Mystische Burgruinen, faszinierende Steillagen, malerische Dörfer – das UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal zwischen Bingen, Rüdesheim und Koblenz gehört zu den aufregendsten Kulturlandschaften der Erde. Hinzu kommen die zahlreichen kulinarischen Geheimnisse, die es in der Region zu entdecken gilt. Dazu gehören vor allem der Riesling, das zarte Fleisch und der aromatische Käse der MiZis (Mittelrhein-Ziegen) sowie die fast schon in Vergessenheit geratenen Mittelrhein-Kirschen. Von Steven Buttlar
Inhalt
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- Rüdesheim – das Tor zum Oberen Mittelrheintal
- Lorch – Übernachten im Klassenzimmer
- Mittelrhein-Kirschen – auf den Spuren fast vergessener Sorten
- Die MiZis – südafrikanische Burenziegen sorgen für Ordnung
- Weinland Mittelrhein – Opernsänger, Brenner und die Helden der Steillage
- Burg Sterrenberg – ein würdiger Abschluss
- Buchtipps Mittelrheintal
Rüdesheim – das Tor zum Oberen Mittelrheintal
Der perfekte Ausgangspunkt für eine Reise durch das Obere Mittelrheintal ist Rüdesheim am Rhein. Hier, mitten in der Drosselgass’, befindet sich Breuer’s Rüdesheimer Schloss. Fröhlich schallt es einem hier an jeder Ecke „Gude!“ entgegen. Es ist das Universalwort, mit dem sich Amerikaner, Japaner und Chinesen in der Drosselgass’ gleichermaßen verständigen. Denn Menschen aus aller Welt treffen hier in der Saison tagtäglich auf Einheimische. Es wird zu Klassikern der Musikgeschichte gesungen, getanzt, gelacht. Die Stimmung ist wirklich gut und das ganze Personal zieht fröhlich mit. „German Gemütlichkeit in a nutshell“ würde ein Amerikaner es vermutlich nennen.
Was Familie Breuer hier seit Generationen auf die Beine stellt ist phänomenal. Zugegeben, es klingt im ersten Moment nach Touristennepp – das genaue Gegenteil ist allerdings der Fall. Natürlich ist es ein auf Touristen ausgelegtes Hotel- und Restaurantkonzept, aber wer einmal die Hessisch’ Tapas probiert hat, der weiß, dass in der Küche exzellent mit regionalen Produkten gearbeitet wird. Weit weg von seelenloser Mikrowellenkost, die manch anderes Touristenlokal serviert. Auch die Weinkarte hat es in sich: Bei über 350 Positionen und Raritäten aus dem frühen 20. Jahrhundert kommen Rieslingfreunde vollends auf ihre Kosten.
Familie Breuer ist eine der Dynastien, die den Rüdesheimer Tourismus seit Jahrzehnten prägen. Sowohl mit ihrem Hotel als auch mit ihrem Weingut Georg Breuer, das heute von Theresa Breuer geleitet wird. Sie gilt als eine der wichtigsten Unternehmerinnen der deutschen Weinszene und ist darüber hinaus eine sehr unterhaltsame Gastgeberin, die nach getaner Arbeit auch gerne mal ein Bier trinkt. Am liebsten natürlich das Hessische „Gude“. Wie könnte es auch anders sein!
Lorch – Übernachten im Klassenzimmer
Susanne Röntgen-Müsel ist eine Schul… – Verzeihung: Hoteldirektorin wie aus dem Bilderbuch. Sympathisch, hilfsbereit und herzlich, empfängt sie ihre Gäste „Im Schulhaus“ in Lorch mit einem strahlenden Lächeln. Auf den Zimmern liegen von ihr handgeschriebene Begrüßungsbriefe. Das Highlight des Frühstücksbuffets ist das originale Waffelrezept ihrer Großmutter mit hausgemachten Marmeladen. Es sind diese liebevollen Kleinigkeiten, die inhabergeführte Häuser immer von Kettenhotels abgrenzen werden. Gut so!
Das Schulhaus ist ein Kulturdenkmal im Bauhaus-Stil aus dem Jahr 1933. Viele Lorcher erinnern sich noch heute an ihre Schulzeit in der alten Wisperschule. Auch Franziska Breuer-Hadwiger. Sie erwarb das stillgelegte Schulgebäude am 17. Mai 2011 und ließ es zum Hotel umgestalten. Im April 2013 hauchte sie dem Gebäude neues Leben ein und eröffnete das Hotel mit breiter Zustimmung der Anwohner. Bis heute wird das Hotel außergewöhnlich gut angenommen.
Viele Gäste nutzen das Schulhaus als Ausgangspunkt für Tageswanderungen und Weinproben bei den ortsansässigen Winzern. In diesem Zusammenhang spielt Franziska Breuer-Hadwiger ebenfalls eine tragende Rolle: Sie führt das Weingut Altenkirch erfolgreich mit ihrem Betriebs- und Kellermeister Jasper Bruysten. Für Gäste des Schulhauses stehen die Rieslinge und Spätburgunder von Altenkirch 24 Stunden am Tag bereit – in einem Kühlschrank. Als Honesty Bar. Nachsitzen im Schulhaus kann so angenehm sein. Wäre es doch nur immer so gewesen…
Mittelrhein-Kirschen – auf den Spuren fast vergessener Sorten
Seit Jahrhunderten prägt der Kirschanbau das romantische Landschaftsbild des Oberen Mittelrheintals. Das weiße Blütenmeer im Frühjahr an den Hanglagen des Rheins ist atemberaubend schön. Eine der ehemaligen Hochburgen der internationalen Kirschvielfalt ist das malerische Dörfchen Filsen. Was längst in Vergessenheit geraten war, wird heute hier in Filsen wieder zum Leben erweckt: Die traditionellen, autochthonen Kirschsorten des Mittelrheintals. Im Rahmen eines vereinfachten Flurbereinigungsverfahrens entstand mit großen Engagement lokaler Kirschfreunde der Filsener Kirschenpfad.
Auf einem zwei Kilometer langen Rundkurs präsentieren Kirschliebhaber Frank Böwingloh und Alfred Neckenich stolz „ihre“ Mittelrhein-Kirschen. Die mehr als 80 Sortennamen klingen teilweise sehr exotisch: Burlat, Bopparder Krächer, Adlerkirsche von Bärtschi. Wer in den Genuss einer der ganz besonderen Führungen während der Erntezeit kommt, dem wird mächtig aufgetischt.
Es gibt eiskalte Säfte, pflückfrische Kirschen, getrocknete Diemitzer, herausragende Schaumweine und Seccos aus der Amorella Kirschmanufaktur, edle Brände aus dem Hause Fetz, Kirschsenf aus der Bopparder Senfmühle, ein Haselnuss-Kirsch-Pesto aus dem Landhotel Becker, Sabine Paulys Pralinen gefüllt mit der Perle von Filsen sowie die alkoholhaltigen Cerises aus Soleil, in der Sonne fermentierte Früchte. So aufregend und vielfältig können Kirschen sein. Unglaublich! Hinzu kommt der atemberaubende Blick auf die Rheinschleife mit dem Bopparder Hamm und dem Jakobsberg. Ein sinnliches Gesamterlebnis!
Die Geschichte der Mittelrhein-Kirschen
Das Mittelrheintal blickt auf eine 2.000 Jahre alte Kirschtradition zurück. Insgesamt gibt es hier über 80 Sorten. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Mittelrhein-Kirschen ein richtiger Exportschlager. Die Kirschregion boomte. Es gab sogar eigene Kirschmärkte. Doch seit den 1960er Jahren geht der Kirschanbau rapide zurück.
Der Handel verlangt zunehmend nach großen Mengen einheitlicher Qualität. Uniformität vor Vielfalt. Einheitsgeschmack statt Geschmacksexplosion. Sorten geraten in Vergessenheit und sterben aus. Damit genau das nicht passiert, haben sich passionierte Kirschfreunde und Erzeuger aus der Region mit dem Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal zusammengetan. Gemeinsam setzen sie sich für den Fortbestand der Kirschvielfalt in der Region ein.
Die MiZis – südafrikanische Burenziegen sorgen für Ordnung
Wer durch das obere Mittelrheintal und seine Seitentäler wandert, wird in den Steilhängen immer wieder weiße Punkte entdecken. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man drollige Schlappohren, geschwungene Hörner und braune Köpfe. Es sind die Mittelrhein-Ziegen bei der Arbeit. Die Burenziegen werden gezielt eingesetzt um die zugewachsenen Steilhänge zu entbuschen.
Damit erhalten sie das charakteristische Landschaftsbild des Welterbegebiets. Horst Maurer, Ex-Soldat und heutiger Welterbe-Gästeführer, ist vor einigen Jahren auf die Idee gekommen, die bis zu 95 Zentimer großen Tiere für die Landschaftspflege einzusetzen. Der große Vorteil: Sie haben einen großen Appetit und können sich sicher in den steilen Hängen des Mittelrheintals bewegen.
Da sich die Burenziegen hier wohl fühlen und gerne vermehren, hat Horst Maurer für seine Tiere mittlerweile auch eine zweite Verwendung: Ziegenfleisch. Es handelt sich bei den MiZis um reine Fleischziegen. Ein Experte in der Zubereitung des Ziegenfleisches ist Andreas Stüber vom Rhein-Hotel in Bacharach.
Der TV-Koch verwendet die MiZis „from nose to tail“. Er serviert ein Herz- und Lungen-Ragout zum Dahinschmelzen. Die rosa gebratene Leber ist herausragend. Und die Fenchelsalami könnte auch in Italien nicht besser sein. Wer bei Stüber zu Gast ist muss neben den Ziegengerichten unbedingt den Steeger Hinkelsdreck probieren, eine zarte Leberpaté vom Huhn. Dazu serviert Stüber eine 2006er Riesling Spätlese aus dem Bacharacher Posten von Ratzenberger. Was für eine Kombination!
Weinland Mittelrhein – Opernsänger, Brenner und die Helden der Steillage
Extreme Hanglagen, mineralreiche Schieferböden, klimatisch günstige Bedingungen: Das Weinland Mittelrhein gehört zu den kleinsten aber auch zu den landschaftlich attraktivsten Weinregionen Deutschlands. Ähnlich wie im Rheingau dominieren bei den weißen Rebsorten Riesling und bei den roten Spätburgunder. Hinzu kommen Müller-Thurgau, Grau- und Weißburgunder sowie Dornfelder und Portugieser.
Das gesamte Weinland Mittelrhein ist geprägt von den atemberaubenden Steilhängen. Was landschaftlich fasziniert, ist landwirtschaftlich härteste Arbeit. Wer selbst einmal den Arbeitsplatz eines Steillagenwinzers erklommen hat, der weiß die Arbeit der ortsansässigen Landwirte zu würdigen. Deswegen sind Steillagenwinzer absolute Helden. Viele Weinmacher erzeugen am Mittelrhein auch in Kleinstbetrieben außergewöhnliche Qualitäten.
À propos Größe: Die ist in dieser Weinregion sehr relativ. Selbst die „großen“ Weingüter des Weinlands verfügen über maximal 20 Hektar Rebfläche. Damit die Winzerfamilien wirtschaftlich arbeiten können, legen sie Wert auf guten Zusammenhalt. In diesem Kontext haben sich die qualitätsbewussten Winzer der Region zusammengeschlossen, um das wertvolle Kulturgut „Wein“ zu erhalten, zu schützen und nachhaltig zu vermarkten.
Mit der so genannten Mittelrhein Riesling Charta (MRC) verpflichten sich die Winzer und ihre Partner zu einheitlichen Qualitätsrichtlinien. Herzstück der Charta sind drei Rieslinge, die als wiedererkennbare Spitzenprodukte die Vielfalt und die Qualität dieser Region verkörpern: Handstreich – ein filigraner, feinfruchtiger Riesling; Felsenspiel – ein ausgewogener, bodenständiger Riesling; Meisterstück – ein trockener, vollmundiger Riesling.
Sehr erfolgreich haben sich auch die Bacharacher VDP-Weingüter Bastian und Ratzenberger positioniert. Jochen Ratzenberger produziert zum Beispiel herausragende Sekte, die über mehrere Jahre auf der Vollhefe reifen, bevor er sie in den Verkauf gibt. Friedrich Bastian hingegen vermarktet seine Weine stimmgewaltig.
Er ist ausgebildeter Opernsänger und verführt seine Kundschaft nicht nur mit der Qualität der Weine sondern auch durch melodische Verkostungen auf seiner eigenen Rheininsel. Das Weinland Mittelrhein ist eben immer für eine Überraschung gut!
Burg Sterrenberg – ein würdiger Abschluss
Bei jeder Reise sollte man sich ein Highlight bis zum Ende aufheben. Ein würdiger Abschied einer Entdeckungstour durch das Mittelrheintal ist ein Sun-Downer Menü in der Burg Sterrenberg – der ältesten erhaltenen Burganlage im Welterbetal. Majestätisch thront die Burg über dem Örtchen Kamp-Bornhofen und bietet Gästen einen malerischen Blick über das Rheintal.
Burgherrin Karolin König Kunz und ihr Geschäftspartner Patric Paquet verwöhnen Gäste mit Jakobsmuscheln auf getrüffeltem Risotto, zart gegrillter Lammschulter und einem hausgemachten Kirscheis. Dazu servieren sie Weine aus der Region und einen Gin Tonic mit dem neuen „Loredry Gin“ – einer flüssigen Hommage an die Loreley.
Urheber des Mittelrhein-Gins sind die drei erfinderischen Wanning-Brüder aus Münster-Sarmsheim. Sie haben 2016 im TV-Format „Höhle der Löwen“ den Investor Ralf Dümmel von ihrem Bike-Gadget GlowGarage überzeugt und als Investoren gewonnen.
Der Gin der Three Brothers Distillery schmeckt übrigens ausgezeichnet. Schließlich werden die drei Brüder auch von einem erfahrenen Brenner unterstützt: Heinz-Uwe Fetz. Der Dörscheider ist überregional für seine herausragenden Obstbrände bekannt und war gerne bereit, mit den Wannings einen neuen Weg zu beschreiten und seinen ersten Gin zu kreieren.
Langsam verschwindet die Sonne hinter den steilen Hängen des Tals und taucht die Landschaft in ein mystisches Licht. Auf der anderen Seite des Rheins erkennt man die feierliche Beleuchtung des Parkhotels in Bad Salzig. Die individuell gestalteten Zimmer von Ulla Graf-Joswig und ihrem Mann Hans-Joachim Joswig erwarten ihre Gäste bereits sehnsüchtig.
Und nach einem aufregenden Tag zwischen MiZis, Kirschen und Weinbergen ist ein frisch gemachtes Bett ein starker Köder. Gute Nacht, liebes Mittelrheintal. Wir werden uns wiedersehen!
Buchtipps Mittelrheintal
- Thomas Biller (Author)
- Kremer, Bruno P. (Author)
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