Sie ist Deutschlands kleinste Kunsthochschule und gleichzeitig eine der angesehensten weltweit: die Städelschule. Rektor Professor Nikolaus Hirsch lud Top Magazin Frankfurt zu einem exklusiven Rundgang durch die Ateliers ein und stellte uns das Institut sowie einige vielversprechende Nachwuchskünstler vor.
Es sind Ferien. Nicht viel los auf den Gängen und in der Mensa. Dennoch herrscht in einigen Ateliers reges Treiben. Musik, Stimmen, Sägen und Bohrgeräusche verschmelzen im Lichthof zu einer kunstvollen Soundkulisse. Professor Nikolaus Hirsch empfängt uns in seinem Büro.
Die große Fensterfront in seinem Rücken gibt den Blick auf das Städelmuseum frei. Das Städel, die große Schwester? „Ja und nein“, sagt er. „Wir haben im Grunde nur den Namen des Stifters gemeinsam.“ Während in den letzten Monaten viel Aufhebens um das Museum und den neuen Anbau gemacht wurde, so der Rektor, sei die Hochschule im Bewusstsein vieler Frankfurter kaum präsent. „International ist das genau umgekehrt: In Kunstkreisen hat die Städelschule eine weitaus größere Bedeutung als die Sammlung des Museums. Hier studiert zu haben ist eine echte Referenz.“
Städelschule: Kleine, feine Kunstfamilie
Und diese Referenz hätten viele Künstler gerne in ihrem CV stehen. „Die Städelschule ist ein starkes Label in der Kunstwelt“, so Hirsch. Zu den aktuellen Aufnahmeprüfungen, erzählt er, haben sich rund 700 Anwärter auf einen Studienplatz beworben. „Circa 50 werden zur ersten Auswahl mit ihren Mappen eingeladen. Genommen werden nur etwa 20.“ Frankfurter sind dabei fast eine Ausnahme: Die rund 190 Studierenden an der Städelschule kommen aus 42 Nationen, 70 Prozent kommen aus dem Ausland.
Bei den Professoren ist das Verhältnis ähnlich. „Dass die Hochschule den Kreis der Studierenden so klein hält, hat den Vorteil, dass diese einen viel intensiveren Austausch mit den Lehrenden pflegen können. Wir bieten ihnen einen intimen familiären Ort, an dem der Dialog nie abreißt. Mit den Professoren sowie untereinander.“
Learning by doing
Und auch mit internationalen Künstlern, Kunstvermittlern, Galeristen und Kritikern kommen Städelschüler schon während des Studiums in Berührung. „Die Studenten zeigen viel Präsenz in der Stadt. Bei Ausstellungen in anderen Kulturinstitutionen wie Kunstverein oder MMK, wo im Oktober auch wieder die Absolventenausstellung stattfindet.
Und auch in Eigenregie: Zehn unserer Schüler betreiben eine kleine Galerie namens ‚Sola la notte‘ in der Oppenheimer Straße.“ Zahlreiche Städelschüler sind bereits wer, wenn sie ihren Abschluss machen. Das beste Beispiel dafür ist Prorektor Tobias Rehberger. Und natürlich die Dichte an Städelschulabsolventen und -dozenten, die auf der diesjährigen Documenta in Kassel vertreten waren – sage und schreibe zehn!
Art-Network
So präsent die Städelschüler in Frankfurt auch sind – nach dem Studium bleiben nicht viele in der Mainmetropole, berichtet Nikolaus Hirsch. „Die Ökonomie der Stadt macht es freie Künstlern hier nicht leicht. Es gibt einfach nicht genügend Ateliers, die bezahlbar wären.“ Doch die Verbindung mit Frankfurt und der Städelschule, so Hirsch, bleibt. Während des Studiums bilden sich langfristig Netzwerke, Absolventen halten Kontakt, auch mit Dozenten und anderen Verantwortlichen aus dem Frankfurter Kulturbetrieb, ganz gleich, wohin es sie in der Welt verschlägt. Und einige kehren auch als Dozenten zurück.
Ein weiterer wichtiger Faktor, der für die Qualität der Lehre an der fast 200 Jahre alten Frankfurter Hochschule steht. „Städelschulabsolventen bleiben immer so etwas wie Botschafter der Stadt Frankfurt“, erklärt Hirsch und erinnert an die PR-Aktion der Stadt Berlin im letzten Jahr, bei der die Hauptstadt als Deutschlands Kunstmetropole präsentiert werden sollte. „Das Fazit des Spiegel war, dass Kunst wohl einige hundert Kilometer weiter südlich ihre Hochburg hat. 50 Prozent bei der Schau waren Städelschüler.“
Brotlose Kunst
Die Arbeiten von Städelschülern sind oftmals nur wenige Jahre nach ihren Abschlüssen bereits in großen Museen zu sehen. So zum Beispiel im Städel, dessen Sammlung auch Arbeiten von Tobias Rehberger und Michael Beutler enthält. „Es ist nicht selbstverständlich, dass so junge Künstler so schnell weltweite Bekanntheit erlangen. Aber es ist Fakt, dass es um die Zukunft unserer Absolventen meist sehr gut bestellt ist.“
Um die Zukunft der Hochschule indes nicht: Obwohl ganz Kunst-Deutschland vom Renommee der Städelschule profitiert, hat das Institut große finanzielle Sorgen. „Wir werden nur von der Stadt Frankfurt finanziert, das Land Hessen steuert keinen Cent bei. Zudem wurde unser Etat seit 2008 nicht erhöht. Die Kosten jedoch sind gestiegen“, erklärt Nikolaus Hirsch.
Als erste Konsequenz wird das Institut nicht länger die Trägerschaft für die Städelschul-Abendschule übernehmen. Doch das, so Hirsch, sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Wenn wir unser hohes Niveau halten wollen, sind wir angewiesen auf private Spender und Förderer. Hochkarätige Dozenten wie unseren Filmprofessor Douglas Gordon, um den sich im Übrigen jede Hochschule weltweit reißen würde, muss man sich leisten können. Ebenso wie Material und eine adäquate Infrastruktur für unsere Studenten. Aktuell können wir nicht sagen, ob wir die Professur für Malerei, die im nächsten Jahr neu vergeben wird, wirklich so besetzen können, wie wir es geplant hatten.“
Die Künstler von morgen
„Wir produzieren nichts, was man sofort sieht“, erklärt Nikolaus Hirsch den Mangel an Aufmerksamkeit für die Städelschule. „Man sollte der Öffentlichkeit bewusst machen, dass hier entsteht, was wir uns später in den Museen anschauen.“ Und so nimmt er uns mit auf einen Rundgang durch die Ateliers, um einige der „Künstler von morgen“ kennenzulernen. Zunächst besuchen wir Hannes Michanek, Malerei-Student aus Schweden kurz vor dem Abschluss. Er ist, so Hirsch, schon ein kleiner Star, hatte unter anderem im Sommer eine Ausstellung in der Commerzbank und ist aktuell Teil der Schau „Malerei der ungewissen Gegenden“ im Frankfurter Kunstverein.
Laut Ozzy Osborne hörend sitzt er, farbverschmiert, auf einem alten Drehstuhl und arbeitet an drei großformatigen Gemälden. Wie man den Stil bezeichnen könnte, in dem er die surrealen Landschaften auf den Leinwänden verewigt, wollen wir wissen. „It’s just how I paint“, sagt er mit einem verlegenen Lächeln und erklärt uns, dass es vor allem die Selbständigkeit ist, die er an der Städelschule so zu schätzen weiß: „Natürlich ist Lehre wichtig. Und ich schätze den intensiven Austausch mit Professoren und anderen Studenten. Doch es ist eben auch wichtig, dass man sich als Künstler entfalten kann. Hier haben die Studenten die Möglichkeit, eigene Ideen und Projekte zu realisieren.“
Das bestätigen auch Nick Geene aus Neuseeland und seine Freundin und Kommilitonin Helène Fauquet aus Frankreich, die bei Kunst-Star Willem de Rooij Freie Bildende Kunst studieren. „Man kann hier sehr viel mitnehmen oder nichts“, sagt Nick überspitzt. „Es ist eben nicht dieses typische Bachelor-System. Die meisten sind aber so schlau, klare Ziele zu verfolgen und von den guten Verbindungen, die man hier genießt, zu profitieren.“
Und das tut auch die nächste Studentin, die wir kennenlernen: Dana Munro aus der Filmklasse von Douglas Gordon. Die Halb-Schottin, Halb-Jordanierin ist Gewinnerin des diesjährigen Rudi-Seitz-Kunstpreises und zeigt vom 26. Oktober bis 18. November die Filminstallation „Gefährdung im Paradies“ im Frankfurter Palmengarten.
Die Studentin genießt großes Ansehen in der Kunstszene und weiß, dass sie das auch der guten Vernetzung der Städelschule sowie der Lehre international erfolgreicher Künstler zu verdanken hat. „Man lernt nicht nur viel über seinen Fachbereich, sondern sammelt auch Erfahrungen sowie wertvolle Kontakte für die Zeit nach dem Studium.“
Sicher wird man von Dana Munro noch viel hören… Und vielleicht auch von den lustigsten Nachwuchskünstlern, die wir beim Atelier-Hopping kennenlernen durften: Jol Thomson aus Kanada und Patrick Keaveney aus Irland, Studenten der Freien Bildenden Kunst bei Simon Starling. „Obwohl die ‚self-directedness‘ an der Städelschule auf Außenstehende vielleicht unstrukturiert wirken kann“, so Jol, „ist die Produktivität in den Ateliers so hoch wie in vielleicht keiner anderen Kunsthochschule.“
Und als die beiden Paradiesvögel merken, dass sie quasi zugegeben haben, zu einer fleißigen Studentengemeinde mit Ambitionen auf Erfolg zu gehören, statten sie sich kurzerhand mit E-Gitarre und Kaktus für unser Foto aus, und Patrick proklamiert: „Nicht jeder möchte berühmt sein. Mein Ziel ist es, der erste Künstler in der Schwerelosigkeit zu werden.“ Wenn das einer schafft, dann sicher ein Städelschüler…