Die Digitalisierung hat in der Zahnmedizin schon seit den 1980er-Jahren Einzug gehalten. Doch die Entwicklung schreitet fort und sorgt für ein immer perfekteres Lächeln.
Eine der unangenehmen Erfahrungen beim Zahnarzt war bisher wohl der Abdruck des Gebisses für die Herstellung einer Krone. Der Patient bekommt minutenlang eine gummiartige Masse über die gesamten Zähne gestülpt, die aushärten muss. Doch diese Zeiten sind bei den meisten Zahnärzten vorbei. Digitalisierung sei Dank.
Eine der ersten Errungenschaften der Technik war ein 3D-Scanner, den man in den Mund einführen kann, um die Zähne digital zu erfassen. „Es hat einige Gerätegenerationen gebraucht, bis es so funktioniert hat, wie man es sich am Anfang vorgestellt hat. Heute nutzen wir ihn, wenn wir Kronen oder Inlays machen“, berichtet Dr. Paul Lee, Gründer der Integra-Zahnarztpraxis in Luxemburg. Sie ist auf ganzheitliche und ästhetische Zahnmedizin spezialisiert und behandelt Patienten von überall auf der Welt, auch einige aus Frankfurt. Lee arbeitet dafür mit modernster Digital-Technik. Er sei seit knapp 20 Jahren Zahnarzt, in dieser Zeit habe sich sehr viel entwickelt, sagt er und schwärmt geradezu: „Digitale Zahnmedizin ist toll und macht viele Behandlungen effizienter.“
Seine letzte Anschaffung auf diesem Gebiet ist ein 3D-Drucker. Während in den Anfängen der Entwicklung aus dem gescannten Abdruck der Zähne mithilfe einer Fräse ein Modell entstand, kann dieses heute direkt in einem Kunststoffmaterial ausgedruckt werden. „Wichtig ist, dass der Kunststoff biokompatibel ist, damit der Patient keine Allergie entwickelt oder ein Brennen spürt. Das ist noch entwicklungsfähig. Aber da bin ich zuversichtlich, dass die Hersteller in den nächsten Jahren mit den richtigen Produkten auf den Markt kommen.“
Wie ein Reifenwechsel
Der große Vorteil besteht heute schon darin, dass die gescannten Daten direkt ins Labor des Zahntechnikers geschickt werden können. Er designt daraufhin ein Provisorium, eine Schiene oder andere Teile, „und wir drucken sie vor Ort direkt aus. Damit ersparen wir uns lange Wege.“ Dauerhaft könne das Material beim Patienten zwar im Moment noch nicht verwendet werden, „aber das wird sich sicher auch noch ändern. Die Hersteller sind gerade dabei, Drucker zu entwickeln, die auch Keramik drucken können.“ Bisher arbeitet der Zahnarzt mit einer anderen Lösung: „Wir haben in der Praxis eine Fräsmaschine. Wenn der Zahntechniker uns beispielsweise die Daten für eine Krone schickt, können wir sie aus einem Keramikrohling direkt ausfräsen.“ Bei Einzelzahnkronen müsste ein Termin direkt mit dem Zahntechniker abgestimmt sein, dann wäre das sogar in einer Sitzung möglich.
Noch einen Vorteil sieht Dr. Lee in der digitalen Zahnmedizin: „Wir können die Daten speichern. Geht dann zum Beispiel eine Krone kaputt und an den Zähnen sonst ist nichts passiert, dann können wir sagen, kommen Sie nächste Woche, dann haben wir die fertige Krone da. Das ist wie ein Reifenwechsel.“ Für den Patienten ist vor allem die Zeitersparnis ein Vorteil, besonders wenn damit auf ein Provisorium verzichtet werden kann. Theoretisch würde die Behandlung dadurch sogar auch finanziell günstiger. „Allerdings muss man die hohen Investitionskosten für die Geräte rechnen, die der Zahnarzt dafür anschaffen muss.“
„Wenn eine Krone kaputt geht, können wir sie dank unserer digitalen Daten sofort neu anfertigen. Das ist wie ein Reifenwechsel.“ – Dr. Paul Lee
Digitale Helfer nehmen den Druck
Eine weitere Entwicklung in der Zahnmedizin ist die Kieferrelationsbestimmung. „Dabei wird geschaut, wie sich der Kiefer bewegt. Wir wollen nicht nur eine Krone, die schön aussieht, sie muss auch in der dynamischen Bewegung passen“, erläutert der Zahnarzt. Die Bewegung des Patientenkiefers wird dafür digital aufgezeichnet und dem Zahntechniker zusätzlich geliefert, sodass er die Daten bei der Herstellung der Krone berücksichtigen kann. „Er sieht zum Beispiel, dass der Patient den Kiefer in einem bestimmten Winkel runterzieht, dann muss die eine Wand der Krone an der Seite so abgeschliffen sein, dass die oberen Zähne glatt runtergehen.“
Auch das kleine Blaupapier, das der Zahnarzt nach einer Behandlung nutzt, um festzustellen, wo die Zähne in Kontakt miteinander kommen, ist längst von einem digitalen Helfer abgelöst worden. Er nennt sich digitale Okklusionsfolie. „Der Patient musste vorher auf dem Papier klappern. Der Zahnarzt konnte dann zwar sehen, dass es beim Zubeißen an bestimmten Stellen Kontakt gibt, er wusste aber nicht wie viel.“
Bei einzelnen Zahnreparaturen sei das nicht so schlimm, sagt Lee. Aber bei einer größeren Restauration könne an einer Stelle zu viel Kontakt entstehen, sodass im Laufe der Zeit die Keramik dort brechen oder es zu Kiefergelenksproblemen und in der Folge sogar zu Schulterverspannungen kommen könnte. Die digitalen Folien sind dafür mit einem Sensor ausgestattet, der am Computer per Balkendiagramm genau anzeigt, an welcher Stelle beim Zubeißen wie viel Druck auf den Zähnen entsteht. „Man kann dadurch sehr präzise einzelne Stellen reduzieren, sodass der Druck sich gleichmäßiger verteilt. Das spürt dann auch der Patient.“
Neue Zähne zur Probe tragen
Nicht nur die Digitalisierung ist vorangeschritten. Auch die Ansprüche der Patienten sind größer geworden. Sie fordern ein möglichst perfektes Harmonieren von echten Zähnen mit Kronen, Inlays oder komplettem Zahnersatz. Seit etwa zwei Jahren sei daher eine weitere Neuerung im Trend, erzählt Dr. Paul Lee. Seine Praxis ist Partner des DSD-Konzepts, das für Digital Smile Design steht und vor allem greift, wenn es um eine Prothese geht oder die Ästhetik der gesamten Frontzähne geändert werden soll. „Wir designen dabei die Zähne in Relation zum Gesicht des Patienten.“ In der Regel bekomme der Zahntechniker von ihm einen Abdruck des Kiefers des Patienten und stelle danach ein Gipsmodell her. „Er simuliert im Labor den Mund, weiß aber nicht, in welchem Winkel die Zähne stehen, weil jeder eine individuelle Kieferstellung hat.“
„Der Zahntechniker kann mithilfe von Fotos und 3D-Scans anhand der Gesichtsproportionen und der Lippenkontur Zähne so designen, dass am Ende alles schön harmonisch und symmetrisch aussieht.“ – Dr. Paul Lee
Hinzu kommt: Bei einem schmaleren Gesicht würden schmalere Zähne besser wirken, bei einem breiteren Gesicht eher breitere Zähne. „Sie müssen proportional zum Gesicht passen. Deshalb scannen wir das Gesicht, machen Fotos, Videos und einen 3-D-Scan vom Kiefer. Der Zahntechniker kann dann anhand der Gesichtsproportionen und der Lippenkontur die Zähne so designen, dass am Ende alles schön symmetrisch ist.“
„Mit den Mock-ups kann ein Patient seine Zähne schon mal an-probieren – wie eine Probefahrt beim Auto.“ – Dr. Paul Lee
Und das ist noch nicht alles. „Wir bekommen vorab eine Power-Point-Präsentation vom Labor und können sogenannte Mock-ups herstellen, also Plastikschalen, die man nur auf die Zähne drauflegt. Damit kann der Patient seine Zähne schon mal anprobieren und schauen, ob sie passen – wie eine Probefahrt beim Auto.“ Wenn er mit dem Ergebnis nicht zufrieden sei, könne in diesem Stadion noch etwas abgeändert werden.
Künstliche Intelligenz hilft
„Auch die Farbbestimmung ist in der Zahnmedizin ein kritischer Punkt“, betont Lee. Es hänge oft vom Licht oder von der Tagesform des Zahnarztes ab, ob er bei der Keramik den richtigen Ton trifft. „Bei den Frontzähnen ist das sehr relevant.“ Auch dafür wurden Methoden entwickelt, um eine genauere und objektivere Farbbestimmung zu ermöglichen. Mit einer Digitalkamera und einer Skala für den Weißabgleich macht der Zahnarzt ein Foto, sendet es an den Zahntechniker, der anhand einer Software die Zahnfarbe exakt bestimmen und die Keramik-Masse entsprechend individuell anmischen kann.
In kleinem Rahmen wird sogar bereits künstliche Intelligenz beim Zahnarzt eingesetzt. „Anfangs mussten bei den Aufnahmen der 3-D-Scanner noch überschüssige Ränder manuell entfernt werden. Heute weiß die KI genau, was relevant ist.“ In der Entwicklung seien aber schon Möglichkeiten, das Design einer Krone komplett vom Computer herstellen zu lassen. „Das geht bereits bei Einzelkronen oder Inlays. Ich muss nur die entsprechende Stelle im Mund mit Nachbarzähnen scannen und der Computer wählt aus seiner Datenbank eine Krone, die dazu am Ende passt. Statt eines kompletten Designs braucht man dann nur noch kleinere Korrekturen durchführen.“
Die Art der Arbeit der Zahntechniker werde sich dadurch erheblich verändern, glaubt Paul Lee. „Die manuelle Herstellung auf Gipsmodellen wird früher oder später passé sein. Einzelrestaurationen kann der Zahnarzt künftig vor Ort machen.“ Doch ganz arbeitslos wird der Zahntechniker seiner Ansicht nach nicht: Bei großen Restaurationen brauche man ihn weiterhin, weil so etwas viel Zeit koste. „Und wenn man hochwertige ästhetische Arbeit wünscht, die natürlich aussieht, ist nach wie vor der talentierte Zahntechniker gefragt. Was der Computer macht, ist immer die Standardkrone.“
Dass die künstliche Intelligenz auch bei der Zahnbehandlung selbst eine Rolle spielen wird, ist nach Paul Lees Erfahrung noch nicht absehbar. Er könne sich höchstens vorstellen, dass irgendwann bei der Zahnchirurgie etwa Implantate durch Roboter eingesetzt würden. „Das hat man schon versucht, es hat jedoch nicht wirklich funktioniert. Aber ich denke, auch da werden wir Fortschritte sehen, so wie jetzt bereits in der Allgemeinmedizin, wo der Arzt in den USA am Computer sitzen und den Patienten in München operieren kann. In den nächsten zehn Jahren kann es durchaus so weit sein.“
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