Fast so bunt wie seine beeindruckende Kunstsammlung schillert die außergewöhnliche Vita des 80-jährigen Wahl-Wiesbadeners Frank Brabant. 1963 führt der Zufall den Angestellten einer Versicherung in die Galerie von Hanna Bekker vom Rath am Frankfurter Börsenplatz. Als „Verlegenheitskauf“ bezeichnet der Sammler den Erwerb seines ersten Kunstwerks von Max Pechstein.
Niemand ahnte an jenem Abend, dass der Holzschnitt „Der Redner“ die Ouvertüre zu einer nunmehr 600 Werke umfassenden Gemäldesammlung bilden würde. Während einer exklusiv für das Top Magazin arrangierten Führung durch die Ausstellung „Von Beckmann bis Jawlensky“ im Museum Wiesbaden, fasziniert uns Brabant mit Geschichten seines unkonventionellen Lebens und seiner „Kinder“, wie er seine Bilder liebevoll nennt.
„Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind“, werden wir von unserem Gastgeber, dem man sein Alter keineswegs ansieht, mit einem strahlenden Lächeln und einem festen Händedruck begrüßt. Seit nunmehr 55 Jahren sammelt der passionierte Kunstliebhaber Werke mit besonderem Augenmerk auf deutschen Expressionismus und Neue Deutsche Sachlichkeit.
Das Teddy-Trauma
Gemeinsam betreten wir den ersten Ausstellungsraum und unser Blick fällt auf das große Gemälde ‚Helene im spanischen Kostüm‘ von Alexej von Jawlensky. Wir erfahren, dass die Dame auf dem Bild das Dienstmädchen Helene darstellt, die der russische Künstler Jawlensky geschwängert und 1922 in Wiesbaden geheiratet hatte.
„Mehrere Russen haben mir viel Geld für dieses Bild geboten, da sie die Werke russischer Künstler im Ausland nach Russland zurückholen wollten. Wissen Sie, warum ich den Verkauf resolut abgelehnt habe? Als kleiner Junge hatte ich einen Teddybären, den ich immer bei mir trug. Insbesondere in den Bombenkellern während des zweiten Weltkrieges klammerte ich mich immer an diesen Teddy. 1945 kamen die Russen in unsere kleine Wohnung in Schwerin und eine Frau riss mir meinen Teddy aus der Hand und nahm ihn mit. Ich hatte dieses schreckliche Erlebnis im Laufe der Jahre verdrängt. Aber als ich die Anfragen aus Russland bekam, holte mich dieses Trauma wieder ein. Was hätte mir der Verkauf gebracht? Ich hätte das Geld ohnehin wieder in Kunst investiert“, lacht er über sich selbst.
Nachtleben finanziert Kunstsammlung
Nie habe er seine Kunstkäufe als Investition, aus der er Profit schlagen wollte, betrachtet, erzählt uns der engagierte Sammler, während wir durch die Ausstellung gehen. Im Gegenteil. 1969 wagte er den Schritt in die Selbständigkeit und eröffnete das ‚Pussycat‘, die erste Diskothek für Homosexuelle im Rhein-Main-Gebiet, in Wiesbaden.
„Mit den Einnahmen aus meinem Geschäft konnte ich meine Kunstkäufe finanzieren. Für mein erstes Auto, einen VW Käfer, habe ich auch gespart“, erzählt der Diskothekenbetreiber, dessen aufregendes Leben sich zu jener Zeit um das Nachtleben und die Liebe zur Kunst drehte.
„Da hängt er, mein VW Käfer.“
Vor dem Gemälde ‚Marielle‘ von Ernst Ludwig Kirchner leuchten die Augen des Kunstsammlers. „Da hängt er, mein VW Käfer“, schmunzelt Brabant. „Ich konnte diesem Bild einfach nicht widerstehen und habe dafür gerne auf das Auto verzichtet.“ Im nächsten Ausstellungsraum hängt der ‚Verlegenheitskauf‘, das Bild, welches einst die Sammel-Leidenschaft auslöste.
Der Verlegenheitskauf des Frank Brabant
Wir stehen vor Max Pechsteins Holzschnitt ‚Der Redner‘. „Wissen Sie, warum ich 1963 Hanna Bekkers Galerie besucht habe? Nicht etwa, weil ich mich für Kunst interessierte,“ lacht Brabant. „Ich war eine Stunde zu früh zu einem Termin erschienen und wollte nur die Zeit überbrücken. Die Galeristin bot mir Wein an und erklärte mir die ausgestellten Kunstwerke. Das fand ich beeindruckend!“, erinnert er sich.
„Nach diesem freundlichen Empfang wäre es mir unangenehm gewesen, die Galerie zu verlassen, ohne etwas gekauft zu haben, schließlich hatte ich Wein getrunken, den ich nicht bezahlt hatte. So wählte ich das günstigste Bild und erschrak über den Preis. Es kostete 350 Mark. Der Betrag entsprach meinem Monatsgehalt. Dennoch habe ich es gekauft und in zwölf Monatsraten abgezahlt.“
„Hanna Bekker hat mein Interesse für Kunst entfacht.“
Neun weitere Werke des Künstlers, darunter auch Grafiken und Aquarelle, ergänzen die aktuelle Sammlung. „Hanna Bekker hat an jenem Abend mein Interesse für Kunst entfacht. Sie war eine bemerkenswerte Frau, mit einem großen Namen in der Kunstszene“, schwärmt er von seiner Mentorin.
Für weitere beeindruckende Frauen und ihre Bilder begeistern wir uns im folgenden Themenraum des Museums. „Ich habe nicht sehr viele Bilder von Frauen in meiner Sammlung, weil Frauen vor dem ersten Weltkrieg offiziell nicht malen durften“, klärt der Kunstsammler uns auf. Wir bewundern den ‚Liebesakt‘ (1925) von Elfriede Lohse-Wächtler, Hannah Höchs Holzschnitt ‚Die Straßenszene‘ (1912) und Hanna Nagels Tuschezeichnung ‚Raucherin‘ (1929).
Mitleid, Intuition und Trostpflaster
Wir möchten wissen, nach welchen Kriterien Brabant seine Kunstwerke auswählte. „Meistens entscheide ich intuitiv. Ein Bild muss mich ansprechen und begeistern. Auch habe ich gerne Künstler unterstützt, die nie ausgestellt wurden. Sie taten mir leid. Der begnadete Maler Georg Tappert ist ein gutes Beispiel. Er wurde von den Nationalsozialisten verfolgt und es ist ihm nicht gelungen, sich nach dem 2. Weltkrieg zu etablieren. Wenn ich wenig Geld hatte, habe ich mich für Bilder entschieden, die keiner wollte. Sie gefielen mir jedoch und kosteten nur 200 bis 300 Mark. Heute haben diese Kunstwerke zum Teil einen sechsstelligen Wert“, berichtet Frank Brabant mit stolzem Blick.
Zweimal kaufte sich der Diskothekenbetreiber Kunstwerke zum Trost, nachdem er von Gegnern der homosexuellen Szene zusammengeschlagen wurde. „Das ‚Pussycat‘ war ein gesellschaftlich polarisierendes Etablissement“, erzählt der Unternehmer. „Erst 1975, als das ZDF nach Wiesbaden zog, entwickelte sich meine Diskothek auch für Heterosexuelle und Prominente zum Stammlokal.“
Die neue „Salonfähigkeit“ des ‚Pussycat‘ und das Glück, welches Brabant durch die Beziehung mit seinem Lebenspartner erfahren durfte, ließen sein Leben für eine Weile in ruhigeren Gefilden verlaufen. Bis zu jenem Tag, als er seine große Liebe bei einem tragischen Verkehrsunfall verlor.
„Das war das schlimmste Erlebnis meines Lebens“, gesteht Frank Brabant, sichtlich mitgenommen. Das ohnehin angespannte Verhältnis zu seinen Schwiegereltern in Spe, wie er sie nennt, manifestierte sich bei der Trauerfeier, zu der er nicht eingeladen wurde, für ihn besonders schmerzhaft.
„Was habe ich nur getan?“
„Durch den Verlust meines Partners entwickelte sich meine Sammelleidenschaft fast zur Obsession“, gesteht er rückblickend. So erzählt uns der Kunstsammler, wie er sich bei einer Versteigerung mitreißen ließ, eine reiche Amerikanerin zu überbieten. Als der Auktionator den Preis von 24.000 Mark für Emil Noldes ‚Mädchenkopf‘ zu seinen Gunsten aufrief, wollte er im Erdboden versinken.
„Was habe ich nur getan, fragte ich Karl Hofer, Conrad Felixmüller, Otto Dix bis hin zur ‚Liz Taylor‘ von Andy Warhol.“ 40 Mal ging seine Ausstellung bereits um die Welt.
An seinem 80. Geburtstag, im April dieses Jahres, entschied Brabant, seine Bilder, mit einem geschätzten Wert von 30 Millionen Euro nach seinem Ableben zwei Museen zu schenken: dem Staatlichen Museum in seinem Geburtsort Schwerin und dem Museum in Wiesbaden, wo er seit sechzig Jahren lebt.
Für seine außerordentlichen Verdienste um Kunst und Kultur wurde Frank Brabant vom Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen geehrt. „Was mich daran am meisten freut, ist der Gedanke, dass sich meine Ex-Schwiegereltern in Spe im Grabe umdrehen würden, wenn sie das wüssten“, ist sein Kommentar zu der Auszeichnung. Er war halt schon immer ein Rebell, der Frank Brabant.
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