In einer der wohlhabendsten Städte Europas fehlt es am Nötigsten: einer adäquaten medizinischen Versorgung für kranke Kinder. Ein hochkarätig besetztes Podium in der Frankfurter Privatbank ODDO BHF zeichnete ein düsteres Bild und stellte klar: Zwischen dem Recht auf dem Papier und der Realität in den Kliniken klafft ein tiefer Graben. Es ist eine Debatte, die Risse im deutschen Gesundheitssystem offenlegt – direkt vor unserer Haustür.
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Der Befund, formuliert auf Einladung der Vereine „Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt“ und „Kinderhilfestiftung Frankfurt“, ist alarmierend. Während die Zahl der Kinder seit 2015 wächst, ist die Anzahl der Krankenhausbetten seit 1991 um über ein Drittel gesunken. Unzureichende Finanzierung und akuter Fachkräftemangel bilden eine „toxische Verbindung“, die, so die Veranstalter, zu einem teils „unwürdigen Umgang mit kranken Kindern“ führt. Die Last tragen Ärzte und Pfleger, die unter extremer Arbeitsverdichtung leiden.
Recht verletzt, Versorgung mangelhaft
Die Experten auf dem Podium fanden deutliche Worte für dieses systemische Versagen. Dr. Christoph Schickhardt, Medizinethiker am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, entzog dem Nachmittag jeden Optimismus. Kranke Kinder, so Schickhardt, hätten in der Realität kein einklagbares Recht auf eine zeitnahe, hochwertige Behandlung. „Wir haben durch die Politik die Kinder krank gemacht“, sagte er mit Blick auf die Versäumnisse während der Corona-Pandemie, und konstatierte: „Das Recht der kranken Kinder wird in Deutschland – trotz des riesigen, teilweise selbstaufopfernden Einsatzes vieler einzelner Ärzte und Pflegekräfte – jeden Tag systematisch verletzt.“
Diesem Urteil schloss sich Prof. Dr. Philipp Donath von der University of Labour an, der an der Verankerung der Kinderrechte in der hessischen Verfassung mitgewirkt hat. Die Aufnahme ins Grundgesetz sei zwar gescheitert, doch die Kinderrechte seien geltendes Recht. Das Problem sei die Umsetzung. „Es darf nicht sein, dass es an engagierten Persönlichkeiten hängt, ob die Kinderrechte umgesetzt werden oder nicht“, mahnte Donath. „Es müssen Strukturen geschaffen werden, die unabhängig von Personen sind.“
Politik verweist auf Gesetze, Praxis fordert Taten
Hessens Innenminister Prof. Roman Poseck, der auch als Verfassungsminister agiert, verwies auf den starken Schutz des Kindeswohls in der hessischen Verfassung. Er nannte den Gedanken, eine aktive Umsetzungspflicht des Staates zu verankern, „erwägenswert“, betonte aber auch die hohen Hürden einer Verfassungsänderung und dass er aktuell keine politischen Bestrebungen dafür sehe.
Aus der Praxis der Kliniken klang die Forderung nach sofortigem Handeln lauter. Judith Wiesner, Kinderrechtsbeauftragte am Clementine Kinderhospital, machte die Herausforderungen greifbar: Es gehe um den Schutz der Privatsphäre bei der Visite, um verständliche Informationen und um das simple Recht auf Spiel. „Kinder können ihre Rechte nicht alleine einfordern“, so Wiesner. „Sie brauchen uns Erwachsene.“ Prof. Dr. Udo Rolle, Präsident der Welt-Kinderchirurgen-Vereinigung und Direktor am Frankfurter Uniklinikum, wurde noch konkreter. Er kritisierte, dass sinnvolle Pflegeschlüssel zu Betten-Schließungen führen, weil das Personal schlicht fehle, und dass ökonomischer Druck falsche Anreize setze. Eine zentrale Forderung des Nachmittags, die auch im Positionspapier der Vereine steht: die Abschaffung des Fallpauschalensystems in der Kindermedizin.
Es bleibt der Eindruck, den ein Gesundheitspolitiker vor zwei Jahren offen formulierte: „Mit Kinderrechten kann man in der Politik keinen Blumentopf gewinnen.“ Die Veranstalter und Experten in Frankfurt sind angetreten, um genau das zu ändern.
