Ob Johann Wolfgang von Goethe oder Friedrich Stoltze – Frankfurt hat bereits zahlreiche bekannte Schriftsteller und Poeten hervorgebracht. Doch waren einst Dramen und Gedichte das Maß aller Dinge, so zählen heute Kriminalromane zum beliebtesten Genre der Literatur. Wir haben mit Frankfurter Krimi-Autoren über ihre Inspiration, die Relevanz des perfekten „Tatorts“ und die Rolle, die die Mainmetropole bei ihrer Arbeit spielt, gesprochen.
Es herrscht Hochwasser in Frankfurt, der Main steigt unweigerlich. In den Fluten: Eine Leiche – Mitglied der spanischen Gemeinde und ermordet, wie sich bald herausstellen soll. Mit diesem Szenario beginnt der Roman „Kalter Main“ der Autorin Rosa Ribas. Vier Bücher rund um die deutsch-spanische Kommissarin Cornelia Weber hat sie bereits geschrieben, immer spielen diese in der Mainmetropole.
Ribas selbst wohnt seit 25 Jahren in dieser Stadt, aufgewachsen ist sie jedoch in El Prat de Llobregat nahe Barcelona. Dass ihre Krimis in Frankfurt spielen sollten, stand für die Autorin schnell fest. „Für diese Reihe war Frankfurt einfach besonders passend. Es geht schließlich bei meiner Kommissarin um eine Figur, die sich zwischen zwei Welten bewegt. Ich finde, das passt sehr gut hierher.
„Es treffen hier so viele Welten aufeinander.“ – Rosa Ribas
Frankfurt ist eine offene Stadt, doch ist auch eine gewisse Spannung vorhanden“, erklärt sie. „Es treffen hier so viele Welten aufeinander, es gibt so viele Kontraste . Hier herrscht ein gewisses Konfliktpotenzial.“ In ihren Kriminalromanen arbeitet Rosa Ribas brisante Themen wie Integration und Immigration auf. So spielt in ihren Büchern etwa die Stellung der spanischen Gemeinde in Deutschland eine wichtige Rolle. Das Bewegen zwischen zwei Kulturen, zwischen der spanischen auf der einen und der deutschen auf der anderen Seite, sei etwas, das sie mit ihrer Ermittlerin verbinde, erzählt die Katalanin.
Ihre Bücher schreibt sie auf Spanisch, in ihrer ursprünglichen Heimat finden diese einen ebenso großen Anklang wie in Deutschland. Und das, obwohl die dortigen Leser das Frankfurt, das Ribas beschreibt, möglicherweise selbst noch nie besucht haben. „Lokale Leser achten sehr darauf, dass die Details stimmen“, berichtet Ribas über die Unterschiede in der Rezeption ihrer Romane. „Es ist aber eigentlich nicht mein Anspruch, jede Ecke der Stadt detailliert zu beschreiben.“
Denn obwohl sie die Mainmetropole als Schauplatz gewählt hat – als Regional-Krimis sieht Ribas ihre Romane nicht. „Ich finde es problematisch, dass Krimis, die in Frankfurt spielen, sofort als Regional-Krimis bezeichnet werden. Das zeigt doch, wie viele Komplexe diese Stadt hat. Sie scheint nicht zu glauben, dass sie, wie etwa London oder New York, Szenarien für einen Krimi bietet und sich nicht zu hinterfragen braucht. Frankfurt scheint nicht ganz zu glauben, dass sie eine große und interessante Stadt ist.“
Der perfekte Tatort
Krimis mit lokalem Bezug – bereits seit einigen Jahren ist der Hype um sie ungebrochen. Frankfurt und seine Umgebung dient nicht selten als Schauplatz ebensolcher Geschichten. Wer etwa kennt nicht Nele Neuhaus – mit ihren Kriminalromanen um das Ermittlerduo Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein gehört sie mittlerweile zu den meistgelesenen Krimiautoren Deutschlands.
Ihre im Taunus angesiedelten Geschichten wurden so unter anderem bereits erfolgreich für das ZDF verfilmt und sind spätestens seit diesem Zeitpunkt längst nicht mehr nur Lesern aus dem Umland ein Begriff. Was aber macht Frankfurt eigentlich zu einem solch guten „Tatort“? Obwohl, so verrät es die aktuelle Kriminalstatistik, die Mainmetropole als Stadt mit der höchsten Verbrechensrate unlängst von Berlin abgelöst wurde, scheint ihr der zweifelhafte Ruf weiterhin anzuhaften.
Verwunderlich ist dies nicht. Zwischen hohen Bankentürmen und dem zwielichtigen Bahnhofsviertel, wenngleich sich dieses langsam aber sicher von seinem unvorteilhaften Image zu lösen sucht, liegt der Gedanke, dass sich hier so manch dubiose Geschäfte abspielen könnten, nicht allzu fern. Und wer sich in Frankfurt bewegt, dem begegnen Menschen jeglicher Herkunft, Berufsgruppe und Milieus.
Stadt der Gegensätze
Diese Vielfalt sowie der fließende Übergang von Großstadtflair an der einen Ecke und Kleinbürgertum an der anderen, fasziniert auch Autorin Nikola Hahn. Schon Jahrhunderte zuvor habe genau dies die Stadt ausgezeichnet: „Frankfurt hat schon immer viele Dinge vereint: Hier sind schon immer verschiedene Lebensströmungen aufeinandergetroffen. Liberales und Konservatives, Freigeistiges aber auch Provinzielles – hier gab es alles. Das war natürlich für meine Bücher, die den Anspruch haben, etwas von der Gesellschaft zu erzählen, ideal“, erklärt sie.
In ihren historischen Kriminalromanen „Die Detektivin“ und „Die Farbe von Kristall“ versetzt sie den Leser in die Zeit um das späte 19. Jahrhundert. In letzterem Werk greift die Autorin unter anderem auch den realen Mordfall um den Frankfurter Klavierhändler Hermann Lichtenstein auf, der 1904 in seinem Geschäft mitten auf der geschäftigen Zeil einem Raubmord zum Opfer fiel.
„Ich war auf der Suche nach aufsehenerregenden Mordfällen aus dieser Zeit, habe alte Zeitungen gelesen und bin dann auf diesen Fall gestoßen“, so Hahn. Insbesondere, dass bei der Aufklärung dieses Falles zum ersten Mal auch das Fingerabdruckverfahren eine Rolle spielte, habe sie neugierig gemacht. Denn neben Einblicken in die Gesellschaftsstrukturen der damaligen Zeit steht in ihren Romanen immer auch die Kriminalgeschichte im Vordergrund.
„Wenn ich etwa an den Ort gehe, an dem eine meiner Figuren wohnt – dann habe ich immer das Gefühl: Gleich begegne ich ihr.“ – Nikola Hahn
Dies stellt keinen Zufall dar – Nikola Hahn ist selbst seit vielen Jahren als Kriminalhauptkommissarin tätig. Ihre Arbeit bei der Polizei in Kombination mit einem ausgeprägten historischen Interesse habe dazu geführt, historische Kriminalromane zu schreiben. Der Schauplatz Frankfurt habe schnell festgestanden, durch ihre Schriftstellerei habe sie mittlerweile eine sehr enge Verbindung zur Stadtgeschichte entwickelt. „Diese Stadt hat einen unglaublichen Zauber.
Wenn man beispielsweise den Römer besucht, versprüht dieser noch immer diesen ganz besonderen Hauch von Geschichte.“ Die besten Ideen, so berichtet sie, kommen ihr bei der Recherche, wenn sie alte Akten, Zeitungsartikel oder Bücher lese. Neben der Bearbeitung von Archivmaterial sei es für sie aber auch wichtig, die Orte, über die sie schreibe, auch zu besuchen. „Wenn ich etwa an den Ort gehe, an dem sich früher das ‚Rapunzelgässchen‘ befunden hat und an dem eine meiner Figuren wohnt – dann habe ich immer das Gefühl: Gleich begegne ich ihr.“
„Wenn, dann vor meiner Haustür.“
Auch die fiktive Ermittlerin Julia Durant bewegt sich auf der Jagd nach Verbrechern durch die Straßen Frankfurts. Hinter den Geschichten rund um die Kommissarin steckt der Schriftsteller Daniel Holbe – jedoch nicht seit Beginn. Denn erst seit dem 12. Band der Reihe ist Holbe Autor der Krimis. Nach dem plötzlichen Tod von Andreas Franz führte er dessen Krimis weiter. Bis dato hatte Holbe einen kirchenhistorischen Thriller veröffentlicht, der von der breiten Masse eher unbeachtet blieb.
Als er einen regional angesiedelten Krimi veröffentlichen wollte, kam die Anfrage zur Fortführung der Julia Durant-Serie. „Das kannst du doch gar nicht. Das war die erste Reaktion, die ich hatte und die mich noch lange begleitet hat“, gibt Holbe zu. Auch, wenn er nicht den Anspruch habe, es allen Fans der Reihe recht zu machen – das positive Feedback, das ihn seit der Übernahme der Serie erreiche, bestätige ihn darin, mutiger zu werden und sich von den Figuren in gewisser Weise führen zu lassen.
„Es sind diese vielen Möglichkeiten, menschliche Abgründe abzubilden.“ – Daniel Holbe
Nicht nur die Charaktere und ihre Geschichten haben ihn jedoch gereizt, die Reihe weiterzuführen, erklärt Holbe, der mit seiner Familie in der Wetterau unweit der Mainmetropole lebt. Dass ihm als Schauplatz Frankfurt überlassen worden sei, sei für ihn ein persönlicher Zugewinn gewesen.
„Für mich war klar: Wenn ich so etwas mache, dann mache ich es auch vor meiner Haustür.“ Frankfurt sei für ihn der ideale Ort für die Krimis. „Es sind nicht nur die sichtbaren Kontraste, die diese Stadt ausmacht. Es sind diese vielen Möglichkeiten, menschliche Abgründe abzubilden – vor dieser bunten Kulisse.“
„Ein schöner Tatort reicht nicht.“
Diese biete ihm immer wieder aufs Neue Ideen für kommende Handlungsstränge: „Ich stand im Winter auf der Kaiserlei-Brücke, habe tief eingeatmet und dachte plötzlich: Genau hier, auf der Reviergrenze eine Leiche – das will ich machen.“ Nicht immer ließe sich ein solcher „Zufallsfund“ dann aber auch tatsächlich nutzen. Denn – egal wie besonders ein Ort zunächst erscheine: Schlussendlich sei es die Geschichte, die die entscheidende Rolle spiele, so Holbe.
„Nur ein schöner Tatort reicht einfach nicht. Von dieser Vorstellung musste ich mich ganz schnell verabschieden. Nicht um jede tolle Location lässt sich auch zwangsläufig eine tolle Geschichte spinnen. Wenn es sich aber ergibt – wunderbar.“ Im Ganzen sei Frankfurt mit all seinen Facetten für ihn eine große Inspirationsquelle.
Mit dem Rad auf der Jagd
„In Frankfurt kann einfach alles passieren. Es ist die ideale Stadt, um einen Krimi anzusiedeln“, befindet auch Matthias Altenburg, der unter seinem offenen Pseudonym Jan Seghers in seinen Romanen den etwas verschroben anmutenden Frankfurter Hauptkommissar Robert Marthaler in der Stadt am Main ermitteln lässt. Der Autor, der selbst mit seiner Familie in Frankfurt lebt, hat bereits fünf Marthaler-Krimis veröffentlicht, alle wurden bereits für das Fernsehen verfilmt.
„Ich dachte: Hier muss eigentlich ein Mord geschehen.“ – Matthias Altenburg / Jan Seghers
Die Mainmetropole biete ihm große Inspiration, erzählt er. Er erkunde sie am liebsten auf seinem Rad, das er sowohl als Instrument zur Entspannung als auch als willkommenes Werkzeug zur Recherche ansehe.
„Bei einer Fahrt durch die Stadt habe ich irgendwann einmal in Oberrad ein altes Backsteingebäude entdeckt. Es steht etwas für sich in den Feldern, jedes Mal wenn ich dort vorbeikam, dachte ich: Hier muss eigentlich ein Mord geschehen. Und dann habe ich ihn dort geschehen lassen.“
Die Orte, über die er schreibt, auch selbst zu besuchen, sei für Altenburg selbstverständlich und elementar für die Geschichte, die er zu erzählen gedenke. „Ich will den Ort erschnuppern, erriechen“, erklärt er. „Man muss ein Gefühl für den Ort haben, weil er selbst schon eine ganz eigene Geschichte erzählt. Man muss versuchen, den Geist des Ortes einzufangen. Wenn man sich das bloß ausdenkt, merkt das der Leser.“
Der perfekte Schauplatz
Frankfurt sei gerade aus diesem Grund für ihn von vorneherein der perfekte Schauplatz für die Handlung seiner Romane gewesen: „Krimis sind immer sehr von der Atmosphäre und vom Ort abhängig und da ich keinen Ort besser kenne als Frankfurt, ist es für mich das absolut Praktischste, ihn hier spielen zu lassen“, so Altenburg.
„Ich brauche es auch nicht, dass andauernd Apfelwein getrunken und grüne Soße gegessen wird.“ – Matthias Altenburg / Jan Seghers
Doch so sehr er die Bedeutung der Lokalitäten für seine Romane auch hervorhebt – als Regional-Krimis möchte auch er sie nicht bezeichnet wissen. „Ich schreibe keine Regional-Krimis. Natürlich muss ein Krimi immer an einem bestimmten Ort spielen, aber Regional-Krimis sind oft wie eine Art Fremdenverkehrswerbung. Ich möchte nicht, dass meine Figuren Frankfurterisch sprechen. Ich brauche es auch nicht, dass andauernd Apfelwein getrunken und grüne Soße gegessen wird. Das ist einfach nicht mein Ding.“
Zwar nutzt auch Altenburg in seinen Büchern der Rekurs auf ihm bekannte Orte, auch bei ihm finden sich Beschreibungen regionaler Wahrzeichen. Doch sei, so macht er deutlich, der Fokus doch immer auf eine gut erzählte und logisch konstruierte Geschichte zu setzen – nicht primär auf die Örtlichkeit.
Zudem biete ihm nicht nur die Mainmetropole Inspiration zum Schreiben. Auch ein anderes Fleckchen Erde habe es ihm besonders angetan: „Immer wieder Frankreich, immer wieder das französische Mittelmeer. Auch Paris ist toll.“
Die Liebe für die Region rund um die Grande Nation teilt Matthias Altenburg mit einer weiteren Frankfurter Autorin, die sich von der dortigen Landschaft indes nicht nur inspirieren lässt, sondern die Handlung ihre Romane auch gleich nach dort verlegt hat.
„Noch einen Frankfurt-Krimi braucht niemand“
„Mörderisches Monaco“ heißt der erste Krimi von Jule Gölsdorf, die neben ihrer Schriftstellerei unter anderem als Moderatorin bei ntv und dem NDR tätig ist. Im Fürstentum lässt sie ihr ungleiches Ermittler-Duo Coco Dupont und Henry Valeri auf Verbrecherjagd gehen, zwei Romane sind bereits erschienen. „In Monaco gibt es sehr viele reiche Leute, aber eben auch ganz normale“, erläutert sie ihre Faszination für den Stadtstaat.
„Daran wollte ich auch meine Kommissare anlehnen. Sie kommt aus der High Society, er ist ein Ur-Monegasse, der mit all dem nicht viel anfangen kann. Ich wollte einen gewissen Gegensatz schaffen“. Gölsdorf schreibe am liebsten über das, was sie auch kenne. Monaco besuche sie regelmäßig, die Region habe es ihr einfach angetan.
„Ich wollte es nicht mit Nele Neuhaus aufnehmen.“ – Jule Gölsdorf
Ihren Wohnort hat die gebürtige Würzbürgerin hingegen bereits vor einigen Jahren nach Frankfurt verlegt. Obwohl sie in Köln und Hannover arbeitet und das Wohnen in der Mainmetropole eigentlich überhaupt keinen Sinn ergibt, wie sie selbst sagt. „Aber ich bin einfach ein Frankfurt-Fan.“ Bei aller Frankfurt-Liebe: Warum spielen ihre Kriminalromane dennoch an einem anderen Ort?
„Zu diesem Zeitpunkt dachte ich einfach: Noch einen Frankfurt-Krimi braucht niemand“, bekennt Gölsdorf. „Ich wollte es nicht mit Nele Neuhaus aufnehmen, sie hatte diese Ecke doch schon besetzt.“ Mittlerweile sehe sie das schon ganz anders. Sie habe sogar schon eine Idee für einen Frankfurt-Krimi. „Was ich spannend finde, ist das Bahnhofsviertel“, erzählt die Autorin. „Da muss etwas passieren. Denn ich mag Orte, an denen es Gegensätze gibt. Und dort gibt es nun mal viele Künstler, viele Banker, aber auch viel Strich, viele Drogen. Es gefällt mir, wenn Gesellschaftsgruppen aufeinandertreffen, die man sonst nicht zusammenbringen würde.“
Frankfurt schreibt Geschichten
Frankfurt – ein Schmelztiegel der Kulturen und gewiss mancherorts ein raues Pflaster. Wie in jeder Großstadt gibt es auch hier viele Orte, an denen das Verbrechen lauern könnte. Dass die Autoren, die in der Mainmetropole heimisch sind, ihre Krimis nicht selten auch in dieser Gegend spielen lassen, scheint abschließend kein Zufall zu sein.
Denn was liegt näher, als den Schauplatz einer Geschichte dorthin zu verlegen, wo es vertraut ist und man sich auskennt? Ob das multikulturelle Bahnhofsviertel, die ruhigen Randbezirke oder der historische Stadtkern. Frankfurt ist offen, vielseitig und wartet mit zahlreichen Inspirationsquellen auf. Und die Geschichten, die sich daraus entspinnen – die schreibt neben Frankfurts Autoren nicht zuletzt auch die Stadt selbst.
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