- 63shares
- ChatGPT
- Perplexity
- Claude
Florian Fabricius war ein halbes Jahr lang Deutschlands oberster Schülersprecher, konferierte mit der Kultusministerin und gab Fernseh-Interviews. Er hat aus diesem kurzen Einblick in den Berliner Politbetrieb viel gelernt – zum Beispiel, dass das Thema Bildung leider nicht sexy ist.
Inhalt
Am Gymnasium gegenüber seiner Wohnung hängen die Aufmunterungsplakate der Eltern für die dortigen Abiturprüflinge. Eigentlich würde Florian Fabricius jetzt auch in der Internatsschule Schloss Hansenberg sitzen und eine Klausur nach der anderen schreiben, wie seine Kommilitonen. Doch er hat sich entschieden, das 13. Schuljahr zu wiederholen. Nicht, weil er es nicht könnte. Statt sich dem Abiturstoff zu widmen, hat er sich ein halbes Jahr lang umfassend für seine Mitschülerinnen und Mitschüler engagiert.

Seit November 2023 war Florian Fabricius sechs Monate lang Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, also der Anwalt der rund elf Millionen deutschen Schüler in Berlin. Natürlich ist Schulpolitik Ländersache. Es gibt Schülervertretungen in allen 16 Bundesländern. „Seit Corona ist aber der Bedarf gestiegen, auf Bundesebene Schulthemen zu behandeln. Ich habe Gespräche mit Abgeordneten, Ministerien und der Kultusministerkonferenz geführt“, erzählt der 18-Jährige. Seine Aufgabe war es, die Interessen der Ländervertretungen miteinander zu koordinieren und zugleich die gesamte Schülerschaft in Berlin nach außen zu repräsentieren.
Keine offenen Türen
Für Politik interessierte sich Florian Fabricius schon immer – auch dank seiner Familie. „Ich weiß noch, wie stolz ich war, mit meinem Vater endlich das heute-journal schauen zu dürfen und nicht mehr die logo-Kindernachrichten.“ Seine Mutter Veronica Fabricius, die gemeinsam mit ihrem Mann die familieneigene Vermögensberatung führt, engagiert sich seit gut zehn Jahren für die Frankfurter CDU und sitzt in der Stadtverordnetenversammlung. Bereits zwei Jahre vor seiner Wahl zum Generalsekretär absolvierte Florian Fabricius in Berlin ein Praktikum bei dem Frankfurter FDP-Bundestagsabgeordneten Dr. Thorsten Lieb. „Damals durfte ich mal einen Instagram-Post machen oder Visitenkarten einscannen. Da war es jetzt richtig cool, zwei Jahre später auf Augenhöhe mit den Interessenvertretern zu sprechen“, berichtet er.

Und nicht nur das. Auch die Medien entdeckten den eloquenten Schüler dank seiner engagierten Pressearbeit für sich. ARD-Moderator Ingo Zamperoni interviewte ihn für die Tagesthemen. Geplant war ein Gespräch von vier Minuten. Es wurden sechseinhalb daraus. Florian Fabricius argumentierte dabei wortgewandt und gehaltvoll. Neben der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, ihrer schleswig-holsteinischen Kollegin und CDU-Vizevorsitzenden Karin Prien und der Journalistin Eva Quadbeck saß er kurz darauf sogar in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz – musste allerdings feststellen, dass es bei dem Gespräch eher um Schlagzeilen als um Inhalte ging. „Nach der Sendung habe ich mit beiden weiterdiskutiert, da waren sie ganz anders.“
„Meine Rolle war es, den Finger in die Wunde zu legen und zum Beispiel Themen wie die mentale Gesundheit von Schülern überhaupt ins Bewusstsein zu rufen.“ – Florian Fabricius
Bei seinen Gesprächen mit Politikern in Berlin erkannte der Schüler schnell, dass ihre Vorstellungen oft sehr weit entfernt von dem sind, was heute in den Schulen passiert und dass für viele das Thema nicht gerade sexy ist. Während sie lieber über besondere KI-Tools und andere Technologien für den Unterricht verhandeln, sind vor Ort vor allem die Gebäude marode und die Toiletten kaputt. „Meine Rolle war es, den Finger in die Wunde zu legen und zum Beispiel Themen wie die mentale Gesundheit von Schülern überhaupt ins Bewusstsein zu rufen.“ Am Ende seiner Amtszeit hatte er mit 80 Prozent der Mitglieder des Bildungsausschusses Gespräche geführt.
Ernüchterung gehört für Florian Fabricius dazu
So naiv, zu glauben, dass er mit dem Thema offene Türen einrennen würde, war Florian Fabricius nicht. „Es ist ein Prozess, der auch Ernüchterung mit sich bringt. Man muss geduldig sein, um eine Bildungswende einzuleiten.“ Bei manchen Politikern sei es allerdings nicht einfach gewesen, überhaupt zu ihnen durchzudringen. Denn auch das erlebte der Schüler: „Man erarbeitet Papiere, damit sie sich das anschauen und dann gibt es nur einen Fototermin für Instagram, mit dem sie sich schmücken können und der Rest landet im Papierkorb.“
Dabei hat Fabricius zwei entscheidende Vorteile als Gesprächspartner. Er ist noch in der Schule und kann aus erster Hand über die Wünsche und Bedürfnisse der Schüler berichten. Und er hat viel Erfahrung darin, sich für deren Interessen stark zu machen. Bereits in der 3. Klasse der privaten deutsch-englischen Phorms-Grundschule im Nordend war Florian Fabricius das erste Mal Klassensprecher. Damals habe er einfach mal die Hand gehoben, erinnert er sich. In der 10. Klasse wurde er schließlich Schulsprecher. „Es hat mich genervt, dass die Schulleitung nicht mit uns geredet hat. Da dachte ich, dann muss ich eben selbst aktiv werden.“
Das Gefühl, etwas zu bewegen, sei ein bisschen wie eine Droge, gibt er zu. Er wollte mehr davon, wurde Schülersprecher für den gesamten Rheingau-Taunus-Kreis und schließlich auf Landesebene. Selbst Rückschläge hielten ihn dabei nicht auf: „Als Mittelstufensprecher bin ich mal knapp gescheitert, da fehlten mir zwei Stimmen.“
Seine Teilnahme am Debattierclub der Schule bot ein gutes Trainingslager für die Aufgabe des Sprachrohrs. Auch dort war er erfolgreich und wurde unter anderem Hessischer Landessieger bei „Jugend Debattiert“. Die Kunst, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen und rhetorisch zu punkten, begeistert ihn bis heute, besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Verrohung der Debattenkultur im Land. „Vielleicht fange ich nächstes Schuljahr wieder im Debattierclub an.“ Nachdem er das höchste Amt der Schülersprecher kürzlich abgegeben hat, freut er sich aber erst einmal darauf, wieder „normaler Jugendlicher“ zu sein, der gerne Klavier spielt, Sport macht und sich mit Freunden trifft. Das Amt des Klassensprechers überlässt er heute anderen.
Aufregend & anstrengend
Die Amtszeit eines Generalsekretärs der Bundesschülerkonferenz dauert üblicherweise ein Jahr. Florian Fabricius übernahm es aber in einer Übergangsphase, so dass er nach einem halben Jahr neu hätte kandidieren müssen, um dann insgesamt eineinhalb Jahre lang das Amt auszuüben. „Ein halbes Jahr war schon aufregend und anstrengend genug.“ Nicht einmal seinen 18. Geburtstag konnte er in der Zeit feiern und musste die Party später nachholen.
Er entschied sich dagegen, noch einmal zu kandidieren, auch weil er sich gefragt habe, was nach diesem halben Jahr noch kommen soll. Ein bisschen Ernüchterung spielte bei die Entscheidung ebenfalls eine Rolle: „Man fragt sich schon, ist die Arbeit so wirkungsvoll, wie sie aussieht? Wenn man vor Politikern und Kameras steht, glaubt man vielleicht, ich bewege jetzt die Welt. Aber dann kommt die Einsicht, dass vieles nur Show ist und man fragt sich, ist das den Preis wert?“
Aus seiner persönlichen Perspektive beantwortet er diese Frage mit einem klaren „Ja“, allein schon wegen der vielen Erfahrungen, die er sammeln konnte. Etwa, dass alles, was in der Politik passiert, gar nicht so abgehoben und doch menschlich sei. Es gebe für normale Bürger mehr Möglichkeiten, mitzuwirken, als man denkt. „Die Prozesse sind nicht so weit weg von uns. Und am Ende trinkt man mit dem Minister ein Bier.“

Das Sprechen vor der Kamera oder auf einem Podium vor 300 Menschen, dürfte ebenfalls hilfreich für sein späteres Berufsleben sein. Und die Kontakte, die er knüpfen konnte, bleiben ihm – zumindest teilweise. Denn auch diese Erfahrung musste Florian Fabricius machen: dass ihn einige wichtige Gesprächspartner nach der Amtsübergabe an seine Nachfolgerin direkt aus ihrem Verteiler strichen.
Praktische Demokratiebildung für Florian Fabricius
Seine Entscheidung, das Abitur erst im nächsten Jahr zu machen, hat er zuhause mit seinen Eltern heftig diskutiert. Doch am Ende stand für Florian Fabricius fest: „Lieber übe ich mein Amt zu 100 Prozent aus und mache dann das Abitur, als einen Spagat zwischen beiden zu versuchen. Die Schule und das Ministerium haben die Entscheidung mitgetragen.“ Schließlich war seine Tätigkeit auch praktische Demokratiebildung, bei der er mittendrin war im Politbetrieb und nicht nur Klausuren darüber geschrieben hat.
„Ich bin ein zu politischer Mensch, als dass ich tatenlos zuschauen könnte, wie andere Politik machen.“ – Florian Fabricius
Selbst in die Politik zu gehen, das kommt für den Schüler direkt nach dem Abitur nicht infrage. Auch wenn er scherzhaft feststellt, dass der Fachkräftemangel scheinbar dort angekommen sei, denn er habe in dem halben Jahr viele Angebote erhalten. Dass er den Berufspolitikern bei der Arbeit zuschauen konnte, sei hilfreich gewesen. „Wenn das das Einzige ist, was man macht, finde ich es nicht erstrebenswert. Man hängt zu sehr am politischen Apparat.“ Zunächst mal steht für ihn nach dem Abitur deshalb ein Studium der Wirtschaft an, oder vielleicht doch der Politik.
So ganz lassen kann er von „seiner Droge“, sich weiterhin einzumischen und etwas zu bewegen, nämlich nicht: „Ich bin ein zu politischer Mensch, als dass ich tatenlos zuschauen könnte, wie andere Politik machen.“
Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Print-Ausgabe. Sie wollen schneller informiert sein? Hier können Sie ein Abonnement abschließen.