Sie lieben schräge Wände und tanzende Silhouetten. Ihre Entwürfe erinnern an Wolken oder Kristalle und scheinen häufig der Schwerkraft zu trotzen.
In Frankfurt haben die Wiener Architekten mit dem ausgefallenen Namen Coop Himmelb(l)au den neuen Sitz der Europäischen Zentralbank gestaltet. Das Deutsche Architekturmuseum stellte zum 47. Geburtstag des Büros die Idee hinter diesem und zwei weiteren spektakulären Projekten vor. Von Sabine Börchers
Architektur zu entwerfen, ist ähnlich wie Fußballspielen, findet Wolf D. Prix. Zumindest, wenn der FC Barcelona auf dem Platz steht und Lionel Messi ein Tor schießt. Das Spiel lebe von einem klar strukturierten Aufbau, in dem aber niemand Messis überraschende Pässe vorhersehen könne.
Auch das Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au, das Prix vor ziemlich genau 47 Jahren gründete, schlägt gerne Haken und geht unerwartete Wege bei seinen Entwürfen. Ob es die BMW-Welt in München ist, die aussieht wie vom Wind zerzauste Wolken, der bedrohlich kippende Monolith des UFA-Kinopalastes in Dresden oder das gerade fertiggestellte Musée des Confluences in Lyon, das eine Metall-Wolke und einen gläsernen Kristall miteinander verbindet: Immer sträuben sich die Bauten gegen übliche Sehgewohnheiten, gegen den allgegenwärtigen rechten Winkel und loten zugleich alle technischen Möglichkeiten aus.
Bauherren weltweit finden mittlerweile Gefallen an den Wolkenskulpturen. Wie „Barça“ spielen die Österreicher seit langem in der ersten Liga. Berühmt werden, das wollten sie schon immer. Aber gleichzeitig auch radikal. Als sich Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky im Mai 1968 zur „Baucooperative Himmelblau“ zusammentaten, während zeitgleich in Paris die Studenten auf die Straße gingen, wollten sie nichts weniger als die Schwerkraft überwinden. Sie nahmen sich vor, rigide Strukturen zu zerschlagen und eine Architektur zu schaffen, „die leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung reißt“. Sie ließen sich von der Musik der Rolling Stones inspirieren, aber auch von der Weltraumtechnik mit ihren autarken Kapseln und der Idee der Schwerelosigkeit. Dabei stand der Name ihrer Kooperative für mehr als eine Farbe. „Himmelblau beschreibt auch die Entwurfsidee unserer Architektur, die sich wie Wolken verändern sollte. Bewegliche Hüllen und Räume, Architektur leicht wie Luft“, lautet die Selbstbeschreibung aus Prix’ Feder.
20 Jahre Geduld
Auftraggeber, die ihre luftigen Visionen in Stein gemeißelt sehen wollten, fanden sich anfangs allerdings nicht. Fast 20 Jahre lang hätten sie nichts gebaut, sagt Prix. Dafür stellten sie ihre Entwürfe öffentlich aus und machten als Aktionskünstler mit Performances von sich reden.
Etwa so: 1971 ließen sie sich in einem Plastikballon einschweißen und liefen als Projekt „Unruhige Kugel“ einen Tag lang durch Basel. Oder sie hoben in London das Dach eines Abrisshauses mittels eines Heißluftballons an. Ans Aufgeben hätten sie damals nie gedacht, betont Prix aus heutiger Sicht. „Geduld ist eines der wesentlichen Merkmale für den Beruf des Architekten.“
1988 kam schließlich der Durchbruch mit einem Großauftrag für eine Papierbeschichtungsfabrik in Kärnten, der sie tanzende Kamine und Flügel verpassten. Zugleich wurden sie Teil der Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im Museum of Modern Art in New York. Seither sorgen die Bauten von Coop Himmelb(l)au stets für Aufmerksamkeit.
Dem Dekonstruktivismus stehen ihre Entwürfe bis heute nah. In ihren Arbeiten werden oft Elemente zerstückelt und neu zusammengesetzt, sodass neue Strukturen entstehen. Etwa beim Turm am neuen Sitz der Europäischen Zentralbank, für den Prix und seine Kollegen das erforderliche Raumvolumen zunächst zu einem Modellquader verdichtet und diesen dann mit einem geschwungen-schrägen Schnitt in zwei Scheiben zerlegt haben. „Dass wir das eine Teil um 180 Grad gedreht und die Schnittfläche dann nach außen gestellt haben, gibt dem Gebäude eine neue Geometrie“, erläutert der Architekt.
Geheimnisse lüften
An den zahlreichen EZB-Modellen ist das Vorgehen gut nachzuvollziehen. Entwürfe, Skizzen und Fotos zweier weiterer Großprojekte, des Naturwissenschaftsmuseums in Lyon und eines Konferenz-Centers im chinesischen Dalian sind in der Geburtstagsausstellung ebenfalls zu sehen. „Außerdem war es an der Zeit, dass wir nach 47 Jahren unsere Geheimnisse lüften“, kündigte der 72-Jährige, der im graumelierten Anzug, mit Sonnenbrille und Platinring am Zeigefinger zur Eröffnung kam, mit einer schwungvollen Handbewegung an. Und erklärte dann: Das Unbewusste spiele in ihrer Entwurfsmethode eine große Rolle. „Wir gehen von der Voraussetzung aus, dass der Punkt auf dem Flügel des Schmetterlings durch Zufall entsteht.“ Der kreative Entwurf, die Phantasie nehme daher bis heute in ihrer Arbeit einen großen Raum ein.
An dieser Stelle kommt wieder Lionel Messi mit seinen oft intuitiven Laufwegen ins Spiel, den Prix so gerne als Beispiel heranzieht. Durch unvorhergesehene Ideen der Architekten entstehe beim Bauen eine neue Geometrie. „Und nur neue Geometrien lassen in Zukunft unverwechselbare Gebäude entstehen“, ist er überzeugt.
Anschauliche Vergleiche wie den aus dem Fußball mag der Architekt. Sich selber sieht er daher mittlerweile als Trainer, der die anderen Spieler anleitet. In der höchsten Liga, in der Coop Himmelb(l)au arbeitet, sind schließlich die Dimensionen gewachsen. Heute entwirft das Büro mit mehr als 100 Mitarbeitern aus 19 Nationen Projekte in Europa, Asien und im Mittleren Osten. Es entstehen Museen, Konzerthäuser, Kirchen, Forschungs- und Verwaltungsgebäude, aber auch Wohnbauten.
Selbst die einzelnen Projekte werden immer größer. Das Konferenz-Center in Dalian verfügt über eine Grundfläche von 40.000 Quadratmetern, sodass ein ganzes Opernhaus und zahlreiche Konferenzsäle in das Gebäude integriert wurden. Aber auch kleine Projekte verfolgt das Büro durchaus noch, derzeit etwa ein Friedenszentrum auf Hawaii oder ein Veranstaltungshaus für Indianer in Dakota, wie der Architekt verriet.
Gar nicht „corporate“
Bis heute will Wolf D. Prix mit seiner Arbeit die Welt verändern, daran lässt er keinen Zweifel. In seinen Vorträgen ist der Wiener gerne direkt und politisch. Zur Lage der Architekten heute tadelt er, diesen werde unendlich viel Verantwortung zugeschoben, man gebe ihnen aber nicht die Macht, die Verantwortung zu tragen. Die Architekturkritiker, die den Entwurf der EZB als reine Türme der Macht interpretierten, denken ihm zu eindimensional. Der Turm als Prototyp der Architektur habe viele weitere Bedeutungen, etwa als Totempfahl, als erotisches Signal, als Möglichkeit zur Übersicht.
Schaut man sich die Modelle genauer an, so scheinen die beiden Turmteile im Konflikt miteinander zu stehen und doch fest zusammenzuhalten – ein Bild, das die Europäische Union, deren Organ die EZB ist, in ihrer aktuellen Situation kaum besser charakterisieren könnte. „Die Bank als solides, mächtiges Instrument des Geldes findet man in unserer Geometrie sicher nicht“, stellt er fest und ist stolz darauf, dass das Gebäude so intensiv und vielschichtig geworden sei und „so gar nicht corporate“.
Persönlich liebt es Wolf D. Prix weit abstrakter. Die beste Beschreibung von Architektur, wie er sie sich vorstellt, hat er ausgerechnet in einem Roman gefunden, in Herman Melvilles „Moby Dick“. Dort heiße es: „Ich wollte, der Wind hätte einen Körper.“