Fußball ist mit weltweit 1,6 Milliarden Fans der populärste Sport unseres Planeten. Warum begeistern sich so viele Menschen für diesen Sport, den der englische Stürmer Gary Lineker einst so beschrieb: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ Wirklich, mehr ist es nicht?
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Ein Fußball-Begeisterter würde angesichts dieser Aussage über seinen Lieblingssport womöglich vor Wut schäumen. „Fußball ist ein strategisches Spiel und erfordert die richtige Taktik zur richtigen Zeit. Deshalb ist es ja so spannend“, so oder ähnlich könnte seine Antwort lauten. Das mag richtig sein, dennoch handelt es sich, ganz sachlich betrachtet, um eine Sportart mit einfachen, für Jedermann leicht nachvollziehbaren Regeln.
Warum fasziniert Fußball also 20% der Weltbevölkerung? Weckt die Unvorhersehbarkeit eines Fußballspiels die Euphorie der Massen in den Stadien oder vor den heimischen Fernsehern? Binnen Minuten kann ein Match zum Vorteil der gegnerischen Mannschaft entschieden oder gar komplett gedreht werden.
1954: „Schäfer nach innen geflankt. Kopfball! Abgewehrt! Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt, Tor, Tor, Tor!“
Eine rote Karte, ein mit einem Elfmeter geahndetes Foul oder vermeintlich falsche Schiedsrichterentscheidungen können fatale Auswirkungen auf den Spielverlauf nehmen und die Spannung ins Unermessliche steigern. Weltmeister-Trainer von 1954 Sepp Herberger stellte dazu nüchtern fest: „Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie das Spiel ausgeht.“ All jene, die diesen Sport seit Jahren verfolgen, wissen um die vielen Fußballwunder und „David gegen Goliath“-Siege.
Warum der FC Bayern in Deutschland immer gewinnt
Nun ja, so ist es ja gerade nicht, wie wir spätestens seit dem DFB-Pokalfinale wissen. Und wer hätte 2004 gedacht, dass Griechenland Europameister wird? Nur Otto Rehhagel, der damalige Trainer der Hellenen, könnte es gehofft oder davon geträumt haben.
Wie sehr haben wir uns während der EM 2016 für Island und seine erstmalige Teilnahme an einem großen Turnier gefreut! Die Nationalmannschaft dieses kleinen bis dato im europäischen Fußball völlig unbedeutenden Landes erreichte nach einem Sieg über England und einem Unentschieden gegen Portugal sogar das Viertelfinale! Fördert die Stimmung beim Fußball gar menschliche Werte, wie Freude für Außenseiter und Schwächere? Tatsache ist: alle jubeln, wenn sich Herausforderer mit vermeintlich geringeren Chancen gegen Favoriten durchsetzen. Alle, bis auf die bezwungene Mannschaft und ihre Fans.
Die Bayern, die ja angeblich immer gewinnen, wissen seit dem 19. Mai, wie sich Verlieren anfühlt. Dieser Tag wird für Generationen von Frankfurtern unvergesslich bleiben. Mit einem überwältigenden 3:1 Sieg gegen die „Übermacht“, den deutschen Meister FC Bayern München, holte sich die SGE nach dreißig Jahren den DFB-Pokal zurück nach Hause und versetzte die Region in Freudentaumel und Ausnahmezustand. Vergessen ist auch das Getöse um den scheidenden Trainer Niko Kovac, nachdem er seine Mannschaft gegen seinen zukünftigen Verein zum Triumph führte und mit dem Pokalsieg die Teilnahme am Europapokal sicherte.
1974:„Aber das ist jetzt egal! Denn das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister! Deutschland ist Weltmeister!“
30.000 Eintracht Frankfurt-Fans waren zu dem packenden DFB-Pokal-Endspiel nach Berlin gereist, um ihr Team vor Ort anzufeuern und zu unterstützen. Angetrieben waren sie vom großen Wunsch, ihre SGE siegen zu sehen. Wohlwissend, dass ihre Mannschaft nicht die Favoritenrolle innehatte. Niemand konnte vor dem Spiel erahnen, dass der Abend in euphorischen Siegessängen und nicht in bitterer Enttäuschung über eine Niederlage enden würde. Die Hoffnung scheint der ständige Begleiter eines Fußballfans zu sein.
Worauf basiert eine derart enge Bindung zu einem Verein? Wenn Fans im Kollektiv zittern, schimpfen, jubeln und ihren Emotionen freien Lauf lassen wird offensichtlich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entfacht. Neunzig Minuten voller Anspannung und Mitfiebern, Fiasko und Verzweiflung, die sich binnen Minuten oder gar Sekunden in Freudentaumel verwandeln können. Das ist Fußball! Ob Vorstand oder Busfahrer, Ärztin oder Friseurin: Der Alltag wird bei den Zuschauern mindestens für die Dauer des Spiels ihrer Heimmannschaft ausgeblendet und gesellschaftliche Barrieren lösen sich auf. Nicht ausgeschlossen, dass sich Fremde beim nächsten Tor jubelnd in den Armen liegen.
Fußballtradition geht häufig in Familientradition über. Die Wahrscheinlichkeit, dass Väter und Großväter ihre Nachkommen mit ihrer Liebe zum Verein anstecken, ist hoch. Der Apfel soll ja bekanntlich nicht weit vom Stamm fallen. So hat mancher Knirps bereits im Kindesalter sein Idol, geht als Jugendlicher ins Stadion und kickt in der Jugendmannschaft des Familienvereins.
1990: „Und, was gibt er? Er gibt Elfmeter! Er! Gibt! Elfmeter! Jaaaa!“
Kein Wunder, dass bei der DFB-Pokal-Feier auf dem Römerberg unter den 60.000 Fans auch viele Familien und Kinder zu sehen waren. Jung und Alt, umarmt oder auf Papas Schultern, singend und feiernd. Ein Bild, welches selbst Zuschauern vor dem TV-Bildschirm Gänsehaut bescherte. Wer möchte in solchen Momenten nicht ein Teil dieser großen Fußball-Familie sein?
Mit der Fußball-WM geht die Party weiter. Erstmals findet sie in Russland statt. Mit großer Spannung wird den 64 Spielen und 32 Nationalmannschaften, die sich für das Turnier qualifiziert haben, entgegen gesehen. Und selbst im Vorfeld des Turniers ist der Fußball für Überraschungen gut: Zum ersten Mal seit 1958 ist Italien bei einer WM nicht dabei! Und auch das niederländische Oranje-Team muss zu Hause bleiben. Oh, mijn god!
Wir werden nicht umhinkommen, auch bei dieser WM wieder in Erinnerungen zu schwelgen. An unser Sommermärchen 2006. Die WM im eigenen Land. Der Ball rollte in zwölf WM-Stadien, doch die Fans feierten überall. Nie zuvor kochte das Fußballfieber in Deutschland so hoch wie in diesen Wochen. Die Bilder vom Fahnenmeer in Schwarz-Rot-Gold, den geschminkten Wangen und der schier grenzenlosen Freude gingen um die Welt.
Und wie gerne denken wir zurück an das Finale der letzten Weltmeisterschaft? Deutschland spielte im legendären Stadion Maracanã in Rio de Janeiro gegen Argentinien um seinen vierten WM-Titel. Dieses Endspiel war die reinste Zerreißprobe für die Fans. Erst in der 113. Spielminute trifft Mario Götze das argentinische Tor und Deutschland gewinnt als erste europäische Mannschaft einen WM-Titel in Südamerika. Der Jubel war grenzenlos!
2014: „Schürrle – der kommt an. Mach ihn! Mach ihn, er macht ihn! Mario Götze!“
Während einer WM werden auch all jene, die sich wenig oder kaum für Fußball interessieren, von der nationalen Massendynamik mitgerissen. Es wird unermüdlich gefachsimpelt, Balkone mit Flaggen geschmückt, Trikots der Nationalmannschaft zum Public Viewing getragen.
Autocorsos mit wehenden Fahnen begleitet von Hupkonzerten werden zum selbst ordnungsrechtlich gedulteten Phänomen in Deutschlands Innenstädten. Dabei sein ist alles. Zumindest für die Fans. Aber wie bei jeder WM wird es Sieger und Verlierer geben. Männer, die nach Niederlagen weinen, und solche, die sich vor Freude über ein erzieltes Tor das Trikot vom büroblassen Oberkörper reißen. Lasset die Spiele beginnen!
Ist die Magie des Fußballs erklärt? Nein. Dieser Zauber lässt sich nicht in Worte fassen. Man muss ihn erleben. Oder, um es mit den Worten Jürgen Klinsmanns zu sagen: „Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann.“
Mit einem fünften Stern für die deutsche Nationalmannschaft und einem Meer in Schwarz-Rot-Gold wäre es nach dem Schlusspfiff des Finalspiels am 15. Juli sicher spürbar: Fußball über alles.
WM-Fakten 2018
- 2018 ist die erste WM, die auf zwei verschiedenen Kontinenten stattfindet – Asien und Europa
- 55.000 Isländer haben sich für WM-Tickets beworben. Das sind 20% der Bevölkerung.
- Zum ersten Mal seit 1958 ist Italien nicht bei einer WM dabei.
- Der offizielle Spielball Telstar 18 enthält einen integrierten NFC-Chip, der es Heimkickern ermöglicht, via Smartphone personalisierte Daten abzurufen und mit dem Ball zu interagieren.
- Erstmals bei einer Weltmeisterschaft wird der Videoschiedsrichter eingesetzt.
- Deutschland könnte der erste erfolgreiche Titelverteidiger seit Brasilien 1962 werden.
- Bei der WM 2018 wird eine vierte Auswechslung in der Verlängerung erlaubt sein.
- Der Präsident von Panama hat den 11. Oktober zum nationalen Feiertag erklärt, nachdem sich das Land an dem Tag für die Weltmeisterschaft qualifizieren konnte.
- Top-Favorit bei den Wettanbietern ist Deutschland, gefolgt von Frankreich, Argentinien, England und Uruguay.
- Im Sankt Petersburger Stadion sorgt ein Heizsystem dafür, dass Millionen Kubikmeter heiße Luft in das Innere der Arena gepumpt werden, sodass die Temperatur konstant bei 21 Grad liegt.
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