Wer den ultimativen Nervenkitzel und die sportliche Herausforderung sucht, wird beim Bergsteigen in eisigen Höhen fündig. Warum Hochtouren wie eh und je faszinieren, welche goldenen Regeln an den Steilwänden herrschen und warum die stärksten Erfahrungen zwischen Leben und Tod warten, haben wir im Interview mit „Rock Star“ Reinhold Messner und dem Frankfurter Bergsteiger Wolfgang „Wolli“ Berger herausgefunden.
Jeder Berg hat seinen Preis
„Der Mensch versucht erst seit 250 Jahren auf Berge zu steigen, vorher waren diese Giganten in Sagen und Geschichten als negative Kräfte verschrien, bewohnt von Hexen und Teufeln“, erklärt uns der Extrembergsteiger Reinhold Messner, als wir ihn im Schlosshotel Kronberg treffen, wo er seinen neuesten Abenteuerroman vorstellt.
„Ich mache keine großen Höhen mehr.“ – Reinhold Messner
Dennoch wagten schon vor tausenden Jahren Männer mit einfachster Ausrüstung die Durchquerung der Alpen, auf der Flucht oder mit Handelsware im Gepäck. Von Genuss und Kick auf der gefährlichen Reise war sicher nicht die Rede. Der 73-Jährige scheint alterslos, drahtig schlank und mit Vollbart steht er vor uns, so kennt man ihn seit Jahrzehnten. Die hochriskanten Touren sind Vergangenheit für den bekanntesten Bergsteiger der Welt.
„Letztes Wochenende war ich mit meiner Tochter auf einer Klettertour in den Dolomiten, rund um die Sella Gruppe, nichts für Ungeübte, aber auch nicht besonders schwierig“, sagt er und lächelt: „In meinem Alter werden die Berge immer größer und die Wände immer steiler. Ich mache keine großen Höhen mehr.“
Warum auch, denn alle großen Höhen hat er erreicht, als erster Mensch stand der Südtiroler auf den Gipfeln aller vierzehn Achttausender, immer ohne Flaschensauerstoff. Die Mutter sei immer voller Sorge gewesen, habe sich aber nie gegen ihn gestellt. 1970 steigt er mit seinem Bruder und Seilgefährten Günther auf den Nanga Parbat im Westhimalaya.
Ein brutaler Berg, vielleicht ein Fegefeuer. Todeszone bei minus 30 Grad. Der Bruder bleibt verschollen, das Trauma treibt Reinhold Messner fortan an. Sieben seiner Zehen erfrieren am Nanga Parbat und müssen amputiert werden. Klettern wie zuvor geht nicht mehr. Dann eben in die Ebene: In den Jahren 1989 und 1990 durchquert er mit dem Polarforscher Arved Fuchs die Antarktis, später folgen die berüchtigten Wüsten Gobi und Taklamakan. Ohne Extreme geht es nicht.
Arena der Einsamkeit
Wir sprechen über die Kälte. Fragen, wie er seine mächtige Burg, Schloss Juval in einem Seitenteil des Vintschgaus, während des Winters heizt. Wie ein Adlerhorst thront die mittelalterliche Anlage oberhalb der schmalen Schnalstal-Schlucht bei Naturns. Aus guten Gründen nur sein Sommersitz: „Wir heizen lediglich mit Kachelöfen. Eine moderne Heizung zu installieren, wäre teurer als das ganze Ensemble. Dass wir nur die Öfen haben, und das gegen den Ratschlag von Bauexperten, darauf bin ich stolz.
„Wir Bergsteiger suchen das intensive Leben, nicht den Tod.“ – Reinhold Messner
Denn alles andere wäre nicht gut für das Gebäude.“ Das Schloss ist Sitz eines der sechs „Messner Mountain Museen“. Alles ist dem Mythos Berg gewidmet, außerdem ist die größte private Tibetika-Sammlung der Welt zu sehen. Typisch Reinhold Messner: Superlative und Instinkt-Entscheidungen, die oft die besten sind. Widerstände zu überwinden ist Teil seiner Existenz. Und oft auf Mess(n)ers Schneide.
„Wir Bergsteiger suchen das intensive Leben, nicht den Tod. Um ans Ziel zu kommen, gehen wir jedoch dorthin, wo man umkommen kann. Ich bin eher ein ängstlicher Mensch. Todesmutige Bergsteiger leben keine paar Wochen. Vorsicht ist eine wesentliche Tugend eines Bergsteigers.“
„Bergsteiger agieren in der Arena der Einsamkeit.“ – Reinhold Messner
Die Gefahr fasziniert ihn: „Wenn ich zwischen Leben und Tod stehe, mache ich die stärksten Erfahrungen.“ Als man ihn beim Deutschen Sportpresseball als „Legende des Sports“ ehrt, wird deutlich, wie er sich sieht: „Bergsteiger agieren in der Arena der Einsamkeit. Die Kunst ist, zu überleben. Ich verstehe mich nicht als Sportler. Für mich ist der Alpinismus eine kulturelle Erscheinung mit einer sportlichen Dimension.
Ich war der erste, der den heroischen Alpinismus der 1930er Jahre in Frage stellte.“ Rote Kniestrümpfe und klobige Bergstiefel sind Teil dieses hartnäckigen Klischees. In den Streitschriften des Naturschützers ist das nachzulesen. Mehr als fünfzig Bücher sind es inzwischen. Wieder ein Extrem.
Elmsfeuer und ein kleines Wunder
„Das Gewitter kam früher über den Berg, überraschte uns. Starkregen, Hagel, innerhalb von fünf Minuten waren wir unterkühlt. Man sah die Blitze nicht mehr – und betete. Durch die elektrische Ladung standen alle Haare senkrecht in der Luft, über unsere Metallteile sprangen Elmsfeuer, kleine Funken.“ Der, der das überlebte, sieht sich heute als Genusswanderer und geht es etwas zurückhaltender an.
Der Frankfurter Wolfgang „Wolli“ Berger ist 71 Jahre alt, und ein Urgestein in der Frankfurter Sektion des Deutschen Alpenvereins, wo er sich als Fachübungsleiter und Hüttenwart engagiert. Bei ihm und seinen Vereinskameraden lernen schon Kinder das sichere Bewegen in Fels und Eis. Die 10.000 Mitglieder starke Sektion wurde 1869 gegründet, vier Hütten im Kaunertal und Pitztal gehören ihr, zwei betreut Wolfgang Berger.
Nomen ist Omen? Berger schmunzelt: „Nein, reiner Zufall.“ Das im Jahr 1873 erbaute Gepatschhaus auf 1928 Meter Höhe, seinerzeit die erste deutsche Alpenvereinshütte in Österreich, steht heute unter Denkmalschutz.
Hüttenwart Berger ist bis zu zehn Mal in der Saison, die von Anfang Juni bis Ende September dauert, dort, und betreut ansonsten aus der Ferne alle technischen Belange und hält Kontakt mit dem Hüttenwirt. „50 Matratzenlager und 36 Betten hält das Gepatschhaus für Gäste vor.“
„Nichtmitglieder zahlen mehr“…
…wirbt der passionierte Bergsteiger. Sein zweiter Stützpunkt, die 1906 erbaute Verpeilhütte, liegt rund 30 Kilometer entfernt, und ist nicht weniger idyllisch in die alpine Landschaft eingebunden. Mitten in der Nacht starten die Touren, „und spätestens um drei Uhr mittags geht man vom Berg wieder herunter, an diese alte Regel sollte man sich halten, um nicht in die Dunkelheit zu kommen“, so der Ausbilder.
Das schlimme Gewitter von damals blieb ihm nicht lange in den Knochen stecken, gleich am nächsten Tag ging es noch einmal rauf. Am Berg ein kleines Wunder. „Mein Kletterpartner hatte am Vortag seine Brille verloren, sie fiel vor unseren Augen 200 Meter in die Tiefe. Nun fanden wir die Brille auf dem einzigen Rasenstück weit und breit – unversehrt, dabei hätte sie in Tausend Stücke zerborsten sein müssen! Ein unvergessliches Erlebnis.“
Schnupperkurs statt Helikopter
Die Landschaft steht für den Frankfurter an erster Stelle, hochfrequentierte Berge meidet er. „Vom Großglockner bin ich gleich wieder runter, viel zu viel los.“ Jeder Tag in den Bergen sei ein Erlebnis für sich und mit einem bestimmten Charakter, ob Eistouren oder normale Bergtouren. „Ich war nie Risikobergsteiger“, sagt er. Den Teamgedanken, der das Bergsteigen ausmacht, könne man in den Alltag transportieren, er selbst war im Job Teamleiter und brachte seine Erfahrungen ein. „Am Berg ist man aufeinander angewiesen.
Einmal rutschte ich in eine Gletscherspalte, meine Seilschaft zog mich wieder heraus. Alle für einen, einer für alle.“ Bekannte Extrembergsteiger existieren dagegen immer als Alleinfiguren, sie halten Seilpartner neben sich kaum aus, wie auch Studien belegen. Vielleicht fällt es schwer, den Ruhm zu teilen. Die meist einwöchigen Schnupperkurse und Aufbaukurse in den Sektionshütten seien gefragt, so Wolfgang Berger, „das Bergsteigen ist ein echter Hype geworden, bei Männern und Frauen gleichermaßen.“
Unvorbereitet in der Theorie und wenig trainiert in die Höhe zu steigen, sei mitunter lebensgefährlich. Wolfgang Berger sieht es mit Sorge: „Ich beobachte oft, wie Menschen vollkommen falsch ausgerüstet starten, auch schätzen viele die Zeit und ihre Kräfte für eine Hochtour nicht richtig ein. Oder sie laufen mit einem touristischen Folder los statt einer richtigen Wanderkarte, das kann fatal enden, indem man sich heillos versteigt. Das sind dann oft jene, die mit dem Helikopter aus dem Berg geholt werden müssen.“
Alle wollen hoch hinaus
Griff, Tritt. Griff, Tritt. Endlich ganz oben, krasse Stille, Wind, Panoramablick. Ehrfurcht kommt auf. Die Welt aus der Vogelperspektive. Ein geübter Bergsteiger kennt keine Höhenangst mehr. Der Vater selbst hat Reinhold Messner zum Bergsteigen gebracht. Es sei ein „Initiationsritual“ in der Familie gewesen, auf die nahe gelegenen Geisler-Spitzen zu klettern. Gut 3.000 Meter sind diese hoch, sehr hoch für einen Fünfjährigen.
Tipps für Bergsteiger oder gar Wanderer gibt der Einzelgänger nicht. „Über Leben“, wie eines seiner Bücher heißt, ist Programm. Immer den Tod herausfordern. Für Freizeitbergsteiger ist das in der Regel keine Option. Sie suchen Spaß und Erholung statt den Kitzel am Limit.
Suchtfaktor Bergsteigen
Außerdem ist das Bergsteigen der einzige Sport, bei dem man streckenweise an wirklich gar nichts denkt. In der Psychologie wird dieses Erleben auch „Flow“ genannt: ein Zustand völliger Vertiefung, der das Zeitgefühl außer Kraft setzt und beinahe schon meditative Züge trägt. Man könnte sagen, eine multimediale Reise im Kopf – die gefühlte Einheit von Körper, Geist und Seele.
Kletterer wissen um den Suchtfaktor dessen: je extremer das Steigen, desto größer der Flow und das Aufgehen im Naturerlebnis. Dem früheren Menschen dürfte die besondere Innenschau und das Gefühl des Erhabenen nicht verborgen geblieben sein, eine spirituelle Verortung war die Konsequenz. In den meisten Kulturen galten Berge als heilig, nichts auf der Erde scheint so mächtig, ewig, unnahbar und unerschütterlich. Heute verdient das in vielerlei Hinsicht Achtung und Respekt.
Ein Kaugummi oder ein Zigarettenstummel etwa brauchen dort oben fünf Jahre um zu verrotten, eine Plastikflasche lässt sich bis zu 1.000 Jahren Zeit. Wieso Menschen eigentlich auf Berge steigen? Reinhold Messner sprach hier einmal von der „Eroberung des Nutzlosen“. Es gibt viele Gründe nach oben zu wollen. Und manchmal geht es beim Bergsteigen wie im Leben: Jetzt bin ich schon so weit gekommen, da laufe ich den Rest bis zum Gipfel auch noch.
Tipps für eine sichere Bergzeit
- Beim anspruchsvollen Bergsteigen sind Trittsicherheit, Bewegungstechnik und Orientierungsfähigkeit gefragt. Trial and Error ist am Berg nicht das optimale Lernmodell.
- Anfänger sollten fit sein, sich im Winter mit Joggen und Radfahren Kondition aufbauen. Bouldern in der Kletterhalle üben. In einem Basiskurs lernt man die Grundlagen: Kartenlesen, Wetterkunde, Einschätzen der Naturgegebenheiten, Bewegen in verschiedenen Geländeformen (u.a. Geröllfelder, Steinschlagbereich) und Gehtechniken.
- Tourenplanung ist alles. Schwierigkeit und Länge, Zu- und Abstieg, Wetter und Verhältnisse. Nässe und Kälte erhöhen das Sturzrisiko.
- Nur vollständige, normgerechte Ausrüstung verwenden. Seile und Verankerungen kritisch prüfen. Partnercheck beim Einstieg, u.a. Verbindung Gurtverschluss ok?
- Für den Notfall Erste-Hilfe-Paket und Mobiltelefon im Alpinrucksack mitnehmen.
- Achtsames Steigen verhindert Steinschlag. Rücksichtnahme bei Gegenverkehr und Überholmanöver
- Keinen Abfall hinterlassen und Finger weg von geschützten Pflanzen.
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