In der Küche behält Gertrud Traud den Überblick. Sie sorgt dafür, dass die Arbeitsplatten auch nach dem Teigkneten stets aufgeräumt und sauber sind. Beruflich ist sie Chefvolkswirtin der Helaba. Als eine der wenigen Frauen in dieser Position hat sie immer die Übersicht über die Weltlage und ihre wirtschaftlichen Zusammenhänge. Zum Backen kommt sie daher nur selten.
Inhalt
A ls Gertrud R. Traud nach einer guten halben Stunde den Obstkuchen aus dem Ofen holt, duftet es köstlich nach Äpfeln und Zimt im Küchen Atelier Grohs. Das noch lauwarme erste Stück schmeckt nicht nur vorzüglich, es versetzt die Ökonomin auch für kurze Zeit zurück in ihre Kindheit auf einem Hof in einem kleinen Ortsteil des osthessischen Städtchens Hünfeld. Dort roch es in der Küche oft nach frisch gebackenem Kuchen. „Meine Mutter war Hauswirtschafterin. Backen war ein Wochenendritual“, erinnert sie sich. Dass sie und ihre beiden Geschwister dabei mit anpackten, war selbstverständlich.
„Meine Mutter war Hauswirtschafterin. Backen war ein Wochenendritual.” – Gertrud Traud
Ihr Vater, von Beruf Forstwirt, betrieb als Nebenerwerb Landwirtschaft. Im Stall standen Kühe, Schweine, Hühner, Hasen und Gänse. „Wir mussten mit aufs Feld, Kartoffeln hackeln oder die Kühe raustreiben.“ Besonders schön war es, wenn die Familie gemeinsam „in die Heidelbeeren ging“, jeder mit einem Becher vorm Bauch. „Mein Vater wusste immer, wo die besten wachsen. Und hinterher haben wir daraus Kuchen und Marmelade gemacht.“
Beim Kuchenbacken habe sie gerne geholfen, erinnert sie sich. Auch wenn meist mehr als einer angerührt wurde. Heute schafft es die Chefvolkswirtin längst nicht mehr, am Wochenende zu backen. Aber wenn sie und ihr Mann Besuch bekommen, verwöhnt sie diesen gerne zum Nachtisch mit ihrem Obstkuchen, den sie auch im Küchenstudio backt. Sie gibt dafür Mehl, Zucker, Vanillezucker in eine Schüssel, fügt eine Prise Salz und ein Ei hinzu und legt nach dem Verrühren die Butter in kleinen Flöckchen auf die Masse.

Dann packt die Chefin der Zahlen und Statistiken richtig zu: Statt mit dem bereitgelegten Rührer knetet sie den Teig mit der Hand. So kann sie seine Konsistenz genau spüren. „Er ist mir noch zu matschig“, stellt sie beim Kneten fest und fügt etwas Mehl hinzu. Sich allzu sklavisch an das Rezept zu halten, ist nicht ihre Sache. „Ich habe es im Laufe der Jahre ohnehin schon verändert, weil es für meinen Geschmack zu viel Butter enthielt.“
Die Rosinen im Kuchen
Ob das ursprüngliche Rezept von ihrer Mutter stammt, kann sie heute nicht mehr genau sagen. Dass es ihr Lieblingskuchen ist, egal ob mit Äpfeln, Zwetschgen oder Rhabarber, aber schon. Ein Detail vom Backritual mit der Mama ist ihr dennoch in Erinnerung geblieben: Die Rührschüssel in der heimischen Küche, in einem „wunderbaren Rot“, auf der in altdeutscher Schrift die Weisheit gedruckt war, dass man sich aus des Lebens Kuchen nicht nur die Rosinen suchen könne. Warum eigentlich nicht, fragte sich die junge Gertrud Traud damals schon.

Der Gedanke, die Welt erklären zu können, interessierte sie früh. Zunächst setzte sie dabei auf die Naturwissenschaften. Nach dem Abitur entschloss sie sich, Lehrerin zu werden, und begann ein Studium der Biologie und Chemie in Marburg, „um festzustellen, dass ich mich zu Tode gelangweilt habe“, erzählt sie, während der Teig im Kühlschrank eine Stunde ruht. Sie brach das Studium ab. Schnell stellte sich der Gedanken ein: „O mein Gott, was mache ich denn jetzt.“
”Ich fand damals die Wechselkurse kompliziert und habe mich gefragt, was muss ich studieren, um das zu verstehen.“ – Gertrud Traud
Ein Jahr als Au-pair in Frankreich sollte die Antwort bringen. Doch erst ein Aufenthalt in den USA sorgte für Orientierung. „Ich fand damals die Wechselkurse kompliziert und habe mich gefragt, was muss ich studieren, um das zu verstehen.“ Sie entschied sich für Volkswirtschaftslehre in Mainz. „Ich war vom ersten Tag an begeistert. Damit konnte ich endlich die Welt verstehen, nicht nur die Wirtschaft, auch einen großen Teil der Politik.“
Gertrud Traud: Arbeiten im Traumjob
Heute erklärt sie anderen die Welt – zumindest die der Finanzen. Als Chefvolkswirtin der Helaba bietet sie deren Kunden Wirtschaftsanalysen an. Seit fast 20 Jahren ist sie bereits in ihrem Traumjob tätig, wie sie ihn selbst nennt. Dafür ließ sie sogar eine Professur an der Fachhochschule Darmstadt sausen. Mit ihrem 30-köpfigen Team liefert sie Prognosen dazu, wie sich die Konjunktur in den nächsten Monaten und in einer Spanne von bis zu zwei Jahren entwickeln wird. „Mein Job ist es, alle Prognosen zusammenzubringen und sie den Kunden und der Öffentlichkeit zu präsentieren.“

Bekannt wurde Gertrud Traud für ihre bildhafte Art das zu tun. So verwendete sie für ihre im Herbst 2023 veröffentlichte Prognose für das aktuelle Jahr passend zur Fußball-Europameisterschaft Sportmetaphern. Das Basisszenario war mit dem Begriff „Umschaltspiel“ überschrieben. Es enthielt elf Faktoren, die für 2024 relevant sein würden. Die Notenbanken wurden zum wichtigsten Spieler auf dem Platz. „Dass die Leute letztes Jahr geglaubt haben, die Fußballer scheiden in der Vorrunde aus und zugleich, dass es kein Wirtschaftswachstum gibt, beruhte auf ganz ähnlichen Argumenten“, begründet sie die Wahl dieses Themas.
Ein Fußballfan ist sie nicht, „aber ich denke in Bildern. Anfangs habe ich den Szenarien nur Namen gegeben, dann kamen Fotos hinzu und ich habe eine Geschichte dazu geschrieben. Heute ist das unser Markenzeichen“, erzählt sie und greift zum kleinen Küchenmesser, um die Äpfel für den Belag zu schälen. Die Rosinen stehen schon bereit. Diesmal sind es echte. Doch auch im Übertragenen sieht sie einige in der aktuellen Konjunkturentwicklung. „Es ist nicht hoffnungslos. Es ist nur schwierig, weil Reformen auf sich warten lassen“, stellt sie fest und füllt dabei die Äpfel in den Topf, gibt Wasser dazu und lässt sie mit etwas Zucker und Zimt aufkochen. „Ich liebe Zimt“, entfährt es ihr dabei.

Gerüche, Geschmäcker, kurz die Erdverbundenheit ihrer Kindheit hat sie trotz der Zahlen- und Datenwelt, in der sie sich heute bewegt, nicht vergessen. „Ich wohne wieder im ländlichen Bereich an der Bergstraße. Ich fahre Rennrad, bin viel draußen“, erzählt sie. Und noch eines habe sie von ihrem Vater übernommen: „Dass ich gerne arbeiten gehe.“
Leben aus dem Koffer
Während er allerdings durch seine Tiere an seinen Hof gebunden war, bringt es ihr Beruf mit sich, dass sie viel reist und oft aus dem Koffer lebt. Auch ihre Arbeit selbst ist schnelllebig. „Was ich heute festlege, kann morgen schon anders aussehen, weil sich die Zahlen geändert haben. Daher hänge ich immer am Ticker.“ Selbst im Urlaub schaut sie regelmäßig nach den aktuellen Entwicklungen. „Ich will das Gefühl dafür haben, warum etwas passiert. Warum zum Beispiel die Börsen vor den Parlamentswahlen in Frankreich reagiert haben, aber nicht mehr nach der Stichwahl“, erläutert die Chefvolkswirtin.
„Mein Vorbild war mein großer Bruder. Ich habe immer gedacht, was der kann, das kann ich auch.“ – Gertrud Traud
Dass sie anfangs in der Branche die einzige Frau in dieser Position war, erschien ihr gar nicht befremdlich. „Ich bin in einer Männerwelt sozialisiert worden. Auch im VWL-Studium gab es schon einen Männerüberschuss und in meinem Wahlfach Ökonometrie waren nur Männer“, erzählt sie. In der Bank Julius Bär und später bei der Bankgesellschaft Berlin sah es in der Führungsetage ähnlich aus. Sie sei nie schüchtern gewesen. „Mein Vorbild war mein großer Bruder. Ich habe immer gedacht, was der kann, das kann ich auch.“

Gläserne Decke
Was sie heute umtreibt, sind eher die Diskriminierungen, die aufgrund der sozialen Herkunft in unserer Gesellschaft verbreitet sind. „Da ist die gläserne Decke dicker als bei Frauen. Das passiert ganz subtil.“ Menschen gehobenerer Schichten kämen auf dem Golfplatz zusammen, da kenne einer den anderen, sagt sie. Die Spaltung beginne bereits in der Schule und dann im Studium. „Die meisten Studierenden kommen aus einem Akademikerhaushalt. Da gibt es noch viel zu tun.“ Dafür engagiert sie sich unter anderem im Verein ArbeiterKind.de, der Nichtakademiker-Kinder dazu animieren will, zu studieren.

Als Kind vom Land habe sie diese gläserne Decke selbst gespürt. „Es hat mich aber nie interessiert. Ich finde es toll, wo ich herkomme“, sagt Gertrud Traud und knetet den Teig flach, sodass er in die Kuchenform passt. „Das ist die Stelle, die ich am liebsten mag, weil man den Dingen eine Form geben kann.“
Der Kuchen ist fast fertig. Die gekochten Äpfel verteilt sie auf dem Boden. Die frischen Äpfel legt sie akkurat kreisförmig oben drauf. Dazu die Rosinen und Walnüsse. Aber nicht, um sich die Rosinen später vom fertigen Kuchen zu picken. „Ich sehe die Dinge nicht so fatalistisch. Warum nur die Rosinen, der Kuchen selbst ist doch auch sehr gut.“ Der Obstkuchen von Gertrud Traud ist es in jedem Fall.

Rezept Gertrud Traud: Saisonaler Obstkuchentraum

Je nach Saison können unterschiedliche Obstsorten verwendet werden. Dieser Kuchen schmeckt in der Variante Rhabarber genauso gut wie mit Äpfeln, Birnen oder Zwetschgen. Jedoch nicht nur beim Belag kann man variieren, auch der Teig kann jeweils unterschiedlich gemacht werden. Ein Kuchen für Experimentierfreudige. Diese Leckerei schmeckt bereits unmittelbar nach dem Backen leicht warm ausgezeichnet. Aber auch am Folgetag, falls etwas übrig bleibt. Garniert mit einer Kugel Eis wird diese Obsttarte zum Nachmittagsgenuss. Ich präferiere Pistazien- oder Walnusseis.
Zutaten
Für den Teig
300 g Mehl
(je nach Lust und Laune Vollkorn, Weizen oder Dinkel)
100 g Zucker
1 Päckchen Vanillinzucker
1 Prise Salz
1 Ei
170 – 200 g Butter
Mehl zum Ausrollen
Für den Belag
750 – 1000 g
säuerlich-aromatische Äpfel
Ggf. eine Handvoll Rosinen oder Walnüsse
3 EL Zucker
½ TL Zimt
Zubereitung
Mehl in eine Schüssel geben. In die Mitte eine Mulde drücken. Zucker, Vanillinzucker, Prise Salz und das Ei hineingeben. Die Butter (kühlschrankkalt) in Stückchen auf dem Rand verteilen. Schnell von außen nach innen einen Teig kneten. Zur Kugel formen. Und im Kühlschrank 1 Stunde kühlen. Teig auf Mehl rund ausrollen. Eine Springform von 26 cm Durchmesser mit 2 cm hohem Rand damit auslegen. Teig mit der Gabel einstechen.
Belag vorbereiten, während der Teig ruht. Äpfel schälen, vierteln, entkernen und in dünne Scheiben schneiden. Etwa ein Drittel davon in einem Kochtopf mit etwas Wasser erhitzen und leicht verkochen. Etwas Zucker und Zimt dazugeben. Den Apfelbrei als dünne Schicht auf den Teig geben. Danach die restlichen Apfelstücke kreisförmig auf dem Apfelbrei verlegen. Mit dem restlichen Zucker und Zimt bestreuen. Wer keinen Obstbrei mag, kann die verkochte Schicht auch weglassen.
Im vorgeheizten Backofen auf der unteren Schiene gut 40 Minuten bei 200 Grad backen. Gelegentlich optisch prüfen, bis der Kuchen eine goldgelbe Färbung angenommen hat – fertig ist der Genuss.
Danke an:
Sabine und Gerhard Grohs für die Location und Gastfreundschaft
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Print-Ausgabe. Sie wollen schneller informiert sein? Hier können Sie ein Abonnement abschließen.