Auch dieses Jahr ging es mit dem DAX steil nach oben. Wir besuchen Markus Gürne im Frankfurter Börsensaal, um vom Leiter der ARD-Finanzredaktion zu erfahren, wie sich Kurse und Unternehmen in Zukunft entwickeln werden. Von Thomas Zorn
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Der gebürtige Stuttgarter moderiert an diesem Abend „Wirtschaft vor Acht“ – wie immer direkt vor der Tagesschau. Er hat nicht endlos Zeit. Also eröffnet der bekannte TV-Journalist unser Gespräch im November 2024 gleich mit einer starken und erfreulichen Prognose. „Bald – vielleicht im ersten Quartal 2025 – wird der Aktienindex die Schallmauer von 20.000 Punkten durchbrechen.“ In den vergangenen vier Jahren habe sich der DAX nahezu verdoppelt. Dass der DAX in den nächsten vier Jahren das gleiche Kunststück wiederhole und dann Ende 2028 bei etwa 40.000 Punkten liege, sei nicht ausgeschlossen.
DAX durchbricht Schallmauer
Schon lange ist der DAX eine Erfolgsgeschichte. Die 40 größten Unternehmen sind dort vertreten. Sie repräsentieren rund 80 Prozent der Marktkapitalisierung börsennotierter deutscher Aktiengesellschaften. Am 7. November erreichte er schon wieder ein Allzeithoch, das aktuell bei 19.657 Punkten (20.283 Punkte, Stand 14. Januar 2025) liegt. Gestartet ist er in diesem Jahr bei 16.828 Punkten.
„Wie erklärt sich ein solcher Anstieg bei all den bescheidenen Nachrichten aus der heimischen Wirtschaft?“, fragen wir etwas naiv. Markus Gürne hat eine verblüffend einfache Antwort parat: „Der DAX ist eigentlich nicht deutsch. Die vertretenen Unternehmen machen inzwischen 80 Prozent des Umsatzes im Ausland, wo man auch viele Werke unterhält.“ Mit dem Produktionsstandort Deutschland, der „unter einem Wust von Regularien“ leide, sei der DAX nicht gleichzusetzen.
„Deutschland kann sich kein Schlafwagentempo mehr leisten. Wohlstandsverluste gefährden die offene Gesellschaft.“ – Markus Gürne
Bei uns liege manches im Argen. „Wir müssen geländegängiger werden“, fordert der 54-Jährige, für den Wettbewerb kein Fremdwort ist. Als Praktikant beim damaligen Süddeutschen Rundfunk fing er mit Sportjournalismus an. Gürne ist ein Fan der Stuttgarter Kickers, die einst in der Fußball-Bundesliga kickten und sich heute in der vierten Liga abmühen müssen. Auch Deutschland könne sich kein Schlafwagentempo mehr leisten, mahnt er. „Wohlstandsverluste gefährden die offene Gesellschaft.“

Die Bronzeskulpturen von Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse symbolisieren die Marktdynamik. Der aufgerichtete Bulle steht für steigende Kurse und Optimismus, während der geduckte Bär fallende Kurse und Pessimismus symbolisiert. Die lebensgroßen Figuren wurden 1985 vom Bildhauer Reinhard Dachlauer zum 400-jährigen Jubiläum der Börse geschaffen und sind heute ein beliebtes Fotomotiv des Finanzplatzes Frankfurt.
Markus Gürne: Beim Geld nicht träge sein
Auf den DAX scheint wenigstens Verlass. In den vergangenen 13 Jahren schloss er nur zweimal mit Verlust ab. Sonst nur Gewinne. Der Experte wundert sich über die im internationalen Vergleich recht auffällige Börsenzurückhaltung der Deutschen. Auch wenn der Anteil von Aktien- und Fondsbesitzern an der Gesamtbevölkerung zunehme. „Es ist jedoch noch immer eine klare Minderheit.“ Der Rückstand zu den angelsächsischen Ländern sei beträchtlich. Etliche seien bei uns von einer sehr traditionellen Wirtschaftsmentalität geprägt, diagnostiziert er. „Beim Geld darf man aber nicht träge sein.“
Vor Hochrisikostrategien, um rasch reich zu werden, könne er aber nur warnen. Mit breitem Lächeln zitiert der Schwabe den 1999 verstorbenen Börsenguru André Kostolany. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie man schnell reich wird; ich kann Ihnen aber sagen, wie man schnell arm wird: indem man versucht, schnell reich zu werden.“
„Die Notenbanken können dem Krypto-Hype mit strengen Auflagen den Stecker ziehen.“ – Markus Gürne
Skepsis bei Krypto
Investitionen in den Bitcoin mit sagenhaften Gewinnen in diesem Jahr oder in andere Kryptowährungen sieht Markus Gürne mit Skepsis. Viele Schattengestalten tummelten sich in dieser unregulierten Zone. Ob die Staaten dem Treiben noch ewig zuschauen werden, bezweifelt er. „Die Notenbanken können dem Hype mit strengen Auflagen den Stecker ziehen.“
In einem Zeitraum von zwölf bis fünfzehn Jahren sei die Aktienentwicklung bisher immer positiv verlaufen, hebt er hervor. Die fünf Minuten bei „Wirtschaft vor Acht“ betrachtet er als eine auf den Punkt gebrachte Vermögens- und Finanzbildung. Man dürfe nicht zu viel voraussetzen. Die Leute wollten hören, was Geld und Wirtschaft mit ihrem eigenen Leben zu tun habe. „Eine ganze Menge“, wie er findet.
„Die Rente und vieles andere sind jedenfalls nicht mehr sicher“, gibt er zu bedenken. 20 Millionen verließen bald den Arbeitsmarkt und 12 Millionen rückten nach. Die Rentenversicherung habe darum eine gewaltige Finanzierungslücke. „Infolgedessen werden wir mehr und länger arbeiten müssen. Außerdem können wir auf Zuwanderung nicht verzichten.“ Immobilien seien teuer und unbeweglich. Gold sei eine gute Rücksicherung, aber als Anlage weniger brauchbar. Wer überlege, komme am Finanzmarkt nicht vorbei.
Aktien alternativlos
Die Redakteure von „Wirtschaft vor Acht“ dürfen sich nur sehr eingeschränkt am Aktiengeschäft beteiligen. Jeder Anschein des Insiderhandels soll vermieden werden. Das Format existiert seit 2012, damals noch unter dem Titel „Börse vor Acht“. Seit dieser Zeit moderiert Markus Gürne mit Kollegen die Sendung. Als Leiter der Börsenredaktion ist er stolz, dass der Zuschaueranteil von 5,3 Prozent auf 9 Prozent gestiegen ist. „Das ist Wahnsinn und hat die Erwartungen weit übertroffen.“
Dem breiten Publikum fühlt er sich verpflichtet. Diejenigen, die nur wenig Geld übrig hätten, könnten mit monatlichen Sparplänen ab 25 Euro von Aktien profitieren. „Am besten in jungen Jahren, dann hat man in der Regel schon früh ein schönes Sümmchen zusammen“, konstatiert er. Einzelaktien seien volatil und deutlich risikobehafteter als Fonds oder ETFs. „Gefeierte Shootingstars auf dem Aktienmarkt werden oft von Konkurrenten überholt, die Impulse von Pionieren auswerten und weiterentwickeln“, erläutert er.
Mehrere Bücher zu Wirtschaft und Finanzen hat Gürne veröffentlicht. Er moderiert auch andere Sendungen wie Plusminus von 2013 bis 2022. Die von ihm geführte ARD-Finanzredaktion umfasst 34 Mitarbeiter, die am Tag 42 Produkte erstellen. „Damit erreichen wir etwa 13 bis 14 Millionen Menschen.“
Was in der Birne
Gürnes Wahlspruch lautet „Wer nichts im Boden hat, muss etwas in der Birne haben.“ Er studierte Jura, Politikwissenschaft und allgemeine Rhetorik – unter anderem beim berühmten Walter Jens – in Tübingen. „Das Thema Wirtschaft hat mich gleichwohl schon immer interessiert.“ Sein Vater sei früh gestorben. „Bereits als Schüler habe ich gejobbt und dazu verdient.“ Es sei gut, sich nicht auf andere verlassen zu müssen. Nach dem Volontariat berichtete er zunächst als ARD-Korrespondent aus Baden-Württemberg und baute 2002 die Berichterstattung aus der Stuttgarter Börse auf.
Aber irgendwie hatte er das Gefühl, nun doch mal das Ländle verlassen zu müssen. Statt Worten des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel weiter zu lauschen, machte er bei Centurion Risk-Services in London eine Ausbildung zum Krisen- und Kriegsreporter. Er wurde 2003 ARD-Auslandskorrespondent mit Sitz in Kairo und mit Sonderauftrag für den Irak. Dort war der Golfkrieg ausgebrochen.
Gefährliche Handelskriege
„Ich habe im Nahen und Mittleren Osten Faszinierendes und Schockierendes gesehen“, resümierte Gürne einmal in einem Interview. Über manche deutschen Debatten könne er sich nicht mehr aufregen. Die Gelassenheit ist zu seinem Markenzeichen geworden. „Ich will informieren, nicht missionieren“, stellt er fest. Zum Entspannen sitzt er gern zu Hause im Taunus auf dem Rasenmäher. Oder er hört Musik. Er ist ein Fan von Herbert Grönemeyer.
Beim Agieren an der Börse und bei deren Betrachten helfe eine gewisse Coolness. „Es macht überhaupt keinen Sinn, bei ersten Abwärtsbewegungen der Kurse gleich auszusteigen.“ Die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten bestärke manche Befürchtungen. „Eine Deglobalisierung mit hohen Zöllen und abgeschotteten Märkten ist in meinen Augen die größte Gefahr für die Weltwirtschaft.“
Das würde steigende Zinsen, Inflation und teure Kredite mit sich bringen. „Handelskriege müssen sich die USA aber sehr genau überlegen“, analysiert der Auslandskenner, der auch einige Jahre aus Delhi berichtet hat. „38 Prozent der von der US-Industrie verwendeten Vorprodukte kommen aus China oder Europa.“ Das gäbe einen starken Preisauftrieb.
Trump und die Tech-Freunde
„Elon Musk kann als Regierungsmitglied gleich Staatsaufträge an die eigenen Unternehmen weiterleiten“, bemerkt Markus Gürne sarkastisch. Die Bevorteilung einzelner oder die Abschaffung des freien Warenverkehrs entspreche kaum den langfristigen Interessen amerikanischer Tech-Konzerne. Auch wenn die neuen Freunde aus dem Silicon Valley von dem Sieg des Republikaners zunächst profitieren würden. „Geopolitik hat immer Einfluss auf die Börse. Aber meist nicht lang.“

Auch bei anderen Weltmächten gehe es turbulent zu. Russland lebe derzeit von der Kriegswirtschaft. „Man forscht und entwickelt nichts mehr. Und wenn der Konflikt mit der Ukraine vorbei ist, wird das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen sein“, vermutet Gürne. China habe derzeit ebenfalls eine Menge hausgemachter ökonomischer Probleme, vor allem im Immobiliensektor. Die Chinesen hätten sich in großer Zahl verschuldet und könnten sich keine deutschen Autos mehr leisten. Angesichts der Gewinnwarnungen deutscher Unternehmen am chinesischen Markt sollten sich die Konzerne aus Germany nach Alternativen umsehen.
Deutscher Pragmatismus hilft
In Indien, das Markus Gürne als Auslandskorrespondent ein paar Jahre bereist hat, sieht er Chancen. „Dort lebt eine junge Bevölkerung. Das Durchschnittsalter liegt bei 29 Jahren. Die Ausbildung wird immer besser und das Wirtschaftswachstum ist stabil. Die Regierung sucht nach verlässlichen Partnern.“ Dafür kämen USA, Russland und China aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage“, fügt er hinzu. „Aber ganz sicher Deutschland.“
„Wir brauchen weniger Ängstlichkeit und mehr Mut und Lust zum Hinkriegen.“ – Markus Gürne
Deutsche Technologie besitze noch immer hohes Ansehen in der Welt und das zu Recht, ist der Vater von zwei Kindern überzeugt. „Man muss nur auf unsere mittelständische Industrie und die Hidden Champions schauen, die auf vielen Feldern international führend sind.“ Er wünscht sich in der Politik wieder den alten Pragmatismus, der Deutschland jahrzehntelang ausgezeichnet habe. „Wir brauchen weniger Ängstlichkeit und mehr Mut und Lust zum Hinkriegen.“ Den Optimismus hat Markus Gürne nicht verloren.
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