Tierheime leer, Welpen aus – plötzlich will jeder einen Hund zum Spielen, Spazieren und Liebhaben. In Krisenzeiten ist der treue Freund der perfekte Seelentröster, doch Tierschützer zweifeln, dass der Hunde-Hype auch nach dem Lockdown anhält.
Als die dreifache Hundemama Katinka Spiegler im Oktober den Nachwuchs ihrer Goldendoodle-Hündin Ida bekannt gab, ahnte sie nicht, was auf sie zukommt. Die Züchterin aus Bad Vilbel erlebte einen regelrechten Run auf die noch nicht einmal geborenen Welpen. Das Postfach quoll über, das Handy klingelte Sturm. „Das war irre. Schon nach einer Woche konnte ich keine Anfragen mehr annehmen. Und trotzdem rufen mich bis heute jede Woche mindestens sieben Leute an, die unbedingt einen Hund wollen.“ 2.500 Euro nimmt Katinka Spiegler für ihre Welpen. „Die Preise haben sich wegen Corona verdoppelt. Ich kenne Züchter, die bis zu 4.500 Euro verlangen.“
Vierbeiner sind seit Pandemiebeginn begehrter denn je. Züchter und Tierheime werden mit Anfragen bombardiert, der Zoofachhandel ist ausverkauft. Laut Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) wurden im vergangenen Jahr 25 Prozent mehr Hunde gekauft als in 2019. Auch in Frankfurt sind mehr pelzige Vierbeiner unterwegs: Nach Angaben der Stadtkämmerei lag die Zahl der angemeldeten Hunde zum Jahresende bei 19.400, 2019 waren es nur 18.383. Mischlinge, Labrador Retriever, Deutsche Schäferhunde, Französische Bulldoggen und Australian Shepards sind laut Tierschutzorganisation Tasso e.V. bei den Hessen besonders beliebt.
„Dem Hund ist in den letzten Jahren – und aktuell noch einmal mehr – eine ganz neue gesellschaftliche Rolle zugekommen“, sagt Hundeprofi Martin Rütter im Top Magazin-Interview. „Er ist heutzutage nicht mehr nur der Helfer bei der Arbeit, zum Beispiel der Hütehund der Schäfer. Als Familienhund kann er Kinder in emotionaler, sozialer und geistiger Hinsicht fördern, bei vielen Singles fungiert er als Partnerersatz und bei Paaren als Kinderersatz.“
Hunde empfinden Liebe
Auch andere Haustiere bereiten Freude, reduzieren Stress und helfen gegen die Einsamkeit – die Katze ist weiterhin das traditionelle Lieblingstier der Deutschen. Aber: „Von allen Tieren passt der Hund am besten zum Menschen“, erklärt uns Martin Rütter. „Denn Gefühle beim Hund sind messbar. Hunde, die ihren Halter wiedersehen, empfinden Glück und so etwas wie Liebe, weil entsprechende Hormone ausgeschüttet werden. Außerdem hat der Hund eine Eigenschaft, die sonst kein Tier hat: Der Hund ist in der Lage, einen Artfremden als gleichwertigen Sozialpartner zu sehen. Der Hund weiß, dass wir kein Hund sind. Aber wir können für den Hund so wichtig werden wie ein anderer Hund. So etwas kann keine Katze, kein Pferd und kein Wellensittich. Selbst ein Affe kann das nicht.“
Auf den Hund gekommen
Das Leben mit einem Hund an seiner Seite war schon vor Pandemiezeiten der größte Traum von Torsten Thum. Der Chef vom Porsche Zentrum Aschaffenburg ist mit den Vierbeinern aufgewachsen. Seine Frau Sabrina war von der Vorstellung nicht zu hundert Prozent überzeugt: „Wir haben beide über 40 Stunden die Woche gearbeitet, hatten wenig Zeit für Hobbys und waren selten zu Hause. Unter diesen Umständen hätten wir einem Tier nicht die Aufmerksamkeit schenken können, die es verdient.“
Dann kam Covid-19. „Im ersten Lockdown waren wir unglaublich viel joggen, Rad fahren und wandern. Diese Zeit hat den Wunsch nach einem Hund definitiv verstärkt.“ Bereits im März 2020 macht sich das Paar auf die Suche nach einem Züchter und findet sein Glück in der Nähe vom unterfränkischen Miltenberg. Aus 50 Anfragen für acht Welpen werden sie als künftige Besitzer „auserwählt“. „Wir können es immer noch nicht fassen. Seit dem 2. Oktober gehört die süße Shiva zu unserer kleinen Familie“, sagt die glückliche Hundemama, die ihre Arbeitsstunden jetzt ein wenig runtergeschraubt hat. „Shiva ist eine semmelgelbe Magyar-Vizslas-Hündin, ein kurzhaariger ungarischer Vorstehhund. Sie ist sensibel, intelligent und kinderlieb. Aber sie ist auch temperamentvoll und ein bisschen verrückt.“
Shiva hat den Alltag der Thums auf den Kopf gestellt. „In den ersten Wochen mussten wir mit ihr vier-, fünfmal nachts raus“, sagt Sabrina Thum und seufzt: „Und ihr Hundekissen hat sie schon zweimal zerbissen, so lange bis die Schaumstoffflocken wie Konfetti in der Wohnung rumflogen.“ Nach sechs Monaten sind die drei nun ein eingespieltes Team. „Wir besuchen die Hundeschule und trainieren fleißig. Morgens, mittags, abends gibt’s draußen eine große Runde zum Auspowern.“ Dabei haben die Hundeeltern voller Erstaunen festgestellt: „Beim Spaziergang mit Shiva lernen wir gerade unsere Nachbarschaft ganz neu kennen. Wir sind wirklich baff, wie viele einen Hund besitzen.“ Abends auf der Couch wird gekuschelt. „Das lieben wir alle drei so sehr.“ Eins steht für die Thums fest: „Ein Leben ohne Shiva können wir uns einfach nicht mehr vorstellen.“
Nur das Beste für den Liebling
So geht’s auch Christine Kobberger, die im über 100-jährigen Frankfurter Familienunternehmen „Parfümerie Kobberger“ am Thurn-und-Taxis-Platz arbeitet: „Ein Leben ohne meinen Cockerpoo Leo ist für mich undenkbar!“ Der sechsjährige Mix aus Cockerspaniel und Pudel im Teddybären-Look ist ihr ganzer Stolz: „Er ist schlau, goldig, unkompliziert. Wir machen ausgiebige Spaziergänge, schauen fern, nachts teilen mein Mann und ich mit ihm unser Bett. Leo ist mein Schatz, mein Freund – er hat nur das Beste verdient!“ Ihre Liebe zu Leo lässt sie sich regelmäßig etwas kosten. Dazu gehört auch der Gang zum Groomer, also ein Friseur für Hunde. Alle sechs Wochen gibt’s für ihren Vierbeiner das volle Beautyprogramm im „Hundesalon Bornheim“. Das macht für Christine Kobberger circa 600 Euro im Jahr – nur für Leos Fellpflege. Sie nickt: „Die Kosten nehme ich gerne in Kauf!“
Der Mann für alle Felle
Haustiernarren kennen den Frankfurter Francisco Ferreira Vasconcellos aus der TV-Sendung „HundKatzeMaus“. Dort stylt er seit 2015 Tierheimhunde, damit diese einfacher vermittelt werden können. „Man adoptiert einen Hund in erster Linie wegen seines Charakters. Aber es ist doch so: Der erste Eindruck zählt, und dass das Tier goldig und gepflegt aussieht, spielt eine wichtige Rolle.” Der Brasilianer aus Sao Paulo ist seit 22 Jahren Hunde-Coiffeur und Besitzer des renommierten „Hundesalon Bornheim“, der vor drei Jahren von Bornheim nach Eckenheim umgezogen ist. „Ich habe viel Erfahrung in der Königsdisziplin des Schneidens und bin besonders auf Pudel spezialisiert. Eine der Hunderassen, die am schwierigsten zu behandeln ist.”
Regelmäßig nimmt er an nationalen und internationalen Meisterschaften teil. „2017 wurde ich in der Schweiz als ‚Best Talent‘ ausgezeichnet, 2018 zum ‚Best Allrounder Groomer‘ gekürt. Und 2019 habe ich in Deutschland in der Kategorie ‚Bester German Groomer Schneiderasse‘ gewonnen“, sagt er voller Stolz. Er ist der Mann, dem Hund und Herrchen vertrauen. „Einer meiner Kunden kam mit seinen sechs Hunden extra aus München angefahren.“ Alleine die Behandlung bei Francisco kostete 500 Euro an diesem tierischen Tagesausflug.
Haute Couture für Hunde
Was sich Frauchen und Herrchen gönnen, ist längst zum Standard für ihre Vierbeiner geworden. Nicht nur Hollywood-Größen wie Paris Hilton, Reese Witherspoon oder David Hasselhoff verwöhnen ihre Hunde mit kostspieligen Luxusartikeln. Nach Angaben des Industrieverbands Heimtierbedarf (IVH) gaben die Deutschen in 2019 5,2 Milliarden Euro für ihre Haustiere aus. Wachstums-Gewinner: das Hundezubehör mit einer Steigerung von 6,4 Prozent auf 215 Millionen Euro. Von Fressnäpfen in Marmoroptik und Kaltschaummatten gegen Hüftprobleme über Samt-Thron-Bettchen, Hundeparfüm bis hin zum Haute Couture Minirock mit Perlen aus Mailand – es gibt nichts, was es nicht gibt für den It-Wau-Wau.
„Wenn man seinen Hund mal vermenschlicht, geht ja nicht direkt die Welt unter”, findet Hundetrainer Martin Rütter. „Es darf nur nicht eskalieren, dass ich permanent meine Wünsche auf den Hund projiziere. Das schürt Erwartungen, die der Hund niemals erfüllen kann.“ Seine Meinung: „Solange der Hund in seiner geistigen und körperlichen Freiheit nicht eingeschränkt wird und nach seinen natürlichen Bedürfnissen entspannt leben kann, ist alles okay. So ist beispielsweise gegen ein mit Diamanten besetztes Halsband nichts zu sagen, denn es beeinträchtigt den Hund nicht. Gefährlich wird’s aber, wenn der Hund zum Oktoberfest ins Dirndl gezwängt wird. Da hört der Spaß auf, das ist Tierquälerei!“
Massagen und Schlemmerteller
„Meine Hunde dürfen nicht ins Bett oder auf die Couch. Trotzdem verwöhne ich sie, wo ich nur kann“, erzählt Züchterin Katinka Spiegler. „Sie tragen Designerhalsbänder und ich habe für sie Kurse in Reiki und Tellington-Touch besucht. Massagemethoden, bei denen ich durch hebende, kreisende und streichende Bewegungen die Körperhaltung und das Körpergefühl meiner Hunde energetisch und positiv beeinflussen kann.“ Eine hochwertige Ernährung liegt ihr besonders am Herzen: „Sie bekommen nur rohes, natürliches Futter. Also frisches oder tiefgekühltes Fleisch, Innereien, Knochen und Fisch. Kein Trockenfutter. Und ihre Schlemmerteller garniere ich zusätzlich mit Nudeln, Obst, Gemüse, Kräutern und Kokosnussöl.“
Tierschützer sind besorgt
Der Hund ist dem Menschen viel wert: Für viele gilt er als vollwertiges Familienmitglied. In der Krise ist er nicht nur Sportsfreund und Spielkamerad, er ist auch Seelentröster. Tierschützer haben jedoch Zweifel, dass der Hunde-Hype auf Dauer anhält. „Ich befürchte, dass viele Vierbeiner wieder abgegeben werden, wenn Reise- und Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden“, sagt die Frankfurterin Architektin und Hochschul-Dozentin Anke Wünschmann. Sie ist nebenberuflich Tierpsychologin, Hundetrainerin und in der Tierschutzorganisation „Leben für Streuner e. V.“ tätig.
Bei jeder Anfrage muss sie entscheiden: „Ist da echtes Interesse, das ganze Leben mit einem Hund zu teilen, oder wurde die Entscheidung Corona-bedingt gefällt?“ An das Bewusstsein der Interessenten appelliert sie: „Wer sich einen Vierbeiner anschaffen will, dem muss klar sein, welche Pflichten das mit sich bringt. Ein Hund ist kein Spielzeug, das ich bei Bedarf rauskrame und dann wieder wegpacke, wenn ich keine Lust mehr darauf habe. Es bedeutet, dass ich mein eigenes Leben auch nach den Bedürfnissen des Hundes ausrichte und Verantwortung übernehme.“
Ein Freund fürs Leben
Wer eine Fellnase aufnehmen will, sollte Folgendes hinterfragen: Möchte ich mich die nächsten 15 oder mehr Jahre an einen Hund binden? Erlaubt es mein Job, einen Hund angemessen zu versorgen? Wer diese Fragen mit „Ja“ beantworten kann, kann sich auf die Suche nach seinem Freund fürs Leben machen.
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