Mitten durch Frankfurt fließen jeden Tag Unmengen an Informationen: durch die Glasfaserleitungen des Internetknotens De-Cix. Auch der Bundesnachrichtendienst zapft den weltgrößten Internetknotenpunkt an – und kann das seit der jüngsten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch weiterhin tun. Doch was passiert eigentlich in einem Internetknoten?
Der größte Internetknoten der Welt sitzt in Frankfurt. Und meldet immer wieder neue Weltrekorde. Die übertragene Datenmenge hat mittlerweile mehr als 6 Terabit pro Sekunde erreicht. Ins Analoge übersetzt wären dies 1,5 Milliarden voll beschriebene DIN-A4-Seiten. 140 Kilometer hoch in den Himmel würde ein solcher Stapel ragen.
Weltumspannende Kommunikation
Statt auf mächtige Bürotürme stößt der Besucher auf schlichte Zweckbauten in Gewerbegebieten am Rande der Stadt. Hier sind die mehr als 20 DE-CIX-Rechenzentren untergebracht. Das wirkt zunächst einmal unspektakulär. Und doch profitiert die Region enorm von diesem Netzknoten, der eine weltumspannende Kommunikation am Main bündelt. Derzeit werden im Rhein-Main-Gebiet schon 350 Millionen Euro pro Jahr in digitale Geschäfte investiert. Allein in Frankfurt dehnen sich die Rechenzentren bis zum nächsten Jahr auf 600.000 Quadratmeter aus.
Der Deutsche Commercial Internet Exchange, abgekürzt DE-CIX, braucht keine Showeffekte. Die DE-CIX Management GmbH hat die Rechenzentren lediglich angemietet, unter anderem bei den Betreibern Telehouse, Equinix, e-shelter und Interxion. „In diesen Lagen sind die Mieten noch bezahlbar“, sagt Thomas King, der Chief Innovation Officer des Internetknotens, bescheiden.
Dabei war die Entwicklung seiner Gesellschaft im vergangenen Jahrzehnt außerordentlich. „Mehr als 750 Netzwerke tauschen heute bei uns in Frankfurt ihre Daten aus. Darunter sind weltweite Technologieführer wie Google, Apple und Co.“, stellt der Wirtschaftsinformatiker fest.
Zum Einblick in den weltgrößten Internet-Exchange hat uns der 39-jährige Schwabe an die Hanauer Landstraße geführt. Draußen hört man das Rauschen der Autobahn A661. Drinnen dröhnt hinter einer schweren Metalltür ein Teil der weltgrößten Datenautobahn. Den akribischen Sicherheitsprozeduren am Eingang muss sich auch King unterziehen.
Ein Wachmann öffnet schließlich eine Schiebetür. So gelangen wir in den Gral, der harmlos aussieht – wie der Umkleideraum einer Sporthalle. Im Allerheiligsten stehen die Rechner, Router und Switche aneinandergereiht. Sie erinnern an Metallspinde, nur dass von dort Dioden gelb und grün blinken.
Zweimal über den Atlantik
Die Verständigung ist etwas schwierig, denn die Klimaanlage macht einen ziemlichen Lärm. King berichtet, wie alles begonnen hat: Wenn ein Nutzer in der Pionierära des Internet eine Website anklickte, musste der Telekommunikationsanbieter die Anfrage zunächst in die USA schicken. Dort verarbeitete die National Science Foundation, der „Backbone“, die Daten aller Endkunden. Sie wurden dann dem Provider des Seitenbetreibers weitergereicht.
Wenn der Nutzer also in Frankfurt saß und die Webseite vielleicht nur wenige Kilometer entfernt gehostet wurde, überquerten die Daten dennoch zweimal den Atlantik. „Das sogenannte Peering war damals nicht nur umständlich, sondern auch teuer“, fasst Thomas King zusammen.
Die drei großen deutschen Internetprovider EUnet aus Dortmund, Xlink aus Karlsruhe und MAZ aus Hamburg suchten nach einer günstigeren und effzienteren Lösung. 1995 beschlossen sie, gemeinsam den ersten deutschen Internetknoten in Frankfurt aufzubauen. „Dadurch wurden die hohen Kosten beim internationalen Datenverkehr gesenkt und das Tempo bei der Datenübermittlung stark beschleunigt“, erläutert DE-CIX-Manager King. Als neutrale Muttergesellschaft des DE-CIX fungiert seit Beginn der eco-Verband der Internetwirtschaft e.V.
Jedes Jahr ein neuer Rekord
Inzwischen finden sich Teilnehmer aus der ganzen Welt bei DE-CIX. Ihnen gefällt, dass der interne Austausch beim Peering in der Regel kostenneutral ist. Zusammengeschlossen haben sich Internet Service Provider, Content Provider, Netzwerk Service Provider und Unternehmen mit eigenem Netzwerk. Sprunghaft erhöht sich das Datenvolumen von Jahr zu Jahr.
Cloudcomputing, Internetradio und vor allem das Smartphone trieben die Datenmenge nach oben. Zwar steigt sie mit derzeit rund 30 Prozent pro Jahr nicht mehr ganz so stark wie in der Startphase. Doch es reicht, um permanent neue Rekorde aufzustellen. Jede Innovation ist für das Netz eine Herausforderung. Denn Neuerungen erhöhen den Datenumsatz.
Als das erste iPhone auf den Markt kam, gab es 2007 und 2008 einen starken Ausschlag im Volumen. Das immer beliebtere Herunterladen von 4K-Videos über Smartphones oder Tablets beansprucht nun ebenfalls eine enorme Menge an Rechenkapazität. Parallel wird der Frankfurter Knoten immer leistungsfähiger. Mit der Veröffentlichung des iOS-11-Updates ist bei DE-CIX, dem digitalen Rückgrat Deutschlands, die Sechs-Terabit-Marke pro Sekunde bei der Durchleitung der Daten überschritten.
Warum Frankfurt?
Warum der größte Internetknoten der Welt gerade in Frankfurt liegt? Das liegt zum einen wohl am tüchtigen und umsichtigen Management. Aber die Voraussetzungen seien auch günstig gewesen, erzählt Chief Innovation Officer King. „Aufgrund des Flughafens, der Banken und des früheren US-Headquarters gab es hier schon sehr früh sehr viele Rechenzentren und Kabelleitungen.“
Das Gerät war nur schuhkartongroß und stand unauffällig in einem Büro.
Anfangs war der Frankfurter Internetknoten eine handliche Angelegenheit. Das Gerät war nur schuhkartongroß und stand unauffällig in einem Büro. Doch die Struktur ist im Prinzip noch dieselbe. Die Daten werden über ein Glasfaserkabel empfangen und wieder herausgeschickt. Herzstück der Anlage ist der „Switch“ – ein Kasten mit diversen Ports. Er sorgt dafür, dass die Datenpakete – „Frames“ genannt – ihr Ziel erreichen.
Zur Demonstration öffnet Thomas King einen der grauen Metallschränke. Als Laie sieht man zunächst vor allem ein Gestrüpp dicker und dünner gelber Kabel. Der Experte erkennt dagegen die dahinter liegende Ordnung und ihren Schutz. Die kompakten Leitungen bündeln zehn Glasfaserkabel. Würde ein Strang mit einer Schere gekappt, stockte der Datenverkehr nur für einen Augenblick.
Safety first
Aus Gründen der Sicherheit ist alles mindestens doppelt ausgelegt. Es gibt zwei Stromkreise. Fallen beide aus, schaltet sich eine Batterie ein. Im äußersten Notfall würde ein Dieselnotstromaggregat hochfahren. In einem Nebenraum kontrolliert jemand den Datenfluss. Sobald es eng wird, schaltet er auf eine weniger beanspruchte Leitung um. Streikt dennoch einmal ein Switch, springt ein baugleicher Ersatz ein. Ausgefallene Komponenten können vom Hersteller innerhalb weniger Stunden ersetzt werden.
Das Peering geschieht auf mehreren Routern gleichzeitig. Die 21 Rechenzentren sind alle mit der ISO-Norm 27001 zertifiziert, die hohe Anforderungen stellt. Seit mehr als zehn Jahren hat der Frankfurter Internetknoten nicht den Ausfall der Plattform verkraften müssen. Gefährlich könnte allerdings ein Brand werden. Die DE-CIX Management GmbH fordert deshalb eine ausgetüftelte Klimatisierung. Generell sind die Sicherheitsauflagen nach der ISO-Norm 27001 sehr strikt.
„Natürlich müssen wir uns auch vor möglichen Terroristen schützen“, sagt King. „Einen direkten Überfall halte ich allerdings für eher unwahrscheinlich.“ Doch Cyberkriminelle bombardieren immer wieder einmal mit einer Anfrageflut den Internetknoten. Einen solchen Ansturm identifiziert ein spezielles Programm als Teil einer „DDoS-Attacke“. Die Daten werden markiert, an der DE-CIX-Plattform gestoppt, aus dem Netz gefiltert und vernichtet. „Wir sprechen hier von Blackholing, weil die Anfragen wie in einem schwarzen Loch verschwinden“, erklärt King.
„Unsere Abwehr funktioniert glänzend“ – Thomas King.
Solche Attacken passieren recht häufig und blieben dennoch bisher fast folgenlos. Sie kann man inzwischen sogar für ein bisschen Geld im Darknet kaufen. Eine aktuelle Studie der TU Berlin hat herausgefunden, dass der DE-CIX innerhalb von drei Monaten fast 8.000 Mal Opfer von Cyberangriffen wurde. Doch kein einziges Mal gelang es den Hackern, den Datenverkehr zu beeinträchtigen. „Unsere Abwehr funktioniert glänzend“, meint King.
DE-CIX, NSA & BND
Allerdings wird es schwierig, wenn befreundete Nachrichtendienste zugreifen. Im Zuge der Enthüllungen über NSA-Aktivitäten in den Jahren 2013 bis 2015 geriet auch der Frankfurter Internetknoten in den Blick. Offenbar hat der US-Geheimdienst amerikanische Netzanbieter mit Hilfe des Foreign Intelligence Surveillance Act zu Überwachungsmaßnahmen verpflichtet. Auch der Bundesnachrichtendienst späht aus. Gegen diese Bespitzelung klagte die DE-CIX Management GmbH derzeit vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – und verlor.
Ungeachtet der Bedrohungen des freien Datenverkehrs durch die internationale Sicherheitslage verteidigt DE-CIX die Stellung als führender Internetknoten der Welt. Die Konkurrenz von AMS-IX aus Amsterdam und Linx in London hat man vorerst hinter sich gelassen. Die DE-CIX Management GmbH mit ihrer Frankfurter Zentrale betreibt inklusive der Tochtergesellschaften mittlerweile 13 Internetknoten rund um den Globus mit über 1.300 angeschlossenen Netzwerken.
„Alles fließt“
Dependancen befinden sich in Düsseldorf, Hamburg, München, Berlin, Dubai, Istanbul, Palermo, Marseille, Madrid, Mumbai, New York und Dallas. Über 100 Mitarbeiter aus 20 Nationen engagieren sich für den reibungslosen Datenaustausch. Das Angebot erweitert sich stetig. Mit dem neuen Service DirectCloud finden Unternehmen nun auch mühelos die für sie geeigneten Cloud-Anbieter. „Alles fließt“, wusste schon der griechische Philosoph Heraklit 2.500 Jahre vor der digitalen Revolution.
Um für die Zukunft gewappnet zu sein, wurde eine Research-Abteilung gegründet. Die Experten beschäftigen sich mit der Frage, wie die Welt in einigen Jahren aussehen könnte und welche Auswirkungen die künftigen Entwicklungen auf die Wirtschaft und das Internet haben könnten. Die DE-CIX-Fachleute machen auch bei der Engineering Task Force mit, einem internationalen Gremium, das sich mit dem Fortschritt des Internet und seiner Standardisierung beschäftigt. Der eco-Dachverband ist überzeugt, dass mit den kommunizierenden Werkstücken der Industrie 4.0 auch in den nächsten Jahren ein hohes Wachstum garantiert ist.
Um Frankfurts führende Rolle beim globalen Datenverkehr bekannt zu machen, hat Oberbürgermeister Peter Feldmann im Januar die Chance beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos genutzt. Er kündigte an, die Digitalisierung noch stärker forcieren zu wollen. Schließlich soll der Anteil der Informationstechnologie an der Wertschöpfung im Rhein-Main-Gebiet weiter überdurchschnittlich wachsen.
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