Paris – die Stadt der Mode, der Liebe und… der kostbaren Parfums. Dort findet man sie noch: Hersteller, die mit Leidenschaft, Tradition und Hingabe Düfte kreieren, und Geschäfte, in denen es diese duftgewordenen Schätze gibt. Wir besuchten zwei renommierte Botschafter der Düfte und erfuhren, welche die wichtigste Zutat für ein Parfum ist: die Lust am Geschichtenerzählen. Text: Natalie Rosini, Fotos: Michael Hohmann
Inhalt
Die kostbarsten Juwelen findet man bekanntlich an der noblen Place Vendôme. Die erlesensten Düfte nur wenige Meter weiter, auf der eleganten, von Arkaden gesäumten Rue de Castiglione. Im Parfumhaus Jovoy vereint Inhaber François Henin neben eigenen Kreationen der Marke Duftraritäten, die jeden Kenner ins Schwärmen geraten lassen. 60 Marken, sowohl Nischenneulinge als auch Traditionshäuser, und insgesamt 1.250 Parfums präsentiert er in seinem Dufttempel, in dem wir ihn besuchen, um uns auf eine sinnliche Reise durch die Welt der Parfums zu begeben.
Retter der vergessenen Düfte
Er liebt das Außergewöhnliche, das, wie er sagt, „in der heutigen Zeit vor allem in Produkten mit Tradition zu finden ist.“ Und so findet man bei Jovoy nicht die üblichen Verdächtigen, die man aus der Werbung kennt und die „unseren Duftkanon zum selben Einerlei haben zusammenschrumpfen lassen wie große Kaffeehausund Modeketten die Innenstädte.“ Seiner Liebe zum Duft und zur Geschichte ist es geschuldet, dass er die bereits in Vergessenheit geratene Parfummanufaktur Jovoy, in den 20er Jahren von Blanche Avroy gegründet, wieder zum Leben erweckte und mit neuem Konzept und zeitgemäßeren Kreationen der Parfumwelt präsentierte. Doch wie kam es zu dieser Leidenschaft? Schließlich ist François selbst kein Parfumeur. „Ich habe einige Jahre in Vietnam gelebt und hatte das Glück, dort im Auftrag der Waschmittelindustrie als Einkäufer für exotische Düfte und Aromen tätig zu sein. Das klingt nicht besonders sexy, doch in dieser Zeit kam ich in Kontakt mit dem, was Düfte ausmacht: das Rohmaterial. Später arbeitete ich für das altehrwürdige Parfumhaus Argeville in Mougins, für das ich ganz Asien auf der Suche nach den edelsten Ingredienzien bereiste. Von da an war ich süchtig und bin es bis heute.“
Flakons voller Geschichte(n)
Bereits zu Beginn unseres Gesprächs hatte François uns davor gewarnt, dass er, wenn er erst einmal angefangen hat, über Düfte zu sprechen und sie zu beschreiben, gar nicht mehr aufhören kann. „Das geht auch gar nicht anders: Jedes Haus hat seine eigene Geschichte, jede Kreation erzählt eine Geschichte. Parfumeure sind Geschichtenerzähler. Und jeder, der einen Duft liebt, verbindet damit wiederum seine eigenen Geschichten.“ Davon wollen wir natürlich einige hören, und so bitten wir François darum, uns seine fünf Favoriten vorzustellen. Den Anfang macht ein Duft, der, wie er sagt, sein Herz gebrochen hat: „Flor y Canto von Arquiste ist so facettenreich und farbenfroh wie das Land, aus dem sein Erfinder kommt. Der mexikanische Designer Carlos Huber wollte einen Duft kreieren, der an einen opulent geschmückten Blumenaltar im Reich der Azteken erinnert. Vor allem die mexikanische Tuberose sticht hervor und macht dieses Parfum schwer und frisch zugleich.“
Als zweiten Duft präsentiert uns François „1697“ von Frapin. „Er entführt uns in die Zeit von Louis XIV, als die Cognac herstellende Familie vom Sonnenkönig in den Adelsstand erhoben wurde. Zunächst erinnert er an frische Trauben, doch dann entfaltet er seine barocke Opulenz mit ledrigen Cognaczitaten und einem blumig-würzigen Herzen sowie einem Bett aus Ambra, Moschus und Vanille.“
Beim nächsten Duft müssen wir zweimal „hinriechen“, bis wir erfassen, wie spannend er sich entfaltet: „Aedes de Venustas ist der erste eigene Duft des gleichnamigen New Yorker Shops, der wie unser Haus erlesene Duftraritäten unter einem Dach vereint. Kreiert wurde es von einem der weltweit besten Parfumeure: Bertrand Duchaufour. Das Ergebnis: Vordergründig riecht dieses Parfum cool, fast schon metallisch, als würde man im Garten stehen und Rhabarberblätter schneiden. Dahinter verbergen sich warme, sinnliche Noten. Ein absolut moderner Duft.“
„Nun eine Kreation aus unserem Hause“, sagt François und lässt uns an „Rouge Assassin“ schnuppern. „Zurück in die Roaring Twenties, in die Zeit, in der selbstbewusste Frauen sich von Mistresses zu Garzonnes entwickelten. Süße Vanille, sinnliches Amber und Irisbutter geben den Duft von Lippenstift wieder. Eine Frau, die diesen Duft während eines romantischen Dinners trägt, hat ihrem Begleiter am Ende des Abends 1.000 Küsse geschickt.“
„Lust auf Rock’n’Roll?“ fragt François, als er uns den letzten Duft vorstellt: Olympia Music Hall. „Damit ist es gelungen, die Stimmung in dem legendären Pariser Konzerthaus einzufangen.“ Zunächst wirkt das Parfum etwas schwach, „wie die Gänsehaut, die sich nach und nach bei einem Live- Konzert ausbreitet und, wenn man Glück hat, in der Ekstase endet.“ Und in der Tat: Nach den frischen Auftaktnoten von Bergamotte und Zitrusfrüchten folgen Beeren, schwarzer Pfeffer und Safran sowie eine Basis aus weißen Hölzern, Vanille, Schokolade und Weißem Musk. „Vom ersten Akkord bis zum frenetischen Applaus bei der Zugabe.“
Die Bibliothek der Düfte
Das letzte Parfum, das François uns präsentiert hat, stammt von der Pariser Manufaktur Histoires de Parfums. Wir wollen mehr über die Duftgeschichten-Erzähler erfahren und begeben uns ins Marais, wo sich in der Rue du Roi Doré seit kurzem ihr Atelier befindet. Das Duo Gérald Ghislain und Magali Senequier bezeichnet sein Werk auch als Duftbibliothek und sich selbst als Autoren der duftgewordenen Geschichten. „Da wir kein Talent zum Schreiben haben, übersetzen wir das, was wir erzählen möchten, einfach in Form von Parfum“, erklärt Magali. Dabei sind die Plots ganz verschieden: In der ersten Range von Histoires de Parfums waren die Düfte nach Jahreszahlen benannt. „Unser Ziel war es, historische Daten olfaktorisch umzusetzen. Dafür bedienten wir uns Persönlichkeiten aus jenen Zeiten und erforschten anhand von literarischen Zeitzeugnissen ihre Wesenszüge. So entstanden für Herren das sportliche ‚1828 Jules Verne‘, der Verführer-Duft ‚1725 Casanova‘ und der Duft für den sexy Mann ‚1740 Marquis de Sade‘. Mein Rat an alle Frauen: Wenn Ihr einen Mann findet, der all diese Facetten aufweist, heiratet ihn.“ Mittlerweile ist die Bibliothek gewachsen, und man findet auch andere „Geschichten“ in ihr. Beispielsweise die vom Rohmaterial inspirierte Trilogie von Tuberose, in der Gérald den Facettenreichtum der von ihm so heiß geliebten Blume – „ihre jungfräuliche Zartheit, ihren kapriziösen Süße und ihre animalische, dunkle Seite“ einfängt. Oder die Édition Rare, in der das seltene Oûd-Öl Protagonist ist und von der diesen Winter eine Gold-Edition lanciert wird. Und dann sind da natürlich noch die Orte, die zu neuen Geschichten inspirieren, wie zum Duft „Olympia Music Hall“ und dem Vorgänger- Parfum „Moulin Rouge“, das, wie Gérald sagt, „so riecht, wie man sich den Duft nach Make-up, Lippenstift und Puder in der Kabine der schönen Tänzerinnen vorstellt. Ein parfumgewordener französischer Kuss.“ Keine Frage: Die Düfte von Histoires de Parfums sind purer Luxus. Und als Luxus bezeichnet das kreative Duo auch, jenseits des Mainstreams oder irgendwelcher Trends zu arbeiten und ihren Inspirationen und Emotionen freien Lauf lassen zu können. „Wir durchlaufen jede einzelne Etappe des Entstehungsprozesses – von der Idee bis zum fertigen Duft. Jeder neue Duft ist wie die Erfüllung eines Traums.“