Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris. So lautet der Titel der ersten deutschsprachigen Biografie über den Modeschöpfer, die gerade erschienen ist. Geschrieben hat sie der Frankfurter Journalist Alfons Kaiser, der nicht nur Lagerfeld persönlich kannte, sondern dank akribischer Recherchen auch viele Aussagen des Designers über dessen Kindheit und Jugend korrigieren konnte. Von Sabine Börchers
„Karl Lagerfeld war genial und fies zu-gleich.“ Das sagt einer, der es wissen muss. Alfons Kaiser, Moderedakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und verantwortlich für das Ressort „Deutschland und die Welt“ sowie das Frankfurter Allgemeine Magazin, hat die erste deutschsprachige Biografie über den im vergangenen Jahr verstorbenen Designer geschrieben.
Und wie es sich für einen angesehenen Journalisten gehört, hat er dafür akribisch recherchiert, viele der Orte bereist, an denen Lagerfeld sich aufhielt und mehr als 100 seiner Wegbegleiter befragt – darunter Sébastien Jondeau, seinen Leibwächter, Fahrer und Vertrauten, der Lagerfeld in den letzten Jahren am nächsten war, Kollegen wie Wolfgang Joop oder Tommy Hilfiger, seine „Musen“ Claudia Schiffer, Baptiste Giabiconi, langjährige Freundinnen wie Gloria von Thurn und Taxis sowie Jugendfreunde und ein halbes Dutzend Klassenkameraden.
„Er wusste genau, wie er die Leute für sich einnehmen konnte“
Zudem kannte er den Modeschöpfer persönlich. Bereits im Jahr 1999 interviewte er ihn das erste Mal bei einer seiner Modenschauen. Seitdem traf er ihn regelmäßig, führte in den vergangenen Jahren fünf bis sechs ausführliche Interviews mit ihm und zählte am Ende immerhin zum erlauchten Kreis der Journalisten, denen Lagerfeld vor der Schau Blumen mit einem handgeschriebenen Gruß aufs Hotelzimmer stellen ließ. „Er wusste genau, wie er die Leute für sich einnehmen konnte“, sagt Kaiser.
Aus seiner journalistischen Distanz heraus und doch voller Faszination für den Designer hat er nun dessen Leben beschrieben: Seine Kindheit im ländlichen Bad Bramstedt, die rund 65 Jahre andauernde Arbeit in der Pariser Modewelt, seine persönlichen Beziehungen, aber auch die Luxusversessenheit Lagerfelds und seinen manchmal harten und unmenschlichen Umgang mit Angestellten und Freunden, die selbst Kaiser überraschte.
„Ich vertrete die These, dass er aus seiner Kindheit und Jugend traumatisiert war.“
Und natürlich dessen Stilisierung zum Mythos. Kaisers Erklärung dafür, dass Lagerfeld seine Vergangenheit verklärte und sich für die Öffentlichkeit sogar fünf Jahre jünger machte, lautet so: „Ich vertrete die These, dass er aus seiner Kindheit und Jugend traumatisiert war.“ Lagerfelds Mutter sei sehr harsch gewesen. Er stammte aus einem sehr reichen Haus.
In Bad Bramstedt sei er ein Außenseiter gewesen und gehänselt worden. „Das war so schlimm, dass er nur in Begleitung älterer Mitschüler nach Hause gehen konnte, ohne verprügelt zu werden.“ Zudem sei noch nie thematisiert worden, wie er sich damals gefühlt haben mag, „in den 1950er-Jahren, auf dem Land, wenn man spürt, schwul zu sein.“ Wolfgang Joop habe nach Lagerfelds Tod gesagt, ein schwules Kind fühle sich wie ein schwarzes Kind in einer weißen Klasse.
Produkt-Tipp
- Kaiser, Alfons (Author)
Alfons Kaiser beschreibt Lagerfelds Jugend detailreich und lebendig, dank der vielen Interviews, die er mit Klassenkameraden geführt hat. Auf dieser Zeit liegt sein Schwerpunkt. Während es schon zwei französischsprachige Biografien gebe, habe er besonders zu Lagerfelds Herkunft viel beitragen wollen, begründet der Journalist dies.
Unzählige Interviews und Auftritte
Im April 2019, kurz nach Lagerfelds Tod, hatte er mit den Recherchen zu dem Projekt begonnen, von da an jede freie Minute am Schreibtisch gesessen und sich nie mehr als fünf Stunden Schlaf gegönnt, um die vielen Erzählungen der Menschen, die er befragt hatte, dazu unzählige Interviews und Auftritte Lagerfelds sowie seine Recherchen zu dem Buch zu verbinden.
Dabei wurde er stets kritisch überwacht von einer bestimmt 40 Zentimeter großen Comic-Figur Lagerfelds von Tokidoki, die ihn so, wie dieser sich stilisierte, mit hohem Kragen, weißen Haaren und seiner Katze Choupette auf dem Arm, zeigt. Der Modeschöpfer selbst hatte sie ihm bei einer Shoperöffnung geschenkt. „Sie ist zu meinem Talismann geworden.“ Zugleich wollte Alfons Kaiser diesen Mythos Lagerfeld knacken, der Wahrheit nahekommen und die Kritik an ihm nicht zu kurz kommen lassen.
Die Faszination für sein Schaffen sei geblieben, sagt er im Nachhinein, auch wenn Lagerfeld modehistorisch nicht so prägend gewesen sei wie etwa Yves Saint Laurent. Zugleich sieht er ihn heute als Mensch der Gegensätze, mal zugewandt, offen und witzig, mal kleinlich und grausam, aber immer unglaublich fleißig.
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