Der Jobbörse ist außer Rand und Band, die Stellenauswahl riesengroß. Die Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. Trotz des Krieges in der Ukraine und der Unwägbarkeiten einer Pandemie. Die Firmen müssen sich sehr anstrengen, um Mitarbeiter zu finden. Sie machen inzwischen mit allerlei Aktionen und Events auf sich aufmerksam. Wer sich verändern will, kann Bedingungen stellen. Besonders gefragt sind Leute, die für die digitale Transformation der Wirtschaft benötigt werden.
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Mit dem Abschied der Babyboomer wandelt sich der Arbeitsmarkt dramatisch. Die vom demografischen Wandel verursachten Erschütterungen haben sich durch Corona und Homeoffice zu einem Beben verstärkt. Die Lage verdeutlicht ein Blick auf die Stellenausschreibungen. Sie werden regelmäßig vom Suchmaschinenbetreiber und Eintracht Frankfurt-Sponsor Indeed ausgewertet.
Der Zeitraum, bis eine offene Position besetzt ist, hat sich spürbar verlängert. Viele Stellen stehen notgedrungen auch noch nach Monaten im Netz. Der krisengebeutelte Einzelhandel hat Schwierigkeiten, neues Personal zu rekrutieren. Und der boomende IT-Sektor fahndet – oft verzweifelt – nach geeigneter Verstärkung.
Die Zahl der Stellenanzeigen habe sich innerhalb von zwei Jahren um rund 50 Prozent erhöht, konstatiert Indeed. „Es passiert unfassbar viel“, sagt die Ökonomin Annina Hering gegenüber dem Top Magazin. Sie beobachtet Trends im „Hiring Lab“ des Unternehmens. Die traditionell eher sicherheitsorientierten deutschen Arbeitnehmer würden mutiger. Laut einer Indeed-Umfrage sind fast ein Drittel der 35- bis 44-Jährigen auf dem Sprung. Auch die Jüngeren und selbst etablierte Ältere schnuppern Morgenluft. „Immer mehr liebäugeln mit einem Wechsel“, berichtet die Analystin.
„Es passiert unfassbar viel. Immer mehr liebäugeln mit einem Stellenwechsel.“ – Annina Hering, Indeed
Eigeninitiative gefragt
Parallel wandelt sich die Arbeitskultur. Digitale Kenntnisse haben für die Unternehmen inzwischen hohe Priorität. Auch die Fähigkeit, selbstständig von zu Hause aus zu arbeiten, wird wichtiger. Annina Hering rechnet damit, dass sich hybride Arbeitsmodelle durchsetzen – mit Tagen im Büro und Tagen daheim vor dem Schreibtisch. „Genau das wollen auch viele Beschäftigte“, sagt die promovierte Sozialwissenschaftlerin.
Die ausgeschriebene Position sei „homeofficefähig“, heißt es nun regelmäßig bei den Stellenangeboten. „Früher haben die Vorgesetzten ihre Mitarbeiter stets vor sich gehabt und konnten direkt eingreifen, wenn etwas in die falsche Richtung lief. Jetzt müssen sich die Chefs stärker auf die Mitarbeiter verlassen.“

Man könne auch nicht mehr darauf bauen, dass einer der Kollegen mitbekomme, wenn jemand Schwierigkeiten habe. „Jeder muss lernen, sich zu melden, wenn es hakt“, stellt Annina Hering fest. Ein gutes Team unterstütze gern. „Parallel muss die digitale Infrastruktur weiter ausgebaut werden“, fordert die 35-Jährige aus der Indeed-Denkfabrik.
Ein bisschen wie im Fußball
Die Arbeitnehmer profitieren von der Gunst der Stunde. „Sie sollten ihre Erwartungen an den Arbeitgeber klar formulieren“, rät die Kennerin des Arbeitsmarkts. Böte das eigene Unternehmen zu wenig, mache eine Neuorientierung Sinn. „Die starke Nachfrage nach Fachpersonal eröffnet reichlich Möglichkeiten“, resümiert Hering.
Ein höheres Gehalt und Karrierechancen stehen überall im Vordergrund. Manche wollen aber auch unbedingt ein gutes Arbeitsklima, familienfreundliche Regelungen und betriebliche Sonderleistungen. Am Ende muss das Gesamtpaket stimmen. Auf den ausgesprochenen Arbeitnehmermarkt müssen sich die Unternehmen einstellen, wenn sie eine gute Mannschaft halten und attraktive Neuzugänge verpflichten wollen. Es ist ein bisschen wie im Profi-Fußball, wo Klubscouts permanent nach neuen Talenten spähen.
Laut einer internationalen Studie des Lernplattformanbieters Udacity und des Marktforschungsunternehmens Ipsos bremst der Fachkräftemangel Innovationen erheblich aus. Befragt wurden 2.000 Führungskräfte und 4.000 Mitarbeiter in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Durch mangelnde Fachkenntnisse würden Projekte verzögert, beklagten 46 Prozent der Unternehmen. 42 Prozent bedauerten, dass wichtige Vorhaben nicht abgeschlossen werden können. Auch das Abwandern von Mitarbeitern (35 Prozent) und das Outsourcing von Leistungen (42 Prozent) bereiten erhebliche Probleme. Gefragt sind Menschen, die frische Impulse setzen.
Fachkräftemangel schmerzt
Doch woher nehmen? Mehr als die Hälfte der Unternehmen kritisiert, dass der Arbeitsmarkt nicht mehr in ausreichender Zahl fitte Experten zur Verfügung stelle. Zwangsläufig müssen Abstriche am Anforderungsprofil bei den Einstellungen gemacht werden. Das könnte die Chance für innerbetriebliche Weiterbildung sein. Vor allem in Deutschland wünschen sich denn auch sehr viele Arbeitnehmer, dass ihre Unternehmen mehr in die Weiterbildung investierten. Von den augenblicklichen Upskilling-Programmen sind viele Beschäftigte weitaus weniger überzeugt als die Arbeitgeber.
Und der Druck auf die Arbeitnehmer steigt – auch hierzulande. Die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen beschleunigt sich. Wer mit der Modernisierung nicht zurechtkommt, muss mit Konsequenzen rechnen. Mitarbeiter werden zunehmend entlassen, wenn das technologische Know-how nicht mehr ausreicht.
Jagd auf die Nerds
Sich auf die Höhe der Zeit zu bringen, lautet die Marschroute. Unternehmen wollen vor allem fähiges IT-Personal rekrutieren. Angesichts der derzeitigen Nöte buhlen so gut wie alle Firmen um die raren IT-Talente, vom Startup bis zum Weltkonzern. Die in der Frankfurter Meisengasse residierende Umbeck & Walenda Media GmbH hat dazu ein passendes Format entwickelt, das unter dem Label ITCS – IT & Career Summit zu einer – auch eingetragenen – Marke geworden ist.

Die ITCS-Events der Firma sind zu einem beliebten Treffpunkt für Nerds geworden, die ihren Bildschirm sonst nur ungern verlassen. „Wir waren die ersten, die coole IT-Messen inszeniert haben“, berichtet Managing Partner Rachid Fennan. „Mit hochkarätigen Speakern, die normalerweise hohes Antrittsgeld fordern. Und mit echten Challenges.“
Zu den gestellten Aufgaben gehört es beispielsweise, sich auch einmal im Spiel in die dunkle Seite der Macht hineinzuversetzen und das Interface einer Bank in einem Workshop zu hacken. So kann man Schwachstellen in der elektronischen Sicherheitsarchitektur ausloten. Damit all das nicht tierisch ernst abläuft, gibt es Pizza, Bier und Musik. „Die Szene mag es informell“, weiß Fennan aus langer Erfahrung.
Kontaktanbahnung mit Events
Die erste Veranstaltung dieser Art fand 2018 in Darmstadt statt. Der Otto Versand trat als Sponsor eines Hackathons auf, bei dem Teilnehmer in 24 Stunden eine Mode-App entwickelten. Inzwischen finden ITCS-Summits auch in Frankfurt, Hamburg und erstmals auch in Köln und München statt. „In der wegen Corona veranstaltungsfreien Zeit haben wir unser Business komplett digitalisiert und den ITCS als virtuelle Messe angeboten, und das mit großem Erfolg“, erzählt der Geschäftsmann von der schnellen Reaktion auf den Pandemie-Einbruch.
Unternehmen wie Porsche, KPMG, BASF, Lufthansa Technik, Fraport, Deutsche Bank und Commerzbank sind schon in der Vergangenheit an die Frankfurter Messe gekommen und haben sich als attraktive Arbeitgeber präsentiert. Zum informativen Spektakel gehörten auch Workshops im Body- und Biohacking. Die Besucher konnten sich ein Microchip-Implantat einsetzen lassen und mutierten so zum Cyborg.
Nun geht es bundesweit wieder richtig los. Selbstverständlich ganz lässig. CEOs großer Konzerne halten Vorträge ohne Anzug und Krawatte. Auch abseits der Hauptbühne kommt keine Langeweile auf.
Mix aus Fiction und Fakten
Der Mix aus Fiction und Fakten gefällt der IT-Gemeinde. Sich dann noch in einem Start-up Village mit Techvisionären auszutauschen, kann zum ultimativen Hochgefühl werden. „Wir treffen ganz gut den Nerv unserer Klientel“, meint Rachid Fennan. „ITler melden sich normalerweise gar nicht auf Inserate. Sie wissen, was sie wert sind. Du musst also echten Content und Unterhaltung bieten, wenn du Kontakt zu ihnen aufnehmen möchtest. Genau deswegen funktioniert unser ITCS-Format.“
„ITler melden sich normalerweise gar nicht auf Inserate. Sie wissen, was sie wert sind.“
Rachid Fennan, ITCS
Auch Accenture ist sehr erfinderisch bei der Rekrutierung von Hoffnungsträgern. Das internationale Beratungsunternehmen mit Sitz in Kronberg hat sich beispielsweise von der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ inspirieren lassen. Vor drei Leadern durften ambitionierte Geschäftsideen im Rahmen eines Bewerbungscoachings unterbreitet werden. „Wer das gut gemacht hat, den haben wir auch gleich mal übernommen“, verrät Personalleiterin Ildiko Kreisz. „Wir wollen für Arbeitnehmer interessant sein und gehen auf ihre Bedürfnisse ein.“

Viele weibliche Talente
Es gebe unterschiedliche Möglichkeiten, um kreative Köpfe zu erkennen, erläutert die Mutter einer erwachsenen Tochter. Mit dem „Female Talent Program“ spreche man gezielt weibliche Studentinnen an. Accenture hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2025 weltweit 50 Prozent aller Stellen und 30 Prozent aller Managing Director-Positionen weiblich zu besetzen. Zum Werkzeugkasten gehören auch Career Lunches. Bei solchen stimmungsvollen Einladungen erfahren Interessenten eine Menge über das Unternehmen.
Die Zeiten, in denen Firmen nur zwischen diversen Kandidaten auszuwählen hatten, sind vorbei. Fortbildung wird zunehmend wichtiger. „Wir gucken genau hin, wie lernwillig und lernfähig jemand ist“, meint die Accenture-Managerin. Wegen des Technologie-Hypes ist man oft in Bereichen unterwegs, auf die ein Studium die Talente kaum vorbereiten kann. Deshalb verlieren klassische Studienabschlüsse an Bedeutung. „Mitunter suchen wir dann aber auch nach Routiniers mit ausgewiesener Berufserfahrung“, ergänzt Kreisz. Es komme eben auf die Balance eines Teams an.
„Wir gucken genau hin, wie lern-willig und lernfähig jemand ist.“
Ildiko Kreisz, Accenture
Die Weichen sind gestellt
„Wir sind experimentierfreudig“, unterstreicht die Personalchefin. Mittlerweile seien die Lebensläufe sehr vielfältig geworden. „Frauen haben bei Accenture dank unterschiedlicher Förderprogramme enorme Entwicklungschancen, selbst wenn sie zunächst kein technologiespezifisches Idealprofil vorweisen können.“ Auch Familie und Beruf seien längst keine Gegensätze mehr. „Grundsätzlich unterstützen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Lebenslagen.“
Nach Einschätzung von Ildiko Kreisz werden Büros weiter eine wichtige Rolle spielen. Doch die Arbeitslandschaften veränderten sich, um der Phantasie mehr Raum zu geben. Irgendwann würden physische und virtuelle Räume verschmelzen. Während der Pandemie hat Accenture folgerichtig seine Büros im Campus Kronberg umgebaut. Alles ist noch offener und flexibler geworden.
Engagierte Arbeitnehmer dürfen sich freuen. Die deutsche Wirtschaft zeigt auf breiter Front Widerstandskraft und Dynamik. Sie hat in einer schwierigen Umbruchphase Weichen in die richtige Richtung gestellt und nimmt Fahrt auf.
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