Die Senioren von heute sind umtriebig. Sie reisen durch nahe und ferne Gegenden, konsumieren kräftig und sind fest entschlossen, ihr Leben zu genießen. Manche streben noch nach mehr und wollen erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und wohin die Menschheit sich entwickeln könnte.
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Die Angebote der staatlichen Hochschulen sind da ein willkommener Helfer. In Deutschland halten rund die Hälfte ein Programm für Ältere bereit, das auch gehobenen Ansprüchen gerecht wird. Führend ist die Universität des 3. Lebensalters (U3L) in Frankfurt, die mit der Goethe-Universität kooperiert.
Die U3L wurde 1982 als privater Verein gegründet, um Älteren einen gezielten Zugang zu wissenschaftlichen Angeboten zu eröffnen. Die Kooperation mit der Uni ist ungemein nützlich. Räume und Hörsäle im Campus Bockenheim und im Campus Westend werden genutzt. Auch emeritierte Professoren sind unter den Dozenten. Die allermeisten, die hier in die Geheimnisse der akademischen Fächer einführen, haben promoviert.
Was die Universität des 3. Lebensalters Frankfurt auszeichnet
Etwa 120 Kurse hält die U3L pro Semester ab. Die Themen reichen von der Analyse globaler Finanzmärkte über die Entschlüsselung antiker Mythen bis hin zur Bioethik und zur Künstlichen Intelligenz. Vorlesungen sind höchst beliebt, aber auch Seminare. Dort wird lebhaft diskutiert.
Rund 3.000 Studenten sind eingeschrieben. Sie sind im Schnitt 70 Jahre alt. Die Bandbreite ist groß und umfasst 60-jährige wie 90-jährige. Eine formale Qualifikation wie Abitur oder Hochschulabschluss bildet keine Voraussetzung für ein U3L-Studium. Jeder kann kommen. Nur aufgeschlossen sollte man sein.
Der Semesterbeitrag liegt bei 150 Euro. Plus 30 Euro Vereinsgebühr. Studierende beteiligen sich sogar an den Forschungen zum Alter. Stichwort: partizipatives Lernen. Die U3L sieht gern, wenn die Veranstaltungen Aspekte des Alters und des Alterns berücksichtigen.
Ein Student im Unruhestand: Erfahrungen aus der Praxis
Inzwischen läuft vieles online ab. Das Format ist während der Corona-Pandemie entwickelt worden. Der 68 Jahre alte Student Thomas Brand, früher Prüfingenieur beim TÜV Hessen, sitzt inzwischen mehr vor dem Bildschirm als in Präsenzveranstaltungen. „Ich bin seit 2020 an der U3L und habe bei der Digitalisierung des Programms mitgewirkt, weil ich mich mit IT ganz gut auskenne“, berichtet er.

Der Vater von drei erwachsenen Kindern wohnt mit seiner Frau bei Seligenstadt. Das Lernen von zu Hause erscheint ihm oft bequemer. Aber seine Kommilitonen möchte Thomas Brand trotzdem nicht missen. „Es haben sich echte Freundschaften entwickelt.“
Zwei Drittel der Veranstaltungen absolviert er virtuell. Doch am größten ist für ihn die Freude, wenn er sich nach Frankfurt zur Uni aufmacht. Menschen mit ähnlichen Interessen zu treffen und sich mit Ihnen auszutauschen, sei das eigentlich Wahre.
Agil war Brand schon immer. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, erzählt er. Der begeisterte Schrauber besitzt heute eine kleine Oldtimer-Sammlung. Prunkstück ist ein Citroën Traction Avant Baujahr 1954. „Die Modelle dieses Typs gingen als Gangsterauto in die Geschichte ein. Die vorderen Türen sind hinten angeschlagen“, erläutert er. „ So kannst Du schnell mit dem Maschinengewehr rausfeuern.“ Er lacht.
Vom Getriebe zur Gerontologie: Lernen als Lebenselixier
Seit fünf Jahren befindet sich der chronisch Neugierige im sogenannten Ruhestand. Seine Tage fühlen sich nicht wirklich danach an. Er hat das Gefühl, dass er sich in dieser Zeit ganz schön weiterentwickelt hat. „Die Neugierde hört nie auf. Und die Universität des 3. Lebensalters gibt mir ständig Anregungen, über neue Zusammenhänge nachzudenken.“
An der U3L beschäftigt ihn nicht mehr die Technik von Motoren, Getriebe oder Bremsen, sondern vor allem Ökonomie und Gerontologie. Es darf aber auch Kunst, Geschichte oder Stadtforschung sein. „Ich schaue gern in alles Mögliche rein“, sagt er. „Das Programm ist unglaublich vielfältig.“
Thomas Brand nimmt sein Studium sehr ernst, auch wenn er keine Zertifikate anstrebt. Was an der U3L möglich ist. „Im Wintersemester komme ich in der Woche auf vier Tage, die mit sechs Stunden Universität gefüllt sind. Im Sommer ist es etwas weniger.“ Er unterstützt auch die Öffentlichkeitsarbeit der U3L und engagiert sich als Rechnungsprüfer im Verein.
Im Wintersemester werden die Goethe-Uni und die U3L wieder gemeinsam eine Veranstaltung durchführen, in der die Lebensbedingungen im Alter thematisiert werden. Professor Frank Oswald, Dozent für interdisziplinäre Alternswissenschaft an der Goethe-Uni und Vorstandsmitglied der U3L, leitet das Projekt. Thomas Brand ist dabei. „Hier können wir Lernenden mit unseren eigenen Lebenserfahrungen einen Beitrag zur Forschung leisten. Das ist außerordentlich spannend.“
Exzellente Lehre, die über reine Unterhaltung hinausgeht
Manchmal hat der gebürtige Wuppertaler, der als Kind nach Frankfurt kam, auch einfach nur Lust auf ambitionierte Unterhaltung. Er liebt zum Beispiel die Vorlesungen von Mario Becker. Der Dozent für Archäologie und Alte Geschichte trägt so packend vor, dass die Hörsäle meist voll sind.
Der 61-jährige, der ein Unternehmen für Studienreisen betreibt, besitzt eine eigene Fangemeinde. Gleichwohl versteht sich Becker nicht als Entertainer. Auch wenn er sich bemüht, komplizierte Dinge auf einfache Weise zu erklären. „Man sollte immer Bezüge zur Gegenwart und zu aktuellen Fragen herstellen“, findet er. Bisweilen gebe es verblüffende Parallelen. „Weshalb werden beispielsweise plötzlich autokratische Systeme wieder populär?“ Da könne auch ein Blick weit zurück sehr aufschlussreich sein.
Die Studentinnen und Studenten haben an der U3L die Qual der Wahl. So viel Exzellenz gibt es wohl selten für die älteren Semester. Wer das Vorlesungsverzeichnis liest, kommt ins Grübeln. „Ich hatte am Anfang wirklich Probleme, mich einzuschränken“, bekennt Anne Winckler, eine ehemalige Familienrichterin. Für jeden Tag suchte sie sich etwas heraus.
Inzwischen besucht sie nur noch höchsten drei Veranstaltungen in der Woche. So hat sie noch Luft für anderes. Im nächsten Semester freut sie sich besonders auf „Wenn das Wetter Geschichte macht“. Dabei geht es um Auswirkungen des Klimas auf historische Ereignisse.
Die Vision: Barrieren abbauen und Zukunft gestalten
Es gilt immer die Balance zu finden, zwischen der eigenen Wissensgier und den Bedürfnissen des Umfelds und der Familie. Da gebe es auch schon mal Diskussionsbedarf mit seiner Frau, gibt Thomas Brand zu. „Aber grundsätzlich unterstützt sie, was ich mache.“ Schließlich halte die geistige Anstrengung den Kopf wach, meint der Studiosus. Das sei sicher besser als sich teilnahmslos vom Fernseher berieseln zu lassen.
Eine Universität für Ältere, die einem keine Zwänge auferlegt, ist nur eine Möglichkeit. Natürlich können Senioren mit entsprechenden Voraussetzungen auch ein reguläres Erst- oder Zweitstudium aufnehmen. Oder sich als Gasthörer zu den sehr viel Jüngeren gesellen, die einen akademischen Abschluss anstreben. Hier gibt es allerdings Beschränkungen. Kunstgeschichte beispielsweise ist ein Fach, das auf die Generation des Dritten Lebensalters eine magische Anziehungskraft ausübt. Natürlich will man an den Hochschulen verhindern, dass der normale Betrieb von einem Ansturm der Alten lahmgelegt wird.
Der griechische Philosoph Platon hatte erkannt, dass die größte Dummheit darin besteht, nichts mehr wissen zu wollen. Mayte Zimmermann, die Leiterin der U3L-Geschäftsstelle, kümmert sich auch um die Weiterentwicklung dieser ganz besonderen Institution, die bei Insidern schon lange einen ausgezeichneten Ruf genießt.

„Die Studierenden identifizieren sich sehr stark mit uns“, stellt die promovierte Theaterwissenschaftlerin fest. Aus dem überwiegend bürgerlichen oder großbürgerlichen Teilnehmerkreis kämen beträchtliche Spenden. „Wir gehören zu den größten Einrichtungen dieser Art in Europa und waren eine der ersten, die sich eigenständig organisiert haben.“
Soziale Öffnung und neue Lernformate
Die 43-jährige hat vor gut einem Jahr die Leitungsfunktion der Universität des 3. Lebensalters übernommen. Sie hebt hervor, wie konsequent die U3L die Lebenssituation von Älteren in ihr Angebot einfließen lasse. Sie versuche nun, bestehende soziale Barrieren weiter abzubauen. Hausfrauen ohne Studium habe man schon erreicht. „Ich würde mir wünschen, dass auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund und Altersarme zu uns stoßen.“
Noch immer ist die U3L im Rhein-Main-Gebiet für weite Teile der Bevölkerung ein unbeschriebenes Blatt. Im vergangenen Semester hat Zimmermann bei verschiedenen U3L-Veranstaltungen hospitiert. „Ich habe mich gefreut, wie lebendig das war.“ Natürlich hänge das immer auch von den Lehrenden ab. Qualitätsmanagement sei Teil der Bildungsarbeit.
Impulse für das vierte Lebensalter
Für die Zukunft erwartet die Bildungsmanagerin Impulse vom generationsübergreifenden Lernen. „Wir wollen zudem die Menschen im vierten Lebensalter, die in Heimen wohnen, miteinbeziehen.“ Sie aus der Abgeschlossenheit herauszuführen, sei eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.
Die digitale Unterstützung einer älter werdenden Bevölkerung stehe gleichfalls auf ihrer Agenda. „Körper und Geist sind miteinander verbunden“, fährt Mayte Zimmermann fort. „Performance“ ist ihr wichtig. Damit beschreibt sie das Gegenteil von reiner Beschäftigungstherapie. Denken setze Energie frei, resümiert sie.
Tatsächlich legen wissenschaftliche Untersuchungen nahe, dass geistige Aktivitäten im Alter erheblich dazu beitragen können, länger gesund zu bleiben. Das hofft auch Thomas Brand. Er ist auf einem guten Weg.
