Sie ist charmant, glamourös und nachdenklich. Und auch sehr selbstbewusst. Die international bekannte Sopranistin Cristina Pasaroiu liebt die Extreme und spricht freimütig über die Zukunft der Oper. „Leidenschaft, Liebe und Tod sind eng miteinander verknüpft“, sagt die Rumänin. „Du wirst tausendmal geboren und stirbst Millionen Mal.“ Die Oper sei der perfekte Gegenentwurf zum durchorganisierten Alltag. „Wir müssen nur noch besser werden und Stereotypen und Traditionen über Bord werfen. Dann können wir auch wieder die Jüngeren erreichen.“
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In der Spielzeit 21/22 steht die Künstlerin, die sich auf der ganzen Welt zuhause fühlt, im Staatstheater Wiesbaden auf der Bühne. In Verdis „Don Carlo“ ist Cristina Pasaroiu die Elisabetta di Valois und in Mozarts „Idomeneo“ die Elettra. Wenn sie in Hessen auftritt, wohnt sie stets in Frankfurt-Sachsenhausen. Wir trafen uns mit ihr gleich um die Ecke im Park des Liebieghauses.
„Frankfurt ist ein Teil von mir“, bekennt die temperamentvolle Sängerin. Manche erinnern sich daran, dass sie schon 2011/2012 in der letzten Saison von Axel Cortis legendärer La Traviata-Produktion als Violetta an der Frankfurter Oper zu erleben war. Es folgte unter anderem die Desdemona in Otello.
Wenig später begann die Zusammenarbeit mit Wiesbadens Opernintendanten Uwe Eric Laufenberg. Sie hält bis heute an. „Mir gefällt, dass er als Regisseur stark darauf achtet, die Sänger und Sängerinnen psychologisch und auch physisch glaubhaft zu besetzen.“
Dass sie einen eisernen Willen besitzt, konnte sie ihm vor Jahren als Manon in der gleichnamigen Oper von Jules Massenet beweisen. „Ich hab mir bei den Proben den Fuß gebrochen und mit einem Gipsschuh weitergemacht. Niemand hat es für möglich gehalten, dass ich das durchstehe.“ Sie habe es geschafft. „Mit Wille und Disziplin kannst du alles schaffen“, findet sie.
Die Oper entstauben
Bei der „Don Carlo“-Inszenierung im Wiesbadener Staatstheater fesselt die erschreckende Aktualität. Historischer Hintergrund ist der Freiheitskampf der Niederlande gegen die Spanier im 16. Jahrhundert, die das Land besetzt halten. Das Libretto lehnt sich eng an Schillers Drama an. Der spanische Hof präsentiert sich als Kerker für jede Form von Menschlichkeit. Ein unerbittliches Geflecht aus Kirche und Staat unterdrückt auch die Liebe zwischen Don Carlo und der von Pasaroiu gespielten Stiefmutter.
Laufenberg stellt das Geschehen demonstrativ in Bezug zum Krieg in der Ukraine. Den Bühnenbogen lässt er in den Nationalfarben Blau und Gelb anstrahlen. Ein Kreuz, das sich bedrohlich aus einem Schädelhaufen erhebt, stimmt schon in der ersten Szene auf den Terror ein. Als im dritten Akt die Deputierten aus Flandern gegen die spanische Herrschaft demonstrieren, halten sie Schwarz-Weiß-Fotos von getöteten, eingekerkerten und verfolgten Putin-Gegnern in die Höhe. „Das Konzept stand schon vor der Invasion der Russen“, erklärt die Primadonna. Der Einmarsch habe die Zerstörungswut des Moskauer Regimes dann furchtbar bestätigt.
Cristina Pasoroiu, die noch während der kommunistischen Herrschaft geboren wurde, findet die aktuelle politische Anklage keinesfalls überflüssig, sondern erfreulich. Oper ist für sie kein gefälliges Ritual. „Meine Partien in Don Carlo sind sehr textlastig und wegen der dramatischen Passagen eine echte Herausforderung“, konstatiert die 35-jährige Sopranistin. Der Klang müsse homogen bleiben.
Ein eiserner Wille
Dutzende von Hauptrollen übernahm sie bereits in renommierten Häusern. Täglich trainiert sie ihre Stimme und macht zusätzlich Chigong, eine meditative Bewegungstherapie, die auch die Atemtechnik unterstützt. „Bei meiner Geburt wäre ich fast gestorben“, berichtet sie. „Die Lungenfunktion war gefährlich eingeschränkt. Sechs Monate lag ich im Krankenhaus.“
Doch sie sei zäh. „Als Kind wurde ich das Mädchen mit den grauen Haaren genannt, weil ich ziemlich erwachsen war für mein Alter“, verrät sie. Ihre Eltern, Französischlehrer in Bukarest und damals recht populäre Sänger von Schlagern und folkloristischen Liedern, weckten bei ihr früh das Interesse an der Musik in schwierigen Zeiten. „Wir führten ein einfaches Leben. Ich war fünf, als ich das erste Stück Schokolade gegessen habe.“
Streben nach Perfektion
Mit zwölf Jahren ging Cristina auf eine Gesangsschule und mit siebzehn verließ sie ihr Heimatland in Richtung Italien. „Ich strebe immer nach Qualität“, so ihre Erläuterung. Sie studierte am Conservatorio Giuseppe Verdi in Mailand und debütierte im Alter von 21 Jahren in Bologna als Magda in „La Rondine“ von Puccini. „Ich habe mein Glück provoziert“, meint sie mit breitem Lächeln. Ihre sensible Seite habe sie zum Vorteil gewendet. „Ich will immer etwas Neues lernen.“
„Ich habe mein Glück provoziert.“
Cristina Pasaroiu
Sie wechselte nach Wien an die Universität für Musik und darstellende Kunst und gewann nach dem Abschluss Preise bei angesehenen Wettbewerben. Bald war sie international bekannt. Sie hatte große Auftritte – auch in Konzerten – unter anderem in Barcelona, Bukarest, Nizza, Seoul, Berlin, Wien, Tel Aviv, Rom, São Paulo, Rio, Gent, Antwerpen, München, London, Tokio, Turin, Florenz, Peking, Ravenna, Jerusalem und Basel.
2018 übernahm sie an der Deutschen Oper Berlin in „Hoffmanns Erzählungen“ von Offenbach (Regie Laurent Pelly) gleich vier Rollen. „Das TheaterMagazin“ schwärmte von ihrer Präsenz. Sie sei die perfekte Besetzung. „Ihr Sopran atmet Kühle, Kalkül, koloraturblitzenden Esprit“, hieß es in der Kritik. „Er turtelt und funkelt in der Höhe, schwelgt schmerzensreich lyrisch in der Mittellage, sitzt felsenfest auf gutturalem Grund. Toll.“
Wiederholt gab es in der Premiere für sie Szenenapplaus. Ein besonderes Kabinettstück war ihr Flug kreuz und quer über die Bühne als Olympia, scheinbar nur gesteuert durch die Musik. „Du musst ganz schön fit sein, damit deine Stimme unter diesen Umständen noch ihre Resonanz behält. Von Seilen wurde ich 20 Meter hochgezogen, ohne dass es die Zuschauer bemerkten“, erinnert sie sich. „Es war fantastisch.“
Corona setzte ein Stoppzeichen
Das Leben aus dem Koffer endete abrupt mit Corona. „Ich habe zu viel gemacht“, stellt sie nüchtern fest. Zunächst schien für sie in der Krise alles verloren. „Doch dann merkte ich, dass mein Körper die Pause brauchte. Ich habe immer funktioniert. Jetzt fiel der ganze Druck von mir ab.“
Sie entdeckte sich selbst, reiste durch die Welt – diesmal ohne Engagements. Und sie genoss das neue Leben. „Wichtig ist, auf sein Herz zu hören und auf dem Boden zu bleiben.“ An ihrem Wohnort in der Schweiz am Zürichsee, wo sie seit Jahren mit ihrem Partner lebt („er hat Gott sei Dank mit Musik nichts zu tun“), ließ sie die Natur auf sich wirken und kam zur Ruhe.
Aber ohne Aktivitäten ging es bei ihr auch diesmal nicht. „Ich kann schlecht nur auf etwas warten.“ Sie jobbte als Fotomodel für diverse Brands. Las eine Menge. Traf sich mit Freunden. Und arbeitete an einer Musikproduktion „Ich bin total offen und überschreite gerne Grenzen. Ich will neue Erfahrungen machen, sonst ist der Tag für mich verloren.“
„Ich bin total offen und überschreite gerne Grenzen. Ich will neue Erfahrungen machen, sonst ist der Tag für mich verloren.“ – Cristina Pasaroiu
In der Pandemie nahm sich Cristina Pasaroiu die Zeit, noch einmal grundsätzlich alles in Frage zu stellen. „Manchmal fühle ich mich eingeschnürt“, offenbart sie. „Ich möchte auch mal Jazz machen und andere Cross-over-Projekte wie Filme.“
Gegen Selbstgenügsamkeit
Aufführungen könnten gewinnen, wenn man auch andere musikalische und mediale Elemente integrierte, glaubt sie. Die Liebhaber der Oper würden immer älter. „Dabei hat das Format mit seinen ganz großen Gefühlen ein unglaubliches Potenzial.“ Cristina Pasaroiu wünschte sich, dass die Gattung wieder so populär wäre wie im 18. und 19. Jahrhundert. „Die Oper sollte für alle zugänglich sein und mit neuen Ideen überraschen“, zieht sie ein kleines Fazit ihrer Überlegungen.
„Die Oper sollte für alle zugänglich sein und mit neuen Ideen überraschen.“ – Cristina Pasaroiu
Die derzeit wieder vollen Säle euphorisieren die ausdrucksstarke Sängerin. Manche Fans haben regelrecht gehungert nach dem gewaltigen Pathos auf der Bühne. Nach Dramatik, heftigem Schmerz und wunderbaren Arien. Nach der Harmonie zwischen Orchester und opulent ausstaffierten Künstlern. „Wir dürfen bei aller Freude aber nicht vergessen, dass wir in die neuen Generationen investieren müssen“, mahnt Pasaroiu.
Tatsächlich ist die Krise nicht mit einem Mal vorbei. Eine Allensbach-Umfrage belegt, dass die Zahl der Opernliebhaber in den deutschsprachigen Ländern weiter abgenommen hat. Nur noch 5,06 Millionen über 14 Jahre hörten 2021 sehr gern Oper, Operette und klassischen Gesang.
Die Seele muss strahlen
Ihr kommt der Opernbetrieb bisweilen vor wie eine eingefahrene Verwaltung. Zu viele im Apparat hätten Angst, die altbewährten Erfolgsrezepte aufzugeben. Abonnements von seit Jahrzehnten treuen Besuchern seien schön und gut. „Aber wir müssen mehr kreatives Marketing betreiben und potenziellen neuen Kunden erklären, was für faszinierende Erlebnisse wir bieten.“ Es gehe schließlich in der Oper um die Träume der Menschen von einer besseren Welt. „Das verbindet uns alle. Wir Künstler zaubern die verführerischen Illusionen herbei.“
Cristina Pasaroiu vertraut darauf, dass sich Energie und Beharrlichkeit am Ende durchsetzen. Geld sei nicht alles und auch das Äußere überzeuge nicht, wenn es nur Fassade sei. „Die Seele muss strahlen.“ Sie sei kein religiöser Mensch, „aber spirituell“. Der italienische Tenor Andrea Bocelli habe sie einst zutiefst bewegt und sei mitverantwortlich dafür, dass sie das Singen zum Beruf gemacht habe. Jetzt wollen sie zusammen Musikprojekte vorantreiben. Noch in diesem Jahr ist eine gemeinsame Tournee geplant. „Das bedeutet mir sehr viel.“
Nun denkt sie schon an die nächste Saison. Sie hat Engagements in Deutschland, Israel und den USA fest vereinbart. „Irgendwann“, glaubt sie, „werde ich auch an der New Yorker Met auf der Bühne stehen.“
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