neuauflage des Regenbogen-Porsches präsentierte. Der Auftraggeber: Klaus-Jürgen Orth, Frankfurter Unternehmer und seit Kindesbeinen bb-Fan.
Schon der Rainbow-Porsche war nichts für den kleinen Geldbeutel – 130.000 DM mussten je nach Exklusivität der Ausstattung berappt werden. Eine Summe, die der Moonracer bei Weitem übersteigt. „Es liegt gewiss nicht falsch, wer das Budget auf mehr als das Doppelte des Preises für einen heutigen Porsche Targa schätzt“, lässt Buchmann durchblicken.
Leuchtende Xirallic-Pigmente von Merck, ein 330 PS starker Turbomotor. Zweifarbig bespannte Ledersitze und ästhetisches Feingespür in jedem Detail machen die zeitgemäße Neuauflage zu einem der exklusivsten Sportwagen, die man kaufen kann. Im Moonracer leben die von Rainer Buchmann gesetzten hohen Maßstäbe weiter. Oder wie er es selbst formulieren würde: „Er trägt den Silberglanz der Vergangenheit weiter in die Zukunft.“
Herzrasen serienmäßig
Ob Formel 1 oder DTM, Nordschleife, Oldtimer-Grand-Prix oder nur eine freie Straße vor dem Horizont. Die Faszination für Geschwindigkeit existiert, seitdem es das Automobil gibt. Der Rennsport ist eine Disziplin des Adrenalins, sie ist voller Emotionen und Triumphe, aber auch Dramen und Niederlagen.
Immer wieder bringt sie das hervor, was den Menschen seit Anbeginn reizt. Das Risiko und die Grenzerfahrung, den Nervenkitzel der Unvernunft. „Das letzte Auto, das gebaut werden wird, wird ein Sportwagen sein“, ist Ferry Porsche überzeugt. Wer würde es wagen, ihm zu widersprechen?
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