In der Corona-Krise mussten die Kinos lange geschlossen bleiben. Nun machen ihnen verstärkt die Streaming-Anbieter Konkurrenz. Wie können sie sich trotzdem behaupten? Ein Blick in die Zukunft von Arthouse-Filmtheatern und Blockbuster-Häusern.
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James Bond rettet derzeit mal wieder die Welt. Und mehr als eine Million Menschen in Deutschland schauten ihm bereits am ersten Wochenende dabei zu. „Keine Zeit zu sterben“ beschert den Kinos einen erfolgreichen Neustart und erlebt nebenbei den erfolgreichsten deutschen Kinostart überhaupt seit dem Beginn der Pandemie.
Das ist allerdings nicht allzu schwierig. Die Corona-Pandemie hat den Filmtheatern schwer zu schaffen gemacht. 12 Monate lang seien seine Kinos insgesamt geschlossen gewesen, weitere sieben Monate nur mit Einschränkungen geöffnet, berichtet Christopher Bausch, Betreiber der Arthouse Kinos Frankfurt, zu denen das Cinéma am Roßmarkt, die Harmonie in Sachsenhausen und seit Kurzem das Eldorado in der Schäfergasse zählen.
Ähnlich erging es dem Kinopolis in Sulzbach, das zur Kinopolis Management Multiplex GmbH in Darmstadt gehört, einem der traditionsreichsten und größten deutschen Kinounternehmen, das bundesweit 16 Kinostandorte betreibt. Derzeit kommen nur Geimpfte, Genesene und frisch Getestete in den Genuss der Filme. Die Säle dürfen noch immer nicht voll ausgelastet werden, es sei denn, die Kinos beschränken sich auf die 2G-Regelung. „Wir haben durch Corona erhebliche Verluste erlitten, trotz aller wirtschaftlichen Hilfe, weil wir als Kinogruppe zu groß waren und deshalb die ersten beiden Überbrückungshilfen nicht erhalten haben“, berichtet Gregory Theile, einer der beiden Geschäftsführer des Familienunternehmens. Unter Aufbrauchen der Reserven seien sie aber einigermaßen durch die Krise gekommen.

Beide Betreiber klingen trotz alldem durchaus optimistisch, wenn sie in die Zukunft schauen. Er habe Bundes- und Landesmittel erhalten, die ihm geholfen hätten, sagt Bausch. „Seit Juli haben wir wieder geöffnet, und es läuft bombig. Das Kino wurde schon so oft totgeschrieben. Doch das Gegenteil ist der Fall.“ Und auch Gregory Theile stellt beim Publikum eine große Lust fest, wieder ins Kino zu gehen.
Wie ihnen scheint es vielen Kinobetreibern zu gehen. Zumindest ist das viel befürchtete Kinosterben in Deutschland ausgeblieben, wie auch die Halbjahresbilanz der Filmförderungsanstalt (FFA) bestätigt. Trotz der coronabedingten Schließungen hätten bislang kaum Filmtheater Insolvenz angemeldet, heißt es dort. „Die Rückgänge bewegen sich im niedrigen Prozentbereich zwischen 0,3 Prozent bei den Kinounternehmen und 1,7 Prozent bei den Sitzplätzen“, erläuterte der FFA-Vorstand Peter Dinges. Mit 1.223 Kinounternehmen in Deutschland gab es nur vier weniger als im Juni 2020, die Zahl der Spielstätten sei um 18 zurückgegangen.
Großer Nachholbedarf
„Kein Kino ist im eigentlichen Sinne ‚gut‘ durch die Krise gekommen, aber die allermeisten haben überlebt und können weitermachen“, stellt sein Stellvertreter Frank Völkert fest. Im Monat des Neustarts hätten sie einen Ticket-Umsatz von 57,51 Millionen Euro erwirtschaftet, mehr als im Juli 2018, als sie durch den Jahrhundertsommer und die Fußball-WM gebeutelt waren.
Christopher Bausch erklärt sich den guten Neuanfang vor allem mit dem großen Nachholbedarf, den die Kinogänger spürten. „Viele haben nach so vielen Monaten der Abstinenz gemerkt, was ihnen fehlt.“ Zudem gebe es derzeit eine Filmflut durch die vielen verschobenen Premieren. Besonders der neue James-Bond-Film habe ausgesprochen erfreuliche Zahlen eingespielt und halte sich sehr lange, weil er bei den Leuten im Gespräch sei, ergänzt Gregory Theile. Neben solchen Blockbustern sind auch die vielen Filme aus den Wettbewerben in Cannes, Venedig oder von der Berlinale noch nicht gezeigt worden.
Christopher Bausch ist optimistisch, dass die gute Entwicklung weiter anhält. „Wir haben mitten im Sommer begonnen. Jetzt läuft erst die klassische Kinosaison.“ Die Zahlen sprechen dafür, denn gerade die Programmkinos waren schon vor Corona im Aufwind. „Die Zahl der Programmkino-Standorte, -Kinos und -Leinwände ist zwischen 2010 und 2019 im Gegensatz zum Gesamtmarkt zweistellig gewachsen“, stellte Frank Völkert, stellvertretender Vorstand der FFA, vor kurzem fest. Während der Ticketverkauf in diesem Zeitraum insgesamt um sechs Prozent zurückgegangen sei, habe er bei den Programmkinos um zwölf Prozent zugelegt, der Umsatz sogar um 40 Prozent.

Da rechnet es sich für Christopher Bausch auch, dass er in Corona-Zeiten investiert hat. Nachdem er im Cinéma während der Zwangsschließung den großen Saal renoviert und ihn mit neuen Sesseln, Tischen und Lampen sowie einer neuen Soundanlage ausgestattet hatte, pachtete er im Mai auch noch das Eldorado in der Schäfergasse, das der vorherige Betreiber nicht weiterführen wollte. „Es war keine Frage, dass ein Haus wie das Eldorado, das älteste Kino in Frankfurt, weiterlaufen muss. Ich war mir immer sicher, dass die Gäste wiederkommen.“
Gregory Theiles Kinopolis-Gruppe, die hauptsächlich Multiplexe betreibt, setzt ebenfalls auf Expansion. Bereits vor der Pandemie hatte sie den Vertrag für ein neues Kino mit sieben Sälen in Bad Homburg unterschrieben. „Wir sind auch heute von dem Standort überzeugt, den wir in etwa zwei Jahren eröffnen werden“, sagt er.
Konkurrenz fürs Kino durch Streaming
Was passiert aber, wenn die Kinofans lieber auf dem heimischen Sofa bleiben und gestreamte Serien schauen? Der Zuspruch von der jüngeren Zielgruppe habe etwas nachgelassen, räumt Gregory Theile ein. „Aber sobald das passende Produkt da ist, kommen sie auch wieder ins Kino. Und der Vorteil ist, dass durch das Streaming Filme und Serien in aller Munde sind.“ Der Betreiber der Frankfurter Arthouse-Kinos sieht das noch positiver: „Ich glaube, die Leute haben verstanden, dass Fernsehen und Streaming eine Sache ist, dass sie den Kinoabend aber nicht ersetzen können.“ Bond sei ein gutes Beispiel dafür, dass solche Filme auf der großen Leinwand zu sehen sein müssten.

Doch selbst eine der größten deutschen Filmproduktionsfirmen, die Pantaleon Films, die der Schauspieler Matthias Schweighöfer 2011 gemeinsam mit Dan Maag gründete und die ersten Kinofilme wie „What a Man“ und „Schlussmacher“ unter anderem in Frankfurt drehten, produzieren derzeit nicht mehr nur Kinofilme, sondern auch Serien und Filme für Steamingplattformen. So hat Schweighöfer gerade exklusiv für Netflix das „Army of the Dead“-Prequel „Army of Thieves“ produziert, Regie geführt und die Hauptrolle gespielt.
Spätestens seit große amerikanische Filmproduktionsfirmen sich entschieden, Blockbuster während der Pandemie ausschließlich als Video-on-demand zu vermarkten und selbst MGM kurz überlegte, den neuen James Bond auf diese Weise zu veröffentlichen, fürchten nicht nur Kinofans, dass die Streamingplattformen den Filmtheatern das Wasser abgraben. Doch Dan Maag glaubt, dass die Konzentration auf das Streaming nicht die Zukunft ist. „Das ging während der Pandemie vielerorts nicht anders und musste so sein. Ich gehe aber davon aus, dass sich das in der nächsten Zeit wieder reguliert und wir eine gewisse exklusive Auswertungszeit im Kino grundsätzlich behalten werden.“
Er räumt allerdings auch ein, dass sich diese Auswertung verändern wird und dass es sicherlich dazu komme, „dass Filme schneller auf anderen Plattformen jenseits des Kinos verfügbar gemacht werden.“ Eine Tatsache, die den Multiplex-Chef Theile mit Sorge erfüllt. Früher sei ein Film vier Monate lang nur in den Kinos gelaufen. Heute stehe er teilweise schon nach 45 oder 60 Tagen auf Streamingplattformen zur Verfügung. Dan Maag sieht das anders: Es mache für niemanden Sinn, dass ein Film mitunter nur zwei Wochen im Kino laufe, dann für lange Zeit vom Markt verschwinde und erst nach vielen Monaten wieder im Video-on-demand zu sehen sei. „In der Zwischenzeit gerät der Film bei zu vielen potenziellen Zuschauern in Vergessenheit, das muss nicht sein.“
Gemeinschaftserlebnis Kino
Wie aber müssen die Filme aussehen, die die Menschen ins Kino locken? „Actionfilme wie Bond oder die Marvel-Superhelden funktionieren ausgezeichnet, weil sie von hoher Qualität sind“, sagt Gregory Theile. Er erlebe aber auch immer wieder Überraschungen, etwa bei den Familienfilmen „Paw Patrol“, die ein sehr gutes Ergebnis eingespielt hätten. „Es sind immer originelle Geschichten und Bilder, die die Menschen begeistern.“ Auch Komödien, wie die Filme, die Matthias Schweighöfer und seine deutschen Regiekollegen produzieren, können da mithalten, wie erst kürzlich der Deutsche Filmpreis für den besucherstärksten Film bewies, der an „Night Life“ von Regisseur Simon Verhoeven ging.
Pantaleonfilms hat sich ebenfalls auf positive Geschichten spezialisiert. „Wir wollen die Menschen für 90 Minuten aus ihrem Alltag herausholen und sie nicht mit noch mehr Problemen konfrontieren. Dieser Eskapismus und diese echte Unterhaltung kommen bei den Leuten einfach gut an“, bestätigt Dan Maag.
Der Chef von Pantaleon Films sieht die Zukunft des Kinos positiv. „Es wird immer bleiben, aber es wird sich massiv verändern müssen. Dadurch, dass der Zuschauer heutzutage „on demand“ die ganze Welt der Unterhaltung in seinem Wohnzimmer hat, braucht er oftmals kein Kino, um trotzdem einen guten Film zu sehen und Spaß zu haben.“
Es fehle allerdings das Gemeinschaftserlebnis. „In einer Gruppe mit 500 Menschen, große Gefühle, ob traurig, spannend oder lustig, zu erleben, ist etwas sehr Besonderes. So etwas geht nur im Kino. Das Kino wird also in Zukunft ein Ort für ganz besondere Events und ganz besondere Gelegenheiten sein. Dazu gehört dann sicher auch ein noch umfassenderes gastronomisches Angebot oder eben auch viele weitere Erlebnismöglichkeiten neben dem eigentlichen Film.“
Bistro-Atmosphäre & Ledersitze im Kino
„Kino ist mehr als ein reiner Abspielort“, sagt auch Christopher Bausch. Diese Entwicklung habe Corona beschleunigt. Die lange Tradition des Frankfurter Eldorado, seine Atmosphäre mit dem geschwungenen Balkon im großen Kinosaal und dem roten Stoff an den Wänden, das sind die Dinge, die die Besucher schätzen. Das in die Jahre gekommene Foyer will Bausch demnächst ein wenig umbauen. So, wie er die Foyers im Cinéma und in der Harmonie ebenfalls vor einigen Jahren erneuert hat. Dort kann man vor und nach den Filmen in einer gemütlichen Bistro-Atmosphäre mit Blick auf schwarzweiße Schauspielerporträts einen Wein trinken und über Filme reden. Er habe Orte schaffen wollen, an die die Leute gerne kommen würden, sagt er.
Auch die kleinen kuscheligen Kinos in der Stadt, wie das Orfeo’s Erben oder das Mal Seh’n Kino mit ihren speziellen Programmen, aber auch diejenigen außerhalb der City sind beliebt. Rund um Frankfurt gibt es davon einige, etwa das seit mehr als 100 Jahren von einer Familie betriebene Filmtheater Friedrichsdorf-Köppern, das von einem Verein betriebene Kelkheimer Kino oder das CasaBlanca Art House in Bad Soden.
Auf ein Kinoerlebnis, wie es etwa in den 1920er-Jahren üblich war, mit attraktiv ausgestatteten Filmtheatern und Kultur, setzt Hans-Joachim Flebbe seit einigen Jahren mit seinen Astor Film Lounges. Insgesamt sieben dieser „Premiumkinos“, wie es in der Werbung heißt, hat er in Deutschland mittlerweile geschaffen. In Frankfurt ist die Film Lounge vor nicht allzu langer Zeit aus der nun abgerissenen Zeilgalerie in die oberste Etage vom MyZeil umgezogen.
Aus dem einen großen Kinosaal wurden fünf mit insgesamt 417 Plätzen. In den größeren Sälen sind einige der Sitze elektrisch nach hinten verstellbar. Die kleinen Clubkinos sind mit Bücherregalen und Sesseln ausgestattet. In der vorderen Reihe gibt es Liegeplätze. Getränke werden am Platz serviert oder vor und nach dem Film an der Bar. Dazu bietet das Kino regelmäßig Live-Übertragungen von Opernaufführungen aus der Met, der Metropolitan Opera New York.
Bettenkino
Bequeme und verstellbare Sitze bieten heute auch schon die Multiplexe. Das beginnt mit ledernen Premium-Sesseln, mit denen das Kinopolis Sulzbach die letzten beiden Reihen aller Säle ausgestattet hat. Für das Action-Film- und 3-D-Publikum sind darüber hinaus die insgesamt 40 D-Box-Seats ein besonderes Erlebnis. Sie bewegen sich synchron zur Handlung auf der Leinwand und werden bei sechs Euro Mehrkosten nicht nur von Jugendlichen geschätzt. „Sie kommen wahnsinnig gut an. Man wundert sich, wer da so drauf sitzt, das sind oft auch Familien“, bestätigt Gregory Theile. Dazu bietet er den Kinobesuchern ebenfalls Kultur, wie etwa Aufführungen aus der Met und dem Moskauer Bolschoi-Theater, überträgt auch mal Gottesdienste oder vor Kurzem für Gaming-Fans die „League of Legends eSports“-Weltmeisterschaft aus Island.
Der allerneuste Trend hat es aber noch nicht ins Rhein-Main-Gebiet geschafft. In Leonberg bauen die „Traumpalast“-Betreiber gerade an einem Bettenkino mit gemütlichen Matratzen und Kissen. „Zu unserer Cinéma-Klientel würde das nicht passen. Aber wenn sie so etwas zelebrieren und einen gewissen Kult schaffen, dann ist das eine tolle Sache“, findet Christopher Bausch. Es gehe darum, dem Publikum etwas Besonderes zu bieten.
Und wer weiß, vielleicht kooperiert das eine oder andere Kino bald mit den Streaming-Diensten und es laufen anspruchsvolle Netflix-Produktionen oder Serien aus der Mediathek von ARD und ZDF wie Babylon Berlin oder Bad Banks auch mal auf der großen Leinwand. Die Qualität dazu hätten sie. Und das Kino hat definitiv keine Zeit zu sterben. Es hat sich noch immer neu erfunden.
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