Wer sich in den sozialen Medien präsentiert, zeigt gerne seine positiven Seiten. Je professioneller der Auftritt, desto mehr wird getrickst und geschönt. Wenn Selbstoptimierung zum Zwang wird, kann das aber gefährlich werden, sagen die Experten und geben Tipps, wie das zu verhindern ist.
Das Licht muss perfekt sein, der Hintergrund zum Outfit passen und die Freunde müssen fotogen sein. Dann klappt es auch mit Instagram. Kim Kardashian ist das Paradebeispiel dafür. Sie hat zweihundert Millionen Follower. Sie zeigt sich immer perfekt gestylt, ob sie irgendwo posiert, nur am Frühstückstisch sitzt oder ihr Kind auf dem Arm hält. Sie lebt in einer perfekten Welt – dieses Bild schickt sie täglich in zweihundert Millionen andere Haushalte. Nur, ob ihr Leben in der Realität wirklich so aussieht, dürfte zu bezweifeln sein. Wie viel Wahrheit ist auf Instagram, Facebook oder in anderen sozialen Medien zu sehen?
Filter und Apps sorgen schon einmal dafür, dass jeder sich heute schöner machen kann, als er in Wirklichkeit ist. Einmal Snapchat öffnen, das Gesicht in den X-Pro- oder den Juno-Filter tauchen, und schon werden die Augen größer, die Wangenknochen hoch, die Haut wird zarter. Selbst, wer nur ein übliches Smartphone von Samsung besitzt, kann allein mit der integrierten Kamera-App auf dem Selfie das Gesicht verschlanken, die Augen vergrößern und die Haut weichzeichnen. Ein professioneller Grafiker, der die Pickel wegretouchiert, ist längst nicht mehr notwendig.
Und das ist lange nicht alles. Professionelle Influencer überlassen bei einem Foto nichts dem Zufall, sieht es auch noch so zufällig aus. Das bestätigt Giulia Cafaro, die bei der Frankfurter Agentur East West Models für das Booking mit dem Schwerpunkt auf sozialen Medien zuständig ist und unter anderem den Agentur-Instagram-Account @eastwestmodels betreut. Für Models sei das Posten mittlerweile wie ein Hobby-Marketing-Job neben den eigentlichen Aufträgen. Die Models der Agentur üben ohnehin regelmäßig, wie sie richtig vor der Kamera posieren, wie sie sich in Szene setzen, berichtet Giulia Cafaro. „Je variabler man ist, desto kreativer können auch die Postings im Netz sein. Mit dem Rücken zur Kamera und keck über die Schulter geschaut, schon hat man ein spannendes Foto.“ Was die jungen Models professionell machen, dürften auch bekannte Influencer längst beherzigt haben.
Spontan wirken
Für Models ist die Präsenz auf Plattformen wie Instagram & Co. heute immens wichtig. „In Paris, Mailand & Co. schauen die Kreativ-Direktoren sich oft erst den Instagram-Account und die Zahl der Follower an, bevor sie das Portfolio betrachten“, stellt sie fest. Bei Influencern, die dank lukrativer Werbeverträge mit ihrem Account Geld verdienen, gilt das ebenso. Entsprechend perfekt soll der Online-Auftritt sein. Und der ist genauso Arbeit wie das klassische Model-Shooting. „Man fährt mit verschiedenen Outfits durch die Gegend, meist nimmt man einen befreundeten Profifotografen mit und überlegt sich genau die Location.“ Bei so einer Gelegenheit entstehen meist mehrere unterschiedliche Bilder, die aber alle möglichst spontan und natürlich wirken sollen.
Zu den Tipps, die Giulia Cafaro ihren jungen Models gibt, gehört auch, solche Bilder nicht alle auf einmal zu posten, sondern zeitversetzt, um Inhalte für die nächsten Wochen zu haben. „Wer bei den Großen mitspielen will, bei dem gehört Content-Planung dazu“, sagt Giulia Cafaro. Die Großen, das sind heute Caro Daur oder Dagmara Nicole Ochmanczyk alias Dagi Bee, die immerhin 6,3 Mio Follower auf Instagram hat und dort für die unterschiedlichsten Unternehmen wirbt. Caro Daur soll mit ihren Postings geschätzt rund eine Million Euro pro Jahr verdienen. Und doch verkörpern beide in ihren Online-Auftritten geschickt das „Mädchen von nebenan“. Sie kommen betont unangestrengt und lässig daher und flüstern ihren Followern zu: Sei du selbst, nur besser!
Kein Wunder, dass sich diese davon angesprochen fühlen und sich ebenso präsentieren möchten. Und dabei gerne zu Filtern und Apps greifen, um ihren Idolen noch näher zu kommen. „Sie sind ja oftmals nicht weniger hübsch, sie haben nur andere Proportionen oder sind nicht so groß wie ein Model“, stellt Giulia Cafaro fest. Der Druck, perfekt aussehen und damit sich selbst optimieren zu müssen, ist umso größer, wenn die Messlatte besonders hoch hängt. Wenn etwa potenzielle Vorbilder wie die Moderatorin Sylvie Meis sich selbst bei der Werbung für eine Gesichtsmaske auf Instagram die schwarze Masse ins geschminkte Gesicht reiben, um auch dann noch hübsch auszusehen.
Sich stetig verbessern
Sich zu verbessern und verbessern zu wollen, sei ein ganz alltägliches Motiv, das die meisten bejahen und begrüßen, sagt Vera King, Professorin am Institut für Soziologie der Frankfurter Goethe-Universität und geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts. „Problematisch wird es unter verschiedenen Bedingungen: Wenn es um die Vorstellung geht, dass Steigerung und Perfektionierung permanent und grenzenlos möglich sind, wenn sie um jeden Preis realisiert werden sollen – und auch in Bereichen, die dafür nicht geeignet sind.“ Wenn man als Instagram-Nutzerin oder auch -Nutzer also etwa mit einem professionellen Produkt konkurrieren möchte, das nur suggeriert, es sei amateurhaft, dann wird die Optimierung des eigenen Ichs leicht zum Zwang. Schließlich will jeder möglichst viele Follower und Likes bekommen. Denn genauso wie ein Offline-Lob im wahren Leben, stimulieren diese Reaktionen das Belohnungszentrum im Gehirn, sagen Neurowissenschaftler. Das Problem daran ist, wie im wahren Leben gewöhnt sich das Gehirn an das positive Feedback und braucht immer mehr.
„Optimierungsdruck oder damit einhergehende perfektionistische Ambitionen können in verschiedenen Bereichen Überforderungen und Konflikte, Widersprüche und Leiden erzeugen. Vor allem, wenn die eigenen Grenzen auf selbstschädigende Weise überschritten werden, um im Wettbewerb mithalten zu können“, erläutert Vera King. Auch wenn die Beziehungen zu anderen oder auch zu sich selbst, zum eigenen Körper, sehr stark geprägt seien von Effizienzdenken, dann kippe es gleichsam um in eine eher unproduktive oder gar schädliche Form.
Die permanente Beschäftigung mit dem oft als perfekt wahrgenommenen Vorbild könne zu Minderwertigkeitskomplexen, Stimmungsschwankungen und Depressionen führen, sagen Psychologen. Selbstoptimierung kann zwanghaft werden, wenn man nur noch exzessiv Sport treibt, strenge Diät hält und sich stundenlang vom Spiegel schminkt, um immer perfekter auszusehen. Man verliert den Bezug zur Realität.
Dass das bei Weitem nicht nur junge Menschen betrifft, zeigt ein Beispiel aus den USA. Dort haben die sozialen Medien bereits die sogenannte „Snapchat-Dysmorphie“ hervorgebracht, eine Wahrnehmungsstörung, die Dermatologen der Boston University of Medicine kürzlich beschrieben haben. Es waren in der Hauptsache Frauen, die unter einer solchen Wahrnehmungsstörung litten. Sie suchten Rat bei plastischen Chirurgen, weil sie so aussehen wollten wie die elektronisch gefilterte Version ihrer selbst. Sie wünschten sich vollere Lippen, eine schmalere Nase, größere Augen. Der Trend sei alarmierend, sagen die Ärzte. Denn das am Computer mit moderner Bildbearbeitung geschaffene Aussehen sei nicht erreichbar. Auch mit chirurgischen Mitteln nicht.
Schwäche zeigen
„Wenn jemand erwachsen ist, heißt das nicht, dass sein inneres Kind mitgewachsen ist“, erläutert Kelechi Onyele, Business-Coach und Choreograf, der schon für den DFB und für viele andere Unternehmen tätig war, warum auch Erwachsene nicht davor gefeit sind, dem Zwang zur Selbstoptimierung in den sozialen Medien zu unterliegen. Jemand, der viel Wert darauf lege, von außen beurteilt zu werden, verlange nach Aufmerksamkeit. Kommt die nicht, „werden viele depressiv“, sagt er und spricht dabei aus Erfahrung: „Ich bekomme jede Woche locker zehn Coaching-Anfragen von Leuten, die wegen der sozialen Medien Probleme mit dem Selbstwertgefühlt haben – vom Cybermobbing in der Schule bis zum Unternehmer, dessen Mitarbeiter auf seinem privaten Account gepostet haben“, berichtet er. Viele seien sich nicht bewusst darüber, welche Auswirkungen die sozialen Medien auf die Persönlichkeit hätten.
Spätestens, wenn vor lauter Selbstoptimierung der Bezug zur Realität verloren gehe, sei eine Grenze erreicht. „Das ist ein Pakt mit dem Teufel, man wird abhängig davon.“ Deshalb rät er: Wer kein gutes Selbstwertgefühl oder Menschen um sich herum hat, die einen mögen und einem ein ehrliches Feedback geben, sollte die Finger von Instagram & Co. lassen. „Denn das Selbstwertgefühl wird nur so lange gestärkt, solange von den Menschen positive Aufmerksamkeit kommt. Ist diese negativ, können viele damit nicht umgehen. Es müsste dafür ein Schulfach geben.“
Oder einen Coach. Der empfiehlt jedenfalls, sich in den sozialen Medien möglichst authentisch zu präsentieren. „Ich habe auch einen Account auf Instagram. Ich zeige Bilder von mir, die man auf der Straße genauso sehen würde.“ Wer bereits in der Selbstoptimierungs-Falle drin ist, für den hat Kelechi Onyele auch einen Tipp, wie man sein Selbstbewusstsein stärken kann: „Man muss lernen, sich selbst zu reflektieren oder sich Menschen suchen, die einem dabei helfen.“ Man solle sich immer selbst fragen, welche Gründe es haben kann, dass man sich nicht so darstellt, wie man ist. „Niemand ist perfekt. Wenn man genügend Selbstliebe empfindet, kann man sich auch mal ungeschminkt oder seine Schwächen zeigen.“ Wichtig sei es, dass man neben „Social Media“ auch noch „social friends“ habe. „Wenn man ein gesundes Umfeld hat, bekommt man Reflexion oder auch Kritik, die einen schützt.“
Authentisch scheinen
Bevor man sich auf Instagram oder Facebook präsentiert, solle man sich dreifach damit auseinandersetzen, wie man rüberkommen und was man darstellen möchte, empfiehlt Kelechi Onyele weiter. „Wenn ich nur cool wirken möchte, ist das natürlich in Ordnung, dann kann ich damit umgehen.“ Giulia Cafaro ergänzt: Es gebe genügend Instagramer, die bestimmte Filter benutzten, um einen besonderen Stil zu kreieren. Auch für Models sei es wichtig, sich wie eine eigene Marke mit einem persönlichen Stil darzustellen. Wichtig sei es aber, unbedingt authentisch zu bleiben. Die Soziologin sieht dabei allerdings ein weiteres Phänomen, das man beim Verfolgen von Influencern im Kopf haben sollte: „Interessant ist, dass Attraktivität und Schönheit in den sozialen Medien zwar hochbedeutsam sind, zugleich aber auch Authentizität als wichtig erachtet wird, gerade weil viele wissen, wie viel Schein erzeugt wird.“ Es könne daher für manche Influencer auch besonders relevant sein, authentisch vollkommen zu erscheinen.
Prof. Vera King macht jedenfalls wenig Hoffnung, dass der Druck zur Selbstoptimierung in der Gesellschaft künftig geringer werden könnte. Es bleibt also nur, zu lernen, damit besser umzugehen. Dennoch besteht nicht die große Gefahr einer ständigen Selbstoptimierung, die zugleich eine Anpassung an gängige Schönheits- und andere Ideale mit sich bringt, darin, dass unkonventionelle, unangepasste oder gar unperfekte Menschen bald in der Öffentlichkeit unrelevant werden? „Soziale Medien schaffen auf jeden Fall mehr Gruppen- und Konformitätsdruck.“ Zugleich erzeuge dieser aber auch Gegenbewegungen, stellt die Soziologin fest. „Wobei es wiederum auch einen Gruppendruck geben kann, sich unkonventionell zu geben.“
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- Tembrink, Christian (Author)
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