Frankfurt galt lange Zeit als einer der wichtigsten Schauplätze des zeitgenössischen Balletts. Mit William Forsythe als Ballettintendant erlebte die Stadt goldene Zeiten, auch seine im Anschluss gegründete Forsythe Company feierte Erfolge. Heute leitet Jacopo Godani als Künstlerischer Direktor und Choreograf die in Dresden Frankfurt Dance Company umbenannte Formation. Wir haben mit ihm über seine Arbeit und den Stand des Balletts in der Mainmetropole gesprochen.
Lange tanzte Jacopo Godani in William Forsythes Ensemble, gemeinsam kreierten sie viele der zentralen Choreografien des Frankfurter Balletts. „Es war die Erfahrung meines Lebens“, sagt Godani heute. Als sich William Forsythe vor drei Jahren aus der Leitung seiner Forsythe Company zurückzog, übernahm der Italiener den Posten als Künstlerischer Direktor und Choreograf. Seitdem tanzt die Formation unter dem Namen Dresden Frankfurt Dance Company.
Große Fußstapfen
Godani blickt selbst auf große Erfolge als Choreograf zurück, kreierte in seiner Laufbahn zahlreiche Stücke für internationale Ensembles, darunter das Semperoper Ballett, das Royal Danish Ballett oder die Companía Nacional de Danza. Als wir ihm und seiner Truppe bei der Probe zusehen, werden wir sofort angesteckt von der geballten Dynamik der Tänzer und der Energie Godanis. Dennoch: Er musste in große Fußstapfen treten.
Denn es war der US-Amerikaner William Forsythe, der das Frankfurter Ballett ab den 1980er Jahren in höhere Sphären hob. Der Tänzer und Choreograf gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen Balletts, schuf zahlreiche Werke für Kompanien auf der ganzen Welt. Im Jahr 1984 wurde er zunächst zum Künstlerischen Direktor, später dann zum Intendanten des Ballett Frankfurt ernannt.
Zu diesem Zeitpunkt unterstand dieses noch der Oper. Hier machte sich Forsythe mit außergewöhnlichen und facettenreichen Choreografien einen Namen: Keine Spur von Schwanensee – er lotete die Grenzen des zeitgenössischen Balletts aus, erfand es neu. Auch wenn sich konservative Ballettliebhaber gegen seine modernen Kreationen sträubten, der Erfolg gab ihm recht. Unter Forsythes Leitung wurde das Ballett Frankfurt von Kritikern zwei Mal in Folge zum „Ballett des Jahres“ gekürt.
Abruptes Ende, neuer Anfang
2004 dann für viele Frankfurter der Schock: Die Städtischen Bühnen trennten sich von ihrer Ballettsparte, das Ballett Frankfurt wurde aufgelöst. Schon zuvor hatte Forsythe nach langwierigen Debatten um geplante Etatkürzungen angekündigt, sich aus den Strukturen lösen zu wollen, die die Frankfurter Kulturpolitik hervorbringe.
Mit Hilfe der Länder Hessen und Sachsen wurde anschließend das unabhängige Ensemble „The Forsythe Company“ formiert, das fortan abwechselnd in Dresden und Frankfurt residierte. Künstlergruppe und Publikum waren nun wesentlich kleiner, die zentral gelegene Oper fungierte nicht länger als Spielstätte. Dafür konnte Forsythe seine Vorstellung des zeitgenössischen Balletts noch weiter entwickeln: Tänzer, die auf Socken über die Bühne glitten und krochen, Grimassen schnitten, sich zu derben Klängen anmutig verrenkten.
Choreograf aus Leidenschaft
Seit 2015 führt Godani das in Dresden Frankfurt Dance Company umbenannte Ensemble mit brennender Leidenschaft für den zeitgenössischen Tanz und ganz eigenem Vokabular. Seine Karriere begann er mit einem Studium des Klassischen Ballett und moderner Tanztechniken am Centro Studi Danza, später wurde er an der Tanzschule Mudra des bekannten Choreografen und Tänzers Maurice Bejart aufgenommen.
Mit Herzblut arbeitet Godani mit seiner ersten eigenen Company daran, über die eigenen Grenzen hinauszuwachsen, immer noch ein bisschen mehr zu geben. Mit ihren Gastspielen ist die Dresden Frankfurt Dance Company international erfolgreich – Godani würde sich wünschen, dass das Ballett auch in Frankfurt wieder präsenter wird und seinen Platz findet.
Interview mit Jacopo Godani
Herr Godani, was ist es, das Sie an der Choreografie fasziniert?
Der komplette Prozess, bis eine Gruppe funktioniert, gibt einem eine kreative Energie, die man nicht reproduzieren kann. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem es einfach ‚Klick‘ macht, plötzlich alles funktioniert und dieses Gefühl geht dann über alles heraus. Es ist ein bisschen so, als würde man in die natürliche Ordnung der Dinge eintauchen. Es ist beeindruckend, das Genie des menschlichen Geistes zu erkennen, zu sehen, welche Möglichkeiten wir haben. Ich finde, die Choreografie ist ein wunderschönes Werkzeug.
Wie gestaltet sich die Arbeit, wenn Sie für ein neues Stück proben?
Ich versuche, in den Tänzern ein neues Selbst zu erwecken und sie dazu zu bringen, über sich hinaus zu wachsen. Wir wollen herausfinden, warum der Geist auf eine gewisse Weise formatiert ist und sich manchmal weigert, bestimmte Dinge zu lernen. Dazu muss man sich selbst gegenübertreten und das ist auf psychologischer Ebene zum Teil sehr hart. Aber eine komplexe Koordination des Körpers erfordert einen klaren Geist.
Zunächst kreiere ich einen Pool von Bewegungen, eine „Database“, an der wir zwei bis drei Wochen arbeiten. Dann geht es an die Komposition, und das läuft sehr schnell. Manche, die das zum ersten Mal mitmachen, drehen fast durch. Abes es ist beeindruckend, zu sehen, zu was wir fähig sind. Wir versuchen, das Limit der Vorstellungskraft zu überwinden. Denn wenn deine Vorstellungskraft limitiert ist, bist du als Person limitiert.
„Meine Tänzer sind eine Inspiration.“ – Jacopo Godani
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Tänzer aus?
Zunächst ist es mir sehr wichtig, dass sie echtes Interesse an der Company haben. Leute, die mir eine Standard-Mail schicken, die nicht einmal personalisiert ist, beachte ich erst gar nicht. Wenn ich jemanden zum Vortanzen einlade, dann sage ich ihm nicht, was er zu tun hat – die Zeit, jemandem das Tanzen beizubringen, habe ich nicht. Ich lasse ihn bei der Probe im Hintergrund stehen und sage: „Zeige mir, was du denkst, was die Essenz dieses Stücks ist.“
Es geht nicht darum, ob derjenige dann die Schritte richtig nachmacht, sondern was er aufnimmt. Man sieht gleich, wer eine Sensibilität für unsere Art zu arbeiten hat, und wer nicht. Die Prädisposition, experimentieren zu wollen und nicht vorschnell zu urteilen, muss da sein. Und meine Tänzer machen manchmal nicht einmal fünf Minuten Pause, um etwas zu trinken, weil sie es völlig vergessen. Ich habe schon mit vielen Companies gearbeitet, aber meine Tänzer sind eine Inspiration.
Was würden Sie sagen, wie gefragt Ballett dieser Tage noch in Frankfurt ist?
Es wird immer weniger. Zu meiner Zeit mit Forsythe waren wir die wichtigste Company der Welt. Mittlerweile sind wir aus der Oper ausgezogen, es gibt weniger Leute, die es sehen wollen. Wir haben keine Basis im Zentrum der Stadt, das bedeutet wir sind nicht permanent präsent. Wir tauchen ein paar Mal im Jahr auf, wenn wir unsere Spielzeit im Bockenheimer Depot haben und machen dann das Beste daraus. Das ist manchmal nicht einfach.
Hat sich damit auch Ihre Arbeit als Choreograf verändert?
Die Herausforderungen sind heutzutage andere als noch vor 20 Jahren. Heute geht es vor allem darum, was du erreichen musst. Die Gesellschaft hat sich dahingehend geändert, dass alles durch Business und Erfolg bestimmt wird. Nun muss man viel strategischer vorgehen, es gibt viele Dinge, mit denen du dich nebenbei beschäftigen musst und die nichts mit Kreativität zu tun haben. Meine Rolle hat sich komplett gewandelt. Das bedeutet nicht, dass es ein superharter Job ist – aber er hat sich sehr verändert.
„was Forsythe in den 80er Jahren gemacht hat, wäre heute nicht mehr möglich.“ – Jacopo Godani
Sind Sie trotzdem experimentierfreudig geblieben?
Absolut. Aber dennoch wäre so etwas, was Forsythe in den 80er Jahren gemacht hat, heute nicht mehr möglich. In einem großen Haus, das für 1.300 Leute ausgerichtet ist, kann man nicht mehr so experimentierfreudig sein. Denn dann hast du möglicherweise nur 400 Leute im Publikum und der Intendant oder der Staat wird sagen: „So geht das nicht.“ Deswegen haben viele Kollegen von mir, die Direktor waren, ihre Posten verloren. Vor 30 Jahren war das noch möglich, dass ein Haus nicht voll war. Heute wird das problematischer gesehen.
Wie gehen Sie mit negativer Kritik an Ihrem Werk um?
Natürlich ist es nicht schön, wenn man schlechte Kritik bekommt. Ich bekam diesen Posten, weil ich auf der ganzen Welt erfolgreich war. Ab dem Moment, ab dem ich die ehemalige Forsythe Company übernommen habe, verhielt man sich mir gegenüber distanziert. Das Publikum hier ist fantastisch, aber die Presse war eher zurückhaltend.
Unsere Kritiken sind, wenn wir in anderen Städten oder Ländern spielen, fantastisch – sobald wir hier sind, hält man sich bedeckt. Natürlich macht mich das traurig, denn ich habe mich in Frankfurt immer zu Hause gefühlt. Aber man muss für sich entscheiden, wie nah man so etwas an sich heranlässt und wie viel Relevanz man dem zuspricht. Sonst zweifelt man irgendwann an sich selbst und an dem, was man im Leben erreicht hat. Ich kenne das hohe Level, auf dem ich arbeite und weiß, dass ich mein Handwerk beherrsche.
Gibt es etwas, das Sie als Choreograf gerne noch erreichen würden?
Ich würde die Leute gerne dazu bringen, das Potenzial zu erkennen, das diese Company hat. Ihnen zeigen, wie viel wir für das kulturelle Leben tun könnten. Wir könnten jungen Leuten Zugang zum Tanz verschaffen, ihnen einen Einblick in unsere Arbeit geben. Wir könnten eine Art „Live Museum of Art“ sein. Ein Platz, an dem man Menschen arbeiten und Dinge erreichen sieht.
17.-28.03. New Creations – Unit in Reactions & Al di Là
Im Februar fand die Premiere von „New Creations – Unit in Reactions & Al di Là“ in Dresden statt, vom 17. bis 28. März wird der zweiteilige Ballettabend im Bockenheimer Depot in Frankfurt aufgeführt. Den Zuschauer erwarten neue Choreografien, neue Kostüme sowie ein neues Bühnenbild. Godani möchte mit dem Stück die Vision zweier verschiedener Universen zeigen.
Jacopo Godani über „New Creations“: „Ich hoffe, dass die Unterschiede, die ich selbst zu meinen vorherigen Stücken sehe, auch für andere erkenntlich sind. Der erste Teil ‚Unit in Reaction‘ wird sehr geometrisch, ich nutze für meine Verhältnisse viel Stage Setting und charakteristische Kostüme.
Die Originalpartitur wurde von der Formation 48nord erarbeitet. Die Tänzerinnen und Tänzer und ihre Bewegungen erinnern an sich bewegende Insekten. Das zweite Stück ‚Al di Là‘ ist dann wesentlich lyrischer, getanzt wird zum Streichsextett ‚Verklärte Nacht‘ von Arnold Schönberg.“
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