Jan Kath wundert sich manchmal über sich selbst. „Wenn ich und zwei oder drei andere nicht gewesen wären, gäbe es das Geschäft mit Orient-Teppichen in dieser Form wohl nicht mehr“, sagt er gegenüber dem Top Magazin. Tatsächlich ist es vor allem dem gebürtigen Bochumer zu verdanken, dass heute Lifestyle-Gazetten cool inszenierte Innenräume mit handgeknüpften Teppichen aufwerten. „Anfang der 90er-Jahre war das alles noch völlig anders“, erläutert der Star der Szene, der ein Kumpel aus dem Pott geblieben ist. Kaths Teppiche sind weltweit begehrt und werden – auch in Frankfurt – von sorgfältig ausgewählten Händlern vertrieben.
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Die Ideenschmiede des mittelständischen Unternehmens – mit eigenen Showrooms in Berlin, New York, Köln, Vancouver, Hamburg, Monaco und Stuttgart – liegt nach wie vor in Kaths Heimatstadt Bochum. Zwar lebt der Chef inzwischen die meiste Zeit mit seiner zweiten Frau im thailändischen Chiang Mai, doch er pendelt in normalen Zeiten zwischen beiden Orten. In Bochum hat er gerade eine neue Wohnung ganz in der Nähe des Deutschen Bergbaumuseums bezogen, in einem schönes Altbau-Viertel mit Blick auf den Förderturm.

Maschinenhalle im Pott
Die Firma ist ein paar Kilometer entfernt. Jan Kath hat eine ehemalige Maschinenfabrik für seine Zwecke umbauen lassen. Die Mauern verströmen den archaischen Charme einer vergangenen Epoche. Die Teppiche kommen in der lichtdurchfluteten großen Halle prächtig zur Geltung. Kaths Schöpfungen scheinen mit der Umgebung Zwiesprache zu halten. Sie tragen Gebrauchsspuren und präsentieren Brüche.
Das Spiel mit Überlieferung und Zersetzung ist Teil seines Werks. Die Faszination von uralter Knüpfkunst ist gleichzeitig auf jedem Quadratzentimeter zu spüren. „Ich bin kein Traditionszerstörer“, betont er. „Ich erweitere nur die Bilder um eine zweite und dritte Ebene.“ Die intensive Farbigkeit und die Etablierung neuer Inhalte machen die Teppiche gleichwohl zu einem ganz und gar zeitgemäßen Vergnügen.Dass er heute ein zwölf Quadratmeter großes Exemplar für bis zu 50.000 Euro verkaufen kann, empfindet er als „Ritterschlag“. Ein antikes Einzelstück von außergewöhnlicher Qualität würde etwa genauso viel kosten. Über den wirtschaftlichen Erfolg freut er sich, auch wenn ihm Geld nicht besonders wichtig ist.
Der kreative Durchstarter, der die Branche revolutioniert hat, ist ein Familienmensch. Die beiden Söhne studieren Design beziehungsweise Internationales Management. „Keine schlechten Voraussetzungen, um später einzusteigen“, stellt Jan Kath fest. Bruder David arbeitet an seiner Seite und achtet auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebs. „Er ist der Zahlenmensch in unserem kleinen Universum.“

Inspirierende Vergänglichkeit
Die Teppiche haben es längst in die Häuser der internationalen Prominenz gebracht. „Da bin ich aber zur Verschwiegenheit verpflichtet“, wehrt Kath Nachfragen nach Zelebritäten ab. Dass Ex-US-Präsident Bill Clinton, der Sänger Anthony Kiedis von der Funk-Rock-Band Red Hot Chili Peppers oder die Hollywood-Legende Bruce Willis zu seinen Kunden gehören, ist allerdings kein Geheimnis. Besonders stolz ist er darauf nicht. Sein Angebot ist nicht durchgehend exklusiv. Mit der Serie „Spectrum Basic“ hat der Kaufmann und Künstler auch ein Einsteigerprogramm – mit Preisen unter 1000 Euro für den Quadratmeter – aufgelegt. Er will auf dem Teppich bleiben.
Die Popularität hat für ihn auch ihre Schattenseiten. „Meine Arbeiten werden extrem kopiert. Es fühlt sich doof an, beklaut zu werden“, bekennt der 48-jährige Westfale. Inzwischen ärgere er sich nicht mehr so darüber. „Ich überlasse es den Anwälten, die Prozesse zu führen.“
Retter des Orient-Teppichs
Vor dreißig Jahren galten Teppiche noch als „mega-out“. Angestaubte Symbole einer untergehenden Zeit. Der Perser auf dem Wohnzimmerboden bildete mit der Schrankwand darüber und dem Benz in der Garage einen Dreiklang der Gutbürgerlichkeit. Die Jüngeren wollten mit diesen Wirtschaftswunderattributen nichts mehr zu tun haben. Das wurde für Jan Kaths Eltern zum Problem. Sie besaßen in Bochum das erste Teppichhaus des Ruhrgebiets. „Es war klar, dass das nicht mehr lange funktionieren konnte“, meint er rückblickend. Der Junge, auch durch seine Waldorfschule geprägt, nahm früh Reißaus.

Mit seiner Jugendfreundin reiste der 18-Jährige nach Asien, um Abstand zu gewinnen und die Welt zu entdecken. Elektronische Tanzmusik war damals Jan Kaths Ding. Aber auch moderne Kunst und fremde Kulturen. In Indien organisierte er Techno-Events. Noch heute gehört der Frankfurter DJ Sven Väth zu seinen besten Freunden. Dann trieb es den Bochumer weiter und höher hinaus, in den Himalaya nach Nepal. Schon als Kind hatte er seinen Vater auf kurze Geschäftsreisen in den Orient begleitet. Jetzt konnte er tiefer eintauchen auf den Spuren der Hippies, die ein Vierteljahrhundert vor ihm zur Selbstfindung aufgebrochen waren.
Auf den Spuren der Hippies
Nach eineinhalb Jahren auf Tour wurde er dann in Kathmandu von der Familiengeschichte eingeholt. In einem Café der Altstadt traf er zufällig einen deutschen Geschäftspartner des Vaters. Der Mann brauchte jemanden, der seine Firma für Tibetteppiche nach vorn bringen konnte. Und machte schließlich Jan Kath ein Angebot.
Der 20-Jährige, begeistert von der Aussicht, in der nepalesischen Hauptstadt arbeiten zu können, sagte nach einigen Wochen Bedenkzeit zu. Auf der Suche nach neuen Produktionsstätten lernt er seine erste Frau in der Mongolei kennen, die Mutter seiner Söhne. Jan Kath kehrte mit seiner Jungen Familie nach einer Weile nach Kathmandu zurück und konnte schließlich die Teppichmanufaktur mit Unterstützung seines Vaters – „mein größter Förderer“ – übernehmen.

„Gut, dass ich damals noch nicht wusste, was auf mich zukommt“, meint er rückblickend. Aber der Grundstein für „Jan Kath Design“ war gelegt. Der Abenteurer wurde „ins kalte Wasser geschubst“ und lernte schnell das Schwimmen. Weil er kein Geld hatte, Entwürfe einzukaufen, übernahm der Autodidakt nun auch das Design. Die ersten Jahre bewegte er sich noch im Mainstream. Als er merkte, dass die Luft dünner wurde, fasst er den Mut, „nur noch das zu machen, was mir gefällt“. Er begann mit seiner Konzept-Kollektion und „kratzte die letzten Kröten zusammen“ für eine Foto-Session in der Essener Zeche Zollverein. „Die war vor 20 Jahren noch eine Ruine und noch kein zertifiziertes Weltkulturerbe“, grinst er.
Shooting in der Zeche Zollverein
Kohle trifft Edelteppiche: Das Shooting an diesem historischen Ort des Bergbaus schlug wie eine Bombe ein. Die Karriere von Jan Kath zeigte plötzlich steil nach oben. Bald ließ er neben Nepal auch in Indien, Marokko und in der Türkei produzieren. In Thailand fertigt er außerdem Ware in Tuft-Qualität an.
Mit dieser Methode können Teppiche wesentlich schneller als mit der Hand – aber ähnlich in der Wirkung – hergestellt werden. Der 103 Meter lange rote Läufer, auf dem Fürst Albert II. von Monaco im Sommer 2011 zum Altar mit der ehemaligen südafrikanischen Leistungsschwimmerin Charlene Wittstock schritt, war aus Kaths Produktion. Auch große Luxushotels und berühmte Modefirmen lassen sich von ihm beliefern. „Wir haben das Verfahren so verfeinert, dass wir fast alle meine Entwürfe auf die großen Formate umsetzen können“, berichtet er.

Aushängeschild bleibt aber das Handgeknüpfte. Zwischen 100 und 450 Knoten kommen auf den Quadratinch, das sind 6,45 Quadratzentimeter. An einem 250 mal 300 Zentimeter großen Stück arbeiten mehrere Knüpfer schon mal bis zu vier Monate. Größe, Farben und Materialien können variiert werden.
Verfremdungseffekte gehören dazu. „Das Perfekte und Glatte langweilt das Auge“, stellt Kath fest. Dass er immer wieder auf Irritationen setzt, sieht man seinen Kollektionen an. Kräftige Töne, bizarre Muster und wabernde Pixelschleier erreichen eine eigentümliche Balance, auch dank der uralten Knüpf-Technik und dem wiederholten Rückgriff auf überlieferte Motive.
Heiter bis Wolkig
Die Kollektion „Erased Heritage“ ist eine Hommage an den klassischen Orientteppich. Jan Kath lässt sich hier ausdrücklich von der Tradition inspirieren. Allerdings wirken die ägyptischen Mamluks, iranischen Bidjars oder türkischen Konyas, als ob sie schon ewig im Salon eines Herrenhauses gelegen hätten.

Bei „Artwork“ sind satte Farbpigmente Schicht für Schicht übereinandergelegt wie auf einer Leinwand. Hier wird aber nicht mit dem Pinsel aufgetragen, sondern selbstverständlich geknüpft mit Wolle, Seide und Brennesselfaser. Manches scheint verblasst, anderes tritt hervor. Der eigentliche Schöpfer scheint die Zeit zu sein.
„Heiter bis wolkig“ erzählt eine Geschichte von Himmelsformationen, die eine Verheißung sein können. „Spacecrafted“ entführt in unendliche Weiten und ferne Galaxien. Bei „Ballpoint Art“ hat eine kleine Kugel Tintenpaste auf die Blaupause übertragen. Die geschwungenen Linien verdichten sich im fertigen Produkt zu einer monochromen weichen Fläche, die mit sich selbst verschmilzt.
Immer neue Einfälle entwickelt das Designer-Team unter Jan Kaths Federführung. Das meiste besitzt etwas luftig Spirituelles, das über den Alltag hinausweist. „Was ich mache, ist noch keine Erleuchtung“, beurteilt sich der nach wie vor jugendlich wirkende Meister streng. „Ich bin nur auf dem Weg.“
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