Zwischen Schönheit und Zerstörung
Es ist dunkel. Im Licht der Spots, die den Kunstwerken Sichtbarkeit verschaffen, schimmert eine schwarz-gelbe Kunststoffoberfläche. Wände, Böden und Decken – alles ist mit einer glatten Plastikhaut bezogen, die sich in Form einer riesigen aufgeblasenen Wurmstruktur auch inmitten des Raumes fortsetzt.
Für die Ausstellung „I AM A PROBLEM“ hat der Regisseur und Bühnenbildner Ersan Mondtag eine düstere und zugleich aufreizende Parallelwelt erschaffen. In seiner spektakulären Inszenierung der Ausstellungsräume im MMK 2 lässt Mondtag die Werke aus der Sammlung des Museums zu Protagonisten einer Erzählung werden und miteinander in einen Dialog treten.
„Nachdem sich das MMK in den vergangenen Jahren zunehmend künstlerischen Ausdrucksformen jenseits der bildenden Kunst gewidmet hat, wie beispielsweise der Mode oder der Choreografie, haben wir mit I AM A PROBLEM erstmals eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit einem Theaterregisseur entwickelt. Die von Ersan Mondtag inszenierte Schau rückt gezielt den Transitraum zwischen bildender Kunst und Theater in den Fokus“, erläutert Peter Gorschlüter, kommissarischer Direktor des MMK und Kurator der Ausstellung.
Ersan Mondtag arbeitet zwischen den Feldern Theater, Tanz, Musik, Performance und Installation. Seine Inszenierungen entfalten sich als assoziative Bild- und Geräuschwelten, in deren Mittelpunkt stets der Mensch mit seinen Sehnsüchten, Abgründen und Leidenschaften steht. Mondtags transdisziplinäre Praxis bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte an die jüngere Kunstgeschichte und ist damit prädestiniert für eine museale Präsentation. Dank seiner visuell überbordenden und kontrovers diskutierten Inszenierungen gilt Mondtag als einer der meist beachteten Jung-Regisseure im deutschsprachigen Raum.
„Für diese Ausstellung definiere ich den Raum im MMK 2 völlig neu. Ich gebe dem Raum selbst eine Erzählung, eine ausgefeilte Biografie, indem ich ihn mit Texten auflade, mit denen der Ort spricht. Das ist kein Eingriff wie das Einreißen von Wänden, es ist womöglich tiefergehender. Ich setze den Raum gewissermaßen auf Null und übermale ihn mit einem Charakter, einer Atmosphäre, einem Plot“, sagt Ersan Mondtag über seinen Umgang mit der Architektur des MMK 2 im TaunusTurm.
In Zeiten von grotesker Selbstoptimierung und allgegenwärtigem Leistungsdruck zeigt die Ausstellung „I AM A PROBLEM“ die Diversität zeitgenössischer Identitätsentwürfe in unserer Gesellschaft. Die Werke aus der Sammlung des MMK konfrontieren die Besucherinnen und Besucher dabei mit den Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz. Mondtags szenischer Parcours verwandelt das MMK 2 in einen Bühnenraum.
Wie bereits der Titel andeutet, thematisiert die Ausstellung auch das dunkle Geheimnis der Selbstoptimierungs-Ideologie: Der Körper als bloßes Material, als dynamischer Organismus, aber auch als zerstörbares Objekt, wird in vielen der Kunstwerke untersucht.
Mythos um Maria Callas
Den Ausgangspunkt für Mondtags Inszenierung bildet ein Mythos um Maria Callas (1923–1977). Um ihre Traumfigur zu erreichen, soll sich die weltberühmte Opernsängerin mit einem Glas Champagner einen Bandwurm einverleibt haben. Der Legende nach führte der Parasit innerhalb kurzer Zeit zu einem erstaunlichen Gewichtsverlust von 50 Kilogramm. Callas’ kompromissloses Bestreben, die eigene Erscheinung nach ihren Idealvorstellungen zu formen, sowie dessen Kehrseite, die Auflösung des eigenen Körpers, bilden die Leitmotive der Ausstellung.
Ein stilisierter überdimensionaler Bandwurm – entwickelt von der Künstlergruppe Plastique Fantastique –nimmt die Besucherinnen und Besucher mit auf eine Reise durch das Innere von Maria Callas. Auf dunklen Pfaden und entlang der wurmartigen Elemente begegnen dem Ausstellungspublikum Grenz- und Doppelgänger, stille Rebellen, gescheiterte Existenzen und dem Optimierungswillen anheim gefallene Körper.
Die inszenierten Werke reichen von Andy Warhols Kellogg’s Cornflakes Box über Rosemarie Trockels Frau ohne Unterleib und Markus Sixays knöcheltief gefüllten Konfetti-Raum I am prepared for you bis hin zu den jüngsten Erwerbungen des MMK, wie Will Benedicts Musikvideo I AM A PROBLEM (T.O.D.D.).
Mit einer alienhaften Kreatur in der Hauptrolle changiert die für die Ausstellung titelgebende Videoarbeit Benedicts zwischen grotesker Überspitzung und ernsthafter Gegenwartsdiagnose. Benedict zeigt mit seinem Werk nicht nur die globalen Krisen des 21. Jahrhunderts auf, sondern imaginiert zugleich eine Zukunft, in der sich der Mensch mit konkurrierenden Existenzformen wie Aliens, Avataren und Cyborgs konfrontiert sieht.
Es sind die teils zaghaften, teils renitenten Gesten des Widerstandes, denen Ersan Mondtag in den Werken der MMK Sammlung nachspürt und die er zu den modernen Anti-Helden seiner Erzählung werden lässt. Mit Texten des Autors Thomaspeter Goergen – eingesprochen von Ensemblemitgliedern des Hamburger Thalia Theaters – verleiht Mondtag den Kunstwerken eine Stimme und lässt diese zu Darstellern ihrer eigenen Sehnsüchte und Ängste werden. Meist im Widerstreit kreisen ihre Dialoge um existenzielle Themen des Menschseins, wie die Transformierbarkeit der eigenen Identität, das Streben nach Perfektion oder die Vergänglichkeit der organischen Materie.
Mondtags Inszenierung offenbart, wie die Metamorphosen des Körperlichen zu Sinnbildern für private und gesellschaftliche Auflösungserscheinungen werden. Das Streben nach Perfektion führt zu ultimativer Aggression, Fanatismus und Gewalt.
Ausstellung „I AM A PROBLEM“
Inszeniert von Ersan Mondtag
MMK 2, Taunustor 1, Frankfurt Innenstadt
23.9.2017 – 18.2.2018
Weitere Infos unter: http://mmk-frankfurt.de/de/nc/ausstellungen/ausstellung-details/article/i_am_a_problem/