Alles im Fluss
Jeden Muskel spüren, die frische Luft einatmen, die Seele vom Klang des Wassers streicheln lassen – Rudern ist weit mehr als nur ein Sport, der Kraft, Ausdauer und Koordination steigert. Wem es nicht genügt, in klimatisierten Fitness-Studio-Räumen auf Stepper oder Ergometer zu trainieren, sollte es ausprobieren. Text: Natalie Rosini, Fotos: Michael Hohmann
Frankfurt. Finanzzentrum und Wirtschaftsmetropole. Tagsüber schwillt sie zur Millionenstadt an, grau-schwarze Geschäftigkeit in Anzug und Kostüm treibt es in die Türme aus Beton und Glas. Das Leben ist hier meist alles andere als ein langer, ruhiger Fluss, eher ein reißender Strom. Ganz anders als der Main, der sich seinen Weg in friedlicher Anmut durch die Stadt der Banken, Baustellen und Bilanzen bahnt und jeden willkommen heißt, der eine Auszeit vom Alltag sucht: Spaziergänger, Jogger, Radfahrer und Skater sowie natürlich all jene, die es aufs Wasser zieht, um ihre Kräfte mit der Natur zu messen. Einer von ihnen ist Salvatore Rimonti…
Solo
So heißt sein Boot, und auf diese Weise bevorzugt es Salva zu rudern. „Für mich ist dieser Sport wie eine innere Einkehr. Stress und Hektik bleiben zurück. Sobald ich auf dem Wasser bin, gibt es nur mich, mein Boot und meine Gedanken.“
Jeden Tag zieht es ihn auf den Main. Mittags, wenn er sich von einer langen Nacht erholt hat und neue Kraft braucht, um abends wieder ganz der strahlende Gastgeber zu sein: in seinem Bistro Salvatore, das er seit über 40 Jahren an der Schönen Aussicht betreibt und das in Frankfurt als Institution unter den italienischen Restaurants gilt – direkt an der Alten Brücke, mit Blick aufs Wasser und „seinen“ Verein.
Die geheime Insel
Der Frankfurter Ruderverein wurde am 28. Juli 1865 gegründet und ist damit der älteste Ruderverein im deutschen Binnenland. Seit 1871 ist er auf der Maininsel unterhalb der Alten Brücke beheimatet, und nachdem im Laufe der Zeit Hochwasser, Kriegsbomben und Brückenumbauten einige Veränderungen mit sich brachten, hat das Bootshaus seit 1948 seine einmalige Lage und Form: Zwischen zwei Brückenpfeilern gelangt man hinein und über eine schmale Treppe hinunter auf die kleine Insel, die sich die Vereinsmitglieder mit unzähligen Enten und Gänsen teilen.
Ein Privatstrand im Herzen der Stadt, mit sandigem Grund, auf dem man sogar einige Muscheln findet und sich abgeschirmt durch das Wasser und die sattgrüne Vegetation wie in einer anderen Welt fühlt, zu der der Verkehrslärm nur wie aus weiter Ferne hervordringt. „Das ist schon wirklich ein ganz besonderer Ort“, sagt Salva, während er sein Boot bereitmacht, um zu seiner täglichen Solo-Tour aufzubrechen. „Manchmal, wenn ich die Zeit beim Rudern vergessen habe und gerade wieder zurückkomme, winken mir meine Mitarbeiter ungeduldig aus dem Lokal, weil schon die ersten Gäste eintreffen.“
Ausgleich für Dichter und Banker
Als er startet, freut sich Salva über die Strömung. Er wird schon einiges an Kraft aufwenden müssen, für den Rückweg indes kann er mit Unterstützung des Windes rechnen. „Beim Rudern erlebt man die Natur und die Jahreszeiten ganz nah“, erklärt Vereinsmitglied Berthold Scharrer.
Wie auch Salva betont der Frankfurter Architekt, dass das Rudern für ihn weit mehr als nur ein Sport ist, um körperlich fit zu bleiben. „Anders als beim Radfahren oder Laufen kommen die Bewegungen aus der Körpermitte. Man muss sozusagen seine Mitte finden bzw. wiederfinden, Kraft, Koordination und Konzentration in Einklang bringen. Das ist für jemanden, der beruflich stark eingespannt ist und viel unter Stress steht, ein weitaus besserer Ausgleich als bloßes Konditions- oder Krafttraining.“ Und so zählen zu den rund 250 Mitgliedern des Frankfurter Rudervereins von 1865 sowohl Manager und Banker als auch Handwerker, sowohl Wettkampfaktive als auch Freizeitruderer, sowohl Jugendliche als auch Senioren. „Ganz gleich, ob man allein rudert oder im Team, die Liebe zum Sport und das Engagement des Vereins, auch in sozialen Belangen, verbindet uns.“
Rudern ohne Grenzen
Vom Einer bis zum Achter bietet der Rudersport für jeden die geeignete Konstellation. Da er kaum Verletzungsrisiken birgt und schonend alle Muskelgruppen beansprucht, ist er bis ins hohe Alter und für jeden Fitness-Grad das ideale Training. In kaum einer anderen Sportart trifft man in Vereinen auf so eine hohe Zahl von Aktiven im „besten Alter“. Über 70jährige Ruderer, die sogar noch an Wettkämpfen und Touren teilnehmen, sind keine Seltenheit.
Und auch Handicap-Rudern wird unter behinderten Sportlern immer beliebter. „Rudern fördert die körperliche und geistige Fitness“, sagt Salva, der immerhin auch 64 Jahre alt bzw. jung ist. Doch wie lange braucht man, um das Rudern zu erlernen? „Grundlagen wie die Bewegungsabläufe und den Umgang mit dem Bootsmaterial hat man sehr schnell raus“, erklärt Berthold Scharrer, dessen Mannschaft kurz nach unserem Besuch beim Elfsteden-Rudermarathon im holländischen Leuwaarden als zweitbestes deutsches Team hervorgegangen ist. „Nach acht bis zehn Ausbildungsfahrten hat man sozusagen das Basiswissen und Können. Danach gilt es, Praxis mit erfahrenen Ruderern zu sammeln. Die eigene Technik dann richtig auszureifen, so dass alles im Fluss ist, kann schon ein paar Jahre dauern.“ „Ich kenne niemanden, der während dieser Zeit die Lust am Rudern verloren hätte“, ergänzt Salva. „Einmal auf dem Wasser, ist man Ruderer.“
Der Ruf des Wassers
Der gebürtige Neapolitaner liebt alles, was mit Wasser zu tun hat, auch Wakeboarden und Windsurfen, eine Disziplin, in der er auch schon international Erfolge, auch bei Weltmeisterschaften, erzielte. „Mit dem Rudern fing jedoch alles an“, erinnert er sich und zeigt uns eine alte, schon ein wenig verblasste Fotografie, die ihn als 9-jährigen Jungen zeigt. Unverkennbar: das spitzbübische Lächeln. „Damals wurde ich italienischer Meister. Die Medaille trägt meine Frau an einer Kette um den Hals.“
Es folgten viele weitere Siege, auch die WM-Qualifikation, doch als er nach Deutschland kam, widmete er sich mehr der Arbeit und anderen Sportarten, bevor ihn Gäste seines Restaurants vor 15 Jahren darauf ansprachen, er solle doch wieder aktiv werden. Es waren Mitglieder des Frankfurter Rudervereins von 1865, seine heutigen Vereinskollegen und Freunde. Heute engagiert sich Salva für „seinen Club“, nimmt an Regatten teil und sorgt mit seinem Temperament für „italienische Leidenschaft“ auf dem Main.
Einmal um die ganze Welt
Das Ruderrevier des Frankfurter Rudervereins erstreckt sich auf dem Main über zehn Flusskilometer von der Staustufe Offenbach bis Griesheim. „Man rudert in schönster Natur und doch im urbanen Raum, mit der Skyline im Blick, entlang des Museumsufers und der Innenstadt sowie den schönen Grünanlagen zwischen Niederrad und Schwanheim“, so Salva. Doch wie Flüsse seit jeher die natürliche Verbindung verschiedener Städte und Länder gewährleisten, sind auch die Frankfurter Ruderer nicht nur in Rhein-Main unterwegs: Während der Rudersaison finden zahlreiche Wanderfahrten im In- und Ausland statt. Dabei werden nicht nur neue Gewässer errudert, sondern auch andere Städte entlang der Strecke erkundet. „Wie gesagt: Rudern verbindet“, lacht Salva. „Mit Ruderfreunden, mit der Natur, anderen Orten und nicht zuletzt mit dem eigenen Ich.“
Lust auf Rudern?
Allen, die den Rudersport kennen lernen möchten, bietet der Frankfurter Ruderverein von 1865 saisonale Anfänger- und Schnupperkurse von Mai bis August an. Ein Kurs dauert vier Wochen und umfasst acht Übungseinheiten. Pro Kurs stehen 4 bis 8 Plätze zur Verfügung. Die Kurse finden dienstags und donnerstags um 17.45 Uhr statt. Kosten: 100 Euro (entfallen bei Vereinseintritt). Leider sind die Kurse für 2013 bereits ausgebucht, Anmeldungen sind also erst ab März 2014 über die Webseite des Vereins möglich. Wiedereinsteiger sind ohne Voranmeldung zu den allgemeinen Ruderzeiten jederzeit willkommen. Sie dürfen bis zu drei Mal kostenfrei „schnuppern“. www.frv1865.de