Pierre Guillaume ist der Shootingstar unter den Parfümeuren. In seinem Labor in Clermont in der Auvergne erschafft der studierte Chemiker kunstvolle und zeitgenössische Unisex-Düfte – finanziell und kreativ völlig unabhängig. Die exzellenten Kreationen seines Labels Pierre Guillaume Paris begeistern Fachwelt und Kunden weltweit.
Seine Karriere begann in der väterlichen Chemiefabrik, wo Pierre zunächst fein-chemische Produkte für die Kosmetikindustrie herstellte. Seinen ersten Duft „02 Cozé“ schuf er mit 25. Wir trafen Pierre Guillaume im Hotel Gerbermühle, wo er seine neueste Kreation „Tigre d‘ Eau“ vorstellte. Im persönlichen Gespräch gewährte der Star-Parfümeur einen Einblick in die hohe Kunst eines Handwerks, das er als künstlerisch-poetische Seite der Chemie versteht. Und ließ Top Magazin ganz nebenbei in seine ganz private, kreative und duftende Welt hineinschnuppern.
Interview mit Pierre Guillaume
Monsieur Guillaume, wie kamen Sie als Chemiker auf die Idee, Parfümeur zu werden?
Das war keine bewusste Entscheidung, es hat sich einfach ergeben. Es fing damit an, dass mein Vater Krebs bekam, und klar wurde, dass wir ihn nicht mehr lange bei uns haben werden. Ich war 25 und beschloss, etwas zu kreieren, das mich nach seinem Tod an ihn erinnern sollte. Als Wissenschaftler hat mich von Anfang an das Kreative, Künstlerische an der Chemie fasziniert. So versuchte ich, den einmaligen Geruch der Zigarrenkiste meines Vaters zu reproduzieren, Cohibas, Hoyo de Monterrey und Trinidad-Zigarren, kombiniert mit dem Ebenholz der Kiste.
Und wie dürfen wir uns das vorstellen?
Ich experimentierte mit Chili, Nelken und Muskatnuss und kombinierte die Mixtur mit dem ätherischen Öl indischen Hanfs. Und tatsächlich: Heraus kam ein würziger Tabak-Akkord. Also eine einzigartige Kombination von Ingredienzien, die ich ‚Cozé‘ getauft habe. Mein erstes Parfüm! Es war so faszinierend, dass ich beschloss, es zu vertreiben und weitere Düfte kreieren wollte. So gründete ich mein eigenes Parfümhaus. Cozé kam dann einer Schweizer Parfüm-Bloggerin unter die Nase und sie setzte einen Post darüber ab. Da ging’s gerade los mit Internet, 2002. Ohne das Internet wäre ich also nie bekannt geworden. Ganz ehrlich: Pierre Guillaume Paris ist ein pures Produkt der Internet-Blogosphäre!
„Die Parfümherstellung ist ja letztendlich nichts anderes als der künstlerische Ausdruck der Wissenschaft der Chemie.“ – Pierre Guillaume
Was ist nach diesem Post passiert?
Chandler Burr, einflussreicher Lifestyle-Journalist der New York Times und der Condé Nast-Gruppe, las diesen Post und fragte mich für ein halbstündiges Video-Interview an. Burrs Mutter ist Französin, lehrt in New York am College, sein Vater war GI im Vietnamkrieg – er spricht also perfekt Französisch. Das war fantastisch für mich. Wir redeten fast fünf Stunden, über meinen Job, meine Geschichte, meine Kreativität und chemische Formeln. Die Parfümherstellung ist ja letztendlich nichts anderes als der künstlerische Ausdruck der Wissenschaft der Chemie.
Chandler Burr veröffentlichte eine Story über ‚Cozé‘ im GQ Magazine …
GQ war damals das größte Männermagazin der Welt. Burr hatte Mitte der 2000er eine halbe Seite über mein Parfüm geschrieben: „Wie ein junger französischer Chemiker den coolsten neuen Duft Europas zusammenbraute …“. Was danach passierte, überwältigte mich total: Plötzlich riefen Parfümerien aus aller Welt an. Aus Russland und Los Angeles, aus Prag und Genf. Alle wollten mein Parfüm!
Und dann sind Sie vollends in die Welt der Parfümeure eingetaucht?
Es war das kreative Schaffen, das mich gereizt hat: Schon als Kind haben mich kreative Menschen fasziniert, Thierry Muglers Parfüm „Angel“ fand ich begnadet. Viele dachten, Mugler hätte es kreiert, er war der gefeierte Star. Dabei waren es Olivier Cresp und Yves de Chirin. Parfümeur war damals kein sonderlich glamouröser Beruf. Parfümeure arbeiten im Labor, so wie Chemiker, standen aber damals noch nicht im Rampenlicht. Sie blieben unsichtbar. Das hat sich erst in den letzten Jahren geändert.
Seither haben Sie etwa sechzig Düfte entwickelt …
Ich liebe es, Düfte zu kreieren. Düfte geben mir die Energie, morgens aufzustehen – sogar wenn ich einen schlechten Tag habe. Aber manchmal stehe ich auch mitten in der Nacht auf: Ich bin jetzt seit 14 Jahren mit meinem Partner zusammen, und er war anfangs ziemlich irritiert, wenn ich blitzartig aus dem Bett sprang und ins Labor rannte, weil mir ein neuer Duft-Akkord eingefallen ist. Wenn ich eine Eingebung habe, kann ich unmöglich bis morgens warten. Ich muss das dann sofort ausprobieren.
Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre weltweit gefeierten Duftkreationen?
Das kann jede Sekunde passieren, 24 Stunden am Tag: Ich fahre am Mittelmeer lang, steige auf einer Klippe aus dem Auto – und mich überwältigt dieser Duft der Piniennadeln, der sich mit der salzigen Meeresluft vermischt. Dazu der Sonnenschein, ein Zitrusgarten, blühende Pfefferminze. Es riecht warm und leicht. Nicht wie in Frankfurt oder Paris! Diese besondere, flirrende Atmosphäre versuche ich, zu konservieren. In diesem Moment etwa ist die Idee zu „Morning in Tipasa“ entstanden. Zu dem Namen hat mich einer meiner Lieblingsromane, „Hochzeit in Tipasa“ von Albert Camus, inspiriert, der anschaulich einen flirrenden Sommer am algerischen Meer beschreibt.
Mal angenommen, Sie dürften nur noch fünf Ingredienzien zur Parfümherstellung benutzen. Welche wären das?
Das ist eine interessante Frage, lassen Sie mich überlegen. Was ich sehr mag, ist Chambaca, eine magnolienartige Blüte mit frischer, fruchtiger Facette. Auf alle Fälle auch Ambroxan – kein natürlicher Stoff, sondern ein chemisches Molekül. Ein synthetischer Ersatzstoff für Amber. Für mich ist Amber unverzichtbar wie das Salz in der Küche. Auf Bergamotte kann ich ebenso wenig verzichten: Bergamotte hat etwas Erfrischendes, Prickelndes. Dann noch Tonkabohne und Chlorophyll. Die beiden Letzteren sind auch die Hauptbestandteile meines neuen Parfüms „Tigre d‘Eau“. Dazu habe ich noch rosa Pfeffer, rosa Grapefruit, Kokosnusswasser und salzige Karamelle verwendet.
Welcher Duft von Pierre Guillaume ist Ihr persönlicher Renner?
Derzeit eindeutig „Le Musc & La Peau“! Es verbreitet sich wie ein Virus, den jeder haben will! Sogar diejenigen, die es noch nicht kennen, wollen es, wenn sie den Duft zufällig riechen. Als ich im Sommer im Beachclub in Südfrankreich war, schwebte eine unbekannte Dame von hinten an mich heran, fasste mir an die Schulter und schnupperte an meinem Hals. „Oh my God, das will ich auch“, hauchte sie mir ins Ohr. (Lacht.)
„A better version of me! Das ist es, was meine Kreationen hervorbringen sollen.“ – Pierre Guillaume
Was macht „Le Musc & La Peau“ so besonders?
Es ist für sich kein offenkundiges Parfüm. Das heißt: Es hat lediglich einen dezenten Eigenduft und fällt für sich alleine, ohne Hautkontakt, kaum auf. Aber warten Sie ab, wenn Sie es auftragen! Nach etwa zwanzig Minuten hat sich der Duft mit Ihrer Haut verbunden und entwickelt seine individuelle Note.
Ein Kritiker sagte mal: „Pierre Guillaumes Düfte erzählen Geschichten, man muss ihnen Zeit geben, ihre Geschichte zu erzählen“. So etwas gefällt mir. Am besten finde ich den Satz einer französischen Journalistin, die es auf den Punkt bringt: „Mit ‚Le Musc & La Peau‘ riechst du wie du selbst – nur besser!“ Das ist es, was meine Duftkreationen hervorbringen sollen: a better version of me! Ein Parfüm ist für mich der künstlerische Ausdruck einer wissenschaftlichen Disziplin.
Merci, Monsieur Guillaume, für dieses dufte, pardon, inspirierende Gespräch.
Das Interview führten Eleonore Schmidt und Kitti Pohl
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