Neues Leben zu schenken gehört für viele Menschen zur vollkommenen Zweisamkeit. Doch wenn sich der Kinderwunsch – zum Beispiel aufgrund einer Endometriose – nicht erfüllt, stoßen Paare oft an ihre emotionalen Grenzen. Wie wichtig in dieser Situation eine genaue Diagnosestellung ist, welche Behandlungsmöglichkeiten die gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin bereithält, warum eine Beratung auf dem Boden der Tatsachen geführt werden muss und was es mit der Endometriose auf sich hat, erklärte uns Prof. Dr. med. Gerhard Leyendecker im Interview.
Der Mediziner war über 20 Jahre lang Direktor der Frauenklinik des Klinikums Darmstadt, wo er eine reproduktionsmedizinische Arbeitsgruppe aufgebaut hat und 1986 erstmals per In-vitro-Fertilisation eine Schwangerschaft erzielte, die 1987 zur Geburt eines gesunden Mädchens führte. 2006 wurde die reproduktionsmedizinische Abteilung aus der Frauenklinik ausgelagert und als Partnerschaftsgesellschaft „Kinderwunschzentrum Darmstadt“ neu gegründet.
Prof. Leyendecker sieht einen hohen Bedarf an sachkundiger Beratung und möchte seine Erfahrungen in seiner neuen Sprechstunde in der Stiftstraße 2 in Frankfurt am Main zur Verfügung stellen.
Interview mit Prof. Dr. med. Leyendecker
Herr Professor Leyendecker, was ist eigentlich unter „Reproduktionsmedizin“ und der „Gynäkologischen Endokrinologie“ zu verstehen?
Die Hormon- und Kinderwunschbehandlung gehört schon immer zu den Aufgaben der Frauenheilkunde. Hierzu zählt auch die „Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin“, die „Spezielle Operative Gynäkologie“ und eben die „Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin“.
Dieser Teil der Frauenheilkunde befasst sich mit der Diagnose und Behandlung von Hormonstörungen von Frauen in allen Altersgruppen, also mit Zyklusstörungen bis hin zu Beschwerden, die beim Versiegen der Eierstocksfunktion auftreten.
Der Begriff „Reproduktionsmedizin“, also Fortpflanzungsmedizin, entstand nach der Erfindung der künstlichen Befruchtung durch die britischen Forscher Edwards und Steptoe. Er umfasst alle Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung, die ein größeres Team an Spezialisten erfordert.
Was sind die häufigsten Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit?
Fangen wir zunächst beim Partner an: Die Samenqualität hat sich in den letzten Jahrzehnten in den Industriegesellschaften deutlich verschlechtert. Eine Untersuchung der Spermien gehört daher mit zu den ersten diagnostischen Maßnahmen überhaupt. Wenn die Qualität nur geringfügig beeinträchtigt ist, wird eine Spontanschwangerschaft, wenn auch verzögert eintretend, möglich sein.
Oft haben wir es aber mit mehreren Faktoren zu tun – das Vorliegen einer Endometriose ist in 50 Prozent aller Fälle der Grund für eine Sterilität, wobei viele Frauen häufig nicht einmal von ihrer Erkrankung wissen. Außerdem werden die Paare, die sich für ein Kind entscheiden, immer älter. Es hat eine gesellschaftliche Umkonditionierung vom frühen zum späten Kinderwunsch stattgefunden, wie die Daten aus der Frauenklinik Darmstadt von 1970 und 2000 zeigen.
So sinkt die Geburtenrate nach künstlicher Befruchtung im Alter unter 35 Jahren von circa 40 Prozent pro Behandlungszyklus auf unter 20 Prozent im Alter von 39 bis 40 Jahren. Die Annahme, mit der künstlichen Befruchtung das Altersproblem überwinden zu können, ist leider ein Irrtum. Hinzu kommen außerdem noch Veränderungen der Gebärmutter, die mit steigendem Alter auftreten können.
Was ist unter einer Endometriose zu verstehen?
Von einer Endometriose spricht man, wenn sich schleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter ansiedelt und dort zu wuchern beginnt. Ihre Entstehung ist meiner Meinung nach nahezu geklärt: Die Erkrankung beginnt auf der Ebene der Gebärmutter mit einer Selbstverletzung durch ihre eigene biomechanische Aktivität. Nach eigenen Untersuchungen litten Frauen, die später eine Endometriose entwickelten, von vorne herein unter starken Regelschmerzen.
Etwa 50 Prozent aller Frauen spüren die Kontraktionen der Gebärmutter bei der Regelblutung und etwa 15 Prozent leiden unter schweren Krämpfen. Diese Frauen haben ein besonderes Risiko, an einer Endometriose zu erkranken. Die Gebärmutter verletzt sich quasi selbst und stößt dabei tiefere Schichten der Schleimhaut ab, welche so über die Eileiter in die Bauchhöhle gelangen können.
Das Problem ist: Regelschmerzen junger Frauen wurden früher selten beachtet. Man sollte sie ernst nehmen, und bei einer Frau, die ohne sicheren Befund über unerfüllten Kinderwunsch klagt, weisen starke Regelschmerzen oft auf eine bestehende Endometriose oder Adenomyose hin.
Inwiefern beeinträchtigt dieses Krankheitsbild die Fruchtbarkeit?
Schwere Endometriosen im Bauchraum mit Verwachsungen von Eierstock und Eileitern führen zur Sterilität. Durch die Bauchspiegelung wurde früh erkannt, dass bei vielen Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zwar eine Endometriose festgestellt wurde, die Herde aber so minimal und auch die Eileiter nicht betroffen waren, so dass von einer „unerklärten Sterilität“ gesprochen wurde.
Durch neuere Untersuchungen ist bekannt, dass bei diesen jungen Frauen bereits eine Dysfunktion vorliegt, die den Samentransport stört. Der Prozess der Selbstbeschädigung der Gebärmutter durch ihre eigene mechanische Funktion erstreckt sich allerdings über einige Jahre, so dass bei jungen Frauen Anfang Zwanzig der Prozess noch nicht weit fortgeschritten ist.
„Werden Sie erst mal schwanger, dann sind die Schmerzen auch vorbei“, war eine Prognose, die zumindest im Hinblick auf das schnelle Eintreten einer Schwangerschaft in der Regel in Erfüllung ging. Wir arbeiten daran, die Entwicklung einer Adenomyose frühzeitig zu erkennen. Das war ein wesentlicher Aspekt meiner wissenschaftlichen Tätigkeit während der letzten zwanzig Jahre am Klinikum Darmstadt und im Kinderwunschzentrum und wird auch ein wesentlicher Aspekt meiner Sprechstunde und Beratung sein.
Wo greift Ihre Beratungstätigkeit?
Zunächst sind viele Paare verunsichert und ratlos, wenn sich keine Schwangerschaft einstellt. Wenn nicht vorher schon Zyklusstörungen oder sonstige Faktoren, wie zum Beispiel eine reduzierte Samenfunktion bekannt sind, dann kommt die Tatsache, dass es offenbar nicht klappt, für viele völlig überraschend. Der Schritt zum Arzt oder Ärztin bedeutet häufig eine Überwindung.
Den Sinn meiner ärztlichen Beratungstätigkeit sehe ich darin, dass ich den Ist-Zustand kläre, also eine Diagnose stelle, und das Paar so berate, dass es keine falschen Schritte unternimmt, die Zeit und Hoffnung kosten. Es handelt sich dabei um eine Diagnosestellung und um eine das Paar in keiner Weise verpflichtende Beratung. Wenn ich die Behandlung nicht selber durchführe, dann leite ich das Paar an entsprechende Spezialisten weiter.
Worauf legen Sie im Rahmen Ihrer Beratung besonderen Wert?
Für mich ist es besonders wichtig, den Paaren von Beginn an die Perspektiven klar zu machen. Mitgefühl und Kompetenz müssen sich im Rahmen einer zielführenden Beratung und eventuellen Behandlung ergänzen.
Niemandem ist geholfen, wenn Sachverhalte beschönigt oder Ergebnisse in Aussicht gestellt werden, die unrealistisch sind. Letztlich zeige ich die größte Empathie, wenn ein sachlich richtiger Ansatz verfolgt wird, der mit dem richtigen und dann zugleich geringsten Aufwand zum Erfolg führt.
Welche Möglichkeiten bestehen, einem kinderlosen Paar zu Nachwuchs zu verhelfen?
Eine fundierte Diagnose steht immer am Anfang aller Maßnahmen. Wenn wir wissen, warum es mit der Schwangerschaft nicht klappt – und diese Diagnose kann in der Regel sehr schnell gestellt werden – können die entsprechenden Therapieverfahren vorgeschlagen oder auch eingeleitet werden.
Hat eine Frau beispielsweise einen unregelmäßigen Zyklus, so lautet das Ziel zunächst, den Grund zu erkennen und eventuell durch eine Hormontherapie wieder eine Regelmäßigkeit herbeizuführen. Oft wird der Wunsch geäußert, erst einmal ein „schonendes“ Verfahren zu wählen – meine Antwort darauf lautet dann meistens: Schonend ist das, was richtig, also aufgrund der Diagnose erforderlich ist und zum Erfolg führt.
Sie sind seit einigen Jahrzehnten auf dem Gebiet der „Gynäkologischen Endokrinologie“ und „Reproduktionsmedizin“ tätig, waren Chefarzt der Frauenklinik in Darmstadt und haben das Kinderwunschzentrum in Darmstadt gegründet. Was kommt jetzt?
Sie haben sicherlich gemerkt, dass mich das Fach sehr interessiert. Ich glaube, dass es einen erheblichen Beratungsbedarf auf diesem Gebiet gibt, wobei eine Beratung nicht unbedingt sofort in eine Behandlung münden muss. Viele Frauen oder Paare möchten Klarheit haben.
Die richtige Diagnose ist der erste Schritt. Nebenbei, was wir heute nicht besprechen konnten: Auch bei Wechseljahrsbeschwerden besteht ein erheblicher Beratungsbedarf der davon betroffenen Frauen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Interpretation der Ergebnisse der sogenannten WHI-Studie, die zu einer erheblichen Verunsicherung bei Frauen und Ärzten und gar bis zu Verteufelung der Hormonersatztherapie geführt hat, nicht korrekt war. Heute weiß man, dass Frauen unmittelbar nach den Wechseljahren von einer modernen Hormonersatztherapie durchaus profitieren können.